Erzählen stücke geschichten?

  • Hallo,


    wenn ich an ein stück "rangehe" ist ein wichtiger
    punkt die geschichte, dass was das stück erzählt,
    was der komponist möglicherweise gemeint hat,


    macht ihr euch auch gedanken über die "geschichte"
    eines stückes?
    glaubt ihr dass der komponist überhaupt soetwas in der
    art ausgedacht hat als er komponiert hat?


    mfg


    mozi

    Lob bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen!


    Mozi

  • JAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! :D :D
    Nun, um meiner Meinung noch eine Prise Salz hinzu zu fügen (oder doch hinzuzufügen?): Ich finde es sehr wichtig, dass Musik einen erzählenden Charakter hat. Denn einfach nur Noten ohne Hintergrund kann man sich in der Zeitgenossenschaft anhören und dazu dann etwas lesen, um es zu verstehen. Ältere Musik braucht interessanter Weise keine Beiblätter als Erklärung - dort reicht die Musik selbst vollkommen aus. Warum? Weil sie verständlich klingt.
    Nachdem ich auch selbst komponiere kann ich auch, zumindest von mir behaupten, dass man sich Gedanken um eine Handlung macht. Es ist ja auch eigentlich schwer, ein Stück vollkommen ohne Handlung zu komponieren. Nimmt man zum Beispiel den Messtext, hat man schon eine Geschichte. Oder ein Gedicht, ebenso. Man braucht ja im Grunde nur einen Titel, schon gehts.
    Also, Mozi, du solltest deine Frage in "Gibts Musik ohne Handlung" umändern... :D

  • Ich höre zwar gerne Musik die scheinbar etwas erzählt, aber was wichtiger ist, Musik muss auch existieren ohne einen außermusikalischen Gedanken.
    Ich halte absolute Musik für höherwertiger als programmatische Musik, weil die die abstrakte Leistung höher schätze als die erzählende.
    Eine Bachfuge erzählt nichts. Sie ist einfach nur Musik. Reine Musik. Ein Meisterwerk von Idee und Konstruktion.


    Ich halte es hier mit Strawinski:


    "Musik kann nichts Außermusikalisches darstellen, Musik genügt sich selbst."

  • wenn ihr ein stück lernt, z.B am klavier,
    macht ihr euch dann richtig gedanken über das stück,
    z.B ein mann.....,
    also die geschichte, und spielt richtig danach?
    bei mir im klavierunterricht ist das ziemlich "hoch geschrieben",
    aber ich bin mir sicher das viele "einfach nur nach noten" spielen

    Lob bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen!


    Mozi

  • wenn ich eine Scheibe einlege, dann denke ich mir manchmal, ich begebe mich auf eine Reise ... eine Zugreise, um genauer zu sein, und die Musik ist die Landschaft, durch die ich fahre. Und bei manchen Werken ist die Landschaft eben schöner, interessanter, abwechslungsreicher als bei anderen ... tja, so ist das bei mir, ist doch fast so etwas wie eine Geschichte, die mir die Musik erzählt ... =)

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

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  • Nein. Das verhindert bei mir den Zugang zu einer schlüssigen Interpretation.
    Man heftet sich dann so stark an dieses außermusikalische Bild, dass das wesentliche in der Musik verloren gehen kann. Programmatische Gedanken in der Musik sind übrigens ziemlich neu. Erst im 19. Jhd. tauchen sie als solche auf. Wenn du also so an Klassische oder Barocke Stücke herangehst tust du der Musik nur unrecht.
    Es ist hilfreich bei Anfängern, aber um wirklich Musik zu machen gehört viel mehr dazu. Da sind andere Dinge wichtig. Der Anschlag, Agogik, Artikulation, langer oder kurzer "Atem", sich in den Stil des Komponisten hineindenken etc... Da lenkt sowas nur vom Wesentlichen beim üben ab. Wenn man hobbymäßig ein wenig klimpert aber bestimmt ganz nett.

  • Zitat

    Original von MatthiasR


    Nein. Das verhindert bei mir den Zugang zu einer schlüssigen Interpretation.
    Man heftet sich dann so stark an dieses außermusikalische Bild, dass das wesentliche in der Musik verloren gehen kann. Programmatische Gedanken in der Musik sind übrigens ziemlich neu. Erst im 19. Jhd. tauchen sie als solche auf. Wenn du also so an Klassische oder Barocke Stücke herangehst tust du der Musik nur unrecht.
    Es ist hilfreich bei Anfängern, aber um wirklich Musik zu machen gehört viel mehr dazu. Da sind andere Dinge wichtig. Der Anschlag, Agogik, Artikulation, langer oder kurzer "Atem", sich in den Stil des Komponisten hineindenken etc... Da lenkt sowas nur vom Wesentlichen beim üben ab. Wenn man hobbymäßig ein wenig klimpert aber bestimmt ganz nett.


    die idee von "geschichten" kam schon in der rommantik auf,
    märchen etc., (Schumann, schubert etc.)


    ich finde es sehr wichtig sich gedanken über die geschicht (wenn auch nur
    die gefühle) zu machen,
    der komponist muss sich ja auch irgendwie "gefühlt haben" als er das
    komponiert hat, er hat sich die noten sicher nicht aus der nase gezogen :D
    ich bin der meinung das auch in der barrock musik mehr dahinter
    steckt als man denkt,

    Lob bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen!


    Mozi

  • Hallo Mozi,


    Die Romantik, dass ist ja im weitesten sinne das 19.Jhdt...
    Im Barock und in der Klassik ist der programmatische Kontext wirklich nur ganz
    selten anzutreffen...da ging es meist darum, absolute und vollkommene Musik zu schaffen. Im Barock galt das bei Bach vorwiegend dem gekonntem Tonsatz - "...zur höheren ehre Gottes"...in der Klassik geht es Musikalisch in der Regel um Ideale ideale von Form und Klang. Alles sollte ausgewogen und balanciert klingen. Eine Synthese aus Natur und Verstand....Weisheit halt... :D (ein kleines Zauberflöten-Zitat nebenbei). Nebenbei ging es in beiden Epochen oft in erster Linie um Geld. Der Komponist wird noch als Handwerker und nicht als Künstler angesehen. Wirklich angefangen zu "malen" haben erst die Romantiker...


    Wenn du aber Geschichten zu z.B. eine Mozart-Sonate oder einer Bach-Fuge erfinden kannst zeugt das doch von großer Fantasie!... Ich kann es nicht so...halte mich eher an Noten, Vortragsbezeichnungen, meinem Bauch und vor allem an anderen Interpretationen fest... ( :D...ich weis, das ist sehr, sehr schlecht...!) Ih denke nicht, dass wenn du dir eine Geschichte denkst, dass die interpretation darunter leidet - im gegenteil: Sie hilft dir, Deine eigene, feste Interpretation zu bilden, die einen Wiedererkennungswert besitzt!


    Viele Grüße,


    Raphael

  • Hallo,


    es gibt natürlich Musik, die Geschichten erzählt, und Musik, die in diesem Sinne inhaltsleer ist.


    Ich persönlich kann mit dem ersten Fall weniger anfangen, sie trifft mich nicht im Innersten und interessiert mich daher weniger.


    Ich stehe da eher auf einer Wellenlänge mit MathiasR, der treffend sagt:


    Zitat

    Reine Musik. Ein Meisterwerk von Idee und Konstruktion.


    (Ob "reine" Musik tatsächlich möglich ist oder nicht, tut hier nichts zur Sache. Entscheidend ist, wie es gemeint ist.)


    Wenn ich beim Verfolgen von Musik den Eindruck habe, dass ein Inhalt erzählt oder vertont wird bzw. dass ich mich frage, welcher Inhalt denn dahintersteckt, ist dies für mich ein Indiz dafür, dass der Musik die innere Kraft fehlt.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Im Barock ist "absolute Musik" die große Ausnahme. Zwar werden nicht direkt "Geschichten" erzählt, aber "Klangrede" bedeutet, dass Musik relativ präzisen rhetorischen Konventionen folgt und ziemlich konkrete Emotionen (Affekte) ausdrückt. Klar ist das in Vokalkompositionen deutlicher als im Wohltemperierten Klavier (das kann man wohl absolute Musik nennen).


    Ich persönlich mag auch sehr wenig Musik mit Programm oder illustrativem Charakter (ich würde kaum eine Träne vergießen, wenn sämtliche "Sinfonische Dichtungen" im Orkus verschwänden, wobei ich nicht weiß, ob es daran liegt, dass sie ein Programm haben, oder mir die Stücke einfach so nicht besonders gefallen) aber ich finde die Idee des "Geschichten erzählens" nicht mehr so abwegig wie früher.
    Man hat Klassische Sinfonien "Dramen ohne Handlung" genannt, und da ist einfach was dran. Natürlich gibt es keine Geschichte, die man einfach an Stelle des Musikstücks erzählen könnte (sonst wäre das ja überflüssig) . Aber musikalische Verläufe und Gesten können (rein musikalische) "Geschichten erzählen" und tun das auch sehr häufig.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Salut,


    also die "musikalische Beschreybung der Türkenschlacht" und so'n Zeugs find ich schon recht unterhaltsam. Ebenso zähle ich auch die Melodramen [Benda] bzw. Melologe [Mozart] dazu.


    Was macht Mozart sonst, wenn er mit seiner Musik - hauptsächlich in der Oper - nicht das Geschehen beschreibt und durchdringt?


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo,


    Oper ist ja was anderes...wir reden ja hier nicht von Vokalwerken...wenn es irgendwo in einer Kantate hiest "Jauchzet laut und froh dem Herrn" (oder was auch immer :D ) dann wird sich das musikalisch selten in pianissimo und langsamen Tempi ausdrücken...!


    Ich nehme an, dass wir hier zunächst einmal von Tasteninstumenten reden...denn wie ich das so mitbekommen habe Spielt der Mozi Klavier und Orgel... :D


    LR
    RL

  • Ja,


    aber Mozart hat ja auch Opern ohne Worte komponiert - z.B. seine Streichquartette, Klaviertrios und anderes...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo,


    Ok...ok.. :faint:.wie soll ich das denn entkräften?...Jemandem erklären dass der "Nicht-Mozart-Freund-und-Kenner" Streichquartette und Opern für grundverscheidene Gattungen hält... :rolleyes::D


    LG
    RL

  • Zitat

    Original von raphaell
    Ok...ok.. :faint:.wie soll ich das denn entkräften?...Jemandem erklären dass der "Nicht-Mozart-Freund-und-Kenner" Streichquartette und Opern für grundverscheidene Gattungen hält... :rolleyes::D


    Sind sie natürlich. Aber Mozart (und nicht nur der) verwenden in der Oper "sinfonische" Kompositionstechnik (Sonatenform), Konzertantes (z.B. Martern aller Arten mit den obligaten Soli) und in Instrumentalwerken finden sich "Arien" (besonders in langsamen Sätzen), "Duette"(z.B. in der Sinfonia Concertante f. Geige u. Bratsche), sowie Stücke, die sehr an Buffa-Finali erinnern (mich z.B. auch das Pseudofugenfinale des Quartetts KV 387).


    Und im Barock ist das häufig ähnlich.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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  • Ich bin mir nicht ganz sicher, was Du mit "Geschichte" meinst. Natürlich lösen Stücke verschiedene Gefühle aus und mit den Gefühlen verbinden sich Assoziationen. Wenn man versucht, diese Assoziationen in eine sprachlich logische Form zu bringen, dann ergeben sich konkrete Geschichten. Beispiel: Ein Stück fängt mit einer heroischen Geste an, dann folgt ein lyrisches Seitenthema - sofort kann man, wenn man denn will, einen Helden und eine sanfte Prinzessin assoziieren und sich dann im weiteren Verlauf des Stückes vorstellen, wie die beiden zusammenkommen oder auch nicht. Manchmal versuchen Komponisten auch bei absoluter Musik ihre Assoziationen im Nachhinein in Worte zu fassen, was aber häufig im Vergleich zur Musik grässlich plump wirkt. Das liegt daran, dass die Musik wie auch Träume eine ganz eigene Logik hat, die man kaum in Prosa übersetzen kann. Deswegen versuche ich, wenn ich mich einem Stück näherkommen möchte, auch nicht eine platte Geschichte nachzuerzählen, sondern sie - wenn überhaupt - so nachzuträumen, dass sie mir in meiner Traumlogik logisch erscheint.


    Wie die Geschichten ausgesehen haben könnten, die Mozart in seiner Musik träumte, davon vermittelt uns einer seiner Bäsle-Briefe einen ganz guten Eindruck. Hier versucht Mozart spielerisch und aus einer Laune heraus, die Grenzen zwischen musikalischem und sprachlichem Denken zu lockern. Ich finde dabei sehr interessant, dass die Geschichte, die er erzählt, immer absurder wird, bis sie zuletzt in eine rhythmische Struktur übergeht um zuletzt in einer Pointe (was? ein stockfisch") zu enden, die semantisch unsinnig ist, aber rhythmisch den lange herausgezögerten plausiblen Schlusspunkt setzt.


    es ist noch nicht lange, das es sich zugetragen hat; es ist hier im land geschehen. es hat auch hier viell aufsehens gemacht, denn es scheint ohnmöglich; man weis auch, unter uns gesagt, den ausgang von der sache noch nicht. also, kurz zu sagen, es war, etwa 4 stunde von hier, das ort weis ich nicht mehr -- es war halt ein dorf oder so etwas; Nu, das ist endlich ein ding, ob es tribsterill wo der dreck ins meer rinnt, oder burmesquick wo man die krummen arschlöcher dräht, war; mit einem wort, es war halt ein ort. da war ein hirt oder schäfer, der schon ziemlich alt war, aber doch noch robust und kräftig dabey aus-sah der war ledig, und gut bemittelt, und lebte recht vergnügt. ja, das muß ich ihnen noch vorher sagen, ehe ich die geschichte auserzähle, er hatte einen erschröcklichen ton, wen er sprach, man muste sich allzeit fürchten, wenn man ihn reden hörte. Nu, um kurz von der sache zu reden, so müssen sie wissen - er hatte auch einen hund den er Bellot nannte, einen sehr schönen grossen hund weis mit schwarzen fleckem Nu, eines tages, gieng er mit seinen schaafen daher, deren er 11 tausend unter sich hatte; da hatte er einen stock in der hand, mit einem schönen rosenfarben stockband. denn er gieng niemahlen ohne stock. das war schon so ein gebrauch; nun weiter. da er so eine gute stunde gieng, so war er müde, und sezte sich bey einen fluß nieder. Endlich schlief er ein, und da traumte ihm er habe seine schaaf verlohren, und in diesen schrocken erwachte er, und sahe aber zu seiner grösten freüde alle seine schaafe wieder. endlich stund er auf, und gieng wieder weiter, aber nicht lang; denn es wird kaum eine halbe stunde vorbeygegangen seyn, so kamm er zu einer brücke, die sehr lang war, aber auf beyden seiten gut geschützt war, damit man nicht hinab fallen könne nu da betrachtete er seine heerde; und weil er dann hinüber muste, so fieng er an seine 11 tausend schaaf hinüber zu treiben.


    Nun haben sie nur die gewogenheit, und warten bis die 11 tausend schaaf drüben sind, dann will ich ihnen die ganze histori auserzählen. ich habe ihnen vorher schon gesagt, daß man den ausgang noch nicht weis. ich hoffe aber, daß, bis ich ihnen schreibe, sie gewis darüber sind; wo nicht, so liegt mir auch nichts daran; wegen meiner hätten sie herüben bleiben können. sie müssen sich schon unterdessen so weit begnügen; was ich davon gewust habe, das hab ich geschrieben. und es ist besser, daß ich aufgebört habe, als wenn ich etwas dazugelogen hätte. da hätten sie mir etwa die ganze schistori nicht geglaubt aber so -- glauben sie mir doch - die halbe nicht. nun muß ich schliessen, ob es mich schon thut verdriessen wer anfängt muß auch aufhören, Sonst thut man die leute stöhren, an alle meine freünde mein Compliment, und wers nicht glaubt, der soll mich lecken ohne End, von nunan bis in Ewickeit, bis ich einmahl werd wieder gescheid. da hat er gwis zu lecken lang, mir wird dabey schier selbsten bang, ich fürcht der dreck der geht mir aus, und er bekommt nicht gnug zum schmaus. Adieu bääsle. ich bin, ich war, ich wär, ich bin gewesen, ich war gewesen, ich wär gewesen, o wenn ich wäre, o daß ich wäre, wollte gott ich wäre, ich wurde seyn, ich werde seyn, wenn ich seyn würde, o das ich seyn würde, ich wurde gewesen, ich werde gewesen seyn, o wenn ich gewesen wäre, o daß ich gewesen wäre, wolltegott ich wäre gewesen, was? - ein stockfisch.

    Dem Amateur ist nichts zu schwör.


  • Nehmen wir einmal Bach und seine Zeitgenossen. Die sahen sich selbst als Handwerker, nicht anders als ein Schreiner der einen schönen, kunstvollen Stuhl fertigt.
    Wenn ich jetzt einen Stuhl vor mir habe, überlege ich mir ja auch keine Geschichte dazu, um besser zu wissen wie ich mich da draufzusetzten habe :D Ich schaue mir den Stuhl an und sehe: Aha, da ist die Sitzfläche, dann muss da wohl mein Hintern drauf. An an diese Lehne kommt mein Rücken. Man muss also lediglich wissen, wie das Ding gedacht ist.
    So ist es auch mit der Musik der Vorromantik.Wenn ich eine Bachfuge habe dann kann ich mir ziemlich sicher sein, dass es hier nur um Musik geht und sonst um nichts ;)
    Denn was gibt es reineres als eine Fuge? Eine Fuge ist ja doch wohl ein Meisterwerk der Konstruktion, der Idee. Das ist fast absolute Musik.
    Wozu da noch Geschichten? Das lenkt doch nur vom wesentlichen ab. Bach würde mir sicher die Ohren langziehen wenn ich mir da was reinüberlegen würde :D

  • Salut,


    mal eine etwas andere Richtung für den Thread - wenn es schon um das Selberspielen auf den Elefantenzähnen geht...


    ich habe bei bestimmten Stellen stets eine unausweichliche Assoziation zu ganz bestimmten Erlebnissen in meinem Leben; ohne, dass ich zu dem reflektierten Tonmaterial zu gegebenem Zeitpunkt einen Bezug gehabt hätte [vielleicht unbewusst, ich kanns mir nicht erklären]. Bei manchen Stellen wird mir kotzübel, bei anderen bin ich der glücklichste Mensch auf Erden... und alles, was dazwischen liegt, gibt es natürlich ebenfalls.


    Somit erzählen "meine" [also die von mir ausgewählten] Stücke auch meine Geschichte.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Die Tendenz, „außermusikalische“ Inhalte oder Funktionen von (Instrumental-)Musik als seltsam oder gar primitiv zu klassifizieren, ist erstaunlicherweise sehr verbreitet. Gnädig wird zugestanden, dass für Anfänger oder schlichtere Gemüter solche „Krücken“ hilfreich sein könnten. Dabei ist doch eher die Idee der „absoluten Musik“ ein historischer Sonderfall, die seit dem 18. Jahrhundert sicherlich Früchte getragen hat, ohne sich aber jemals zur dominierenden Praxis aufschwingen zu können. Dass die durchaus interessanten Überlegungen von Herrn Hanslick heute immer noch ungebrochen rezipiert werden können, finde ich erstaunlich. Man erspart sich dadurch natürlich z.B. als Bruckner-Anhänger die Erkenntnis, dass es im Finale der Achten nach Aussagen des Komponisten um eher problematische weltliche Herrscher am Ende des 19. Jahrhunderts einschließlich „reitender Kosaken“ usw. geht. Solch peinlichen Erdenrest von den heiliggesprochen Kompositionen zu tilgen, erscheint da als gutes Werk – mir allerdings eher als Verdrängungsmechanismus, der sich gerne auf die „reine Form“ zurückzieht.


    Meiner Meinung nach muss man auf drei Ebenen unterscheiden:


    - Nicht-absolute Musik muss nicht immer erzählend sein. Der Bezug auf eine Philosophie, eine „Idee“, ein theologisches Prinzip, ein Element bzw. eine Naturerscheinung etc. ist auch möglich. Weil hier Bach-Fugen immer als strahlende Beispiele „absoluter“ Musik gerühmt werden: Nicht umsonst hat es in diesem Forum kürzlich eine Diskussion um die sogenannte St.-Anna-Fuge gegeben, bei der (wie bei anderen Tripelfugen auch) die christliche Trinität offenbar eine wichtige Rolle spielt. Aber auch in der typischen Programmusik gibt es Beispiele (Liszt, „Die Ideale“; tendenziell auch „Zarathustra“ von Strauss). Man denke natürlich auch an „La mer“ & Co, barocke oder frühklassische Jahres- oder Tageszeitenwerke etc.


    - „Erzählung“ kann etwas sehr Unterschiedliches bezeichnen – nicht umsonst hat die strukturalistische Erzählforschung zwischen Tiefen- und Oberflächenstrukturen unterschieden. Werke wie etwa „Till Eulenspiegel“ oder die „Alpensymphonie“ sind Erzählungen im üblichen Wortgebrauch: Alle Themen, Entwicklungen, Formteile sind Bestandteile einer detailliert erzählten Geschichte, lassen sich bestimmten Personen, Ereignissen etc. zuordnen. Die Kunst besteht bei den symphonischen Dichtungen von Strauss eher darin, die detaillierte Handlungsstruktur mit einer eingebürgerten musikalischen Formgebung (Symphonie, Rondo, Variation bei „Don Quixote“) zur Deckung zu bringen.
    Auf klassische (und romantische) Symphonien als „Dramen ohne Handlung“ hat Johannes schon weiter oben hingewiesen – wobei man hier durchaus von „Handlung“ in einem etwas abstrahierten Sinn sprechen kann. Das „per aspera ad astra“- Prinzip z.B. in Beethovens Fünfter ist natürlich auch eine Erzählung MIT Handlung, aber ohne konkrete Oberflächenstrukturen. Und wenn Brahms seine dritte Symphonie eben nicht mit dem Prinzip „Sieg“ oder „Triumph“, sondern mit „Resignation“ enden lässt, ist das ein Umerzählen dieses alten Formmodells.


    - Natürlich muss man zwischen außermusikalischen Inhalten (besser wohl: musikalischer Semantik) unterscheiden, die vom Komponisten intendiert sind oder zumindest im zeitgenössischen Kontext verstanden wurden (das Finale von Beethovens Fünfter als Revolutionsmusik), und solchen, die sich der heutige Rezipient dazu erfindet (was natürlich absolut legitim ist). Die Gefahr, dass programmatische Erläuterungen des Komponisten selbst alle darüber hinausgehenden Qualitäten des Werkes überdecken, sind oft gesehen worden. So sind Mahlers Symphonien semantisch extrem aufgeladen, erzählen z.T sehr detailliert, was auch durch entsprechende Programme und Erläuterungen Mahlers belegt ist. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat Mahler aber diese Programme zurückgezogen und für neu komponierte Werke allenfalls noch im privaten Umfeld preisgegeben. Bei Alban Bergs „Lyrischer Suite“ hat sich ja erst Jahrzehnte nach der Komposition herausgestellt, dass das Werk sehr detailliert Aspekte einer unglücklichen Liebesbeziehung ausbreitet.


    Die Frage, was dem Hörer solche programmatischen Aspekte bringen, ist nicht einfach zu beantworten. Sie können nicht die Kenntnis der „eigentlichen“ musikalischen Vorgänge ersetzen – sie können sie aber ergänzen. Musikgeschichte als bloße Entwicklung von Formgebungen, Harmonik, Melodik, Rhythmus etc. ist allenfalls ein Teil der Wahrheit. Die Geschichte der musikalischen Semantik ist genauso wichtig.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von MatthiasR


    Nehmen wir einmal Bach und seine Zeitgenossen. Die sahen sich selbst als Handwerker, nicht anders als ein Schreiner der einen schönen, kunstvollen Stuhl fertigt.


    Diese Legenden werden wohl nie aussterben. Spätestens seit der Renaissance, 200 Jahre vor Bach sahen sich die meisten Künstler keineswegs als Handwerker, sondern zeigten immer wieder (auch) Genie- wenn nicht sogar Divengehabe und traten entsprechend selbstbewußt auf.
    (Dem Herzog von Ferrara wurde angeblich geraten Isaac statt Josquin Desprez anzustellen, weil letzterer launisch war, nicht immer nach Auftrag komponierte und obendrein fast das doppelte Gehalt forderte. Josquin kam offenbar mit seinen Forderungen durch, kein bescheidener Handwerker. Bei den bildenden Künstlern der Zeit ist diese Arroganz allerdings noch stärker ausgeprägt.)



    Zitat


    Wenn ich jetzt einen Stuhl vor mir habe, überlege ich mir ja auch keine Geschichte dazu, um besser zu wissen wie ich mich da draufzusetzten habe :D Ich schaue mir den Stuhl an und sehe: Aha, da ist die Sitzfläche, dann muss da wohl mein Hintern drauf. An an diese Lehne kommt mein Rücken. Man muss also lediglich wissen, wie das Ding gedacht ist.


    Wenn Musik eine klar bestimmte Funktion wie ein Stuhl hat, ist sie eher noch weniger "absolut" als solche, die "Geschichten erzählt"... :rolleyes:
    (außerdem, wenn der Stuhl als "schön und kunstvoll" bezeichnet wird, meint man damit wohl meistens mehr, als dass er bloß seine Funktion erfüllt...)


    Zitat


    So ist es auch mit der Musik der Vorromantik.Wenn ich eine Bachfuge habe dann kann ich mir ziemlich sicher sein, dass es hier nur um Musik geht und sonst um nichts ;)


    Wenn Du eine Bach-Arie oder ein Choralvorspiel vor Dir hast kannst Du Dir allerdings ebenso sicher sein, dass es nicht nur um Musik geht, sondern dass es um Affektendarstellung und theologische Inhalte geht, die u.a. mittels rhetorischer Figuren vermittelt werden.
    Und selbst Werke wie das große Es-Dur-Präludium&Fuge, die man als "absolut" sehen könnte, sind voll von Symbolik (wie drei Themen, Dreiertrakt und Dreifaltigkeit usw.). Bei der ersten Fuge im WTK 1 kann man wohl von "absoluter Musik" ausgehen, aber bei der letzten h-moll, mit ihrer Ähnlichkeit zum Kyrie der h-moll-Messe?


    Der Gegensatz "Geschichten - Absolut" ist zu simpel, denn die meiste Musik spielt sich zwischen diesen Extremen ab.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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  • Zitat

    Original von rolo betman
    wenn ich eine Scheibe einlege, dann denke ich mir manchmal, ich begebe mich auf eine Reise ... eine Zugreise, um genauer zu sein, und die Musik ist die Landschaft, durch die ich fahre. Und bei manchen Werken ist die Landschaft eben schöner, interessanter, abwechslungsreicher als bei anderen ... tja, so ist das bei mir, ist doch fast so etwas wie eine Geschichte, die mir die Musik erzählt ... =)


    Hallo Rolo,


    und auch sehr schön ist es, wenn man noch zur Musik passende Bilder sieht, was im Fernsehen schon zur Schottischen von Mendelssohn, aber auch zur Alpensymphonie geschehen. In Dokumentationen passiert das sowieso häufig. :jubel:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!