Welche Werke waren in den 30ern auf Schellack besonders beliebt ?

  • Hallo Forum,


    diese Frage mußte ich mir schon stellen. In meinem Besitz befinden sich ca 350 Schellacks, die ich meist als "Postenware" in größeren Stückzahlen über ebay gekauft habe.


    Darunter fanden sich 4 "Unvollendete" (Schalk, Stokowski, Kleiber, Sejna), dann 6 Ungarische Rhapsodien Nr. 2 (3*Stokowski, Hans Bund und noch eine für 2 Klaviere). Und 4 Eroicas (Jochum, Mengelberg, Schuricht, de Sabata). Außerdem ganz viel Wagner, die Tannhäuser-Ouvertüre findet sich häufiger.


    Bei mir hat sich so der Eindruck verfestigt, in den 30ern sei der Mainstream viel "enger" auf bestimmte, wenige Werke konzentriert gewesen, enger jedenfalls, als heute. Oder anders gesagt: bestimmte Werke gehörten in den Plattenschrank des gutbürgerlichen Haushaltes, andere nicht. Wieso, weiß ich nicht.


    Das ist auch, glaube ich, nur zum Teil dadurch erklärlich, daß einfach viel weniger Platten umgesetzt wurden, als etwa in den 70ern. Es gab nämlich durchaus auch Pressungen "seltenerer" Werke, nur kaufte die anscheinend kaum jemand. Haydn auf Schellack ? Klar, gab es durchaus, aber.... !


    Hat jemand Ähnliches beobachtet ?


    Holger

    Die Wahrheit liegt hinter dem Denken.

  • Nun, wie immer, ist da so eine Zwiespalt in der Gesellschaft. Wir haben auch einige Schellackplatten zuhause, allerdings kenne ich viele gar nicht. IOch kenne eher die Stücke, die im flatterhafteren Kreise gespielt und gesungen wurden. Ich habe Noten aus den 20er und 30er Jahren - hinreißende Texte und schöne Melodien. Aber das ist die andere Seite der Medaille. Klar, dass einige Stücke zum Gutbürgerlichen Dasein dazugehört haben. Findet man auch heute - nur sind die Stücke mittlerweile andere. :D

  • Bei den Schellacks sind mir bislang noch nicht so viele Kompletteinspielungen untergekommen. Da muß man schon gezielt nach suchen. Da durch den Krieg und auch durch Nachkriegsignoranz viel zerstört wurde, werde ich eher in den USA fündig. In Deutschland gab es überdies in den Kriegsjahren einen Mangel an Pressmaterial für die Schellacks; oftmals gab es einen neue nur, wenn eine alte abgenudelte in den Laden mitgebracht wurde.


    Bei den Lots aus den 1930er Jahren und den späten 1920ern fallen vor allem Einzelarien auf. Einen kleinen Grundstock von Richard Tauber zuzulegen ist für kleines Geld durchaus möglich. Heinrich Schlusnuss stand ebenfalls hoch im Kurs, Erna Sack taucht häufig auf. Verbreiteter freilich sind die großen Tanzorchester der Zeit. Die spielten oftmals Praphrasen von Opern ein, hatten exzellente Musiker an ihrer Spitze -die Geiger Dajos Bela und Marek Weber sind hier etwa zu nennen- die es blendend verstanden, klassisches ins 4 min-Format zu bringen.


    Wie gesagt: das, was in Europa -zumal in Deutschland- heute an Schellacks auftaucht, ist nicht unbedingt repräsentativ für die damalige Produktion. Bedenke überdies die Kosten: Brahms' erstes Klavierkonzert mit Backhaus(Boult im roten Elektrola Album mit seinen sechs LP-formatigen Platten muß man erst einmal bezahlen können. Ein Durchschnittsdeutscher konnte sich dergleichen gar nicht leisten. Für ein wenig Frohsinn ins Haus geholt war dann eher schon mal ein wenig Geld übrig....


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Um das damalige Plattenangebot besser einschätzen zu können, muß man zunächst die technischen Gegebenheiten in Betracht ziehen:


    Eine Schellackplatte mit 25 cm Durchmesser spielte etwa 3-4 Minuten lang, eine mit 30 Cm Durchmesser bis zu fünfeindhalb Minuten.



    Viele Arien mussten entweder besonders schnell gesungen, oder aber gekürzt werden. ähnliches galt für Sätze von Sinfonien, die in vielen Fällen gesplittet werden mussten.


    Operngesamtaufnahmen beispielsweise (es gab sie vereinzelt) wurden deshalb mit vielen Strichen versehen, waren jedoch dennoch irsinnig umfangreich und extrem teuer.


    Kein Wunder, wenn man sich hauptsächlich auf Mainstream Häppchen spezialisierte. Sie waren gut verkäuflich und relativ problemlos Produzierbar.


    Schllplatten wurden ja damals (auch wegen ihrer eingeschränkten Klangfarbentreue) vorzugsweise als Vehikel gesehen Stars NOCH bekannter zu machen. Die Platte war eine Konserve - wichtig war das Liveerlebnis im Konzert - Erst Karajan und Zeitgenossen rüttelten an dieser Gewichtung.


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Und, Alfred, das noch angefügt: Kompletteinspielungen waren auch Prestigeobjekte. Der Tristan unter Reiner aus dem Jahre 1936 war zur Veröffentlichung als Platte vorgesehen. Das wären dann 22 Platten gewesen. Die alle fünf Minuten umgedreht hätten werden müssen. Und es gab Hörer, die nach jeder Platte die Nadel gewechselt haben. Praktikabel ist so ein Schallplattenkonzert also nur gewesen, wenn zwei Grammophone vorhanden waren, und jemand nur dafür da war, Platten und Nadeln zu wechseln.


    Der enzyklopädische Ehrgeiz allerdings war enorm. Wir sehen das ja an all den Veröffentlichungen von historischen Musikzeugnissen, die nunmehr als CD verfügbar werden. In der Schellack-Ära verfügte hierüber allerdings nur eine sehr kleine Wirtschafts-Elite.


    Dennoch: von Dirigenten wie etwa Furtwängler wurden die Platten höher eingeschätzt als der Rundfunk. Und er hatt auch einiges für dieses Medium produziert.


    Mit den Schellacks ist es ja wie mit LP's oder auch CD's: ohne das geeignte Abspielmedium bekomme ich ja nicht die volle Klanginformation. Von der Aufnahmetechnik her war man Ende der 1920er Jahre allerdings schon recht weit gediehen.


    Aber Kapellmeister wie Knappertsbusch sträubten sich nach Kräften, ins Studio zu gehen. Armin Diederich wir hier gewiss opponieren; tasächlich gibt's auch von Kna aus der Schellack-Zeit einiges. Es gab ja auch noch keine Schnitte. Und seine Tempi waren in seinen jungen Jahren durchaus straff. Aber Kna gehört zu jenen Dirgigenten, dessen nicht autorisierte Live-Mitschnitte oftmals besser sind als die Studio-Arbeiten (bei Bruckner etwa...)


    Was Karajan betrifft, lieber Alfred, scheint mir als Unterscheidungsmerkmal wichtig zu sein, daß er auch alle Mittel des Marketing bemüht hat. Da war er wirklich allen voraus. In Karajans "Väter"-Generation gab es ja bereits einen hochrennomierten Dirigenten, der die neue Technik nach besten Kräften eingesetzt hatte: Ernest Ansermet. Wenn Du bedenkst, daß Ansermet 1968 gestorben ist, so ist das erhaltene und veröffenrtlichte Schaffen auf Schallplatte mehr als beträchtlich und hat fast karajaneske Ausmaße. Und ich rede jetzt nicht von Ansermets Schellack-Ära, sondern lediglich von seinen Aufnahmen nach 1949.


    Zu den Platten selbst, um nur ein Beispiel zu nennen: bei der Ersteinspielung von Mahlers Kindertotenliedern wurden für "In diesem Wetter, diesem Braus" zwei Plattenseiten benötigt. Es war, wie auch später bei der LP so, daß man eine ideale Schnittstelle im Stück suchte, die vom Plattenformat akzeptiert werden konnte. Die fünf möglichen Minuten wurden also nicht immer genutzt. Felix Weingartner schaffte es sogar, seine Vorstellung des Übergangs vom dritten zum vierten Satz von Beethovens 9. Sinfonie zu realisieren, indem er den Satzübergang -damals ungewöhnlich- auf einer Plattenseite vollzog.


    Nochmal zurück zum Mainstream: der wurde natürlich in höheren Auflagen produziert und ist folglich auch für heutige Sammler entsprechend häufig zu finden (trotz Kriegsschwund). Es ist ja auch kein großes Problem mehr, an Caruso-Schellacks heranzukommen.


    Aber um auf die Eingangserwägung dieses Threads zurückzukommen: Die Schellack-Ära hatte ihre Berührung mit der klassischen Musik da, wo diese schlagerartig produziert werden konnte. Und da schließe ich die vorgenannten Tanzorchester Dajos Bela oder Marek Weber mit ein. Komponsten wie Franz Lehar habe sogar Aufführungen ihrer Operetten mit Marek Weber's Orchester gewünscht!


    Im sinfonischen Bereich oder bei der Oper, bei allem, was als Einzelwerk die fünf-minuten-Schallmauer durchbrach -und das gilt auch für mehrsätzige Werke- waren die Ambitionen der Schallplattenindustrie vorzugsweise enzyklopädischer Natur. Es wurde zwar viel produziert, aber für einen seeeehhhhrr überschaubaren Adressatenkreis. Meine eigene Schellacksammlung spiegelt dies: alles Einspielungen einer kompletten Sinfonie, eines Konzertes oder eines Stückes Kammermusik sind gezielt mit einigem zeitlichem Aufwand gesucht worden. Der sogenannte Mainstream fliegt einem eher so zu, wenn mal wieder ein kleiner Nachlass zu erwerben ist.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
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