Die Bachkantate (064): BWV158: Der Friede sei mit dir

  • BWV 158: Der Friede sei mit dir
    Kantate zum Osterdienstag (Entstehungszeit unbekannt)




    Lesungen:
    Epistel: Apg. 13,26-33 (Paulus predigt in Antiochia)
    Evangelium: Luk. 24,36-47 (Jesus erscheint den Jüngern in Jerusalem)



    Vier Sätze, Aufführungsdauer: ca. 12 Minuten


    Textdichter: unbekannt (evtl. Salomon Franck?)
    Choräle (in Nr. 2): Johann Georg Albinus (1649); (Nr. 4): Martin Luther (1524)



    Besetzung:
    Solo: Bass; Coro: SATB; Oboe, Solo-Violine, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Recitativo Bass, Continuo
    Der Friede sei mit dir,
    Du ängstliches Gewissen!
    Dein Mittler stehet hier,
    Der hat dein Schuldenbuch
    Und des Gesetzes Fluch
    Verglichen und zerrissen.
    Der Friede sei mit dir,
    Der Fürste dieser Welt,
    Der deiner Seele nachgestellt,
    Ist durch des Lammes Blut bezwungen und gefällt.
    Mein Herz, was bist du so betrübt?
    Da dich doch Gott durch Christum liebt?
    Er selber spricht zu mir:
    Der Friede sei mit dir!


    2. Aria con Corale Bass, Chor-Sopran, Oboe, Solo-Violine, Continuo
    Welt, ade, ich bin dein müde,
    Salems Hütten steh’n mir an.
    Welt, ade! ich bin dein müde,
    Ich will nach dem Himmel zu,

    Wo ich Gott in Ruh’ und Friede
    Ewig selig schauen kann.
    Da wird sein der rechte Friede
    Und die ewig stolze Ruh.

    Da bleib’ ich, da hab’ ich Vergnügen zu wohnen,
    Welt, bei dir ist Krieg und Streit,
    Nichts denn lauter Eitelkeit;

    Da prang’ ich gezieret mit himmlischen Kronen.
    In dem Himmel allezeit
    Friede, Freud’ und Seligkeit.


    3. Recitativo Bass, Continuo
    Nun Herr, regiere meinen Sinn,
    Damit ich auf der Welt,
    So lang es dir mich hier zu lassen noch gefällt,
    Ein Kind des Friedens bin,
    Und lass mich zu dir aus meinen Leiden
    Wie Simeon in Frieden scheiden!


    4. Choral SATB, Oboe, Streicher, Continuo
    Hier ist das rechte Osterlamm,
    Davon hat Gott geboten;
    Das ist hoch an des Kreuzes Stamm
    In heißer Lieb’ gebraten.
    Das Blut zeichnet uns’re Tür,
    Das hält der Glaub’ dem Tode für;
    Der Würger kann uns nicht rühren.
    Halleluja.






    Wie bei der Kantate BWV 145 ist auch bei dieser Kantate die Überlieferung ähnlich ungesichert – es steht zu vermuten, dass die vier Sätze, die die vorliegende Kantate bilden, ursprünglich gar nicht zusammengehört haben.
    Die ältesten Teile dürften nach allgemeiner Überzeugung die Sätze 2 und 3 bilden – möglicherweise stammen sie aus Bachs Weimarer Zeit (dann wäre evtl. der dort von Bach häufig vertonte Dichter Salomon Franck ihr Autor).


    Laut der erhaltenen Abschrift der Kantate ist ihre Bestimmung entweder für das Fest Mariae Reinigung oder eben den 3. Osterfesttag vorgesehen. Zwei Feiertage, die thematisch nicht unbedingt zusammen passen.
    Der Hinweis auf Simeon im Text des Rezitativs Nr. 3 lässt denn auch eher auf eine Kantate schließen, die eben zu Mariae Reinigung gedacht ist.
    Der offenbar später hinzugefügte Schlusschoral hingegen ist die 5. Strophe des bekannten österlichen Luther-Chorals, der schon in Bachs Osterkantate BWV 4 als Textgrundlage gedient hatte.
    Dieser Schlusschoral ist also, genau wie das ebenfalls später hinzugefügte Rezitativ Nr. 1 (hier ist es vor allem der mehrfach wiederholte Friedensgruß, der im Evangelium des heutigen Feiertages eine Rolle spielt) eindeutig auf das Osterfest bezogen.


    Somit stellt die ganze „Kantate“ also tatsächlich eine etwas konfus wirkende Mischung dar, die allerdings durch die Qualität der Musik Bachs (vor allem in der zentralen Bass-Arie Nr. 2, die mit einem vom Sopran vorgetragenen Choral kombiniert ist) deutlich aufgewertet wird!

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Original von MarcCologne
    Somit stellt die ganze „Kantate“ also tatsächlich eine etwas konfus wirkende Mischung dar, die allerdings durch die Qualität der Musik Bachs (vor allem in der zentralen Bass-Arie Nr. 2, die mit einem vom Sopran vorgetragenen Choral kombiniert ist) deutlich aufgewertet wird!


    Lieber MarcCologne,


    mag sein dass die (unklare) Entstehungsgeschichte und Textzusammenstellung aus zwei Zusammenhängen, Mariae Reinigung und Ostern das ganze textlich konfus wirken läßt, musikalisch habe ich das nie empfunden. Arie 2 und Recitativ 3 gehören zusammen. Letzteres nimmt als Ariosoteil auch die letzten beiden Zeilen der Arie sowohl textlich als auch abgewandelt musikalisch wieder auf, also:


    ...Wie Simeon in Frieden scheiden!
    Da bleib’ ich, da hab’ ich Vergnügen zu wohnen,
    Da prang’ ich gezieret mit himmlischen Kronen.


    Das Eingangsrecitativ endet ebenfalls ariosohaft mit dem Friedensgruß und ich habe den Übergang zur Arie immer als absolut "folgerichtig" empfunden.


    Den Abschlußchoral finde ich besonders schön, wenngleich der Text, wie viele barocke Texte, für unsere Ohren recht gewöhnungsbedürftig ist: "...in heißer Lieb gebraten..."


    Ich habe diese Kantate als junger Mann selbst gesungen und meine hohe Wertschätzung ist wahrscheinlich sehr subjektiv geprägt. Die Arie erinnert mich stimmungsmäßig an das herrliche "Mein teurer Heiland lass dich fragen" aus der Johannespassion. Von allem Leiden entrückt, ein Lächeln angesichts des Todes! Ich kann Dürr mit seinem Resume nur vollkommen Recht geben: "So ist diese Kantate trotz allen offenen Fragen ein Kunstwerk von hohem Rang...[] Wir sollten daher dankbar sein, dass sie uns wenigstens in dieser Gestalt erhalten geblieben ist".


    LG, García

  • Diese Kantate ist ein herrliches Kleinod. Das Eingangsrezitativ mit dreifachem ariosen Einschub "Der Friede sei mit dir" führt in eine der IMO schönsten Arien Bachs. "Welt ade ich bin dein müde" kombiniert wiedereinmal Arie und Choral (wie u.a. auch in BWV 19, 159 oder auch der Johannespassion). Besungen wird der Abschied aus der Welt mit der Logik barocker Theologie: Durch Christi Auferstehung ist der Tod für den Einzelnen ohne Schrecken und wird deshalb herbeigesehnt. Bei aller Distanz zu diesem Denken ist die Arie ein Meisterwerk Bachscher Kunst: Bass und Solovioline exponieren das liedhafte und ein wenig schwärmerische Thema, Sopran und Solooboe antworten mit dem gleichnamigen Choral. Teilweise musizieren in dieser Art Arien ja immer beide Seiten gleichzeitig ohne Missklänge. Die wunderbare Violinstimme - der ich mal wieder endlos lauschen könnte - ist auf der einen Seite in Klang und Art typisch für Bachs Soloviolinen-Arien, gerät hier aber besonders optimistisch und gesanglich.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Ich ebenfalls und Quasthoffs Interpretation aller drei Kantaten (BWV 56, 82, 158) gefällt mir, ebenso wie die Berliner Barocksolisten, ebenfalls gut!

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Wegen meiner Lieblingskantate " Ich habe genug" hatte ich diese CD gekauft, tatsächlich sind alle drei sehr gut.