BWV 249: Kommt, eilet und laufet
Osteroratorium (Leipzig, 1. April 1725)
Lesungen:
Epistel: 1. Kor. 5,6-8 (Christus ist unser Osterlamm)
Evangelium: Mark. 16,1-8 (Die Auferstehung Christi)
Elf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 47 Minuten
Textdichter: unbekannt (evtl. Picander?)
Besetzung:
Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Blockflöte I + II, Traversflöte, Oboe I + II, Oboe d’amore, Tromba I-III, Fagott, Pauken, Violino I/II, Viola, Continuo
1. Sinfonia (D-Dur) Oboe I + II, Tromba I-III, Fagott, Pauken, Streicher, Continuo
2. Adagio (h-moll) Traversflöte (od. Oboe I), Streicher, Continuo
3. Chorus SATB, Oboe I + II, Tromba I-III, Pauken, Streicher, Continuo
Kommt, eilet und laufet, ihr flüchtigen Füße,
Erreichet die Höhle, die Jesum bedeckt!
Lachen und Scherzen
Begleitet die Herzen,
Denn unser Heil ist auferweckt.
4. Recitativo Sopran, Alt, Tenor, Bass, Continuo
Maria Magdalena
O kalter Männer Sinn!
Wo ist die Liebe hin,
Die ihr dem Heiland schuldig seid?
Maria Jacobi
Ein schwaches Weib muss euch beschämen!
Petrus
Ach, ein betrübtes Grämen
Johannes
Und banges Herzeleid
Petrus, Johannes
Hat mit gesalz’nen Tränen
Und wehmutsvollem Sehnen
Ihm eine Salbung zugedacht,
Maria Jacobi, Maria Magdalena
Die ihr, wie wir, umsonst gemacht.
5. Aria Sopran, Traversflöte, Continuo
Maria Jacobi
Seele, deine Spezereien
Sollen nicht mehr Myrrhen sein.
Denn allein
Mit dem Lorbeerkranze prangen,
Stillt dein ängstliches Verlangen.
6. Recitativo Alt, Tenor, Bass, Continuo
Petrus
Hier ist die Gruft
Johannes
Und hier der Stein,
Der solche zugedeckt;
Wo aber wird mein Heiland sein?
Maria Magdalena
Er ist vom Tode auferweckt!
Wir trafen einen Engel an,
Der hat uns solches kundgetan.
Petrus
Hier seh’ ich mit Vergnügen
Das Schweißtuch abgewickelt liegen.
7. Aria Tenor, Blockflöte I + II, Violino I/II, Continuo
Petrus
Sanfte soll mein Todeskummer
Nur ein Schlummer,
Jesu, durch dein Schweißtuch sein.
Ja, das wird mich dort erfrischen
Und die Zähren meiner Pein
Von den Wangen tröstlich wischen.
8. Recitativo Sopran, Alt, Continuo
Maria Jacobi, Maria Magdalena
Indessen seufzen wir
Mit brennender Begier:
Ach, könnt’ es doch nur bald geschehen,
Den Heiland selbst zu sehen!
9. Aria Alt, Oboe d’amore, Streicher, Continuo
Maria Magdalena
Saget, saget mir geschwinde,
Saget, wo ich Jesum finde,
Welchen meine Seele liebt!
Komm doch, komm, umfasse mich,
Denn mein Herz ist ohne dich
Ganz verwaiset und betrübt.
10. Recitativo Bass, Continuo
Johannes
Wir sind erfreut,
Dass unser Jesus wieder lebt,
Und unser Herz,
So erst in Traurigkeit zerflossen und geschwebt,
Vergisst den Schmerz
Und sinnt auf Freudenlieder;
Denn unser Heiland lebet wieder.
11. Chorus SATB, Tromba I-III, Oboe I + II, Pauken, Streicher, Continuo
Preis und Dank
Bleibe, Herr, dein Lobgesang!
Höll’ und Teufel sind bezwungen,
Ihre Pforten sind zerstört;
Jauchzet, ihr erlösten Zungen,
Dass man es im Himmel hört!
Eröffnet, ihr Himmel, die prächtigen Bogen,
Der Löwe von Juda kömmt siegend gezogen!
Auch wenn das Werk heute den Titel "Osteroratorium" trägt, hat Bach es ursprünglich als "Osterkantate" bezeichnet, wobei die Grenzen zwischen beiden Gattungen sicher fließend sind.
Immerhin gibt es hier die Besonderheit (die sich in keinem anderen kirchenmusikalischen Werk Bachs wiederholt), dass es eine Handlung gibt, mit klar definierten "Rollen" handelnder Figuren. Es tritt kein Erzähler oder Evangelist oder dergleichen (wie in den Passionen oder im Weihnachtsoratorium) auf.
Die Bezeichnung "Oratorium" für diese Kantate stammt immerhin von Bach selber - und zwar aus den 1730er Jahren, als er offenbar für die großen Feste des Kirchenjahres solche Oratorien plante (und zum Teil) auch verwirklichte: Aus dieser Zeit stammen u. a. das schon erwähnte Weihnachtsoratorium BWV 248 oder das Himmelfahrtsoratorium BWV 11.
In dem Zusammenhang hat er sich wahrscheinlich seiner Komposition aus dem Jahre 1725 erinnert und diese zum "Oratorium" aufgewertet. Vielleicht hat er den Plan verworfen, ein neues (Oster-)Werk zu komponieren, das dem "üblichen" Schema mit Evangelistenbericht und betrachtenden Arien und Chorälen entsprochen hätte.
Für ein ausgewachsenes "Oratorium" ist diese Kantate eigentlich ein bissel knapp geraten, aber das kann man z. B. über das Himmelfahrtsoratorium auch sagen...
Der heute übliche Textbeginn "Kommt, eilet und laufet" hatte übrigens mehrere Änderungen erfahren, bevor er die jetzige Gestalt angenommen hat. So hieß es z. B. mal "Kommt, gehet und eilet", oder "Kommt, fliehet und eilet"...
Ein weiteres Kuriosum gibt es zum Eigangschor noch zu berichten:
Der Chorsatz wird heute gerne als Duett begonnen und als Chorsatz beschlossen. Dies ist anscheinend von Bach so nicht vorgesehen gewesen. Ursprünglich war der Chorsatz nämlich ein Duettsatz, der in einer späteren Fassung von Bach in den hier erwähnten vierstimmigen Chorsatz umgewandelt wurde.
Bachforscher Wilhelm Rust hatte Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen der ersten Bachausgabe beide Fassungen dieses Satzes kombiniert aufgeführt, um beide Versionen im Druck erscheinen zu lassen. Dies führte dann in der Folge offenbar zu dem Missverständnis auf Interpretenseite, beide Fassungen (Duett und Chorsatz) miteinander zu kombinieren, was von Bach so aber nie beabsichtigt war.
Es könnte interessant sein, bei den verschiedenen Einspielungen einmal darauf zu achten, ob und (wenn ja) wie die beiden Fassungen dieses vokalen Eingangsstückes getrennt oder miteinander vermischt werden.
Bei dem hier besprochenen Osteroratorium handelt es sich übrigens um eine Parodie der Schäferkantate "Entfliehet, verschwindet, entweichet, ihr Sorgen" (BWV 249 a), die 1725 für den Weißenfelser Hof, anlässlich des Geburtstags von Herzog Christian, entstanden war. Die Rezitative wurden allerdings vollständig neu für die Osterkantate komponiert.
Die beiden einleitenden Instrumentalsätze stammen vermutlich aus einer "Sinfonia" (?) aus Bachs Köthener Zeit, die heute in ihrer Ursprungsgestalt verschollen ist.