Die Bachkantate (056): BWV182: Himmelskönig, sei willkommen

  • BWV 182: Himmelskönig, sei willkommen
    Kantate zum Palmsonntag (Weimar, 25. März 1714)




    Lesungen:
    Epistel: Phil. 2,5-11 (Ein jeglicher sei gesinnt wie Christus) / 1. Kor. 11,23-32 (Vom heiligen Abendmahl)
    Evangelium: Matth. 21,1-9 (Jesu Einzug in Jerusalem)



    Acht Sätze, Aufführungsdauer: ca. 30 Minuten


    Textdichter: evtl. Salomon Franck (1659-1725)
    Choral (Nr. 7): Paul Stockmann (1633)



    Besetzung:
    Soli: Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Blockflöte, Solo-Violine, Violini, Viola I/II, Continuo





    1. Sonata Grave, Adagio (G-Dur) Blockflöte, Solo-Violine, Streicher, Continuo


    2. Chorus SATB, Blockflöte, Streicher, Continuo
    Himmelskönig, sei willkommen,
    Lass auch uns dein Zion sein!
    Komm herein!
    Du hast uns das Herz genommen.


    3. Recitativo Bass, Continuo
    Siehe, ich komme, im Buch ist von mir geschrieben.
    Deinen Willen, mein Gott, tu’ ich gerne.


    4. Aria Bass, Streicher, Continuo
    Starkes Lieben,
    Das dich, großer Gottessohn,
    Von dem Thron
    Deiner Herrlichkeit getrieben!
    Starkes Lieben,
    Dass du dich zum Heil der Welt
    Als ein Opfer fürgestellt,
    Dass du dich mit Blut verschrieben.


    5. Aria Alt, Blockflöte, Continuo
    Leget euch dem Heiland unter,
    Herzen, die ihr christlich seid!
    Tragt ein unbeflecktes Kleid
    Eures Glaubens ihm entgegen,
    Leib und Leben und Vermögen
    Sei dem König itzt geweiht.


    6. Aria Tenor, Continuo
    Jesu, lass durch Wohl und Weh
    Mich auch mit dir ziehen!
    Schreit die Welt nur „Kreuzige!“,
    So lass mich nicht fliehen,
    Herr, von deinem Kreuzpanier;
    Kron’ und Palmen find’ ich hier.


    7. Chorale SATB, Blockflöte, Streicher, Continuo
    Jesu, deine Passion
    Ist mir lauter Freude,
    Deine Wunden, Kron’ und Hohn
    Meines Herzens Weide;
    Meine Seel’ auf Rosen geht,
    Wenn ich dran gedenke,
    In dem Himmel eine Stätt’
    Uns deswegen schenke.


    8. Chorus SATB, Blockflöte, Streicher, Continuo
    So lasset uns gehen in Salem der Freuden,
    Begleitet den König in Lieben und Leiden.
    Er gehet voran
    Und öffnet die Bahn.




    Der Palmsonntag eröffnet die Karwoche und ist der letzte Sonntag der Fastenzeit - in einer Woche ist Ostern!


    Der März 1714 war in Bachs Karriere ein wichtiger Monat: Er wurde zum Konzertmeister am Weimarer Hof ernannt, was die Verpflichtung beinhaltete, monatliche Kantaten-Kompositionen zu verfertigen.
    Diese hier besprochene dürfte wohl die erste in dieser Reihe gewesen sein. Sie kam am 25. März 1714, vier Tage nach Badhs 29. Geburtstag in der kleinen Weimarer Schlosskapelle zur Uraufführung.


    Interessanterweise war der Palmsonntag des Jahres 1714 gleichzeitig auch der Feiertag Mariae Verkündigung.
    Die Kantatendichtung (deren Autor dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit der Weimarer Dichter Salomon Franck gewesen sein) nimmt aber mehr Bezug auf das Evangelium des Palmsonntags, das den Einzug Jesu' in Jerusalem zum Inhalt hat.
    Allerdings - das Evangelium des Palmsonntags ist identisch mit dem des 1. Advents und die Thematik des Feiertages "Mariae Verkündigung" ist ebenfalls stark von der adventlichen Erwartung des kommenden Messias geprägt.
    So gesehen passt die Dichtung natürlich auch zum Marienfest des 25. März.
    Übrigens ein Umstand, der es Bach erlaubte, diese Kantate in seiner Leipzig Zeit erneut aufzuführen - als Kantate zum Fest "Mariae Verkündigung", versteht sich, denn auch der Palmsonntag gehörte in Leipzig zur Fastenzeit, während der die Figuralmusik zu schweigen hatte.


    Die einleitende Sinfonia erzeugt eine sehr intime, kammermusikalische Wirkung (evtl. passend zu den beengten Räumlichkeiten in der Weimarer Schlosskapelle):
    Zu gezupften Streichern konzertieren Blockflöte und Solo-Violine miteinander.
    Der punktierte, schreitende Rhythmus dieser Sinfonia erinnert tatsächlich etwas an eine französische Ouvertüre.
    Während des einleitenden langsamen Teils pflegte der König seine Loge zu betreten (ich hoffe, unser Lullist straft diese meine Bemerkung nicht Lügen?? :hello: ) - dieser Einzug Seiner Majestät ist natürlich ein schönes Bild, um sich den Einzug Jesu' in Jerusalem vorzustellen.


    Auch die Advents-Kantate BWV 61 assoziiert in ihrem Eröffnungssatz genau dieses aus der französischen Ouvertüre abgeschaute Bild des feierlichen Einzugs des Herrschers in sein Königreich.


    Bedingt durch die räumlichen Verhältnisse in Weimar muss man sich die Besetzung dieser Kantate wohl ziemlich klein dimensioniert vorstellen - ein allzu großer Chor dürfte wohl kaum ernsthaft mit einer einzelnen Blockflöte kombiniert werden können, wie es im Chor Nr. 2 vorgesehen ist! Die Stimmen setzen unmittelbar hintereinander versetzt ein - der Satz erweist sich als eine äußerst beeindruckende Demonstration des jungen Bachs, wie gut er sein Fugenhandwerk schon beherrscht!


    Der Schlusschor Nr. 8 lehnt sich in Machart und Tonfall bewusst an diesen Eingangschor an und schafft somit einen harmonischen Rahmen für die gesamte Kantate.


    Es folgt im Rezitativ Nr. 3 ein kurzes Bibelwort-Rezitativ (Psalm 40 Vers 8 und 9a), in leicht arioser Form. Man muss sich hier wohl den Messias vorstellen, der sein Kommen ankündigt - immerhin trägt der Bass dieses Rezitativ vor, die traditionelle Stimmlage der "Vox Christi".


    Ungewöhnlich ist nun das Aufeinanderfolgen von gleich drei Arien direkt hintereinander - alle mit unterschiedlichem Charakter:
    Sehr ausdrucksvoll mit zur Textaussage passender "herrschaftlicher Geste" die Nr. 4, intim und meditativ die blockflötenbegleitete Largo-Arie Nr. 5 in e-moll und mit einer recht bewegten Continuobegleitung die ausdrucksvolle Arie Nr. 6 in h-moll.


    Die Choralbearbeitung Nr. 7 über "Jesu, deine Passion" (ein Choral, den Bach später in seiner Kantate BWV 159 erneut als Schlusschoral wählen wird) zeigt Bach noch auf dem Weg zum Meister dieser Form: Typischerweise singt auch hier die Sopranstimme in langen Werten die Melodie des Chorals, während die anderen Gesangsstimmen die Motive und Melodielinien um diesen Cantus firmus herumflechten, aber die Form scheint hier noch deutlich gedrängter und knapper gehalten zu sein, als in späteren, weit ausschweifenderen Choralbearbeitungen Bachs.
    Zumal in diesem hier vorliegenden Choral die Instrumentalstimmen nicht wie später oft eigenständige Stimmen übernehmen, die zusätzlich zu den Gesangsstimmen an der Verzierung und Entwicklung der Choralbearbeitung teilnehmen - in dieser Choralbearbeitung werden die Instrumentalstimmen "lediglich" parallel zu den Gesangsstimmen geführt, führen also kein "Eigenleben".


    Trotzdem ist die ganze Kantate eine beeindruckende Leistung des jungen Komponisten, der 1714 ja noch fast ganz am Anfang seiner Laufbahn als Kantaten-Komponist steht.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Guten Morgen


    nachdem ich heute morgen im Radio die Aufnahme der Kantate BWV 182 mit dem Amsterdamer Barockchor- und Orchester unter Ton Koopman hörte, verglich ich sie jetzt mit dieser



    Aufnahme.
    Mir sagt die solistische Aufnahme mit dem "Bach Ensemble" unter J. Rifkin mehr zu; sie trifft mehr den intimen "Weimarer" Charakter dieses Stückes :jubel: :jubel:


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Hallo Bernhard,


    ich kenne das Konzept von Rifkins Bach-Ensemble nicht (Schande über mich :] ) - meinst Du mit "solistischer Aufnahme" tatsächlich, dass auch der "Chor" (sofern man das dann noch so nennen kann) nur mit jeweils einer Stimme besetzt ist?


    Und wie sieht es mit der Instrumentalbegleitung aus?
    Setzt Rifkin hier auch nur jeweils ein Instrument pro vorgesehener Stimme ein?


    Klingt wahrlich sehr "initm", aber nicht uninteressant... :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von MarcCologne
    Hallo Bernhard,


    ich kenne das Konzept von Rifkins Bach-Ensemble nicht (Schande über mich :] ) - meinst Du mit "solistischer Aufnahme" tatsächlich, dass auch der "Chor" (sofern man das dann noch so nennen kann) nur mit jeweils einer Stimme besetzt ist?


    Joshua Rifkin hat seine Thesen zur Ausführung Bach´scher Kantaten schon vor Jahren publiziert und favorisiertauch eine solistische Besetzung der Chorsätze. Siehe zur Thematik auch das Buch "Bachs Chor - Zum neuen Verständnis" von A. Parrott u.ä. Literatur.
    In der o.g. Aufnahme gibts tatsächlich keine Chor, die Solisten zusammen sind der Chor.
    Das mag m.E. für Weimar gelten, für Leipzig halte ich es aber für unwahrscheinlich. Aber anderes Kapitel ?( ?(


    Zitat

    Und wie sieht es mit der Instrumentalbegleitung aus?
    Setzt Rifkin hier auch nur jeweils ein Instrument pro vorgesehener Stimme ein?


    Klingt wahrlich sehr "initm", aber nicht uninteressant... :hello:


    Ja, eine 1. + 2. Violine, zwei Violas, BC. etc.
    In Weimar wurde nachweislich mit sehr wenigen Musikern gespielt und gesungen.


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Ich besitze diese schöne Kantate zum Palmsonntag in der Gardiner-Aufnahme.



    Wenn man das Cover anklickt, kann man unter den Hörproben von „Disk 2“, Track 1 – 8 Ausschnitte aus der Kantate anhören.


    Die folgenden Notizen habe ich für ein eigenes literarisches Projekt gemacht, ich denke aber, sie können auch hier ganz nützlich sein. Meinen Ausführungen zugrunde liegen die hier schon mehrfach erwähnten Bücher von Dürr, Schulze, Petzoldt und Haselböck zu Bachs Kantaten.


    Satz 1, die Einleitung mit ihrem feierlich punktierten Rhythmus will den Einzug Jesu in Jerusalem darstellen. In Mt 21, 5 heißt es: „Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel“. Hier kommt kein weltlicher Herrscher hoch zu Ross und mit Pauken und Trompeten, sondern ein sanftmütiger „Himmelskönig“ auf einem Esel. Des ist ein „Einzug“, kein Einmarsch. Die spärliche Instrumentierung (Violine und Blockflöte solistisch) kann auch als Hinweis auf diese Sanftheit und Bescheidenheit, vielleicht auch Ärmlichkeit gedeutet werden.


    Satz 2, Eingangschor: Der Einzug Christi in Jerusalem (Zion) soll zugleich der Einzug in unser eigenes Herz sein; das Herz gilt als Sitz der Liebe.


    Satz 3, Rezitativ Bass: „Vox Christi“; Thema: Den Willen Gottes gerne tun (aus Ps 40); das Rezitativ geht nach kurzer Zeit in ein Arioso über; „Freudenrhythmus“


    Satz 4, Arie Bass (betrachtend); Thema: die „Entäußerung“ Gottes, das Verlassen der himmlischen Sphäre; Die Liebe („die ihn kräfftig brinnt und deren Flammen ihn verwunden“, Spee) hat Jesus zu seinem Opfer bewogen: Nach damaliger, fast schon „kaufmännischer“ Betrachtungsweise zahlt Jesus die Schuld der Menschen mit seinem Blut und zerreißt dadurch den Schuldschein; das „Sünden-Register“ wird mit dem Blut Christi durchgestrichen.


    Satz 5, Arie Alt: Die christlichen Herzen als Kleider, die vor Jesus ausgebreitet und ihm „untergelegt“ werden; Thema: Die Teilhabe der Gläubigen an der Sendung des Gottessohnes; das „unbefleckte Kleid“ als Metapher der Reinigung von der Sünde; sehr ausdrucksstarke Musik im Wechsel von Singstimme und obligater Flöte


    Satz 6, Arie Tenor; Thema: Die Nachfolge des glaubenden Menschen als Reaktion auf Gottes Menschwerdung; die Schwierigkeiten und (musikalisch durch zahlreiche Fermaten umgesetzten) Stockungen in dieser Nachfolge, „Wohl und Weh“, die Musik ist stark verinnerlicht und intensiv-ausdrucksvoll; Kron: Symbol für die Vollendung des Menschen in Gott; Palmen: Symbol des Paradieses; Kreuzpanier: Siegesfahne Christi


    Satz 7; Choral: vorletzte Strophe eines Passionsliedes von Paul Stockmann; Thema: die „blühende Passion“: aus Leid wird Freude; Rose: Bild für Freude und Schönheit, Paradiesblume; die Wunden Jesu werden nach mystischer Vorstellung zu Blumen und Früchten; Motettensatz; Sopran, Violine und Blockflöte für Liedmelodie


    Satz 8; Schlusschor: Jesus führt die Gläubigen nun nicht mehr ins irdische sondern ins himmlische Jerusalem, das "Salem der Freuden“ als endgültige Heimat; noch einmal ein Rückgriff auf das eigentliche Thema des Palmsonntags, nachdem Satz 3-6 schon auf die Karwoche vorausweist; Bahn: das letzte Ziel der rechten „Bahn“ (des Lebensweges) ist der schmale Weg zur Himmelspforte, die der vorangehende Jesus öffnet; Aussicht auf leiblichen, geistlichen und ewigen Frieden; formales Gegenstück zum Eingangschor;


    Mit Gruß von Carola