Ein Zufall will es, dass der heutige 25. März 2007 zugleich auch ein Sonntag ist (und zwar der Passionssonntag Judica) – die hier heute präsentierte Bachkantate ist aber nicht diesem Sonntag, sondern dem Datum „25. März“ gewidmet:
Nach Mariae Reinigung am 2. Februar ist heute am 25. März das zweite Marienfest, das zu Bachs Zeiten noch ein wichtiger protestantischer Feiertag war:
Mariae Verkündigung oder Verkündigung des Herrn.
Während Bedeutung und Anlass von Mariae Reinigung ("Lichtmess") etwas längerer Erklärungen benötigte, ist es mit der Bedeutung dieses am heutigen Tage begangenen Marienfestes eigentlich ganz einfach:
Die Geschichte des Besuchs des Erzengels Gabriel bei der Jungfrau Maria, wie sie im Evangelium des heutigen Festtages bei Lukas beschrieben wird, ist eigentlich bekannt – der berühmte „Englische Gruß“ Gabriels an Maria, das „Ave Maria“, ist ja ebenfalls allgemein geläufig.
Gabriel verkündigt Maria, dass sie von Gott auserwählt ist, durch die Kraft des Heiligen Geistes schwanger werden und einen Sohn gebären wird, den sie Jesus nennen soll. Dieser "Sohn des Höchsten" wird einmal Herrscher über ein Reich werden, das kein Ende besitzen wird.
Warum dieser Episode, die logischerweise in engem Bezug zu Weihnachten und der Adventszeit steht, ausgerechnet am 25. März, also einem Datum, das normalerweise mitten in der Passions- und Fastenzeit liegt, gedacht wird, liegt auf der Hand: Genau heute in 9 Monaten ist Weihnachten!
Und wenn eine Schwangerschaft, die ja nun einmal mehr oder weniger genau 9 Monate dauert, regulär und ordnungsgemäß nach Lehrbuch verlaufen ist, dann ja wohl diese... :]
So dachte man wohl damals in rührend-naiver Weise, als man den Gedenktag für diese auf den Tag genau 9 Monate vor der Geburt beginnende Schwangerschaft festlegte (das Fest wurde bereits im 7. Jahrhundert in Rom eingeführt).
Ungeachtet der etwas unpassenden „Dramaturgie“, die den 25. März meist (wie auch in diesem Jahr) mitten in der Passionszeit liegen lässt, während der man eigentlich eher bußfertig gestimmt und nicht voll vorweihnachtlicher Freude ist, wird das Fasten und Büßen für diesen einen Tag unterbrochen und die Stimmung auf „Advent“ und „Weihnachten“ umgestellt...
So geschah es auch im Leipzig zu Bachs Zeiten, wo es während der Passionszeit ja keine Figuralmusik in den Kirchen gab – am 25. März machte man jedoch alljährlich eine eintägige Ausnahme hiervon und deshalb besitzen wir eben auch aus Bachs Leipziger Zeit die folgende Kantate:
BWV 1: Wie schön leuchtet der Morgenstern
Kantate zum Fest Mariae Verkündigung (Leipzig, 25. März 1725)
Lesungen:
Epistel: Jes. 7,10-16 (Weissagung von der Geburt des Messias)
Evangelium: Luk. 1,26-38 (Der Engel Gabriel verkündigt Maria die Geburt Jesu)
Sechs Sätze, Aufführungsdauer: ca. 25 Minuten
Textdichter: unbekannt; inspiriert aber vom titelgebendem Choral aus dem Jahr 1599
Choral (Nr. 1 und 6): Philipp Nicolai ( 1556-1608 )
Besetzung:
Soli: Sopran, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe da caccia I + II, Horn I + II, 2 Solo-Violinen, Violino I/II, Viola, Continuo
1. Choral SATB, Oboe da caccia I + II, Horn I + II, Solo-Violinen I + II, Streicher, Continuo
Wie schön leuchtet der Morgenstern
Voll Gnad’ und Wahrheit von dem Herrn,
Die süße Wurzel Jesse!
Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm,
Mein König und mein Bräutigam,
Hast mir mein Herz besessen,
Lieblich, freundlich,
Schön und herrlich, groß und ehrlich, reich von Gaben,
Hoch und sehr prächtig erhaben.
2. Recitativo Tenor, Continuo
Du wahrer Gottes und Marien Sohn,
Du König derer Auserwählten,
Wie süß ist uns dies Lebenswort,
Nach dem die ersten Väter schon
So Jahr’ als Tage zählten,
Das Gabriel mit Freuden dort
In Bethlehem verheißen!
O Süßigkeit, o Himmelsbrot!
Das weder Grab, Gefahr, noch Tod
Aus unser’n Herzen reißen.
3. Aria Sopran, Oboe da caccia I, Continuo
Erfüllet, ihr himmlischen göttlichen Flammen,
Die nach euch verlangende gläubige Brust!
Die Seelen empfinden die kräftigsten Triebe
Der brünstigsten Liebe
Und schmecken auf Erden die himmlische Lust.
4. Recitativo Bass, Continuo
Ein ird’scher Glanz, ein leiblich Licht
Rührt meine Seele nicht;
Ein Freudenschein ist mir von Gott entstanden,
Denn ein vollkomm’nes Gut,
Des Heilands Leib und Blut,
Ist zur Erquickung da.
So muss uns ja
Der überreiche Segen,
Der uns von Ewigkeit bestimmt
Und unser Glaube zu sich nimmt,
Zum Dank und Preis bewegen.
5. Aria Tenor, Solo-Violinen I + II, Streicher, Continuo
Unser Mund und Ton der Saiten
Sollen dir
Für und für
Dank und Opfer zubereiten.
Herz und Sinnen sind erhoben,
Lebenslang
Mit Gesang,
Großer König, dich zu loben.
6. Choral SATB, Oboe da caccia I + II, Horn I + II, Streicher, Continuo
Wie bin doch so herzlich froh,
Dass mein Schatz ist das A und O,
Der Anfang und das Ende;
Er wird mich doch zu seinem Preis
Aufnehmen in das Paradeis,
Des klopf ich in die Hände.
Amen! amen!
Komm, du schöne Freudenkrone, bleib nicht lange,
Deiner wart’ ich mit Verlangen.
Der adventlich-weihnachtlichen Tendenz dieses heutigen Marien-Festtages entsprechend hat diese Choralkantate ein Lied von Philipp Nicolai zur Grundlage, das eigentlich dem Dreikönigsfest (Epiphanias) zugeordnet ist, traditionell aber auch zu Mariae Verkündigung gesungen werden konnte. Trotzdem ist es irgendwie seltsam, zur aktuellen Jahreszeit, wo draußen endlich der Frühling Einzug hält und man sich musikalisch mit Passionsmusiken beschäftigt, einem Weihnachtslied zu begegnen (eben diesen Choral haben wir 2006 in einem Adventskonzert in einer Bearbeitung von Peter Cornelius zuletzt gesungen)...
Entsprechend „vorweihnachtlich“-festlich ist Bachs Komposition ausgefallen: 2 Hörner, 2 Oboen und 2 Solo-Violinen konzertieren im prächtigen Eingangsschoral mit dem restlichen Instrumentalensemble und dem Chor um die Wette.
Der Satz ist eine typische Choralbearbeitung von Bach: Der Sopran singt als Cantus firmus zeilenweise in langen Notenwerten die Choralmelodie, während die übrigen Stimmen (vokale wie instrumentale) diese Melodie umspielen, variieren, imitieren, usw. – herrlich!!
Die feierliche Arie Nr. 3 kombiniert den Solosopran mit einer Oboe da caccia und die freudig-tänzerische Arie Nr. 5 den Solotenor mit dem Streichensemble, wobei hier ein wunderbarer Wechsel mit Echo-Effekten zwischen den beiden Solo-Violinen und dem restlichen Streicherapparat erzielt wird.
Wie fast immer, wenn der gesungene Text Bezug auf musikalische Themen nimmt (hier „Unser Mund und Ton der Saiten...“), greift Bach diese Vorgabe dankbar auf und entfacht ein wahres Musizier-Feuerwerk!
Im Schlusschoral darf sich dann noch eines der beiden Hörner mit einer „bevorzugten“ Stimmführung hervortun. Die drei letzten Textzeilen „Amen, amen!/ Komm, du schöne Freudenkrone, bleib nicht lange,/ Deiner wart’ ich mit Verlangen.“ hat Bach im Jahr 1714 bereits in seiner Kantate zum 1. Advent (BWV 61) als Schlusschoral verwendet – diese Stelle zeigt nochmals sehr schön, wie nah wir thematisch am heutigen Tage schon wieder dem Weihnachtsfestkreis stehen.... :wacky: