Der doppelte Lennie - Bernstein vs. Bernstein

  • Hallo,
    Eine der größten Musikerpersönlichkeiten des vergangenen Jahrhinderts war zweifellos Leonard Bernstein, nicht nur als Dirigent auch als Komponist. Aber momentan wollen wir uns seinen Einspielungen widmen, die glücklicherweise auch heute noch in ziemlicher Fülle verfügbar sind.
    Stets, oder aber zumindest oft, wenn man eine Aufnahme erwerben will, wird man sich die Frage stellen müssen: Bernstein oder Bernstein, will heißen Sony/CBS oder Deutsche Grammophon ?


    ................


    Ich denke da an die beiden Mahler Zyklen, aber durchaus auch an Haydn, Beethoven, Brahms.
    Bernsteins Aufnahmen von Beethovens Sinfonien stehen heute ja heute irgendwie nicht so im Vordergrund wie zum Zeitpunkt als sie erschienen, aber sein Mahler gilt derzeit IMO durchaus als erste Wahl, oder zumindest ganz vorn an der Spitze mitmischend. Die Frage bei Bernstein ist ferner:
    Welches sind Sternstundenseiner Karriere, was
    ist lediglich guter Standard. (Misslungenes gibt es bekanntlich bei großen Dirigenten nicht :happy:)
    Die Frage ist deshalb interessant, weil gerade an Lennie sich die Geister scheiden, das war schon zu Lebzeiten so, auch zu Zeiten seines grössten Ruhms.
    Zwischen seinen CBS/Sony und DG Aufnahme ist eine
    zeitlich große Spanne, sodaß der Unterschied in der Interpretation oft signifikant ist und zum Vergleich geradezu herausfordert
    Nicht zuletzt scheiden sich die Geister an der Tontechnik, wobei die älteren aufnahmen IMO durchaus nicht immer die Schlechteren sein müssen.


    Meine Empfehlungen folgen, wie zumeist, im Laufe des Thread, zuerst bin ich auf Eure neugierig


    Wie schrieb einst ein Mitglied dieser Gruppe in seiner Signatur ? Lennie ist immer Referenz !


    Grüße aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Liebe Forianer,


    Wenn man in der hauseigenen Suchfunktion das Wort Bernstein eingibt, so taucht der Name immerhin in 61 Threads auf, das sind knappe 14% aller derzeit vorhandenen Themen. In der Zwischenwertung der beliebtesten Dirigenten hier im Forum erreichte er (vor Karajan) einen beachtlichen 3. Platz ex equo mit Otto Klemperer.


    Daß der eigenene Bernsteinthread seit nunmehr 4 Monaten im Dornröschenschlaf liegt, wundert mich in diesem Kontext schon sehr.


    Mich hätte interessiert welchen seiner Aufnahmen ihr den Vorzug gebt, den Wienern, oder nen New Yorkern. Natürlich hgab ich dazu auch eine Meinung, aber die will ich erst posten, wenn einige Antworten eingegangen sind.


    Unabhängig von der eigentlichen Themenstellung:
    Irgendwer verwendete mal die Signatur: "Lennie ist immer Referenz".
    Vielleicht ein wenig überzogen, meine ich :stumm::jubel: , aber manche seiner Aufnahmen sind wirklich "referenzverdächtig"
    In diesem Zusammenhang möcht ich darauf hinweisen, daß ich durchaus mehrere Einspielungen eines Werkes als maßstäblich betrachten kann, also Referenz sich nicht lediglich auf EINE Einspielung beziehen muß.


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Leonard Bernstein - einer meiner "Musikgötter".
    Ich habe in den 80ern so ziemlich das ganze gängige CBS (jetzt Sony)-Repertoire durchgehört, dann auch die Aufnahmen bei der DGG (sowie Philips, EMI, Hungaroton). In den letzten Jahren, wo nach und nach Raritäten und Frühaufnahmen ausgegraben werden, habe ich etwas den Überblick verloren.
    Grundsätzlich denke ich: Mit den New Yorker Philharmonikern hat Leonard Bernstein eine umfassende Klassik-Diskothek herausgebracht, die zumindest von der Vielfalt und vom einfühlsamen Engagement der Mitwirkenden her beeindruckend ist. Mahler speziell: Da tu´ ich mir schwer, zu werten. Ich lasse (den Videozyklus aus den 70ern aus Wien mitgerechnet, der immer wieder im Fernsehen wiederholt wird und mit der "Achten" sowie dem Adagio aus der "Zehnten" ja ansatzweise zum 80er-Zyklus hinzugefügt wurde) alle drei Zyklen gelten.
    Vom emotionalen Gehalt her sind vielleicht die Aufnahmen aus den 60ern spontaner, ursprünglicher, manchmal auch ungeschliffener. Dafür bieten die Einspielungen aus den 80ern (New York, Amsterdam, Wien) klanglichen und orchestertechnischen Luxus mit der gelegentlichen Tendenz zur epischen Breite.
    Mir fällt es sehr schwer, mich zu entscheiden. Müsste ich auf eine Insel gehen und hätte die Wahl (schreckliche Vorstellung!), nähme ich wohl schweren Herzens den DGG-Zyklus aus den 80ern mit.
    In Salzburg habe ich 1987 bei den Festspielen Mahlers "Fünfte" unter Bernstein gehört. Eine unvergeßliche Sternstunde! (Auf CD erschien dann der Frankfurter Mitschnitt.)

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Die einzigen direkten Vergleichsmöglichkeiten zwischen "Lenny alt" und "Lenny neu", die ich habe, sind die Aufnahmen der Sibelius-Sinfonien.



    und



    Da wo Bernstein Anfang-Ende der 60er noch frisch, spannend und mitreißend dirigierte, zerdehnt er später die Tempi, setzt auf polierten Schönklang und ist imo nur noch langweilig.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • :D Hallo Norbert und Berstein-Fans,


    da muß ich dem Norbert aber wiedersprechen, er sagt:


    Zitat

    Da wo Bernstein Anfang-Ende der 60er noch frisch, spannend und mitreißend dirigierte, zerdehnt er später die Tempi, setzt auf polierten Schönklang und ist imo nur noch langweilig.


    Das finde ich gar nicht, denn die alten CBS-Aufnahmen rauschen zudem.


    :) Bernstein´s Sibelius mit den New Yorker PH ist sicher ein Meilenstein in der Schallplattengeschichte, aber seine DG-Neuaufnahmen sind noch intensiver und ausgefeilter, ja zum Teil bekennnishafte Aufnahmen.
    Obwohl ich bei Sibelius, wegen der TOP-Klangqualität (ist bei mir immer wichtig) zu Ashkenazy auf DECCA greife, habe ich auch zahlreiche Einzelaufnahmen der Sibelius-Sinfonien:
    Man höre sich die 2.Sinfonie mit Bernstein/WienerPH auf DG an, das ist doch eine Wahnsinnsaufnahme mit einer Spannung und Emphase, die bisher keiner erreicht hat; auch wenn die Tempi sehr ausgedehnt sind, aber das bekommt der 2.Sinf. gut.


    :) Der Beethoven-Sinfonien-Zyklus mit den WienerPH gehört zu den Klangbesten auf dem CD-Markt und ist auch interpretatorisch der alten Aufnahme aus den 60ern weit überlegen. Die Eroika mit Bernstein/WienerPH ist meine Lieblingsinterpretation !


    :) Seine eigenen Werke gefallen mir auf der neuen DG-Serie mir versch.Orchestern, auch mit den New Yorkern wesentlich besser.
    Sein Hauptwerk, die Sinf.Tänze aus West-Side-Story mit dem San FranciscoSO auf DG ist die beste Interpretation, die ich je davon gehört habe und klanglich auf höchstem Niveau; eine der besten DG-CD´s die ich je gehört habe. Das gilt auch für seine großartige DG-Gesamtaufnahme der West-Side-Story. Da bleibt seine alte NewYorker-CBS-Aufnahme im Rauschteppich stecken.


    :) Die Robert Schumann-Sinfonien sind mit Bernstein/WienerPH aus DG meine Favoriten (nur die 3.mit Karamalz ist mir noch lieber).


    :D Aber es gibt trotzdem eine Menge CBS-Aufnahmen aus den 60er bis 70er-Jahren, die man unbedingt mit Bernstein haben muß:
    Die Werke von Copland (z.Bsp. DanceSinfonie/ Orgelsinfonie/ uvm.),
    die RoyHarris:Sinfonie.Nr.3, William Schuman: mehrere Sinfonien, Hindemith: C.M-Weber-Variationen, Sinfonie in Es, Musik für Streicher op.50 und nicht zu vergessen die Nielsen-Sinfonien, Solokonzerte und Ouvertüren auf SONY/CBS.


    Gruß aus Bonn
    Wolfgang

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Wolfgang,


    geht es auch ein weniger extrem? Bei Dir sind die Aufnahmen so oft absolute Referenz, unübertreffbar und unübertroffen oder aber die Musik ist Mist, für Kaoten (sic!) etc. Mir fällt es momentan ein wenig schwer, Deine Einschätzung von Bernsteins Beethoven-Zyklus auf DG im Vergleich zu den Sony-Aufnahmen ("weit überlegen") nicht mit den gleichen extremen, aber negativen Kommentaren zu bewerten. Eine ökonomischere Verwendung von smilies wäre vielleicht auch zu bedenkten, sonst verlieren sie ihre Wirkung.

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo Thorsten,


    wir sind hier beim Thema Bernstein und da habe ich grundsätzlich keine negative Bewertung. Ich sage ja auch nicht das die 60er-Jahre - Aufnahme alle schlecht sind, sondern füge nur einige DG-beispiele an, die ich besser finde, erwähne aber auch eine Reihe großartiger CBS-Aufnahmen, die jetzt bei SONY zu haben sind.


    Mein bisher einziger negativer Komentar bezieht sich auf den italienischen Komponistenkaoten ! Da gibt es nichts zu vergleichen - oder sind wir hier im "Fremdforum" !


    Gruß aus Bonn
    Wolfgang

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Piano, piano


    Unser Forum wächst, und ich sags Euch aus meiner Erfahrung, damit wachsen leider auch ein wenig die Spannungen zwischen den einzelnen Teilnehmern.


    Teleton setzt die Smileys, anders ein als üblich, nämlich, wenn ich das richtig interpretiere als grobe "Note" den Text ergänzend... damit kann ich persönlich leben.


    Weniger einverstanden bin ich mit seiner Bewertung der alten CBS/SONY Aufnahmen Bernsteins - obwohl ich natürlich seinen STandpunkt akzeptieren muß.


    Mich hat ohnedies gewundert, daß ein Thema, das soviel Sprengstoff in sich birgt, wie dieses, monatelang ohne Beachtung brach lag,in der Tat gibt es nämlich wirklich zwei Gruppen von Bernstein-Anhängern: Jene die meint, die Wiener Aufnahmen wären das Gelbe vom ein, und jene die meinen, die New Yorker Aufnahmen für CBS wären interessanter gewesen.


    Persönlich zähle ich zur zweiteren Gruppe.
    In der Tat haben CBS-Aufnahmen einen höhererem Rauschpegel als dies in Europa der Standard war. Auch eine gelegentliche Mittenbetonung ist mitunter festzustellen. Aber: Schon nach kurzer Zeit ist man mitten drin im Geschehen, die Räumlichkeit ist recht gut eingefangen, die Instrumente haben Körper, die Musik atmet.
    Dass Bernstein zum Zeitpunkt wo er für die CBS arbeitete auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft stand ist ein weiterer Aspekt.


    Zu den Bernstein Aufnahmen für DGG:


    Ich habe da recht wenige, denn ich muß sagen diejenigen, die ich habe, scheinen mir tontechnisch nicht optimal zu sein.


    Da wäre mal eine CD mit Haydn Sinfonien: Allzu stumpf kommt sie aus den Lautsprechern, da ist nichts spritziges, feuriges , die Aufnahmetechnik war, so scheint es mir allzusehr damit beschäftigt Publikumsgeräusche fernzuhalten, als daß sie Zeit gehabt hätte, sich um eine gut durchhhörbaren Klang zu kümmern. Live-Aufnahmen, so lange ich mich zurückerinnern kannn, waren IMO nie eine Stärke der Deutschen Grammophon.
    Ähnliches kann man auch über die Brahms-Sinfonien sagen., wenngleich die klanglichen Mängel den Werken weniger anhaben können. Wunderbar breit dirigiert, lässt sich der Klang des Wiener Musikvereins, dessen Akustik eine der besten der Welt ist, kaum erahnen, die Aufnahme ist kompakt und nicht besonders räumlich, eher ein wenig tiefenbetont , dunkel und leicht stumpf.


    Den Beethoven Zyklus besitze ich nicht, ich hab lediglich eine Langspielplatte aus diesem Zyklus, das klingt aber zumindest dort auch ein wenig verhangen....


    Es muß IMO auch zu denken geben, daß, bei aller Berühmtheit und Beliebtheit, Lennies Beethoven-Zyklen kaum je als Referenz genannt werden, hier wurden stets Karajan und Klemperer vorgezogen, später dann Gardiner, Norrington und *Zinmann (*weiß Gott warum)



    Ein letztes Wort noch zum Rauschen von Tonaufnahmen.
    Rauschen ist ein Störfaktor, der von Musikfreunden unterschiedlich empfunden wird, manch einer mein sogar, es wäre ein Ersatz für das "Atmen " eines Konzertsaales, der ja in der Tat voll von Nebengeräuschen ist. Ich kann heute, im Gegensatz zu meiner Jugend damit leben. Zum einen, wil ich höchste Frequenzen wahrscheinlich weniger ausgeprägt höre, zum anderen, weil das Rauschen gegenüber damals auch geringer geworden ist. Es entfält das Nadelrauschen UND jenes zusätzliche Rauschen, daß beim analogen Mastern unvermeidlich war...


    Hingegen empfinde ich "synthetischen Klang" wie er auf vielen heutigen CDs vorkommt, als fast unerträglich.
    Völlig nebengeräuschfrei kommt der Klang quasi aus dem Nichts, es gibt eine links-rechts Ortung. Virtuelle Raumtiefe ist quasi nicht vorhanden, ebnso keine erkennbare Raumakustik. Alles ist fehlerfrei und steril, Instrumente klingen "Wie aus Plasik", sie "blühen" nicht. Ohne daß man irgerndwie erklären kann warum, spielt man solche CDs zu selten zu Ende.


    Genau diese Befürchtung habe ich beim DG-Bernstein Zyklus, seit ich eine Aufnahme des Boulez-Zyklus dieser Firma besitze. Auch hier waren die alten CBS Einspielungen (für mich) überzeugender....


    Beste Grüße


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    der von Dir erwähnte "synthetische CD-Klang" kommt leider heute allzuoft vor. Da habe ich von der SACD eine positive Meinung, da bei der gleichen Aufnahme der spitze, schrille Sound wie weggeblasen ist.
    Ich kaufe jetzt nicht andauernd SACD´s ! Nur wenn mir mal etwas ganz neues unterkommt, das ich noch nicht in einer guten Aufnahme auf CD habe kaufe ich SACD´s.


    Zum Boulez-Zyklus auf CBS: Du hast jetzt nicht erwähnt, welche Werke in dem Zyklus sind.
    Aber von Boulez habe ich die Ravel-Orchesterwerke auf CBS/SONY - sehr gut mit dem Cleveland Orchester. (Ich höre aber lieber meine Ravel- Dutoit-Aufnahme auf Decca, weil klangtechnisch noch ausgefeilter. )
    Eine großartige CBS/Sony-CD ist die Boulez-Aufnahme von
    Bartok-Konzert für Orchester, die wiederum ist besser ist als die neue DG-Aufnahme.


    Zu den Brahms-Sinfonien mit Bernstein/WienerPH:
    Das Dir diese klanglich nicht so gut gefallen kann ich nicht so 100% nachvollziehen, da mir sein Brahms gut gefällt. Trotz des langsameren Tempos wird ein großer Spannungsbogen gezogen. (Auch wenn ich hier Solti auf Decca vorziehe).
    Du solltest Dir aber unbedingt den Beethoven-Bernstein-DG-Zyklus anhören und ggf.besorgen - besonders die Sinfonie Nr.3 "Eroica" und die 6.Sinfonie sind fantastisch um nicht zu sagen einmalig.


    Man kann aber keinesfalls die Bernstein-DG-Aufnahmen über einen Kamm scheren und sagen das diese alle langweilig sind, so wie es Norbert in seinem Beitrag gemacht hat - das hat die Diskussion ausgelöst.


    Gruß aus Bonn
    Wolfgang

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Original von teleton
    Man kann aber keinesfalls die Bernstein-DG-Aufnahmen über einen Kamm scheren und sagen das diese alle langweilig sind, so wie es Norbert in seinem Beitrag gemacht hat - das hat die Diskussion ausgelöst.


    Gruß aus Bonn
    Wolfgang


    Norbert hat sich "explizit" auf die Sibelius-Aufnahmen bezogen und "nicht" auf alle Bernstein-Aufnamen. Zudem verwendet er das relativierende "imo", was seine Aussagen schon in einen gewissen Zusammenhang stellt. Bzgl. Pastorale und Eroica, ich habe beide Bernstein Aufnahmen (und von beiden Symphonien noch jeweils mehr als 50 weitere Einspielungen) und ziehen die Sony-Eroica und die DG-Pastorale vor - ohne einer von beiden das Attribut der Einmaligkeit zu verleihen.

    Gruß,
    Gerrit

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo Wolfgang,


    Zitat

    Original von teleton
    Mein bisher einziger negativer Komentar bezieht sich auf den italienischen Komponistenkaoten ! Da gibt es nichts zu vergleichen - oder sind wir hier im "Fremdforum" !


    Gruß aus Bonn
    Wolfgang


    Kannst Du mir mal erklären, was Du damit meinst?

    Gruß,
    Gerrit


  • Moin Wolfgang,


    gerne darfst Du widersprechen ;) .


    Der "späte Bernstein" hat aus vielem ein "Bekenntnis" gemacht, etlichen Aufnahmen bekommt die persönliche Sichtweise sehr gut (Schumann, Beethoven und Mahler mit kleinen Einschränkungen), stellenweise wird's für mich allerdings unerträglich (langsame Sätze von Dvoraks 9. oder gar Tschaikowskys "Pathétique", wo er den letzten Satz auf die doppelte Spielzeit zerdehnt).


    Daß langsame Tempi nicht langweilig sein müssen, hat der "späte Giulini" imo herausragend beweisen. Sie müssen eben passen, auch und insbesondere zum Werk.


    Zur 2. von Sibelius: Wer einmal George Szells Aufnahme gehört hat, der erlebt Spannung und Spannungen in Sibelius' Musik (ibs. im dritten Satz). Bernstein bremst und verzögert und nimmt somit in meinen Augen viel von der Spannung.


    Aber auch hier gilt: Alles Geschmackssache.


    Zur pauschalen Aussage, ich empfände Bernsteins späte Aufnahmen als "langweilig" hat Thorsten dankenswerter Weise schon eine Richtigstellung verfaßt, so daß ich nur nich ein lapidares "genaues Lesen fördert die gute Kommunikation" hinzufügen möchte. ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,


    ich stelle fest, wir verstehen uns - es ist wirklich Geschmackssache.
    Und das ist das schöne an diesem Forum, das man sich hier sachlich über das Lieblingsthema Klassik unterhalten kann.


    Da bin ich ja beruhigt, das Du nicht alle DG-Aufnahmen von Bernstein gemeint hast, sondern Deine Bezeichnung "langweilig" sich nur auf den DG-Sibelius bezieht. Danke für die Richtigstellung.
    :P Es ist Richtig: Wer lesen kann ist im Vorteil; um es anders als Du auszudrücken. Ich hatte die zweite Abbildung mit Bernstein in Deinem Beitrag für eine DG-Gesamtedition aller wichtigen Bernstein-Aufnahmen gehalten !!!
    Damit ist der Irrtum ausgeräumt, denn es gibt sowohl bei CBS/SONY und bei DG zahlreiche lohnenswerte Aufnahmen mit Bernstein, die man wirklich einzeln betrachten muß. In meinem Beitrag hatte ich ja schon aus beiden Reihen (DG und SONY) einige wichtige Werke mit Bernstein erwähnt.


    Gruß aus Bonn
    Wolfgang

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich möchte an dieser Stelle mal zwischen Objektivität und Geschmack unterscheiden : Fast alles, was ich von Bernstein kenne, ist in jeder Hinsicht großartig. Vor allem auch die Aufnahmequalität der alten LP übertrifft die der späteren CDs bei weitem. Man kann sicher Unterschiede zwischen früheren Mahler-Aufnahmen (besser) und späteren (schlechter) feststellen, aber sachliche negative Kritik fällt mir kaum ein. Und nun subjektiv : Seine psychogramm-artige Vorgehensweise gerade bei Mahler liegt mir nicht. Teilweise wird es zäh und weinerlich, wo ich es nicht vestehe. Gerade bei Mahler 1 und 2.

  • Obwohl ich bei Mahlers 1. und 2. Sinfonie andere als die Bernstein-Aufnahmen ganz vorne sehe/höre, "weinerlich oder zäh" habe ich bis jetzt keine der Mahleraufnahmen Bernsteins empfunden. Da muß ich doch etwas zur Ehrenrettung Bernsteins beitragen.

    Von der 1. Sinfonie liegen mir etwa die beiden Aufnahmen von 1966 mit dem New York Philharmonic (Schallplatte und SACD) und von 1989 mit dem Concertgebouw Orchestra (DG) und von der 2. Sinfonie ebenfalls DG mit New York Philharmonic Christa Ludwig/Barbara Hendricks vor. Nichts hasse ich mehr als wenn langsame, getragene Musik zäh wird - keine Spur auf diesen Aufnahmen.


    Noch eine weitere Bemerkung zu Bernsteins Mahler-Qualitäten:


    Für ein Musikreferat unseres Sohnes mußte kürzlich ein Musikbeispiel zusammen gestellt werden. Ich habe dazu den 1. Satz der 5. Sinfonie in einer größeren Reihe von Vergleichseinspielungen nacheinander angehört:
    u.a. Barbirolli 1970, Solti 1970, Bernstein 1988 live, Rattle 2002, Karajan 1973 und Scherchen 1952.


    Nach meiner Erinnerung wäre der Barbirolli-Aufnahme der Vorzug gegeben zu wesen. Aber im Direktvergleich - jedenfalls des ersten Satzes - hätte ich dann doch eher Bernstein vorgezogen. Im übrigen in dieser Aufnahme das schönste Adagietto (wenn man denn diesen Satz nach seiner häufigen Verwendung überhaupt noch mag), das meinem Player bisher untergekommen ist. Also bei Mahler hat Bernstein eindeutig bedeutende Qualitäten, früher hätte ich ihn dabei eher als etwas ungestüm bezeichnet, keineswegs aber als zäh.


    Das ist meine höchst persönliche Meinung/Hörerfahrung, ohne jeden Anspruch auf allgemeine Geltung.


    Mit freundlichen Grüßen


    Matthias

    Tobe Welt, und springe,
    Ich steh hier und singe.

  • Hallo,


    was haltet ihr von Bernsteins "Messias" von 1956?



    Gruß
    Felipe

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • (falscher Thread.)
    Ich habe Lennies Messiah. Mein Tip: Nicht kaufen! Für Bernsteins Verhältnisse echt schrecklich. Keine hochkarätigen Solisten und Eingriffe in die Partitur und vorallem eine unverzeihliche UMSTELLUNG der Nummern!
    Nur Lennies "Matthäuspassion" ist noch schlimmer

  • Zitat

    Original von ThomasBernhard
    (falscher Thread.)
    Ich habe Lennies Messiah. Mein Tip: Nicht kaufen! Für Bernsteins Verhältnisse echt schrecklich. Keine hochkarätigen Solisten und Eingriffe in die Partitur und vorallem eine unverzeihliche UMSTELLUNG der Nummern!
    Nur Lennies "Matthäuspassion" ist noch schlimmer


    Hallo Thomas,


    danke für Deine Warnung.
    Eigtl. denkt man sich, sollten Bernsteins Interpretationen hochkarätig sein - scheinbar kann man sich auch bei ihm irren.


    Gruß
    Felipe

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Thomas ,
    lieber Felipe II. ,
    kein Künstler kann alles gleich gut . Und kein Zuhörer hat einen gleichrangigen zugang zu verschiedenen Werken eines Komponisten !
    Um "Lenny" voll in die richtige Erinnerung zu bringen , empfehle ich
    seine Interpretation der 4. Symphonie von Tschaikowsky !
    Ergreifend , faszinierend !
    Einfach hineinhören und dann nochmals .
    Beste Grüsse
    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Vor kurzem habe ich die Aufnahme von Gershwins Rhapsody in Blue und An American in Paris (gekoppelt mit Grofés Grand Canyon Suite) in der Sony Bernstein Reihe erworben, die sowohl im Grammophone Guide die zu den Gershwin Werken empfohlene Aufnahme darstellte als auch (meiner Erinnerung nach) vom Penguin Guide drei Sterne plus Rosette erhalten hatte.



    Ich legte sie also in freudiger Erwartung in den CD-Player ein und ...


    fragte mich zunächst einmal ganz entsetzt, ob mit meiner (relativ neuen) Anlage etwas nicht in Ordnung war!!!


    Zu meiner Beruhigung im Allgemeinen, aber doch zu meinem Ärger im Besonderen, habe ich dann sehr schnell festgestellt, dass es nicht die Stereoanlage war, sondern die Aufnahme. Was auch immer deren interpretatorische Qualitäten sein mögen, aufnahmetechnisch ist sie eine der mit Verlaub gesagt lausigsten, die mir seit langem untergekommen sind.


    Das "Hintergrund"rauschen ist insbesondere bei den beiden Gerschwin-Stücken derartig laut, dass es den Musikgenuss mehr als deutlich beeinträchtigt. Dazu kommt noch, dass man die Schnitte des Masterbandes z.T. aufgrund eines plötzlichen Wechsels in der Lautstärke des Hintergrundrauschens klar erkennen kann - an einer Stelle hatte ich zusätzlich das Gefühl, beim Schnitt wäre unsauber gearbeitet worden, sodass ein "Sprung" in der Musik entstand, so als ob hier zwar nur der Bruchteil einer Sekunde aber doch merklich ein Teil der Aufnahme fehlte.


    Ich mag was Aufnahmequalität angeht generell etwas empfindlich sein, aber die Aufnahmen stammen aus dem Jahren 1958, 1959 und 1963, und wenn ich diese mit anderen Aufnahmen aus diesem Zeitraum vergleiche (z.B. den Heifetz gesammelten Violinkonzerten bei RCA) dann gibt es meines Erachtens keinerlei Rechtfertigung für eine derartig schlechte Tontechnik - eimal ganz abgesehen von den Problemen des Remastering (in angeblicher "20-bit-technology ... to maximise sound quality") aus dem Jahr 1997. Ich habe historische Mono-Aufnahmen, die wesentlich weniger störendes Hintergrundrauschen aufweisen!


    Dieselben Aufnahmen sind übrigens jetzt von Sony als SACD neu herausgebracht worden - würde mich ja interessieren, ob dabei die beschriebenen Probleme behoben werden konnten.


    Ich möchte diese Erfahrung nicht unfair verallgemeinern, und mir ist klar, dass die Bernstein-Aufnahmen der Sony Serie einen erheblichen Zeitraum und vermutlich eine größere Zahl von Aufnahmeorten umspannen, aber nach dieser Erfahrung hätte ich persönlich erhebliche Bedenken, mir eine weitere CD aus dieser Serie zuzulegen, ohne sie vorher auf Aufnahmequalität hin probegehört zu haben - was halt bei den bei Amazon und JPC zur Verfügung stehenden Soundbites sowie auch bei den modernen Computer-Probehör-Stationen aufgrund der MP3-Umwandlung realistischerweise nicht möglich ist.


    Enttäuscht


    katlow

  • Hallo katlow,


    Du schreibst:

    Zitat

    Was auch immer deren interpretatorische Qualitäten sein mögen, aufnahmetechnisch ist sie eine der mit Verlaub gesagt lausigsten, die mir seit langem untergekommen sind.


    Da muß ich Dir zum Teil Recht geben. Mit dieser SONY-CD-Serie hapert es manchmal etwas. Das liegt daran, das SONY hier ätere CBS-Aufnahmen von Bernstein vermarktet, obwohl neuere CBS-Aufnahmen vorliegen. Die Alten sollen eben noch an den Hörer gebracht werden.


    Beispiel: Ich hatte mir die SONY-CD Bernstein: Sinf.Nr.2 / Sereande für Violine und Orchester(als Interpretationsvergleich zu seiner DG-Aufnahme aus den 80ern) gekauft. Die Serenade war eine Uraltaufnahme von 1954 in sch...Mono mit dem Sinf.of the Air Orchestra und die Sinf.Nr.2 auch eine ältere mit den NYPO. Ich wollte die CBS-Aufnahmen von 1960/62, die ich früher auf Tonband aufgenommen hatte. Die gab es auch mal als CBS-CD !!! ?( !!!
    Diese lausige CD, wenn auch von der Interpretation sehr gut (soweit man es hören konnte) habe ich längst verhökert.


    Fazit: Man muß bei dieser SONY-Bernstein-Serie aufpassen und auf das Aufnahmedatum schauen --- aber es gibt in dieser Serie auch so viel gutes zu kaufen.
    Zum Beispiel diese CD, die ich noch als CBS-CD habe, aber es sind diesmal die gleichen Aufnahmen:


    Diese CD ist wirklich ein Bernsteinscher Edelstein !!!

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo


    Ich hab mir jetzt die Bernstein-Gershwin-CD herausgeholt um mir ein Bild zu machen.


    Sie rauscht - Ok


    Allerdings hängt das sehr vom Alter des Hörers ab, bzw von der Abstimmung der Stereoanlage wie krass das zu hören ist.


    Das ist IMO mit KEINEM Kunstkniff mehr wegzukriegen - Die alten AMPEX-Bänder, die Relativ grob beschichtet ware, rauschten eben.


    Dafür frage ich mich ob ich vielleicht doch schon taub bin.
    Von diesem Rauschen abgesehe-meine Generation ist damit aufgewachsen- hann ich neigentlich nichts Beanstanden.
    Ich höre grade die Rhapsody in blue:


    Die Instrumente sind weitgehend klangfarbentreu aufgenommen, die Höhen sind voll da, evenso das Baßfundament, daß Orchester klingt warm aber nicht mulmig, die Fortissimi haben Attacke, neigen geringfügig zu "Giftigkeit, was IMO den Werken guttut.. Die Klangbühne ist sowohl in die Tiefe als in die Breite optimal ausgeleuchtet. Die Ortbarkeit einzelner Instrumente ist hervorragend.
    Typischer CBS- Sound der sechziger.
    Im Gegensatz dazu - so empfinde iche es- klingen viele Digitaleinspielungen stumpfer, weniger Räumlich, speziel DGG baut aoft eine Klangwand auf, die nicht in die Tiefe geht, alles ist sauber - klinisch sauber möchte ich fast sagen.


    Es war mir ein Bedürfnis diese Stellungnahme abzugeben - weil mich auch interessiert wie andere im Forum das hören.
    Sehr junge hörer sind allerdings gegen Rauschen auch seeehr empfindlich - ich erinnere mich noch genau ....


    LG


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo teleton,


    Zitat

    Original von teleton
    Beispiel: Ich hatte mir die SONY-CD Bernstein: Sinf.Nr.2 / Sereande für Violine und Orchester(als Interpretationsvergleich zu seiner DG-Aufnahme aus den 80ern) gekauft. Die Serenade war eine Uraltaufnahme von 1954 in sch...Mono mit dem Sinf.of the Air Orchestra und die Sinf.Nr.2 auch eine ältere mit den NYPO. Ich wollte die CBS-Aufnahmen von 1960/62, die ich früher auf Tonband aufgenommen hatte. Die gab es auch mal als CBS-CD !!! ?( !!!
    Diese lausige CD, wenn auch von der Interpretation sehr gut (soweit man es hören konnte) habe ich längst verhökert.


    Ich vermute, Du meinst diese hier:



    Ich weiss, Du stehst grundsätzlich Mono eher abneigend gegenüber, aber "lausig" klingend ist anders als diese Aufnahme. Natürlich Mono, aber immer durchhörbar, Soloinstrumente und Orchester gleichermaßen präsent, das Orchester an den exponierten Stellen ordentlich durchsetzungsfähig. Nebenbei von beiden Stücken, wie ich finde, später von Bernstein nicht mehr erreichte Interpretationen - und von der 2. Sinfonie die einzige Aufnahme mit dem ursprünglichen (mich mehr überzeugenden) Schluss. Alles in allem würde ich die CD jedem ans Herz legen, der sich für den Komponisten Bernstein interessiert - und nichts gegen Mono hat. Es gibt hervorragend klingende Mono-Aufnahmen, hier haben wir eine.


    Beste Grüsse,


    Claus

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Geniale Menschen produzieren geniale Irrtümer.
    Nachdem ich jetzt auf diesen Bernstein-Thread gestoßen bin, juckt's mich in allen Fingern, mich dazu zu äußern.


    Zum Hintergrund: Mein Klassik-Fimmel hat mit Bernstein begonnen. Ich wurde einmal in ein Karajan-Konzert mitgeschleift, hatte das Gefühl, dass Weihestunden in der Kirche besser am Platz sind und wollte mit "Ernster Musik" nichts mehr zu tun haben. Bis mich meine Mutter in ein Bernstein-Konzert zwang - und da war's um mich und meine Liebe zur Pop-Musik geschehen! Wenn Klassik so ist, so aufregend, so spontan, so lebendig und wild und schön und berührend und so sehr dieses Miteinander vermittelt, dann ist es das, was ich will.
    Und so ist es geblieben.


    Aber der späte Bernstein ist IMO oft nur noch wunderlich.
    Die Erste und Zweite Sibelius habe ich live erlebt - und war entsetzt! Ich hatte die CBS-Einspielungen im Ohr, in denen sich eine schroffe Größe manifestiert, gespickt mit Ecken und Kanten, wilde, fast urtümliche Ausdrucksmusik.
    Und nun dieser Breitwandsound, als wär's die Musik zu einem Film über Finnlands Moore. Dabei kaum Details, alles eingeebnet.
    Aber Bernstein schwärmte von seiner Lesart: Es ginge um einen einsamen Menschen in einer weiten Landschaft, um die Beziehungen zwischen Mensch und Gott, um unendliche Weiten, und das habe er erst jetzt erkannt etc. etc.


    Offenbar verstand Bernstein in seinen späten Jahren jede Musik so, denn das extreme Verlangsamen des Tempos und das Unterordnen von Details scheint mir symptomatisch. War Bernstein früher ein Dirigent, der Musik als aufregendes Erlebnis vermittelte, vermittelte er in späten Jahren immer stärker Musik als Bekenntnis. Er dirigierte jedes Werk aus der Haltung der Mahler'schen Symphonien: Eine Symphonie muss ein Abbild der Welt sein, und am besten auch noch des Kosmos und Gottes dazu - selbst dann, wenn Komponisten wie Sibelius und Brahms es nie so intendiert hatten. Und diese kosmosumfassende Bedeutung wurde eben vor allem mit extrem verlangsamten Tempi, breitesten Strichen und pathetischesten Bläserkaskaden suggeriert.


    Nun mag das bei Mahler noch gehen (obwohl ich gestehe, dass mir, geht es um den Vergleich mit Bernsteins DG-Aufnahmen, der Ansatz von Boulez näher steht). Aber dieser bleischwer musizierte Sibelius, dieser unendlich gedehnte Tschaikowskij, diese zelebrierten Brahms-Symphonien, dieser zähflüssige Elgar, dieser schwitzende Debussy - ja: Ich finde auch das auf gewisse Weise faszinierend! Weil es zeigt, wie weit sich ein Dirigent eine Komposition aneignen, sie praktisch zu einem eigenen Werk machen kann. "Wenn ich das komponiert hätte", scheint Bernstein zu sagen, "dann würde es so klingen".
    Und wenn ich wissen will, wie Tschaikowskijs Sechste geklungen hätte, hätte Bernstein eben im Stil des genialen Russen komponiert, ist das wirklich eine interessante Auseinandersetzung.

    "Referenzeinspielungen" sind diese späten Bernstein-Aufnahmen für mich aber nicht. Wären sie es, müsste ich nämlich jedem anderen Dirigenten vorwerfen, wenn er überlegt, was der Komponist sagen wollte statt zu überlegen, wie er bestimmte eigene Ideen einem Werk überstülpen könne.

    ...

  • Mir fehlt wohl letztlich die Basis für ordentliche Vergleiche; bei Mahler habe ich die 3. aus New York, 1,5,6 (+Kindertotenlieder) aus der DG-Reihe (5 und 6 finde ich jedoch ziemlich gut, die 1. weniger), die Wiener Beethovensinfonien habe ich vor vielen Jahren live im TV gesehen, auf CD nur einige der alten mit dem NYP. Eine Haydn-CD (88,92,94) aus der DG-Zeit habe ich wieder verkauft; die alten "Pariser Sinfonien" sind großartig. Von der Missa Solemnis habe ich beide (aber ewig nicht gehört)
    Im Zweifel würde ich inzwischen zu den Sony-Aufnahmen greifen. Trotz mancher Rauhigkeit oder teils suboptimalen Klangqualität scheinen sie mir fast immer energischer, spannender, charakteristischer, abgesehen dass etliches Repertoire nur bei Sony/CBS vorliegt (und ich bei manchem Repertoire eh nicht zu Lennies Aufnahmen greifen würde).
    Bei Americana bin ich kein Experte; die DG-west side story ist ein schlechter Witz, die Hauptrollen total fehlbesetzt, was sollte das überhaupt :wacky: :rolleyes: (Gibt es hier eigentlich eine Original Cast o.ä. aus 50er/60er in ordentlicher Qualität?) Von den älteren Aufnahmen habe ich eine mit eigenen Werken (symphonic dances, On the waterfront etc.) , dann Ives u. Carter.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Johannes!

    Zitat

    Gibt es hier eigentlich eine Original Cast o.ä. aus 50er/60er in ordentlicher Qualität?


    Ja, gibt es: http://www.towerrecords.com/product.aspx?pfid=1059076


    Aber ich warne: Die gesanglichen Leistungen (besonders vom Tony der Aufnahme) sind mittelprächtig. Allerdings spürt man, wie frisch, aggressiv und wild diese Musik ist.


    Ich habe es schon (etwas deplatziert, aber es passte in den Zusammenhang) im Thread über Bernsteins Symphonien geschrieben: Bernstein hatte als Komponist lange Jahre eine Art Minderwertigkeitskomplex, weil ihm die abendfüllende Oper nicht gelingen wollte (kaum hatte er einen Stoff gefunden, gab es jedesmal rechtliche Probleme mit dem Libretto weshalb weder "Lolita" noch "A Streetcar named Desire" zustande kamen). So verfiel Bernstein auf die Idee, seine beiden relativ opernhaften Musicals "Candide" und "West Side Story" durch die Besetzung mit Opernsängern und breiterem Sound (beim "Candide" wesentlich extremer als in der "West Side Story") in Richtung Oper zu drängen.

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo Johannes!


    Ja, gibt es: http://www.towerrecords.com/product.aspx?pfid=1059076


    Aber ich warne: Die gesanglichen Leistungen (besonders vom Tony der Aufnahme) sind mittelprächtig. Allerdings spürt man, wie frisch, aggressiv und wild diese Musik ist.


    Hallo Edwin,


    sicher, das sind keine großen, wohlklingenden Opernstimmen, sondern (relativ klein dimensionierte) Stimmen von jungen Musicaldarstellern, die manchmal an die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten geraten. Aber sie singen dafür mit einer Energie und einem Enthusiasmus, die gerade der DG-Aufnahme mit de Kanawa und Carreras fehlt. Wenn man sich diese Aufnahme mit der Uraufführungsbesetzung anhört, kann man zumindest ahnen, warum das Stück damals solche Furore am Broadway gemacht hat.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher HH und Edwin,


    ich finde es nicht angemessen die Bernstein-DG-Aufnahme West Side Story mit Kanawa und Carreras total zu verdammen.
    Ich selbst habe nur diese und kenne auch keine andere, da ich ohnehin kein Opernfreund in dem Sinne bin.
    :] Die DG-Aufnahme der West Side Story habe ich aber trotzdem ( auch als nicht Operfan) erworben, weil die ausgestrahlte TV-Sendung,in der die Aufnahme mit Bernstein gezeigt wurde, mich derart fastziniert hat.
    Alle Beteiligten waren mit großer Spielfreude dabei - eine wahnsinnige Lust dies mit anzusehen - diese Aufnahme wollte ich haben und bin auch sehr zufrieden damit.


    Es ist wohl so, daß der totale Operfan (wie ihr !?!), der die erwähnte alte Aufnahme aus den 50/60ern kennt, mehr Begeisteung hierfür hat, weil diese tatsächlich besser sein mag. Aber die neuere DG hat auch eine so gute Qualität, dass diese nicht umsonst sehr populär war und in großen Stückzahlen verkauft wurde - zudem bietet sie eine sehr gute Klangqualität und kein MONO, das für mich ohnehin ausscheidet.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Giselher!
    Meine Einschränkung galt für alle jene Taministen, die an große Opernstimmen gewöhnt sind und mich am Ende steinigen würden, dass ich eine Aufnahme mit derartigen Stimmen empfohlen habe.
    Mir persönlich ist diese Original-Cast-Aufnahme wesentlich lieber, weil sie frei ist von dem Kitsch, mit dem dann Nummern wie "Maria", "Tonight" und "Somewhere" von Opernstimmen verschmalzt werden.


    Ich werde auch das Gefühl nicht los, Bernsteins ursprüngliches Konzept sah vor, die Musicalstimmen an die Grenze ihrer Möglichkeit zu treiben, um die Spannung und Außerordentlichkeit des Geschilderten zu unterstreichen. Erst, als er sich darauf fixierte, eine amerikanische Oper schreiben zu müssen und die damit verbundenen Querelen anfingen, versuchte er, "West Side Story" durch eine Studioproduktion mit Opernsängern in eine Art amerikanische Oper im pränatalen Stadium ummodeln zu müssen.

    ...

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