Wagners "Ring" zwischen Nacherzählung und Deutung

  • In diesem Thread soll es um Richard Wagners Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" gehen. Es soll dabei nicht um Einspielungen gehen, sondern darum, was Regisseure aus dem "Ring" gemacht haben. Nach Möglichkeit sollten jene "Ringe" diskutiert werden, die auf DVD erhältlich sind (damit jeder eine Chance hat mitzudiskutieren); wenn der besprochene "Ring" nicht auf DVD erhältlich ist, bitte ich zumindest um eine genaue Schilderung dessen, was der Regisseur und der Bühnenbildner entwickelt haben. Wertungen allein würden in solchen Fällen all jene von der Diskussion ausschließen, die die Inszenierung nicht kennen und auch nicht kennenlernen können.


    Beginnen will ich mit den zwei "Ring"-Inszenierungen, die man geradezu als Antipoden werten kann: Patrice Chéreaus Bayreuther "Ring" und Otto Schenks "Ring" an der "MET".
    In beiden Fällen handelt es sich um große Häuser mit entsprechender finanzieller Ausstattung, es mußte also nicht auf Verlegenheitslösungen zurückgegriffen werden.


    Was die beiden "Ringe" unterscheidet, ist der Ansatz der Produktion: Bayreuth wollte einen in jeder Hinsicht modernen "Ring" präsentieren. Auch musikalisch sollte ein neues Licht auf Wagner geworfen werden, dafür garantierte Dirigent Pierre Boulez, der einen rhythmisch betonten, extrem durchsichtigen Wagnerstil pflegt und diese Musik als Vorboten der (impressionistischen und expressionistischen) Zukunft begreift.


    An der MET dirigierte James Levine einen langsamen, betont romantischen Wagner-Stil, der diese Musik als genialen Schlußstein der Romantik begreift.


    In beiden Fällen stimmten die musikalische Sicht des Dirigenten und die szenische des Regisseurs überein.


    Das Grundkonzept ist bei Patrice Chéreau eine Inszenierung aus sozialkritischem Ansatz - was seltsamer Weise durchaus mit den alten germanen konform geht. Die betrachteten nämlich das Gold als Wurzel des Bösen - und bei Chéreau wird aus Gold Geld, also Kapital.
    Chéreau verlegt den "Ring" etwa in die Zeit seiner Entstehung in der Überzeugung, daß Wagner im "Ring" bewußt oder unbewußt die sozialen Spannungen seiner Zeit mitverarbeitet hat. Gleichzeitig blendet Chéreau in der Zeit zurück und voraus, um bestimmte Szenen in einem archetypischen zeitlichen Kontext zu konkretisieren.
    Dabei charakterisiert Chéreau einzelne Gestalten auf neue Weise: Wotan ist als Großkapitalist mit manischem Machtanspruch unsympathisch, Alberich und Mime werden durch die Umstände in ihre Rollen gedrängt, Siegmund ist der intellektuelle freie Held, Siegfried ein wenig sympathischer und unintellektueller Haudrauf. Die kapitalistische Gesellschaft, so Chéreaus Botschaft, braucht unintellektuelle Handlanger eher als mitdenkende Intellektuelle.
    Trotz dieses Grundkonzeptes sind die Figuren sehr menschlich - unsympathische Charaktere offenbaren sympathische Facetten und sympathische Charaktere handeln nicht immer sympathisch.
    In der gesamten Regie dienen Gewalt und Mitleid als emotionale Triebfedern. Die große Gestik ist abgeschafft zugunsten einer filmisch präzisen Regie, die auch gerade nicht singende, aber auf der Bühne befindliche Personen ausformt, also nie einfach wegblendet.


    Otto Schenk versucht, Wagners Regieanweisungen soweit als möglich umzusetzen und den "Ring" von einem Mythos zu einem Märchen herabzustufen.




    ----------------------------



    Ich möchte wirklich am Anfang beginnen,also mit der Ersten Szene "Rheingold" - wir werden ja sehen, wohin sich dieser Thread entwickelt.


    Chéreau und Schenk meiden beide die Tiefen des Rheins, sondern begnügen sich mit dessen Ufern - Alberich braucht also weder Sauerstoffflasche noch Kiemen, um den Nixlein nachstellen zu können.


    Bei Chéreau ist gleich das erste Bild provokant und großartig zugleich: Ein Staudamm signalisiert, daß die Natur nicht mehr unberührt ist. Der Staudamm ist von Gischt umtost, über dem Staudamm steht ein fahler Mond. Die Rheintöchter törnen Alberich an und verspotten ihn im Handumdrehen - ein perfides Spiel wenig sympathischer Frauen mit einem Underdog, der mit Gewalt (Raub) und Fluch seine verwundete Seele kurieren will. Alberichs Handlungsweise wird verständlich.


    Otto Schenks erstes Bild ist schon problematisch: Wo sind wir? Die pittoreske, wie einem überillustrierten Kinderbuch entsprungene Szenerie sagt: Eindeutig am Ufer des Rheins. Aber die Tanzbewegungen der Rheintöchter scheinen doch wieder Wasser suggerieren zu wollen.
    Schenk macht auch sofort klar: Alberich ist der Böse. Er erscheint mit Buckeln und Auswüchsen wie ein Gnom und wird als lächerliche Figur gezeichnet. Der Böse ist ohne Ursache böse, wir müssen dem Regisseur ohne eigenes Nachdenken glauben.
    Beim Raub des Rheingolds wackelt obendrein die Kulisse - eine spitz zulaufende Bodenerhebung -, wodurch unfreiwillig komisch signalisiert wird: Wir sind im guten alten Kulissentheater, nicht Deuten sondern Nachstellen ist Trumpf.


    Und damit will ich einmal die Eröffnung abschließen und eröffne die Diskussion.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    in diesem Zusammenhang von mir eine Buchempfehlung (falls Du es nicht schon kennst):


    Nora Eckert: Der Ring des Nibelungen und seine Inszenierungen von 1876 bis 2000 (DVA, 2001)


    Der mit vielen Szenenphotos versehene Band vollzieht die Interpretatationsgeschichte des "Ringes" von den ersten Bayreuther Aufführungen bis zur Jahrtausendwende nach, wobei zumeist auf das Bühnenbild und (leider) weniger auf die Personenregie eingegangen wird. Dennoch liefert die Studie einen wertvollen Überblick über die diversen Annäherungen an den Mythos. Dabei hält die Autorin mit ihrer Meinung durchaus nicht hinter dem Berg, zu den Regieversuchen Deines Lieblingsdirigenten etwa wird zustimmend folgender Kritikersatz zitiert: "Es ist etwas Wahres und zugleich Dekuvrierendes daran, wenn man sagt, dass Karajan die Musik so sieht, wie er sie hört.".


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Wagnerianer,
    ein weiteres sehr interessantes Buch mit dem Titel "Theaterarbeit an Wagners Ring" ist 1978 im Piper-Verlag erschienen. Es war ein Auftragswerk der Universität Bayreuth. Folgende Ring-Inszenierungen sind darin behandelt:
    Bayreuth 1970
    Kassel 1970/74
    Leipzig 1973/76
    München 1974/76
    London 1974/76
    Genf 1975/77
    Bayreuth 1976
    Mailand 1974/75 (nur W. und S.)
    Braunschweig 1976/78 (nur R., W. und S.)
    Stuttgart 1977 (nur R. und G.)
    Basel 1977 (nur R.)
    Die nicht behandelten Werke waren zum Erscheinungszeitpunkt noch nicht bühnenreif inszeniert. Insgesamt aber gibt das Buch einen guten Überblick über 1 Jahrzehnt Ring-Geschichte in Europa.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Hallo zusammen,


    kennt einer von Euch "The perfect Wagnerite" von George Bernard Shaw? Auf Deutsch erschienen unter dem Titel "Ein Wagner Brevier". Das Buch enthält einen Kommentar zum Ring des Nibelungen, in dem der Ring aus den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Zeit Wagners erläutert wird. Als ich das Buch gelesen habe, kam mir Chéreaus Inszenierung fast wie eine (kongeniale) Bebilderung vor. Bei mir ist die Lektüre schon einige Zeit her, aber ich kann das Buch nur jedem, der sich für den Ring interessiert empfehlen.


    Vielleicht ein Zitat aus der Einleitung:


    "Vorerst einmal: der "Ring" mit all seinen Göttern und Riesen und Zwergen, mit den Wasserjungfrauen und Walküren, der Tarnkappe, dem magischen Ring, dem verzauberten Schwert und dem wunderbaren Schatz ist ein Drama der Gegenwart und nicht eines aus ferner und sagenhafter Vorzeit. Es hätte nicht vor der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts geschrieben werden können, weil es von Ereignissen handelt, die damals erst zu einem Abschluss kamen. Wenn der Zuschauer darin nicht ein Abbild des Lebens erkennt, durch das er sich selbst seinen Weg bahnt, muss es ihm schlechterdings wie eine ins Riesenhafte aufgeblähte Weihnachtspantomime vorkommen, die stellenweise vom ersten Bariton zu unterträglich langen und langweiligen Erörterungen ausgeweitet wird..."


    Zur Info: Das Buch wurde 1898 geschrieben.


    Viele Grüße,


    Melanie

    Einmal editiert, zuletzt von Mela ()

  • Ja. Und ich stimme dir zu: Chéreau wird Shaw gelesen haben.


    Insbesondere zu Alberich gibt es (wenn ich mich richtig erinnere) einen Absatz, in dem Shaw - ähnlich wie Chéreau - dessen Handeln verständlich macht. Er ist für Shaw nicht nur ein Außenseiter, sondern auch oder schlimmer noch ein Ungeliebter (wenn ich mich richtig erinnere - das Buch ist nicht, wo ich gerade bin...).


    Shaws Wagner-Brevier gibt es bei Suhrkamp. Wagner aus der Perspektive eines Sozialisten. Interessant, keine Frage.


    Freundliche Grüße


    Heinz

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  • füge ich an der Stelle einen Link ein, der die Thematik von Edwins Thread berührt:


    Kresniks Ring-Projekt (forumsinterner Link ;))


    Kresnik versucht - wie andere vor ihm auch - dem 'Ring' die Perspektiven abzugewinnen, die uns heute betreffen. Oder, andersherum, dessen zeitlos oder doch für eine lange Zeit der Evolution gültige Dramaturgie des Menschengeschlechts zu erhellen.


    Ich bin gespannt auf den zweiten Teil (Siegfried/Götterdämmerung), um zu sehen, ob er über die Deutung hinaus auch eine Lösung anbietet.


    Viele Grüße

  • Hallo Edwin,


    zur Richtigstellung :boese2::


    Das 1. Bild "Rheingold" an der Met stellt eindeutig die Tiefe des Rheins dar und nicht das Ufer. Während des gesamten Aktes sind Wasserprojektionen auf den 1. Schleier und auch im Hintergrund projiziert. Weiterhin werden durch das Auf- und Abziehen zweier Tülls, die mit Applikationen versehen sind, Wasserbewegungen simuliert. Besonders schön zu sehen, wenn das Licht auf das vergoldete Riff trifft.


    Schade nur, dass Schenk nicht die Schwimmapparate wieder verwendet hat. So sind die Rheintöchter in der Tat etwas weniger wendig in ihren Bewegungen als in früheren Inszenierungen. Schenk versucht das wettzumachen, indem er sie über das Gestein gebieten lässt, d.h. auf Befehl schweben die Rheintöchter auf den Felsen, die übrigens sehr gut gestaltet sind, auf und nieder.


    Ein Märchenbuch entwerfen Schneider-Siemssen und Schenk nicht. Sie halten sich sehr genau an die Regieanweisungen, verniedlichen nichts und geben der Geschichte so das zeitlos, mythologische zurück. Ich habe es sehr genossen, den Ring in einer deratigen Einheit von Musik, Wort und Bild erleben zu dürfen.


    So long,


    Gingerbreadwitch

  • ich kenne drei ring inszenierungen:


    1. wiener staatsoper
    die alte in der wiener staatsoper habe ich zwei mal gesehen. es dürfte sich wohl
    um die schenk-inszenierung handeln, da ich bei einem ersten ring überhaupt einen
    lachanfall unterdrücken musste, als ich die rheintöchter festgezurrt am ringelspiel
    durch die luft wirbeln sah. beim nächsten ring in der "gleichen" inszenierung war
    der prater-verschnitt verschwunden und eine plausible (leicht schräge) spiegelnde
    wasserfläche vorhanden.


    manche szenen haben mir sehr gut gefallen, blieben aber in der minderheit. für
    mich zeit, dass ein neuer ring kommt. freu mich schon sehr drauf.



    2. bayreuth - chereau ring
    kenne ich nur von video. gefällt mir besser als der wiener ring, aber bei weitem der
    beste, den ich bisher sah ist


    3. festspiele erl
    eine inszenierung auf einer breitwand-bühne ohne jede technik (keine
    versenkung, kein schnürboden, nicht einmal ein vorhang). das orchester
    sitzt samt dirigenten hinter der bühne, abgetrennt durch einen semi-
    transparenten vorhang.


    eine moderne, minimalistische (kein wunder ohne technik) umsetzung des
    mythos. für anhänger von wagners regie-anweisungen ganz sicher der
    leibhaftige weltuntergang. mich hat sie bisher am meisten beeindruckt.
    sicher auch dadurch hervorgerufen, dass ich diesen ring an vier aufeinenander
    abenden erleben durfte. in dieser geballtheit ist der ring wahrlich ein
    musikalisches monument.


    faun


    ps: erl ring 2004

    die kritik ist das psychogramm des kritikers (will quadflieg)

  • Hallo Knusperhexe,
    also hat Alberich bei Schenk doch Kiemen.
    Und wie erklärst Du Dir den mittels Dampf "rieselnden Bach"? Aber egal, ich merke, Schenk stößt zum Kern der "Tetralogie" vor... :hahahaha:


    ------------------------


    Hallo Faun,
    Wenn ich mich recht erinnere, war das an der Wiener Staatsoper nicht Schenk, sondern Karajan: Alles im Dunkeln, ausgeleuchtet von schwarzen Scheinwerfern.


    -------------------------


    Gehen wir nun ein wenig weiter.


    Im zweiten Bild sehen wir bei Chéreau (Bühnenbild übrigens Richard Peduzzi) einen Teil eines Palastes ("so groß, daß man ihn nicht komplett auf die Bühne bringen kann"). Die Götter, offenbar Bonvivants, sind am Ende einer Reise, gleich geht's ins ihnen entsprechende Domizil. Wenn da nur die Riesen nicht wären, die ihren Lohn fordern.
    Chéreau enthüllt hier, was er mit dem "Rheingold" vor hat: Ein Satyrspiel am Anfang. Eine Konversationskomödie, die eindunkelt und in die Tragödie übergeht.
    Die Riesen (ebenso wie später die Kröte und der Riesenwurm) werden als Taschenspielertricks kenntlich gemacht, aber ohne mit der Illusion völlig zu brechen ("Ich zeige Euch einen Trick - und er wirkt, dieser Trick!").
    Zur zentralen Figur wird Loge, der Meister der Manipulation. Wotan glaubt, ihn gebannt zu haben - aber auch das kann von Loge nur vorgetäuscht sein. Loge ist immer präsent. Er umtänzelt die Gestalten, übertreibt, unterspielt; ein Chef-Berater, der in Wirklichkeit selbst der Chef ist.


    Bei Schenk geht der Vorhang auf - und manch ein Zuschauer (wie z.B. ich selbst) kann sich des Lachens nicht erwehren: Auf eine Lava-Hochebene lagern die Götter, es können germanische sein, die einmal in ein Bilderbuch der griechischen Mythologie hineingeschaut haben, im Hintergrund hat Bühnenbildner Günther Schneider-Siemssen offenbar aus Basaltfelsen Walhalla auf eine Felsenspitze gebaut. Das schaut so lieb und nett und hübsch aus, wie man es von der Bebilderung eines Märchenbuchs erwartet.
    Mit Loges Auftritt endet das sich in großen Gesten erschöpfende Herumsteh-Theater Schenks. Und was macht Schenk mit Loge? - Er kupfert mitunter bis in die Details Chéreaus Personenregie ab. Wenn nur Loge nicht aussähe wie einem Fantasy-Film entsprungen... Aber auch die relativ mickrigen Riesen (wo bleibt die Illusion, der sich Schenk verschrieben hat?) dürften den "Star Wars"-Filmen entsprungen sein. Wenn dann Siegfried als Jedi-Ritter auftritt, sollte es mich jedenfalls nicht wundern. Aber das hat noch Zeit.


    Während Chéreau dann im dritten Bild zeigt, wie der Besitz von Kapital und Macht aus Alberich einen gnadenlosen Ausbeuter gemacht haben, fixiert sich Schenk auf die Tricks - und stellt einen Riesenwurm auf die Bühne, der tatsächlich abscheulich ist. In jeder Hinsicht. Und wenn er auch nicht so sehr erschreckt, martert er wenigstens das Zwerchfell. Die läppische Stoffkröte ist dann ein Bruch mit der Illusion und ein Fehler im Konzept Schenks - das aber ohnedies nicht existiert, weil ein Konzept ja des eigenen Nachdenkens bedurft hätte und nicht im Nachstellen von Regieanweisungen bestehen kann.


    Ist man zurück auf den Bergeshöhen, wechselt Chéreau die Perspektive: Zwar ist Alberich mittlerweile ein übler Geselle geworden, aber auch ihm geschieht Unrecht. Chéreau versteht genau, was Alberich sagt: "Wenn ich frevelte, so frevelte ich frei an mir" - die Götter aber freveln an Alberich: Loge verhöhnt ihn, Wotan setzt seinen Speer ein, um Alberich offenbar einen Finger abzutrennen und so an den Ring zu kommen. Der "Vertragsspeer" wird damit zum "Kampfspeer", das erste Blut ist vergossen, der Eskalation zu Totschlag und Mord der Weg bereitet.
    Daß die Nachtalben das Gold in Nylonsäcken heraufbringen, wurde seinerzeit mit einem Buhorkan quittiert - aber es ist ein kluger Kommentar zum Stellenwert, den das Gold für Alberich hat: Es wird gesammelt, verpackt, gehortet, aber es "arbeitet" nicht. Aktiv eingesetzt werden nur Ring und Tarnkappe (Gewalt und Verstellung), weshalb sich sowohl Alberich als später auch Wotan vom Goldschatz leichter trennt als von Tarnkappe und Ring.
    Fafners Mord an Fasolt, mit bloßen Händen ausgeführt, ist der Knackpunkt, bei dem aus der bösen Komödie die Tragödie wird.
    Erda ist bei Chéreau eine in Tücher gehüllte Seherin, sie kommt wie aus einer anderen Welt - bei Schenk wird es eine bis zum halben Körper im Boden steckende Frau sein; man kann da nur noch den Kopf schütteln.


    Überhaupt fällt es bei Schenk schwer zu erzählen, was passiert, weil im Grunde nichts passiert, zumindest nichts, was einer Interpretation gleichkommt oder eine Interpretation seitens des Zuschauers anregt: Es werden die Szenen entlang den Regieanweisungen nachgestellt, nur Loge ist in Bewegung.
    Besonders jämmerlich gerät Schenk der Einzug der Götter - weil er hier die Grenzen seiner Illusionsbühne schlagartig offenbart. So kann er zwar noch den unfaßbar kitschigen Regenbogen auf die Bühne bringen, aber daß die Götter über den Regenbogen nach Walhall einzögen, so wie's Wagner vorschreibt, schafft er nun doch wieder nicht. Also wird zuvor, beim Gesang der Rheintöchter, Platz gewonnen, um danach so langsam in Richtung Regenbogen schreiten zu können, daß der Vorhang fällt, ehe man sieht, daß die Götter an der Felskante einfach stehen bleiben müssen. Loge bleibt im Zentrum stehen - daß er, wie bei Chéreau, den Vorhang zuzieht, ist nur technisch nicht möglich, da der Vorhang von oben fällt - und damit das Schauspiel endlich gnädig verhüllt.


    Chéreau hingegen inszeniert den Einzug der Götter als Eröffnungsfeier mit der Enthüllung des Palastes - aber es ist auch ein Totentanz. Nur Wotan blickt noch nach vorne, schließlich hat er den Trick mit dem freien Helden, von dem er sich Rettung vor dem Untergang erhofft, seinen Mit-Göttern nicht enthüllt. Loge schließt sich nicht an - "Wer weiß, was ich tu'", sagt er. Vorerst zieht er grinsend den Vorhang zu. Wenn er sich in der "Walküre" wieder hebt, wird die Erzähltonlage Chéreaus, aber nicht sein interpretatorischer Ansatz, völlig anders sein.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    warum "beglückst" Du uns in diesem Thread wiederholt mit zur Allgemeingültigkeit erhobenen, sehr subjektiven Schilderungen? Du wählst derartig wertende Adjektive, dass man sich bei einer Werbeveranstaltung wähnt. Die Überschrift hätte wahrlich Spielraum für mehr Objektivität und weniger Polemik gelassen. Schade.


    Immerhin - ein kleiner Fortschritt - relativierst Du, dass lediglich "manch ein Zuschauer" diesen romantischen Ring zum Lachen findet. Viele lieben diese Inszenierung nämlich - aber, dass sind dann wohl die, die nicht "zum Kern der Tetralogie" vorstoßen?


    Viel Spaß bei der Verballhornung wünscht,



    Knusperhexe

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  • Hallo Knusperhexe,


    mit den Bildern sehe ich zwei Probleme:
    1) Ich finde weder von Schenk noch von Chéreau adäquate - also für beide Seiten in gleicher Auflösung und Farbe.
    2) Selbst wenn, dann ist das ein zweischneidiges Schwert, da ich über Deutungen spreche, nicht über Bühnenbilder. Bilder der Inszenierungen vermitteln aber primär das Aussehen der Bühnenbilder. Ich müßte also zu einer Gegenüberstellung Richard Peduzzi - Günther Schneider-Siemssen übergehen.


    Aber vielleicht bringt es ja doch ein bisschen - zumindest für jene, die die Inszenierungen überhaupt nicht gesehen haben. (Wenn andere Forianer entsprechendes Bildmaterial verfügen, bitte nicht abhalten lassen und es - auch entsprechend kommentiert - hereinstellen.)
    Hier also, was ich im Internet an aussagekräftigen Bildern zu dem Chéreau- und dem Schenk-"Rheingold" fand:



    Das also ist der berühmte Staudamm, der bleich darüberstehende Mond, der viel Atmosphäre beisteuerte, ist leider abgeschnitten. Kälte und Nässe dominieren im Bühnenbild. Das Gold leuchtet umso verlockender - zumal es auch im Trockenen liegt.



    Herzliche Grüße aus Nibelheim, Euer Otti. - Schenk und Schneider-Siemssen entwerfen eine Höhle eben so, wie man sich eine Höhle vorstellt. Weshalb sich der mittlerweile steinreiche, mit "maßloser Macht" ausgestattete Alberich freilich mit einer so unkomfortablen Behausung zufrieden geben sollte, wird nicht erklärt.



    Chéreaus Riesen sind ein suggestiver Taschenspieler-Trick (Turner tragen die Sänger). Die Illusion und deren Brechung finden gleichzeitig statt.



    Wir sitzen hier in Walhall und lassen's uns gut gehen. Beste Grüße, Euer Otti. Eine Postkarte, wie sie das Duo Schenk/Schneider-Siemssen von Walhall entwirft, Regenbogen inklusive. Ein Bühnenbild, das gerade durch den angestrebten Naturalismus künstlich und "kulissig" wirkt (der Übergang vom Bühnenboden zum Walhall-Felsen etwa ist ungelöst - hier wird die Kulisse störend als solche kenntlich). Anders als bei Chéreau, der ja dasTheater als Theater ausgibt und symbolhafte Zeichen setzt, versucht Schenk das Theater als Natur auszugeben - und muß an dieser Unmöglichkeit ganz zwangsläufig scheitern.


    :hello:


    P.S.:

    Zitat

    Viel Spaß bei der Verballhornung wünscht...


    Also, ich kann nicht behaupten, daß mir Schenks Verballhornung gar so viel Spaß gemacht hätte. Sie hat mich eher gelangweilt.

    ...

  • Hallo Edwin,


    Danke für die Mühe, aber leider kann ich nun gerade die Bilder Deines heiß verehrten "Otti" nicht sehen, sie sind auf meinem Rechner nicht dargestellt (dafür putzige Fragezeichen). Schade, denn diese Inszenierung kenne ich nicht. Die Bilder von Cherau wiederum kann ich sehr gut sehen (das wird doch keine Absicht sein :D).


    Tatsächlich kenne ich nur den Chereau-Ring auch optisch, andere bislang nur von CD. Und ich muss gestehen, dass mir Chereau namentlich auch wegen des Bühnenbilds zusagt. Ich befürchte allerdings auch, dass auch der Ring viel Raum für Peinlichkeiten in der optischen Umsetzung lässt.


    :hello:


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo Edwin,


    einige Ausschnitte des Chereau/Boulez-Ringes sind auch auf youtube verfügbar (Stichworte Chereau, Wagner), desgleichen auch Clips von der Schenkschen "Inszenierung" aus New York. Man kann z.B. einen direkten Vergleich anstellen beim 1. Akt Siegfried in der Frageszene Mime-Wotan. Wo James Morris in New York bräsig-gemütlich eine kleine Fragestunde an Amboss und Esse abhält, wird bei Chereau durch das Agieren der Personen sofort klar, dass Mime in einer Falle sitzt und es für ihn um Leben und Tod geht.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Lohengrins,

    Zitat

    Danke für die Mühe, aber leider kann ich nun gerade die Bilder Deines heiß verehrten "Otti" nicht sehen, sie sind auf meinem Rechner nicht dargestellt (dafür putzige Fragezeichen).


    Zuerst waren sie gut sichtbar, jetzt sind bei mir auch die Fragezeichen weg. (Nicht, daß es erheblich stören würde, die Bilder des Schenk-"Rings" nicht zu sehen...) :D


    Frage an die Moderation: Hat etwas mit der Eingabe nicht gestimmt - oder wurden die Bilder aus etwaigen rechtlichen Gründen entfernt?
    Wenn letzteres zutrifft, bitte auch die Bildtexte entfernen, die lauten:

    Zitat

    Herzliche Grüße aus Nibelheim, Euer Otti. - Schenk und Schneider-Siemssen entwerfen eine Höhle eben so, wie man sich eine Höhle vorstellt. Weshalb sich der mittlerweile steinreiche, mit "maßloser Macht" ausgestattete Alberich freilich mit einer so unkomfortablen Behausung zufrieden geben sollte, wird nicht erklärt.


    und

    Zitat

    Wir sitzen hier in Walhall und lassen's uns gut gehen. Beste Grüße, Euer Otti. Eine Postkarte, wie sie das Duo Schenk/Schneider-Siemssen von Walhall entwirft, Regenbogen inklusive. Ein Bühnenbild, das gerade durch den angestrebten Naturalismus künstlich und "kulissig" wirkt (der Übergang vom Bühnenboden zum Walhall-Felsen etwa ist ungelöst - hier wird die Kulisse störend als solche kenntlich). Anders als bei Chéreau, der ja dasTheater als Theater ausgibt und symbolhafte Zeichen setzt, versucht Schenk das Theater als Natur auszugeben - und muß an dieser Unmöglichkeit ganz zwangsläufig scheitern.


    Diese Bildtexte sind ohne die entsprechenden Bilder sinnlos.


    --------------------------------


    Hallo Giselher,
    danke für den Tip - war mir nicht bekannt. Absolut empfehlenswert, da man auch den Unterschied in der Bewegungsregie sieht!


    :hello:

    ...

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  • Kommen wir nun zum ersten Akt der "Walküre".
    Wir sehen bei Otto Schenk eine aus dicken Brettern zusammengezimmerte Bude, ziemlich schlecht ausgeleuchtet. Hunding und Siegmund sind angezogen, wie man es von Illustrationen deutscher Heldensagen kennt, Sieglinde dürfte in ein Magazin mit der modernsten griechischen Mode hineingelinst und sich im Versand allerhand bestellt haben.
    Unverständlich im Rahmen einer um jeden Preis naturalistischen Inszenierung ist mir, wie diese Sieglinde und dieser Siegmund ein Zwillingspaar sein können - aber sei's drum, vielleicht ist das ja auch eine Art Interpretation auf Schenk'scher Basis.


    Was dabei erstaunlich ist: Schenk (bzw. seine Befürworter) behauptet (bzw. behaupten), er inszeniere Wagners Regieanweisungen.
    Ein Blick in die Partitur lehrt jedoch: Schenk ist weiter davon weg als Chéreau.
    Während Chéreau nämlich tatsächlich Wagners Regieanweisungen als Basis nimmt und sie interpretierend ausgestaltet (quasi das Skelett der Regieanweisungen mit dem Fleisch von Psychologie und Poesie umgibt), ignoriert Schenk nahezu 50 Prozent dessen, was Wagner schreibt - und setzt an die Stelle: Das Nichts.
    Soll heißen: Wagner fordert Bewegung. Schenk inszeniert Herumstehen.
    Wagner fordert einen Blick Sieglindes zu Siegmund. Schenk inszeniert unverändertes Starren ins Publikum. Wagner fordert schnelle, heftige Aktion. Schenk inszeniert gemächliches Herumgehen - im besten Fall. Meistens bleibt es sowieso beim Stehen und Händeringen.


    Den anderen Interpretationsansatz Chéreaus signalisiert freilich schon das Bühnenbild. Bei Chérau ist Hunding als ein (kleinerer) Potentat ausgewiesen, ein Vertreter des Kapitals. Er hat "Männer" - vielleicht eine Art Leibwache, die den zwielichtigen Geschäftsmann beschützen soll und wohl auch eine Art Killerkommando ist.


    Siegmund wird als Eindringling in diese Welt kenntlich gemacht.


    Vom ersten Moment an fiebert Sieglinde einem besonderen Ereignis entgegen. Die Nacht in eigentümlich fahlem schwarz wird von Blitzen erhellt, in geschützten Hof der Hunding-Residenz hat sich der Kerl die Überreste einer Esche gestellt - eine seltsame Art Museumsstück, aber typisch für einen, der halt genug Geld hat, seinen Sammler-Marotten nachzugehen.


    Das Spiel zwischen Sieglinde und Siegmund wird von Chéreau mit größter Zärtlichkeit ausgeführt und steigert sich in eine finale Ekstase, wie sie ja in der Musik gespiegelt ist.


    Hunding agiert in scheinbarer Überlegenheit aus der Position des vermeintlich Stärkeren, er hat für seine Frau und für Siegmund nur Verachtung über.


    Wiederum führt Chéreau seine Figuren individuell, er läßt sie quasi aus der Kenntnis ihrer vorangegangenen Biografie agieren. Bei Schenk hingegen stehen Typen auf der Bühne: Der Tenor-Held, die Sopran-Heldin, der Baß-Bösewicht.


    Nicht übersehen bzw. überhören darf man freilich auch das Dirigat: Vom ersten Moment an präsentiert James Levine eine Gangart, die der Otto Schenks entspricht: Antiintellektuell, willkürlich langsam und schwerfällig - so soll offenbar die Zeit von Furtwängler und Knappertsbusch wiederbeschworen werden. Aber nicht aus eignem Interpretationsansatz, sondern aus einem Nachdirigieren dessen, was Furtwängler und Knappertsbusch geleistet haben.
    Pierre Boulez hingegen zeigt von Beginn an mit einem grandiosen Spiel von Crescendi und Decrescendi, mit präzisem Einsatz von Gegenstimmen und einem permanenten Hin- und Herschalten zwischen Klanghintergrund und Klangvordergrund, daß Wagner nicht ein müder letzter Romantiker war, sondern ein Pionier der Neuen Musik.


    Der erste Akt der MET-"Walküre" ist somit eine geschlossene Leistung - als müder, oft langweiliger Blick in die Vergangenheit, wo sie am verstaubtesten ist.
    Der erste Akt der Bayreuther Jahrhundertring-Walküre hingegen ist als spannendes Psychogramm von Personen in einer durch einen gesellschaftspolitischen Hintergrund bedingten Ausnahme-Situation von bleibender Aktualität.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    nichts gegen deinen sicher von Fachkenntnis geprägten Standpunkt zu Schenks und Chereaus Zugängen zu Wagner. Allerdings finde ich deine Schwarzweiß-Malerei hier ein wenig langweilig. Chereau, der Evangelist, der uns die tiefere Wahrheit um den Ring verkündigt, besser als Wagner sie selbst wissen konnte - auf der anderen Seite Schenk, der geistlose, kitschierende Kulissenschieber. Ich kenne Schenks Ring jetzt nicht, aber Chereau (via Kinovorführung) fand ich irgendwie unspektakulär, seine damals offenbar so provokanten Einfälle mit dem Staudamm und dem von Bühnenarbeitern gezogenen Drachen berühren mich in keiner Weise. Und mit dem zugrundeliegenden Neomarxismus der 68er Generation kann ich schon mal gar nichts anfangen.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von Draugur
    Hallo Edwin,


    nichts gegen deinen sicher von Fachkenntnis geprägten Standpunkt zu Schenks und Chereaus Zugängen zu Wagner. Allerdings finde ich deine Schwarzweiß-Malerei hier ein wenig langweilig.



    Ein herzliches Danke an Draugur!


    Zitat

    Original von Draugur
    Und mit dem zugrundeliegenden Neomarxismus der 68er Generation kann ich schon mal gar nichts anfangen.


    Und nochmal: Herzlichen Dank Draugur!!!!!!!


    :hello:
    aus Köln

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Antiintellektuell


    Was genau heißt das in Bezug auf Musik von Richard Wagner (oder Musik allgemein)?

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...

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  • Also, ich möchte die Diskussion in diesem Thread noch mal etwas anfachen mit einem Einfall, der mir gestern Abend gekommen ist:


    Ihr werft uns Staubis doch immer vor, wir würden uns viel zu sehr auf Äußerlichkeiten, sprich auf die Kostüme und das Bühnenbild beziehen. Ich habe diesen Vorwurf nie ganz verstanden, da dies für mich die Komponenten sind, die einen Opernbesuch rundmachen.


    Aber sei's drum, wie sähe es denn jetzt aus, wenn die Personenregie Chereaus in die Szenerie eines Schneider-Siemssen verlegt würde? Abgesehen von den Bordsteinschwalben am Staudamm und dem Kulissendrachen auf Rädern ließe sich das meiner Meinung nach machen. Nur was bliebe dann übrig? Wären die Unterschiede zu Schenks Regie wirklich so gravierend? :untertauch:


    Oder ist es vielleicht doch eher so, dass der o.g. Vorwurf ebenfalls für's Regietheater gilt bzw. vielleicht ist es gar kein Vorwurf sondern eine für beide Seiten zu akzeptierende Tatsache...


    Hojotjohe,


    Knuspi

  • Zitat

    Zitat Knusperhexe
    Wären die Unterschiede zu Schenks Regie wirklich so gravierend?


    In einem Fall nicht: In dem des Loge. Der Grund: Schenk kupfert Chéreaus Personenregie 1:1 ab. Oder er läßt Siegfried Jerusalem einfach das nachspielen, was er bei der Chéreau-Regie mitbekommen hat. Jerusalem war ja als Froh dabei und konnte sich wahrscheinlich an einige Details dessen, was Zednik gemacht hat, erinnern.


    Sonst ist die Regie nicht austauschbar.


    Drehen wir's doch einfach um, stellen wir uns Schenks Regie in Peduzzis Bühnenbild vor: Es haut nicht hin.


    Warum nicht? - Weil Chéreaus Regie auf eine ganz spezifische Bewegung abzielt, auf einen permanenten Rhythmuswechsel, auf ein Spannungsverhältnis, das mit kleinen Gesten unendlich viel aussagt über die Relationen der Personen untereinander.
    Natürlich wäre es möglich, diese Regie in ein konservatives Bühnenbild zu stellen, aber es liefe dann ein Riß durch die Aufführung. Die detaillierten, filmisch präzisen Bewegungsabläufe wären in einem konservativen Bühnenbild wenn schon nicht deplaciert, so doch zumindest seltsam.


    Umgekehrt geht meiner Meinung nach durch die Schenk-Inszenierung keineswegs ein Bruch, sie ist bis in die Einzelheiten die gute alte Operninszenierung, die ich so maßlos langweilig finde: Das Bühnenbild ist keineswegs naturalistisch, sondern in seiner Vortäuschung der Natur in höchstem Maße künstlich, und die Bewegungsregie beschränkt sich auf pathetische Gesten, ist statisch und zwischen den Figuren beziehungslos.


    Mein Hauptvorwurf an Schenk ist dabei nicht, daß er konservativ inszeniert, sondern daß er im Grunde nicht inszeniert, also das Werk nicht zu szenischem Leben erweckt, sondern quasi Regieanweisungen mit lebenden Figurinen nachstellt.


    Genau das ist für mich der gravierende Unterschied zu Chéreau, der Pathos sehr gezielt einsetzt und sonst dem Publikum die Gestalten Wagners als Menschen nahebringt.


    :hello:

    ...

  • Hallo Draugur,

    Zitat

    Ich kenne Schenks Ring jetzt nicht,


    was für Dich eine Basis ist, mein Urteil zu hinterfragen. Nun ja,... :wacky:

    Zitat

    Und mit dem zugrundeliegenden Neomarxismus der 68er Generation kann ich schon mal gar nichts anfangen.


    Da scheinst Du allerdings auch Chéreaus "Ring"-Inszenierung wohl gesehen zu haben, dürftest sie aber nicht kennen.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Hallo Draugur,


    was für Dich eine Basis ist, mein Urteil zu hinterfragen. Nun ja,...


    Eine Basis, deine ungebrochene polemische Schwarz-weiß-Polarisierung zwischen Schenk und Chéreau zu hinterfragen, gibt es auch ohne Kenntnis der Schenk-Inszenierung. Wenn mir z. B. jemand erzählt, alle Russen sind böse, dann glaube ich das nicht, auch wenn ich noch nie in Russland war.


    Zitat


    Da scheinst Du allerdings auch Chéreaus "Ring"-Inszenierung wohl gesehen zu haben, dürftest sie aber nicht kennen


    Ich finde es nicht gerade fernliegend, eine auf die Kritik an Industrialisierung und Kapitalismus hin gestrickte Inszenierung Mitte der 70er Jahre mit Neomarxismus in Verbindung zu bringen.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Hallo Draugur,

    Zitat

    Wenn mir z. B. jemand erzählt, alle Russen sind böse, dann glaube ich das nicht, auch wenn ich noch nie in Russland war.


    Konsequent weitergedacht: Und wenn Dir jemand erzählt, der Biß einer Kobra sei eher ungesund, glaubst Du es wohl auch nicht, obwohl Du noch nie gebissen wurdest.
    Soll heißen: Weder böse Russen noch ungiftige Kobras sind adäquate Beispiele dafür, daß Du meine Ausführungen zu einer Inszenierung einfach als falsch wertest, ohne die Inszenierung gesehen zu haben.
    Ich halte Dir Deine Ehrlichkeit zugute, daß Du das offen zugibst - aber eine Diskussion auf sachlicher Ebene ist da natürlich relativ schwierig.
    Vielleicht solltest Du Dir die Inszenierungen, über die Du diskutieren willst, wenigstens einmal anschauen.


    Zitat

    Ich finde es nicht gerade fernliegend, eine auf die Kritik an Industrialisierung und Kapitalismus hin gestrickte Inszenierung Mitte der 70er Jahre mit Neomarxismus in Verbindung zu bringen.


    Wenn man Chéreaus Inszenierung zu wenig kennt, glaubt man halt, mit solchen wenig stichhaltigen Gemeinplätzen weiterzukommen.
    Gold galt übrigens bei den Germanen als Ursache von Unglück - waren jetzt die Germanen jetzt 68er, Protokommunisten, Frühsozialisten oder einfach nur studentische Ruhestörer?


    :hello:

    ...

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Konsequent weitergedacht: Und wenn Dir jemand erzählt, der Biß einer Kobra sei eher ungesund, glaubst Du es wohl auch nicht, obwohl Du noch nie gebissen wurdest.


    Naja, immer schön Naturwissenschaft und Kunstempfinden auseinanderhalten :D


    Zitat

    Soll heißen: Weder böse Russen noch ungiftige Kobras sind adäquate Beispiele dafür, daß Du meine Ausführungen zu einer Inszenierung einfach als falsch wertest, ohne die Inszenierung gesehen zu haben


    Als falsch habe ich deine Ausführungen gar nicht werten wollen. So ein Begriff ist m. E. auch bei Fragen der Ästhetik nicht richtig am Platz. Es ist nur so, dass mir Schwarzweißmalerei grundsätzlich etwas fragwürdig erscheint. Vor allem vor dem Hintergrund, dass mich Chéreau nicht sonderlich beeindruckt hat.


    Zitat


    Gold galt übrigens bei den Germanen als Ursache von Unglück - waren jetzt die Germanen jetzt 68er, Protokommunisten, Frühsozialisten oder einfach nur studentische Ruhestörer?


    Stichwort Marxismus:
    Du schreibst weiter oben doch selbst, dass im Rahmen seiner Inszenierung "Chéreau dann im dritten Bild zeigt, wie der Besitz von Kapital und Macht aus Alberich einen gnadenlosen Ausbeuter gemacht haben". Oder weiter unten: "Bei Chérau ist Hunding als ein (kleinerer) Potentat ausgewiesen, ein Vertreter des Kapitals."


    Dass die Gullveig-Geschichte der germanischen Mythologie das Gold - in seiner Funktion als Besitzgut - in Personifikation einer verführerischen Frau als Einbruch des Bösen zeigt (nachdem das Gold vorher als nett anzusehendes Spielzeug gehandhabt wurde) ist mir bekannt. Ist das jedoch eine Basis für Chéreaus Regiearbeit? Oder doch eher der Mann mit den vier Buchstaben (der damals etwas bekannter gewesen sein dürfte)?

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Zitat

    Original von Draugur
    Ist das jedoch eine Basis für Chéreaus Regiearbeit? Oder doch eher der Mann mit den vier Buchstaben(der damals etwas bekannter gewesen sein dürfte)?


    George Bernard SHAW? :D


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Und Shaw ist jetzt der Führer der 68er-Studentenunruhen? :wacky:
    Meine Verwirrung steigert sich. ?(
    Jetzt muß ich doch glatt meine Kobra fragen, ob die Russen nun böse Menschen sind. :hahahaha:
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von GiselherHH


    George Bernard SHAW? :D


    Der von mir aus auch.


    Zitat

    Jetzt muß ich doch glatt meine Kobra fragen, ob die Russen nun böse Menschen sind.


    Tu das! Sie wird allerdings vermutlich zubeißen, da die neomarxistischen Giftschlangen unter der Leitung von G. B. Shaw mit den bösen Russen kooperieren.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)