Das künstlerische Credo von Interpreten

  • Liebe Taminoianer,


    Gestern, beim Lesen des hochinteressanten Artikels über Roger Norrington im fono-forum 1/2005 kam mir die Idee zu diesem Thread.


    Ich stellte mir nämlich die Frage, inwieweit man eine Interpretation, sei sie nun live oder eine CD anders beurteilt, wenn man das künstlerische Credo des Interpreten kennt.
    Bedarf eine Interpretation der Erklärung ? Oder muß sie ganz allein für sich sprechen, ohne jede "Philosophie" im Hintergrund. Kommt man dem Interpreten und seiner Auffassung näher, wenn man seine Zielsetzung, seine Schwerpunkte, seine Zu- und Abneigungen kennt?
    Klingt es dann auch wirklich besser ? Oder interessiert Euch sowas generell nicht, ihr lasst dann das Ergebnis für sich selbst sprechen ?


    Ist es ein schlechtes Zeichen, wenn eine Darbietung erst ideologisch untermauert werden muß um zu gefallen ? Oder ist es - im Gegenteil ein notwendiger Vorgang, um in den vollen Genuss zu kommen ?


    Fragen über Fragen.....


    Wer will kann drüber grübeln und sich äußern ;)



    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Soweit mir bekannt, gibt es seitens der Künstler dazu unterschiedlichste haltungen.
    Erstens : eine Clara Haskil hat sich immer geweigert zu unterrichten. Sie könne über Werke nicht sprechen und deswegen auch nichts weitergeben.


    Zweitens: ein Brendel schreibt tiefsinnige Betrachtungen. Ebenso ein Harnoncourt und ein Fischer-Dieskau. Liest man diese, versteht man die interpretatorischen Ansätze, die Verwendung von bestimmten Instrumenten oder bestimmten Notenausgaben besser. Ob einem dann die Interpretation gefällt, ist noch eine ganz andere Sache. Ich mochte zB den intellektuellen Zugang Brendels zu Mozart nicht sonderlich. Haskil, die nichts erklären konnte, spielte aus ihrem intuitiven Wissen und ihrer Lebenserfahrung. Auf diese Weise haben ihre Interpretationen einen hohen Grad an Natürlichkeit.


    Drittens gibt es Intellektuelle wie Gould, bei denen man sehr vorsichtig sein muss,ob das, was sie schreiben, nicht eine Veräppelung darstellt. Gould hat zB die Texte seiner Platten und teilweise Kritiken selbst geschrieben ( so wie er bei Fernsehsendungen das gesamte Manuskript festgelegt hat- auch die Fragen, die an ihn gerichtet waren- Kontrollzwang).Überdies hat Gould gerne Formulierungen gewählt, die mindestens so provozierend waren wie sein Klavierspiel, wie Mozart sei zu spät gestorben und Beethoven habe doch recht primitive Stücke geschrieben. Wenn man dann seinen Beethoven hört, denkt man zuerst, der will durch sein Spiel beweisen, dass er mit seiner Meinung über Beethoven recht hat. Aber je öfter man Gould hört,desto überzeugender werden die Deutungen, sei es nun die extrem langsame Appassionata oder die durchraste op. 111-


    Meine ersten Überlegungen sind. Ich lese gerne Äußerungen von Interpreten und muss diese dann einordnen und die musikalische Darbietung steht ohnehin auf einem anderen Blatt.

  • Bei CD-Aufnahmen nehme ich das Privileg in Anspruch, als Mann angeblich nicht zwei Dinge gleichzeitig machen zu können: Ich höre nur und lese nur nach dem Hören. Manchmal zwingt mich das zu einem zweiten Hören, manchmal bin ich stolz, weil meine Eindrücke schriftlich bestätigt werden, manchmal muss ich lachen, weil da von den Künstlern oft Käse geschrieben oder gesagt wird, der in den Aufnahmen dann gar nicht präsent war (zumindest bei mir). Vorher zu lesen halte ich für nicht ratsam, da ich glaube, dass man dadurch voreingenommen wird. Bei Konzerten ist das etwas anderes. Zumindest soweit ich das bisher mitbekommen habe. In der Tonhalle in Zürich machen sie zum Beispiel oft ein kleines Einführungs-Vor-Konzert, zum Teil mit ganz anderen Stücken, die aber einen Bezug zum Hauptkonzert haben (thematisch, musikalische, biographisch). Norringtons einleitende Worte bei seinem Stuttgarter Beethoven-Zyklus fand ich auch ok. Da hat er nicht explixit versucht, seinen Weg als den goldenen herauszuheben, sondern hat das Publikum auf Besonderheiten in den Kompositionen hingewiesen. Fand ich sehr schön, vielleicht war ich aber auch nur voreingenommen ;)

    Gruß,
    Gerrit

  • Morgen,


    wenn denn einer über ein Etwas verfügt, was ein Credo ist, dann kann derjenige gar nicht anders (kreativ sein, d.h. Sinn erzeugen). Für den Fall, dass er doch situativ in Nöte geraten könnte, sagte derjenige eher ab. Blendet ein Hörer das Credo des jeweiligen Musikers ab, bleibt der Hörer der Rezeption etwas schuldig, und zwar schon auf der Stufe der expliziten Rezeption (was durch die Textur gesetzt ist; implizite Rezeption: was durch den Rezipienten ergänzt wird). Wenn Credo, dann nicht ohne Credo. - Analogie: Um Hegel zu verstehen muss einer schon Hegel verstehen wollen.


    Claudio Arrau hatte ein Credo, Wilhelm Furtwängler hatte ein Credo, Ernest Ansermet hatte ein Credo. - Ach ja: Ironie ist kein Credo (Gould).


    MfG
    Albus

  • Ich sehe grade, daß sich hier bis jetzt noch nicht allzuviele geäussert haben, aber inzwischen hat das Forum ca 40 oder 45 Mitglieder dazubekommen....


    Die Frage ist ja auch noch, ob der Künstler überhaupt ein "Credo" bezüglich eines Werkes braucht, man dar nicht vergessen, daß durch solche Fixierungen auch zahlreiche Missdeutungen und Verballhonungen von Werken entstanden sind.


    Welche (heutigen) Interpreten (lassen wir die Dirigenten aus dem Spiel, die haben grade einen eigenen Thread zu einem ähnlichen Threma) haben überhaupt noch ein "Credo" ?


    Oder ist die Zielsetzung eine möglichst neutrale Wiedergabe des Notentextes (manche meinen dies wäre langweilig, andere wierderum bestehen darauf) ohne allzuviele Beifügungen von persönlichem Geschmack ? (ganz vermeiden lässt sich das ohnedies nicht)


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich behaupte mal: Stimmt die Intention des Künstlers bei seiner Interpretation mit Aspekten der Persönlichkeit des Zuhörers überein, dann wird der Zuhörer die Interpretation auf Anhieb verstehen und auch als gelungen empfinden. Und dann wird es auch unnötig sein, das Ganze erklären zu müssen. Nun gibt´s aber verschiedene Persönlichkeiten (Gott sein dank) und da mögen viele nicht über die Verwandtschaft im Geiste mit dem Künstler verfügen. Für diesen Hörerkreis halte ich Erläuterungen für sehr nützlich, ja sogar notwendig.


    Eine neutrale Wiedergabe des Notentextes ist meiner Meinung nach ein Ding der Unmöglichkeit.


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Hallo,


    ich glaube, daß der Zustand des 'Credo'-Seins, des unbedingten Glaubens, einer Künstlerseele zuwider ist.


    Eine Art 'Ecriture Automatique' bemächtigt sich des Künstlers und bringt den Hörer zum Fliegen.


    Gruß,
    Oliver

  • Hallo Taminos!


    Bin frisch registriert und möchte mich kurz vorstellen.
    Ich heiße Thomas, bin 23 und komme aus Regensburg. Im Gegensatz zu den meisten hier im Forum bin ich leider keiner, der über eine breite Kenntnis von Werken und Interpretationen verfügt, doch ich hoffe, ihr könnt mich da ein bisschen bereichern :]
    Seit meinem 4. Lebensjahr spiele ich Klavier, meine aktivste Zeit liegt jedoch schon hinter mir, da ich neben dem Studium nicht mehr allzu viel Zeit zum Musik machen finde ;( Zu meinen aktuellen Lieblingskomponisten zählen Prokofiev und Korngold, aber auch Bach hat es mir momentan sehr angetan.



    Nun zum Thema:


    Meiner Meinung nach sollte sich der Interpret nur auf den Text und die Anweisungen des Komponisten (z.B. Tempo, Pausen, exaktes Pedal!!!) konzentrieren und alles genau so umsetzen, wie es das Papier hergibt. Innerhalb des Spielraumes, den man jetzt als Interpret noch hat, sollte man des Zeitgeistes und vor allem des "vermuteten Willen" des Komponisten gerecht werden. Klar, dass das praktisch unmöglich ist - man kann ja nicht in den Komponisten hineinschauen, aber man sollte es wenigstens versuchen ;)
    Der persönliche Geschmack hat in einer Interpretation nichts verloren. Ich weiß schon...ist eine recht radikale Ansicht, aber ich habe mich schon zu oft schwarz geärgert über Interpreten, die in ihrem Selbstverwirklichungs-Wahn glauben, sie müssten den Stücken so sehr ihren Stempel aufdrücken, dass am Schluss von der Idee des Komponisten nicht mehr viel da ist.


    Freundliche Grüße aus Regensburg,
    Thomas

  • Zitat

    [i]
    Der persönliche Geschmack hat in einer Interpretation nichts verloren. Ich weiß schon...ist eine recht radikale Ansicht, aber ich habe mich schon zu oft schwarz geärgert über Interpreten, die in ihrem Selbstverwirklichungs-Wahn glauben, sie müssten den Stücken so sehr ihren Stempel aufdrücken, dass am Schluss von der Idee des Komponisten nicht mehr viel da ist.


    Hallo Thomas,


    diese Diskussion tobt hier des öfteren, ich möchte nur dazu anmerken, dass interptetieren bedeutet, die Dinge zu deuten und auszulegen, was sehr wohl eine zutiefst subjektive Sache ist. Jeden Versuch davon sollte man für sich betrachten und dann beurteilen. Ich z.B. weiß sehr wohl, warum Roger Norrington die Musik so angeht, wie er es tut und kann seine Herangehensweise zwar zum Teil nachvollziehen, nur will sich eine Freude beim Hören nicht recht einstellen. Was er in der Theorie manchmal schlüssig anhört, klingt dann in der Realität in meinen Ohren nicht immer zwingend. Da hat jeder seine liebgewonnen Hörgewohnheiten, denn auch das Hören ist eine subjektive Angewohnheit. Was nicht heißt, diese immer wieder infrage zustellen und zu erweitern.


    Was Alfreds Ausgangsfrage angeht, fällt mir just ein Beispiel aus der Bildenden Kunst ein: Vor einigen Monaten war ich in der Kunsthalle in Bonn, wo in einer kleinen Glasvitrine ein gewöhnlicher Holzspielzeug-Zug stand. Das dazugehörige Schildchen wies Joseph Beuys als Künstler aus. Meine Begleiter und Begleiterinnen hatten nicht viel mehr als ein Grinsen oder Kopfschütteln übrig, was verständlich ist. Wenn man sich aber lange Jahre theoretisch mit dem Werk Beuys' befasst hat, macht auch dieses Züglein einen Sinn und hat eine ganz bestimmte Funktion im weitverstreuten Oevre des Mannes. Insofern war es mir eine Freude, diese Mosaiksteinchen seines Schaffens zu sehen. Wohlgemerkt nicht, weil es an sich ein kunstvoll gestaltetes Objekt war, sondern weil es ein Teil eines Puzzles ist, was man sich nur theoretisch aneignen kann. Wäre das Teil einem anderen Künstler zugeordnet gewesen, hätte ich wahrscheinlci auch gedacht: Was soll denn der blöde Zug da?!


    Nun kann man wahrlich nicht über alles und jeden profunde theoretische Kenntnisse haben und be- und verurteilt schnell die Heransgehensweise von Künstlern, Musikern usw. Im Grunde denke ich, der ästhetische Reiz sollte sich gleich und unmittelbar erschließen, dennoch entziehen sich manche Dinge einem solch schnellen Urteil, da der theoretische Überbau es zumindest wert ist, sich damit zu befassen. Der schnelle und unmittelbare Kick ist in meinen Augen und Ohren nicht das eigentliche Wesen der Kunst. Deshalb sollte man sich bemühen, sich mit verschiedenen Herangehensweisen zu beschäftigen. Ich jedenfalls bin froh darüber, ein anderes Ohr und Auge zu haben, als noch vor 5 Jahren und weider ein anderes als vor 10 Jahren.


    Liebe Grüße
    B.

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  • Zitat

    Original von Barbirolli
    diese Diskussion tobt hier des öfteren, ich möchte nur dazu anmerken, dass interptetieren bedeutet, die Dinge zu deuten und auszulegen, was sehr wohl eine zutiefst subjektive Sache ist.


    Salut,


    ja und genau an der Deutung und Auslegung scheiden die Geister... Der Interpret im herkömmlichen Sinne ist eigentlich "nur" [unter dem Vorbehalt höchster Künste!] Vermittler zwischen Komponist und Publikum. Die Unterwürfigkeit vor dem Werk und dem Komponisten ist schon lange in Vergessenheit geraten. Man hat entdeckt, dass man Werke "benutzen" kann, um sich selbst hinaufzukatapultieren. Ich lgaube, es gibt irgendwo im 18. Jahrundert - wohl eher gegen Ende - eine ganz natürlich entstandene Grenze, ab der nun wirklich tiefsinnig "interpretiert" [d.h. in dem Fall eigensinnig ausgelegt] werden muss bzw. darf - vorher eher nicht.


    Um an Alfreds Fragestellung anzuknüpfen: Grundsätzlich finde ich, dass ein musikalisches Werk aus sich selbst spricht. Das wird aber verstärkt, wenn die Interpreten sich auf den Willen/Wunsch des Komponisten bzw. auf das Werk einlassen. Dann wird alles ein Ganzes. Klanginstallationen, für die ich erst Studieren muß um zu kapieren, was der Kryptiker da gerade meint, interessieren mich eher selten - eine nette Nebenbeschäftigung, mehr nicht. Je mehr ich mich der Musik als solches hingebe, desto mehr verstehe ich sie auch ohne Anleitung. Trifft natürlich ein musiklaischer Kryptiker auf ein solches Werk, ist das ebenso perfekt.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Ich lgaube, es gibt irgendwo im 18. Jahrundert - wohl eher gegen Ende - eine ganz natürlich entstandene Grenze, ab der nun wirklich tiefsinnig "interpretiert" [d.h. in dem Fall eigensinnig ausgelegt] werden muss bzw. darf - vorher eher nicht.


    Wieso? Die Intentionen der Komponisten wurden vor Beethoven nie so genau festgelegt, wie er es tat. Schönberg und Stockhausen stehen in der Genauigkeit der Fixierung, was sie wollen, hinter Beethoven nicht zurück. Da gibt es kaum Spielraum der Interpretation - eigentlich im Gegensatz zu Barockwerken, die einiges freilassen.

  • Zitat

    Original von Ulli


    ja und genau an der Deutung und Auslegung scheiden die Geister... Der Interpret im herkömmlichen Sinne ist eigentlich "nur" [unter dem Vorbehalt höchster Künste!] Vermittler zwischen Komponist und Publikum. Die Unterwürfigkeit vor dem Werk und dem Komponisten ist schon lange in Vergessenheit geraten.


    Häh? Die "Unterwürfigkeit" vor dem Werk oder dem Komponisten ist irgendwann, wohl erst Mitte/Ende des 19. Jhds. erfunden worden, vorher war sie völlig unbekannt (hängt vielleicht mit dem Charakter einer Ersatzreligion zusammen, die die Kunst im Laufe des 19. Jhds. gewann). Das HIP des 21. Jhds. kann sehr plausibel als vorläufiger Endpunkt dieser Entwicklung angesehen werden.


    Auf die Gefahr mich zu wiederholen, offene Türen einzurennen, oder zu verärgern: Der Komponist ist (i.d.R.) tot, seine Intentionen kennen wir nicht (er hat meistens auch seine Intentionen nicht zusätzlich zu dem Werk niedergelegt). Außerdem ist ein Kunstwerk fast immer "mehr" als sein Schöpfer hineingelegt hat; es enthält Deutungsmöglichkeiten, die dem Komponisten weder bewußt noch unbewußt waren. Aber im Falle von ("performativen") Künsten wie Musik, Tanz, Theater usw., die aufgeführt werden müssen, gibt es kein Werk unabhängig von einer konkreten Aufführung. Musik, die niemals erklungen ist, ist, wenn überhaupt, nur in einem sehr abgeleiteten Sinne Musik. Denn historisch, und m.E auch systematisch, steht eine Praxis des öffentlichen Musizierens, in der es weder Komponisten, Notation noch "Werke" im modernen Sinn gibt, am Anfang aller Musik. "Musik" im Kopf, auf dem Papier usw. gibt es immer erst in Abhängigkeit von einer solchen Praxis, ganz analog dazu, dass Sprechen und Verstehen vor Denken und Schreiben kommt.
    Daher ist ein Interpret nicht bloß so etwas wie ein Vorleser eines Textes, sondern er gibt dem Werk erst volle Wirklichkeit. Musik ist kein ewiger Text, sondern ein flüchtiges klangliches Geschehen, das einen Musiker benötigt, der es hervorbringt. Die Musik kann nicht für sich selbst sprechen, sie braucht die Stimmen von Menschen.


    (Wer eine UB in der Nähe hat, dem empfehle ich mal in R. Taruskin, "Text and Act", Oxford 1995, hineinzuschauen. Es ist auch nicht so teuer ca. EUR 20)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Wieso? Die Intentionen der Komponisten wurden vor Beethoven nie so genau festgelegt, wie er es tat. Schönberg und Stockhausen stehen in der Genauigkeit der Fixierung, was sie wollen, hinter Beethoven nicht zurück. Da gibt es kaum Spielraum der Interpretation - eigentlich im Gegensatz zu Barockwerken, die einiges freilassen.


    Salut,


    Du missverstehst mich: Ich meine, dass Komponisten vor der Jahrhundertwendet 18/19 nicht unbedingt so komprimiert tiefgründig [eigentlich 'romantisch' im heutigen Sinne] komponierten, wie davor. Natürlich kann das nicht pauschal gelten, aber ab spätem Haydn/Mozart erfahre ich das so. Und diese Tiefgründigkeit bedarf m. E. mehr an 'Interpretation' [herausfinden und präsentieren also], als kleine Nachtmusiken...


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ein neuer Anlauf zu diesem Thread.
    Schon 2006 ist er eigentlich grundlegedn missverstanden worden.
    Es wurde hier einmal mehr über Frage diskutiert, wieviel Freiheit der Interpret sich den legitimerweise zugestehen darf.
    Das ist zwar ein interessantes Thema, das hier im Forum immer wieder angesprochen wurde - indes - das eigentliche Thema dieses Threads ist ein anderes.


    Wir akzeptieren hier grundlegend mal, daß er verschiedenartige Interpretatione eben nun mal gibt, radikalere oder weniger radikale Lesarten. Und das stellen wir hier derzeit nicht in Frage.


    Die Frage dieses Threads war vielmehr, ab Euch eine Interpretation leichte näherzubringen ist, wenn der Interpret vorher ein paar Worte über sein Konzept oder sein Credo spricht und versucht dem Hörern seinen Standpunkt näherzubringen.
    Wohlgemerkt es geht nicht darum, daß jemena dem eine Interpretation grundsätlich gegen den Strich geht, zu bekehren, sondern eine Interpretation, der man neutral bis vosichtig skeptisch gegenübersteht, mit Farbe und Feuer zu füllen.......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Diese Frage kann auch nicht eindeutig beantwortet werden. Für manche Hörer ist es eine Hilfe, wenn sie über die Interpretationskonzeption informiert werden. Andere, oft die versierten Musikfreunde , lehnen diesen Nachhilfeunterricht vehement ab. Da besonders Dirigenten Werke und Interpretationsansatz dann erklären, wenn es moderne Kompositionen sind und diese sich dem Hörer nur schwer erschließen, ist oft die Erwartungshaltung und Befürchtung da, ach jetzt wird es schwierig.
    Wir lösen es beim Heilbronner Sinfonie Orchester auf diese Weise. Vor jedem der großen Mietekonzerte gibt es vor dem Konzert einen Einführungsvortrag. Im Abendprogramm ist ein ausführlicher Text. Aber auch eine Rubrik "Zur schnellen Information". Hier kann ganz konzentriert das Wesentliche schnell erfasst werden.
    Gut kommt es meistens an, wenn ein eloquenter Solist dem Publikum möglichst lockere Infos gibt. Aber dabei um Gottes Willen keine lange Schwätzerei. Ein Meister auf diesem Gebiet wr der große Flötist James Galway.
    Da ich bei der Programmgestaltung des HSO mitwirke kenne ich selbstverständlich alle gewählten Stücke. Trotzdem besuche ich, wenn es irgend möglich ist die Einführungsvorträge. Oft werden dabei meine Kenntnisse erweitert oder der Focus auf andere Aspekte gelenkt. Also für mich sind kompetente Erläuterungen meistens eine gern genutzte weitere Informationsquelle.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich sehe eigentlich nicht unbedingt den Versuch einer "Belehrung" darin, sondern ein Nahebringen des persönlichen Standpunkts, der Begeisterung etc. Wenn beispielsweise Rattle über Haydns Sinfonien spricht und man anschliessend die Aufnahme hört, dann ist das Ergebnis (für mich) ungleich überzeugender.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich stimme sehr zu.


    Hier zwei Beispiele, dass ich so überzeugend fand, dass die Bestellung prompt erfolgte:





    Sowohl Rattle als auch Mutter waren nicht immer gerade meine favorisierten Interpreten. Doch durch solche Promo-Filme und eben die durch Tamino inspirierte Beschäftigung mit diesen Themen bin ich auf sie gestossen und habe meine Meinung über sie modifiziert ( bei Rattle war sie nie direkt "schlecht", aber nicht so begeistert wie jetzt, die frühe Mutter höre ich auch jetzt nicht so gerne, was aber nicht aus violin-technischen Gründen so ist)


    Wenn ich mir demnächst einmal wieder etwas von Haydn kaufen möchte, dann wird es übrigens die von Alfred genannte Aufnahme mit Rattle sein.
    Die hat mich allerdings schon nur durch die Soundschnipsel von JPC schon vom Kaufwunsch überzeugen können.


    Ansonsten stimme ich auch sagitt zu:
    Wenn man die Bücher der Herren Harnoncourt, Brendel und Fischer-Dieskau genau gelesen hat ( letztgenannter ist m.E. ziemlich anspruchsvoll zu lesen...) dann versteht man vieles von dem, was sie im Konzert und auf Aufnahmen machen, einfach besser. Bei mir geschieht dies in vielen Fällen nicht per sofort, sondern nach Jahren der Beschäftigung mit dem Interpretationsansätzen bestimmter Interpreten. Irgendwann meine ich, ihre Art zu denken wenigstens in Teilen verstanden zu haben. Es gibt immer noch gewisse "Aha-Erlebnisse", die ja das Leben bereichern.


    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Andere, oft die versierten Musikfreunde , lehnen diesen Nachhilfeunterricht vehement ab.


    Sind es die versierten? Oder sind es die blasierten? Zu dieser Haltung passt das Wort "Nachhilfeunterricht" und illustriert die Motivation der Ablehnung aus deren Sicht. Wenn ich mich nicht nur für mein eigenes Welt- und Werkbild interessiere, ist eine solche Information vom Musiker, idealerweise sogar eine Kommunikation mit dem Musiker, sicherlich das Beste, was mir im Sinne der Wahrnehmung einer Aufnahme oder eines Konzerts passieren kann. Rattle macht in dem netten Filmchen über seine Haydn-Aufnahmen ja nicht nur Werbung für sich, das BPO und die CD, er verkauft uns auf sympathische Art und Weise auch den Komponisten selbst. Mir gefällt's.

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Zitat

    Alfred: Die Frage dieses Threads war vielmehr, ob euch eine Interpretaiton leichter näherzubringen ist, wenn der Interpret vorher ein paar Worte über sein Credo spricht und versucht, dem Hörer seinen Standpunkt näherzubringen.

    Natürlich hilft mir das sehr, lieber Alfred, weil ich als Laie über jeden Hinweis froh bin, den ich aus berufenem Munde höre, und der Mund eines Interpreten muss dem Hörer eigentlich seriös genug sein, um zumindest aus dem Standpunkt Lehren zu ziehen für das Verständnis der Interpretation. Auch, wenn ich das Stück schon von anderen Interpreten gehört habe, hilft mir eine wohlbegründete alternative Interpretation weiter, indem ich sie wahrscheinlich akzeptiere oder sie mir möglicherweise noch besser gefällt als de anderen, weil ich nach den Erklärungen des Interpreten bestimmte Schlüsselstellen besser verstehe als vorher.
    Um ein Beispiel zu nennen, haben mir die Erklärungen Günter Wands zu der Interpretation bestimmter Werke, z. B. Bruckners, sehr weitergeholfen, auch, wenn er sie im Titel seiner Erinnerungen: "So und nicht anders" ziemlich rigide zusammengefasst hat.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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