Veröffentlichung nach dem Tode eines Künstler: Alles erlaubt oder Respekt vor dem Testament?

  • Hallo zusammen,


    Alfred brachte mich auf die Idee dieses Threads, als er betonte, nach dem Tode eines Künstlers würden zur Freude der Fans auch die bisher unterdrückten Aufnahmen veröffentlicht (Stichwort: Raffgier dier Plattenkonzere).


    Ein heikles Eisen, wie ich finde: Da ist natürlich auf der einen Seite das verständliche Streben nach Profit auf Seiten der Label, die einem vielleicht jahrelang die Treue gehalten haben, ihn unterstützt haben, PR für ihn gemacht haben. Dann aber ist da der explizite Wunsch eines Künstlers, manche Aufnahmen nicht zu veröffentlichen, aus welchen Gründen auch immer. Wie seht ihr das? Ein paar Beispiele aus den letzten Jahren:


    Jüngst der Tod von Carlos Kleiber. Überall wird auf die Veröffentlichung bisher nur als Pirates erhältlicher Aufnahmen gehofft. Bisher ist glaube ich eine 5-DVD-Box erschienen, in der manche Aufnahmen enthalten sind, die es bisher als CD noch nicht gab.


    Die Celibidache-Edition vor allem auf EMI: Celi hat Aufnahmen und deren Veröffentlichung ja abgelehnt. Die EMI (in Zusammenarbeit mit Celis Sohn) hat dennoch mittlerweile rund 50 CDs von seiner Münchener Periode veröffentlicht. Die ersten waren oft aus nur einem Konzert, manchmal von zwei Abenden satzweise zusammengestellt. In der jüngst erschienenen Edition sind sogar einzelen Overtüren aus zwei verschiedenen Takes zusammengeschnitten.


    Letztes Beispiel: Die Arthur Rubinstein Collection auf RCA, umfasst bis auf ein paar in der Vorkriegszeit (1. Weltkrieg) entstandene Aufnahmen, alles was Rubinstein von 1928 bis 1976 im Studio eingespielt hat sowie alle schon früher auf RCA oder EMI erhältlichen Live-Aufnahmen. Mit dabei: Das 1. Klavierkonzert mit Tchaikovsky in einer Aufnahme mit Coates (oder Barbirolli), gegen deren weitere Veröffentlichung sich Rubinstein wehement aussprach, nachdem die Plattenfirma es wagte, auch Horowitz eine Aufnahme dieses Konzertes zu genehmigen.

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo Thorsten,



    Ich glaube, man sollte da differenzieren, warum sich ein Interpret, welcher Art auch immer, einst gegen die Veröffentlichung sträubte.


    Respekt vor dem Testament, das klingt so edel, aber wenn man die Geschichte durchgeht, so hat man Testamente, was über das gesetzlich Durchsetzbare hinausging, nie respektiert. Die Gründe, bzw die Ausreden dafür waren mannigfalig, sofern man üerhaupt nach einer Entschuldigung gesucht hat.


    Das wußte auch der schlaue Fuchs Celibidache, und um seinem Sohn das Leben leichter zu machen, hat er ausdrücklich festgestellt, daß er gegen eine Veröffentlichung seiner mitgeschnittenen Aufnahmen zu Lebzeiten ist, jedoch eine allfällige Verwertung nach seinem Tode seinen Erben freistelle, es sei ihm egal. Welch pragmatischer Denkansatz eines angeblichen Tyrannen. Er wußte, daß er das ohnedies nicht würde verhindern können. Und sein eigentliches Ziel, das er mit dem Verbot von Tonaufnahmen seiner Konzerte verfolgte, hat er sicher erreicht - und noch einiges mehr.


    Hier bin ich also ganz sicher für eine Veröffentlichung..



    Die meisten Verweigerungen, bereits eingespielte Aufnahmen zur Veröffentlichung freizugeben sind aber aus künstlerischen Zweifeln entstanden. Der Interpret hatte nach Abhören seiner Aufnahme den Eindruck, die Interpretation wäre mißlungen. Da solche Entscheidungen ja üblicherweise auch mit finanziellen Einbußen für den betreffenden Künstler einhergingen, kann man davon ausgehen, daß sie nicht willkürlich erfolgten.


    Jaques Offenbach soll einmal gesagt haben, ihm grau davor, ben er bedenke, daß dereinst all das veröffentlicht werden könnte, was er "quasi un Unterhosen" komponiert habe...


    In diesen Fällen würde ich den Willen der Künstler, schon meiner Brieftasche zuliebe respektieren :D


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Wenn ein Mensch nicht will, dass etwas veröffentlicht wird, was ihm nicht gefällt, soll er es eben unterbinden.
    Brahms, der zeitlebens mit seinen eigenen Werken sehr kritisch war, hat alles vernichtet, was er nicht einer Veröffentlichung würdig befand ( und das soll nicht wenig gewesen sein).
    Der Künstler schafft ein Werk- damit ist etwas in der Welt, das ihn überdauern kann und das seiner Verfügungsgewalt entgleitet. Es wird Bestandteil dieser Welt. Werke können grösser sein als der Künstler. Wie ? Nicht wenige beschreiben den Prozess, dass Musik durch sie hindurchgeflossen sei, sie aufschrieben, was sie hörten. Wie könnte dann der Künstler der absolute Maßstab für die Kunst sein ?
    Er hätte, wie Brahms, die Möglichkeit, die Welt auszusperren. Wenn er dies nicht tut,hat die Welt ein Recht daran teil zu haben.

  • Ich denke auch, dass es weitgehend so war, dass Testamente, oft das Papier nicht wert waren, auf dem sie geschrieben waren. Mir scheint es auch so gewesen zu sein, dass verschiedene Werke aus rein künstlerischen Zwecken - der Künstler wollte sein Image nicht zerstören-zurück gehalten wurden. Nach dem Tod war es wohl vielen egal, welches Urteil die Nachwelt fällte. Wenn dann noch etwas davon zu vermarkten war und etwas Geld verdient werden konnte, zu so besser.
    Gruß
    Padre :hello:

  • Hallo Sagitt,


    es geht ja aber m. E. eher um nicht nicht offiziell "künstlerischen" Betätigungen wie z.B. Briefe und dergleichen. Wie stehst Du dazu?


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Hallo Ulli,


    interessante und schwierige Frage.
    Wäre es eine "Privatperson", wäre die Antwort klar. Schutz der Privatsphäre.
    Aber...ist der Künstler eine Privatperson,nachdem er mit seiner Kunst an die Öffentlichkeit getreten ist ?


    Auch hier ist sicher richtig: er kann sich wie eine Privatperson verhalten und alles vernichten. Nochmals Brahms, diesmal im Kontakt mit Clara Schumann- da ist vieles vernichtet worden.


    Wenn er dies nicht getan hat, ist er eine Persönlichkeit in der Öffentlichkeitt.
    Wir Juristen kennen absolute Personen der Zeitgeschichte- dazu gehören sicher alle grossen Komponisten-bei denen ihr Schutz an Privatheit hinter dem Interesse der Öffentlichkeit zurücktrtt.


    Schöne Grüsse aus Bremen


    Sagitt