Point d’ironie – Ironie in der Klassik

  • Wer mich kennt, weiß, dass ich mit Ironie nichts anfangen kann. Aber das tut nichts zur Sache, das Statement hilft mir nur, mich in diesen Thread einzufinden.


    Das Sprechen über Musik, so der anerkannte Musikwissenschaftler Steve Martin, entspräche dem Tanzen über Architektur. Diese Feststellung wird in diesem Forum nicht vertreten, ansonsten sähe es sich gezwungen, sofort zu platzen. Wenn man aber über Musik spricht, dann ist es häufig der Fall, dass sich ab einem gewissen Punkt Freunde entzweien, übereinander herfallen, sich die Augen auskratzen oder schlimmeres: Dem anderen seine Meinung zugestehen und ein Bier zusammen zu trinken. Vorausgegangen sind unterschiedliche Auffassungen über musikalische und interpretatorische Intentionen. Wir erleben das hier beinahe jeden Tag. Unstreitbar sind Dinge, die ausdrücklich im Notentext festgehalten sind, wobei selbst diese Dinge durchaus Stoff für Dispute bieten. Aber je dünner die Ausgangslage wird, desto mehr Fantasie entwickeln Hörer und Musiker gleichermaßen.


    Humor in der Klassischen Musik wurde über einige threads verteilt schon angesprochen, wobei Humor immer im Verdacht steht, die gebotene Seriösität zu untergraben. Das subversivste Mittel des Humors scheint mir die Ironie zu sein, die dann die Seriösität eines Unternehmens an effektivsten angreift, wenn sie nicht sogleich erkannt wird. Dass auch in diesem Forum zuweilen ironische Töne herrschen, wird nicht wenige Teilnehmer verstören und ich selbst kann diese Art der Kommunikation nicht gutheißen, denn Klassische Musik ist zu erhaben, als dass man darüber solche Kommentare verfassen sollte…. Nachdenkpause….
    Nun soll es hier nicht um die Art und Weise ironischen Schreibens gehen, aber das Entdecken dieser Ironie ohne das geforderte Heine’sche Ironiezeichen ist eine Kunst für sich. Wie verhält es sich mit der Musik selbst? Können Schallwellen, erzeugt von Musikinstrumenten, Ironie vermitteln? Welcher Komponist hat ironische Musik geschrieben? Warum unterstellt man Mahler, er habe dies getan? Warum unterstellt man Mahler, er habe dies nie getan? Kurz: Welche Komponisten sind euch bekannt, die Ironie (nicht herkömmlichen Humor!) als Stilmittel einsetzten, woran erkennt man das und welche Werke schufen sie?


    Ich bin sehr gespannt auf euer Wissen und zücke den Notizblock…*


    *in diesem Text haben sich mehrere ironische Anspielungen versteckt. Bitte schreiben Sie die Lösung auf eine Postkarte und schicken Sie die richtige Antwort an Universal Music Classics & Jazz, Berlin… oder an jede andere Polizeidienststelle…

  • ich denke, paradebeispiel ist vor allem schostakowitsch (z.b. seine 1. symphonie); aber auch die festliche ouvertüre und die 9. symphonie (wenn ichs jetzt nicht verwechsle) zeugen für seine grandiosen fähigkeiten in diesem genre. :D

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    Original von klingsor
    ich denke, paradebeispiel ist vor allem schostakowitsch (z.b. seine 1. symphonie); aber auch die festliche ouvertüre und die 9. symphonie (wenn ichs jetzt nicht verwechsle) zeugen für seine grandiosen fähigkeiten in diesem genre. :D


    Ja, den hatte ich auch im Kopf (weil ich mich mit ihm, angestiftet durch dieses Forum,als Vertreter des 20. Jhdt. beschäftigen möchte) es wird ja immer darüber berichtet, dass er sich auf diesem Wege Stalin mehr oder weniger entzogen habe, um weiterhin komponieren zu können. Woran merke ich das aber? Und wo ist die Grenze zwischen, sagen wir mal, Pathos und Ironie?

  • Ja, Blackadder ist nun mal ein staubtrockener, humorloser und ironieferner Zeitgenosse, ich hoffe, wir können ihn in dieses Gebiet, das er uns erfreulicherweise eröffnet hat, ansatzweise einführen.


    Schostakowitsch ist natürlich auch meine erste Wahl.
    Bei ihm gibt es nicht nur die politisch motivierte Ironie, die Klingsor schon angesprochen hat, sondern in den frühen Werken auch eine rein musikalische. Etwa im Ersten Klavierkonzert, wenn im ersten Satz eine kantable Herzensergießung angebahnt wird, statt dessen aber das Klavier eine geistlose Fanfare schmettert.
    Auch die Oper "Die Nase" ist voll von solcher Ironie - wenn mit bestimmten Inhalten besetzte Formen am "falschen" Platz kommen und die gerade groß in Mode befindliche musikalische Lautmalerei verwendet wird, um Furzen und ähnliche Geräusche darzustellen.


    Ein großer Ironiker war natürlich auch Mahler, der das Spiel mit doppeltem und dreifachem Boden perfekt beherrschte: Etwa, wenn er die Sehnsucht nach der Romantik als gebrochenen romantischen Kitsch ausdrückt, als wolle er sagen: "Schön wär's, aber gehen tut's nicht mehr, obwohl..."


    Daß große Mahler-Verehrer auch immer ein wenig den Hang zur Ironie haben, mag in der Sache begründet sein - von Schostakowitsch war schon die Rede. Ein anderer ist Britten.
    Eine der in meinen Augen glänzendsten ironischen Stellen der Oper des 20. Jahrhunderts ist im "Albert Herring": Bekanntlich mischt Sid etwas Rum in Alberts Getränk, um das Muttersöhnchen etwas lockerer zu machen. Britten zitiert dazu eine verballhornte Version des Liebestrank-Motives aus Wagners "Tristan".
    Ausgerechnet...
    Alberts "Liebestrank" führt offenbar zu einer Nacht mit mehreren Huren (immerhin bringt Albert das ganze Preisgeld durch): Nicht eine große Liebe; nichts Anhaltendes, Ewiges; keine Verklärung, sondern - ja, wenn's wenigstens Spaß am Sex gewesen wäre. Aber nicht einmal das dürfte der Fall in dieser letzten Endes gar nicht so lustigen Geschichte gewesen sein.


    :hello:

    ...

  • Ich muss sagen, ein derart staubtrockenes Einführungsposting in das Thema Ironie in der Musik bremst jegliche Diskussion darüber empfindlich. Ich muss mich daher noch etwas sammeln und auf Inspiration hoffen.


    :pfeif:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Ich will einmal versuchen, den Fall Schostakowitsch zu erklären.


    Ich habe schon an einer anderen Stelle geschrieben, daß der russische Hörer der Schostakowitsch-Zeit in der Regel hoch gebildet ist, daß er die literarischen und musikalischen Klassiker kennt und Inhalte assoziiert. Diese permanente Präsent des literarischen und musikalischen Kanons macht vielfach die Werke russischer Schriftsteller und Komponisten für die "Westler" schwer verständlich - man merkt nicht, worauf angespielt wird, müsste es aber für den Zusammenhang wissen.


    Eine der musikalischen Stellen dieses immer paraten Kanons ist der Anfang von Mussorgskijs "Boris Godunow", wenn das Volk mit Stock- und Peitschenhieben gezwungen wird, sich Boris als Zaren zu wünschen.
    In Schostakowitschs Partituren gibt es immer wieder motivische Anspielungen auf diese Szene.


    Etwas Anderes ist aber das Finale der 12. Symphonie: Die 12. ist das Poem der Oktoberrevolution. Und am Ende jubeln die Massen.
    Aber jubeln sie wirklich?
    Hören wir uns die Musik genau an: Ein erstunlich kurzatmiges Thema, das keinesfalls hymnisch ist, wird wiederholt und wiederholt. In vollster Kraftentfaltung des Orchesters. Aber es gibt keine Modulation, keine Entwicklung. Nur Lautstärke.
    Mir kommt vor, als habe Schostakowitsch hier alle Topoi, die zum pro-kommunistischen Finaljubel gehören, weggelassen - mit Ausnahme der gesteigerten Lautstärke. Die Musik macht Krach, aber sie kommt nicht vom Fleck, sie ist laut, da ihr aber jegliche Verarbeitung genommen wird, hat sie keinerlei Substanz, sie ist hohl. Kraftlose Kraftmeierei. Oder, um es russisch zu sagen, ein potemkinsches Dorf.


    Die Ironie besteht darin, an der Oberfläche genau die erwünschte Musik zu liefern, genau den pathetischen Schwachsinn, der erzwungen wurde. Gleichzeitig distanziert sich Schostakowitsch von dieser Musik, indem er sie wie unter Anführungszeichen setzt: "Da habt Ihr Euer Pathos, das habt Ihr ja so gewollt"; Zusatz: "und weil Ihr es so gewollt habt, habe ich es so geschrieben." Klammer: "...und nicht etwa aus tiefster innerer Überzeugung. Aber das weist mir bitteschön einmal nach!" Klammer zu.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Dass auch in diesem Forum zuweilen ironische Töne herrschen, wird nicht wenige Teilnehmer verstören und ich selbst kann diese Art der Kommunikation nicht gutheißen, denn Klassische Musik ist zu erhaben, als dass man darüber solche Kommentare verfassen sollte…. Nachdenkpause…


    Ich hatte Gelegenheit, mich mit vielen (auch bekannten) Musikern auf das lustigste zu unterhalten und konnte einige von ihnen als die formidabelsten Witzeerzähler kennenlernen, die mir jemals begegnet sind. Auch bei Proben geht es nicht immer so bierernst zu wie es Blackadder wohl gerne hätte. Gerade weil i.a. große Disziplin herrscht, entläd sich der Witz mitunter spontan und sehr zielgenau.


    Musik ist so nah am Puls des Lebens dran, daß es mir sonderbar vorkäme, wenn nicht auch Witz, Ironie und Sarkasmus stattfinden würden. Natürlich oft nur für Insider verständlich.
    Schon die Barockmusik ist voll davon. Ein prominentes Beispiel findet sich etwa in den Goldbergvariationen, wo Bach in der letzten Variation, einem Quodlibet, zwei sächsische Volkslieder über den Baß der Aria legt: "Ich bin solang nit bei dir g’west" und "Kraut und Rüben haben mich vertrieben" (dies kurz bevor nach eineinhalb Stunden die Aria vom Anfang wörtlich wiederholt wird).
    Oder Mozarts Dorfmusikantensextett "Ein musikalischer Spaß".
    Solche bekannten Beispiele sind immer nur die Spitze eines sehr humorigen Eisbergs.


    Edwins Bemerkungen über Mahler bringen mich auf den Gedanken:
    Wird etwa Mahler deswegen von einigen Dirigenten, z.B. Celibidache, verabscheut, weil sie (untypischerweise) ziemlich humorlose Gesellen sind?!


    Gruß, Khampan

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich will einmal versuchen, den Fall Schostakowitsch zu erklären...


    Etwas Anderes ist aber das Finale der 12. Symphonie: Die 12. ist das Poem der Oktoberrevolution. Und am Ende jubeln die Massen.
    Aber jubeln sie wirklich?
    Hören wir uns die Musik genau an: Ein erstunlich kurzatmiges Thema, das keinesfalls hymnisch ist, wird wiederholt und wiederholt. In vollster Kraftentfaltung des Orchesters. Aber es gibt keine Modulation, keine Entwicklung. Nur Lautstärke.
    Mir kommt vor, als habe Schostakowitsch hier alle Topoi, die zum pro-kommunistischen Finaljubel gehören, weggelassen - mit Ausnahme der gesteigerten Lautstärke. Die Musik macht Krach, aber sie kommt nicht vom Fleck, sie ist laut, da ihr aber jegliche Verarbeitung genommen wird, hat sie keinerlei Substanz, sie ist hohl. Kraftlose Kraftmeierei. Oder, um es russisch zu sagen, ein potemkinsches Dorf.


    Vielen Dank, Edwin, so eine Antwort habe ich mir gewünscht. Und bitte auch mehr zu Britten, falls vorhanden, ich finde die Geschichte mit dem "Liebestrank" einfach vorzüglich :jubel:

  • Zitat

    Original von Khampan
    [Edwins Bemerkungen über Mahler bringen mich auf den Gedanken:
    Wird etwa Mahler deswegen von einigen Dirigenten, z.B. Celibidache, verabscheut, weil sie (untypischerweise) ziemlich humorlose Gesellen sind?!


    O, das ist ein wunderbarer Gedanke. These: Sind esoterische Deuter ironieresistenter? :D

  • Zitat

    Original von Blackadder
    These: Sind esoterische Deuter ironieresistenter? :D


    oder gar: Ist Esoterik eine Ausflucht aus dem Dilemma der Humorlosigkeit? :D
    Khampan

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  • Ich finde die Grenze zwischen bloßem Humor und Ironie oft nicht leicht zu bestimmen. Es sei denn, man hat noch zusätzlich Text oder anderes Außermusikalische. Im Musiktheater ist Ironie nicht selten (zB Massetto "Ho capito, Signor, si"), ebenso bei Liedern, v.a. Schumann/Heine, zB Ein Jüngling liebt ein Mädchen und die jeweiligen Schlußlieder der Zyklen op.24 und 48.


    Meiner Ansicht nach ist es aber bei Schumann ähnlich wie bei Mahler: die Ironie ist oft selbst wieder doppelbödig, weil nämlich eigentlich die ironisierte "romantische" Emotion genuin ist und ihre ironische Brechung ein mitunter verzweifeltes Mittel, den Verstand nicht vollends zu verlieren.


    Ironie in der reinen Instrumentalmusik verlangt m.E. eine relativ gute Vertrautheit mit dem jeweiligen Hintergrund, also dem, was ironisch gebrochen wird. Daher kann man häufig auch streiten, ob nun etwas wirklich ironisch oder doch ernst gemeint ist.
    Ironisch ist ziemlich klar das Menuett in Beethovens 8. Sinfonien, ebenso das vorhergehende Mälzel-Allegretto. Beethoven ist aber ein Fall, wo die Ironie meist doch eher gutmütig daherkommt. (Obwohl mir solche biographischen Deutungen eher zuwider sind, finde ich es doch bemerkenswert, dass es von ihm, der oft verbittert und verzweifelt gewesen sein muß, kaum Musik gibt, die sich so einordnen ließe).
    Weitere Kandidaten für Fälle von Ironie bei diesem Komponisten:


    Sonate op.31,1, besonders der Mittelsatz klingt wie die Verballhornung einer Opernarie, der Kopfsatz parodiert Pianisten, die Probleme beim Zusammenspiel der Hände haben


    6. Sinfonie, Pastorale, iii: das Fagott verpaßt mehrmals seinen Einsatz
    Sonate op.106, ii
    Sonate op. 110, ii
    Diabelli-Variationen: allenthalben
    Quartett op.18,2, i
    Quartett op.59,2, iii (das sieht jedenfalls Kerman so in der Behandlung des theme russe)
    Beispiele aus den späten Quartetten wurden schon in deren threads genannt: op.130, besonders iii und das nachkomponierte Finale, ebenso op.135


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    6. Sinfonie, Pastorale, iii: das Fagott verpaßt mehrmals seinen Einsatz


    Sorry, keine Ironie, sondern bürgerliche Verballhornung angeblich unfähiger Dorfmusiker, insofern eine Form von Exotismus, aber keine Ironie.


    gruß


    Wiesengrund

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Beethoven ist aber ein Fall, wo die Ironie meist doch eher gutmütig daherkommt. (Obwohl mir solche biographischen Deutungen eher zuwider sind, finde ich es doch bemerkenswert, dass es von ihm, der oft verbittert und verzweifelt gewesen sein muß, kaum Musik gibt, die sich so einordnen ließe)


    Das finde ich allerdings ebenfalls sehr bemerkenswert. Ich hätte gerade ihm doch blanken -wenn schon keinen Zynismus - dann Sarkasmus vorgeworfen.
    Gibt es eigentlich eine Möglichkeit, die 9. ironisch zu deuten? Dann hätte ich weniger Schwierigkeiten :D

  • Zitat

    Gibt es eigentlich eine Möglichkeit, die 9. ironisch zu deuten? Dann hätte ich weniger Schwierigkeiten


    Nein, allerdings gerät gerade der Schlusssatz unfreiwillig ironisch, indem er eine Kraftanstrengung für ein aufklärerischer Menschheitsideal entwirft, dass in den 20er Jahren des 19..JH bereits passe ist, deswegen dieser 'schreierische' Kraftakt im Finale


    Gruß


    Wiesengrund

  • Zitat

    Original von wiesengrund


    Nein, allerdings gerät gerade der Schlusssatz unfreiwillig ironisch, indem er eine Kraftanstrengung für ein aufklärerischer Menschheitsideal entwirft, dass in den 20er Jahren des 19..JH bereits passe ist, deswegen dieser 'schreierische' Kraftakt im Finale


    Er ist vielleicht für manchen unfreiwillig komisch (wobei ich denjenigen dann jedoch nur schwer abnehmen kann, dass sie eine einzige Oper von Wagner oder eine einzige Sinfonie von Mahler mit Choreinsatz durchstehen, ohne vor Lachen unterm Tisch zu liegen), aber gewiß nicht ironisch.
    Es ist übrigens keineswegs ein schreierischer Kraftakt, außer in schlechten Interpretationen. Das Finale der 5. ohne Chor ist sehr viel lärmiger und plakativer.


    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Er ist vielleicht für manchen unfreiwillig komisch (wobei ich denjenigen dann jedoch nur schwer abnehmen kann, dass sie eine einzige Oper von Wagner oder eine einzige Sinfonie von Mahler mit Choreinsatz durchstehen, ohne vor Lachen unterm Tisch zu liegen),


    Puh, dann bin ich aus dem Schneider 8)

  • Zitat

    Das Finale der 5. ohne Chor ist sehr viel lärmiger und plakativer.


    Das ist ja auch Absicht, komponiert vor der Folie französischer Revolutionsmusik.
    Ebenso plakativ ist das Finale der 6., wo das Heil der Welt nach der Apokalypse des Gewittersatzes quasi herbeigezwungen werden soll.


    Gruß


    Wiesengrund

  • Es ist tatsächlich schwierig festzustellen wo die Ironie aufhört und wo der Humor beginnt. Diese Grenze war mir nie so bewusst wie in diesem Moment. Sprachlich würde ich den Unterschied jeden Moment intuitiv erfassen - aber musikalisch ? Schon eigenartig, daß mich solch ein staubtrockener Geselle wie Blackadder zu solchen Gedankengängen anregt.


    Ich wäre geneigt Lortzing eine gewaltige portion Ironie zuzubilligen - aber gleichzeitig erhebt sich die Frage: Ironie in gewaltigen Portionen - gibt es das ?


    Ist Ironie nicht vielmehr so gestrickt (äh gewebt) , daß man sie bei oberflächlicher Betrachtung für bitteren Ernst halten könnte ? Was passiert wenn die Dosierung erhöht wird. ?


    Bleiben wir bei Lortzing: Der Kantate welche van Bett einstudiert, könnte man die Ironie absprechen - weil zu dick aufgetragen. Das Gleiche gilt für den Choral den der schlaftrunkene Bacchulus anstimmt.


    Hier ist IMO die Parodie überdeutlich zu sehen.Deftiger Humor für Insider - quasi mit dem Holzhammer (oder Paukenschlegel - ganz nach Wunsch)


    Ganz anders hier die Romanze des Marquis von Chateauneuf:


    Die Ironie dieses Liedes wird sich wohl nur Insidern erschließen und derberen Naturen wie Blackadder auf ewig ein Mirakel bleiben.
    Was bleibt ist ein Rührstück des 19. Jahrhunderts mit melancholisch-süßem Unterton. Auch nicht schlecht........


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • N'Abend,


    im Thread zu B's Five schrieb ich bereits:


    Es wird nicht ganz einfach - wenn überhaupt möglich - sein, eine vom Komponisten bewußt hineinkomponierte Ironie als solche dingfest zu machen. Gleichfalls würde man sicher auch mit keiner Einspielung diese Ironie objektiv darstellen können. Meines Erachtens kommt man der Sache am nächsten, wenn man den Satz einfach bierernst spielt. Andernfalls riskiert man, vom Publikum der "Gotteslästerung" bezichtig zu werden.


    Selbst die platteste Platitüde kann einen Zuhörer, der von dem Hintergründigen bzw. dem ironischen Inhalt keine Ahnung hat [da ihm der Bezug fehlt], in Verzücken geraten und/oder in gerade dieser Musik versinken.


    Durch das besondere Herausheben von Ironie oder auch Humor in der Musik gehen diese m. E. eher kaputt, als dass man etwas Gutes daran macht. Gute Ironie und guter Humor werden bierernst - und damit unauffällig - untergejubelt.


    In Fällen von Ironie ist es m. E. eher der Komponist, der sich [über das Publikum] diebisch freut und ins Fäustchen lacht - im Gegensatz zum Humor, an dem das Publikum teilhaben "darf"...


    :rolleyes:


    Beispielsweise Mozarts 'Musikalischer Spaß' KV 522 - das ist in erster Linie Humor: Das Publikum sollte ob der vielen falschen Töne und Komponisten wegen der vielen falschen Stimmführungen zum Schmunzeln gebracht werden [heutige Reaktion eher: :wacky: ]. Diese Dinge aber so [falsch] zu spielen, wie sie da stehen, ist wiederum schwerer, als ein normales Stück richtig zu spielen. Das wiederum ist Ironie!


    Nicht umsonst ist Komiker einer der schwersten Darsteller-Berufe...


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Alfred, Blackadder & Ihr anderen Ironisten, :]


    um bei Lortzing zu bleiben, der für Ironie bestimmt kein schlechtes Beispiel ist (auch wenn das aus heutiger Sicht fast schon unglaublich erscheinen mag, da man seine Opern irgendwie nur noch als verstaubte und betuliche "Biedermeier-Schnarchstücke" anzusehen scheint und sie deshalb fast gar nicht mehr auf die Bühne bringt... :( )


    Dabei ist gerade eine Epoche wie der "Biedermeier" auf Stilmittel wie Ironie und Satire (nicht nur in der Musik) ganz besonders angewiesen: In dieser Ära der Restauration, Bespitzelung (wegen Furcht der Obrigkeit vor ominösem, überall lauernden "Revoluzzertum") und strengen Zensur waren Satire und Ironie oft die einzige Möglichkeit, Kritik zu üben. Die vordergründige Fassade blieb kreuzbrav - aber wer hinter die Kulissen zu schauen verstand, wusste was (und wie es) gemeint war :]


    Insofern Edwins Beispiel von Schostakowitschs Auseinandersetzung mit dem Stalinismus dem hier mit der Biedermeier-Epoche gar nicht mal unähnlich. (Allein schon das Wort "Biedermeier" ist eigentlich ja schon die blanke Ironie...)


    Ich denke bei Lortzing z. B. an den Wildschütz aus dem Jahr 1842.


    Lortzing hat ja neben der Musik auch seine Textbücher selber verfasst und darin dann oft kurzfristig auf aktuelle "Trends" reagieren können, wenn auch meist eher in den Dialogszenen.


    Die Gräfin im Wildschütz mit ihrem überkandidelten "Griechentragödien"-Tick wird so zum Spiegelbild für das Leipziger Bürgertum, das sich im Jahre 1842 in einem solchen "Griechentum"-Modewahn befand, der wohl durch eine Aufführung der Antigone, die mit Mendelssohns Musik angereichert wurde, hervorgerufen wurde.
    Lortzing reagierte sofort mit untrüglichem Theaterinstinkt und kreierte für sein Publikum die Figur der Gräfin als spleeniger Tragödien-Fan, die mit allem und jedem in Hexametern Texte von Sophokles & Co. rezitieren will.... ich vermute, die Leipziger reagierten mit Humor auf den ihnen vorgehaltenen Spiegel :hello:


    Satire, Komik, Karikatur, Ironie - in einem Fall wie diesem sind die Grenzen sicher fließend und nicht unbedingt rein musikalischer Natur. Die Erwähnung von Lortzing brachte mich nur gerade auf diese Idee.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

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  • Wo sind die Grenzen zwischen Humor und Ironie? - Nun, mein Russischprofessor (der natürlich immer wieder mit der Ironie in der russischen Literatur konfrontiert war) hat es ungefähr so definiert: Humor erzeugt entspanntes Lachen, Ironie erzeugt wissendes Lachen.
    Ein befreundeter Dirigent trifft die Unterscheidung so: Humor ist von der Intelligenz unabhängig, Ironie nicht.
    Ich unterscheide es so: Humor hat als Ziel das Vergnügen, Ironie hat als Ziel die Aufklärung.


    Hinkt alles, ich weiß...
    Also doch eher eine Gefühlssache...


    Nun, Blackadder hat mich oben noch um Britten-Beispiele gebeten. Eines, das mir soeben eingefallen ist, steht im dritten Akt des "Midsummer Night's Dream", genauer: in der Handwerker-Komödie, und ist wirklich ziemlich boshaft.


    Ein milderes ist die Rüpel-Komödie an sich: Britten komponiert natürlich eine Parodie auf die italienische Oper - und drückt das auch im Notentext aus. Während nämlich die Vortragsbezeichnungen sonst immer in englisch sind, sind sie in der Handwerker-Komödie italienisch.
    Übrigens: Vielfach wundert man sich, weshalb die Peter Pears auf Leib undStimme komponierte Rolle nicht einer der Liebenden war, sondern der über weite Teile unauffällige Handwerker Flute.
    Des Rätsels Lösung: Flute spielt in der Handwerker-Komödie die Thisbe, und im privaten Kreis war einer von Pears' unterhaltsamsten Scherze eine Parodie auf Joan Sutherland. An ihr konnte nun auch die Öffentlichkeit teilhaben.
    Ewig schade, daß Brittens eigene Aufnahme Pears als einen der Liebenden besetzt (und auch recht lustlos dirigiert ist).


    Aber kommen wir zu dem wirklich sehr unterhaltsamen Bosheitsakt, von dem ich oben schrieb: In der Handwerker-Komödie singt ja bekanntlich auch die Wand. Es ist die einzige Stelle, die nicht die italienische Oper parodiert, sondern als Melodiesprechen in der Art von Schönbergs "Pierrot lunaire" angelegt ist. Und kaum ist "Wall" mit seinem Monolog fertig, meint Hippolyta dazu: "This is the silliest stuff that ever I heard"...


    :hello:

    ...

  • Eigentlich habe ich überhauuuuuupt keine Zeit, aber auf diesen thread habe ich geradezu gewartet. Daß Blackadder ihn gerade eröffnen muß, darüber wurde ja schon zu Genüge gestaunt.


    Wenn ich an Ironie und Humor in der Musik denke, fällt mir sofort der Name Erik Satie ein.


    Leider ist die Zeit auch schon wieder um.


    PAAAAAAANIKKKKKKkkk!!!!!!!! :kotz:


    :hello:
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf
    Wenn ich an Ironie und Humor in der Musik denke, fällt mir sofort der Name Erik Satie ein.


    Wohl eher satierisch, oder?


    :rolleyes:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Aber kommen wir zu dem wirklich sehr unterhaltsamen Bosheitsakt, von dem ich oben schrieb: In der Handwerker-Komödie singt ja bekanntlich auch die Wand. Es ist die einzige Stelle, die nicht die italienische Oper parodiert, sondern als Melodiesprechen in der Art von Schönbergs "Pierrot lunaire" angelegt ist. Und kaum ist "Wall" mit seinem Monolog fertig, meint Hippolyta dazu: "This is the silliest stuff that ever I heard"...


    Und damit landet der Sommernachtstraum prompt auf meinem Wunschzettel...

  • Hallo Blackadder!


    Ich glaube mit den Werken Saties jenseits seiner Frühwerke wie "Trois Gymnopedies" und den "Six Gnossiens" hättest Du Deine helle Freude.


    Wie wäre es mit den drei Klavierminiaturen "Embryons desechees" (Verdörrte Embryonen), in denen Satie allerhand Musikgeschichte zitiert und an der Stelle, wo er Chopins berühmten Trauermarsch aufgreift über die Noten schreibt: a la Mazurka de Schubert! Ausserdem ist jedes gerade mal 2 Minuten dauernde Werk mit einem ganz genauen, skurill anmutenden Bild verbunden.
    Auf die Kritik seines Freundes Debussy, es mangle hie und da an Form, setzte er als Antwort die "Drei Stücke in Form einer Birne" (Birne = poire). Poire war damals ein französisches Modewort, was unserem heutigen "Vollidiot" recht nahe kommt.


    Aber da wären auch noch die "Drei veritablen Prälüdien für einen haltlosen Köter" oder die "Sonatine bureaucratique" zu der er angeblich durch einen Geschäftsmann inspiriert wurde.


    Oder die "Sports et Divertissiments", die als Begleitmusik zu einer Kunstillustration gedacht waren. 20 Miniaturen, die jede eine Freizeitbetätigung oder eine Sportart reflektieren.
    Für die weniger entspannten und allzu ernsten Menschen stellte er den zwanzig Miniaturen noch einen "Unappetitlichen Choral" voran, der tatsächlich irgendwie unappetitlich klingt.


    Satie versah seine Noten häufig mit für den Spieler irritierendsten Anweisungen in der Art wie "halte ein und geh in Dich" "sehr 9 Uhr morgens zu spielen" etc.
    Irgendwo gibt es eine Anweisung, von der er sagt, die Nichteinhaltung würde seine größtmögliche Empörung nach sich ziehen.


    Die genauen Zitate habe ich leider nicht hier, aber Satie ist wirklich Paradebeispiel eines Komponisten mit kauzigem Humor.


    :hello:
    Wulf.

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  • Zitat

    Original von Wulf
    Wie wäre es mit den drei Klavierminiaturen "Embryons desechees" (Verdörrte Embryonen)


    Wulf, I'm shocked... Sind die Peter Singer gewidmet? *kicher*


    Zitat

    Aber da wären auch noch die "Drei veritablen Prälüdien für einen haltlosen Köter" oder die "Sonatine bureaucratique" zu der er angeblich durch einen Geschäftsmann inspiriert wurde.


    Wow, ich lerne und lerne und lerne... *beeindrucktbin*

  • War schon ein schlimmer Finger, der Satie. :D


    Als Freunde nach seinem Ableben zum ersten mal seine Wohnung betraten, zu der über 30 Jahre lang keiner Zutritt hatte, fanden sie nichts als ein paar Notenblätter, Tisch Stuhl, ein paar Bücher und einen Kleiderschrank mit 40(!) identischen Samtanzügen, die der Fressgier der Motten zum größten Teil zum Opfer gefallen sind....


    Gruselig, oder?


    Seine Musik ist es IMO allerdings nicht....


    LG
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf
    War schon ein schlimmer Finger, der Satie. :D


    Als Freunde nach seinem Ableben zum ersten mal seine Wohnung betraten, zu der über 30 Jahre lang keiner Zutritt hatte, fanden sie nichts als ein paar Notenblätter, Tisch Stuhl, ein paar Bücher


    und einen zweiten Flügel, der quasi kopfüber auf seinem eigentlichen lag, und als Papierkorb diente. (oder ist das in das Reich der Sage zu verweisen?)


    so nebenbei: Haben wir eigenlich einen ordentlichen Satie-Thread?

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Nebenbei nicht, lieber Reinhard.


    Aber ich würde mich liebend gerne drum kümmern, wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin :yes:


    :hello:
    Wulf.

  • Ich poste nur ein paar Titel - von Werken, die ich kaum oder gar nicht kenne:



    Mare nostrum. Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraums durch einen Stamm aus Amazonien


    Zehn Märsche, um den Sieg zu verfehlen


    Die Erschöpfung der Welt - Szenische Illusion in einem Aufzug


    Sankt-Bach-Passion



    Aber ich denke, dass er nie so ganz ohne Ironie daherkommt.

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