"Fruchtbare Schaffenskrise" durch Einflüsse anderer Komponisten

  • Liebe Musikfreunde,


    In Wulf Konolds Buch „Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Zeit“ las ich gerade folgenden Ausschnitt:“…war Mendelssohn wohl der erste Komponist, der von Anfang an mit Bachschen Kompositionen aufwuchs und lernte – für Komponisten wie Mozart und Beethoven gab es eine Auseinandersetzung, eine fruchtbare Schaffenskrise, die durch Kenntnis einzelner Bachscher Werke ausgelöst wurde, erst im reifen Mannesalter - …“


    Dies bringt mich auf den für mich interessanten und spannenden Gedanken: welche „fruchtbaren Schaffenskrisen“ großer Komponisten, ausgelöst durch das Kennenlernen Musikwerke vorheriger (oder gleichzeitiger?) großer Komponisten, können wir beobachten? Gibt es erkennbare Kompositionsphasen oder gar einzelne Werke, in denen erkennbar ist, dass sie als direkte Folge der neuerworbenen Kenntnis bestimmter Werke anderer Komponisten entstanden oder beeinflusst sind? Meine Anregung soll sich nicht nur auf Bach, Mozart und Beethoven beziehen, sondern auf die weitere Musikgeschichte.


    Mit meiner Frage will ich keineswegs generell auf die Frage der Einflussnahme durch andere Komponisten und deren Werke hinaus (wie im obigen Beispiel Mendelssohn), sondern ob und wie die Umsetzung eines plötzlichen Einflusses zu einem bestimmten Zeitpunkt erkennbar ist (wie im obigen Beispiel Mozart und Beethoven).


    Mir selber sind solche Mrkmale in Phasen bzw. in Werken nicht bewusst und bekannt, auch nicht die oben im Zitat gemeinten Mozarts und Beethovens nach dem Kennenlernen der Musik Bachs. Kann jemand von Euch dies verdeutlichen? An welchen Werken bzw. durch welche musikalischen Äußerlichkeiten ist der plötzliche Einfluss Bachs erkennbar? Gibt es andere Beispiele in der Kompositionsgeschichte?


    Schöne Grüße,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Ich hatte Konold eigentlich als vernünftigeren Autor in Erinnerung. :rolleyes:
    Bei Beethoven ist die Behauptung schlicht falsch. Er wurde von Neefe mit dem WTK ausgebildet und zu seinem "Wunderkind-Programm" gehörte der auswendige Vortrag von Stücken aus dem WTK. Keine der mutmaßlichen Schaffenskrisen später bei Beethoven hat m.E. was mit Bach zu tun.
    Gewiß hat er sich, z.B. bei der Arbeit an der Missa erneut intensiv mit Bach (aber wohl auch Palestrina und Händel) auseinandergesetzt, aber das lag an seiner Suche nach einem "Kirchenstil" im Spagat zwischen Tradition und Individualität.


    Bei Mozart ist es meines Wissens auch falsch. Er lernte Bachs (und Händels u. einiger anderer Barockkomponisten) Musik kurz nach seiner Ankunft in Wien näher kennen, aber ich weiß weder von einer Krise noch von irgendeinem krisenhaften Zusammenhang mit Bach. Komponisten des 18. Jhds. waren normalerweise noch von Jugend auf im "strengen Satz" ausgebildet, die mußten nichts "wiederentdecken". Mozart schrieb mit 18 oder so polyphone Finalsätze in Quartetten, auch in dem frühen B-Dur-Quintett und dem ersten richtigen Klavierkonzert KV 175.


    Ein Beispiel aus späteren Zeiten fällt mir ein: Schostakowtischs 24 Präludien &Fugen, nach dem Bach-Fest 1950.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Dieser thread erinnert mich daran, mal irgendwo etwas davon gelesen zu haben, Beethoven habe Schwierigkeiten gehabt, Fugen zu komponieren. Nun kenne ich zwar die "eine", aber ich gehe mal davon aus, dass an diesem Gerücht - wer immer das auch gestreut hat - nichts dran ist, oder? :untertauch:

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Dieser thread erinnert mich daran, mal irgendwo etwas davon gelesen zu haben, Beethoven habe Schwierigkeiten gehabt, Fugen zu komponieren. Nun kenne ich zwar die "eine", aber ich gehe mal davon aus, dass an diesem Gerücht - wer immer das auch gestreut hat - nichts dran ist, oder? :untertauch:


    Ich weiß auch nicht, woher das schwachsinnige Gerücht stammt, vielleicht wirklich von Leuten, die op.133 nicht mögen, oder auch die vielen anderen Fugen Beethovens sperrig finden Oder von irgendeinem Geschwätz Schindlers. Es ist bekannt, dass Beethoven sich ungern an Regeln hielt, die er nicht selbst aufgestellt hatte ;)
    Er soll in diesem Zusammenhang gesagt haben, dass eine Fuge zu machen keine Kunst sei und er in seiner Studienzeit dutzende geschrieben hätte, aber es käme eben darauf, auch ein poetisches Element hereinzubringen.
    Wobei man hier aber feststellen kann, dass die zwei umfangreichsten fugierten Stücke in op.106 und op.133 stellenweise derart "demonstrativ-künstlich" sind, als ob sie zeigen wollten, dass an diesen Gerüchten nichts dran sei.


    Es ist eben einfach so, dass eine ausgewachsene Fuge im klassischen Stil (außer offensichtlich archaisierend in der Kirchenmusik) keinen rechten Platz hat. Sie ist zu wenig "dynamisch". Daher gibt es viel häufiger kurze Fugato-Abschnitte (z.B. in der Eroica einen in der Durchführung des Kopfsatzes, einen im Trauermarsch und IIRC sogar zwei im Finale), kleinere kanonische oder imitatorische Stellen (der Einsatz der Stimmen im andante der 1. Sinfonie, Trio im 3. Satz der 5. u.v.a. )
    Dass der reife Klassische Stil "homophon" sei, ist eine grob einseitige Darstellung, eigentlich falsch.


    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    sondern ob und wie die Umsetzung eines plötzlichen Einflusses zu einem bestimmten Zeitpunkt erkennbar ist


    Hallo Uwe, ich denke, das wird sich sehr zahlreich finden lassen, vor allem wenn Komponisten von einer Modeströmung zur anderen überlaufen (z.B. vom Neoklassizismus zur Zwölftonmusik oder gleich zum Serialismus). Ich verweigere aber den Begriff "Krise" in diesem Zusammenhang. Was ist eine Schaffenskrise? Wenn nix mehr weitergeht. Im Falle des "Überlaufens" geht doch in der Regel schon was weiter - womöglich leichter als vorher ...

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  • Hallo,


    Zitat

    Ich verweigere aber den Begriff "Krise" in diesem Zusammenhang. Was ist eine Schaffenskrise


    Den Begriff "Schaffenskrise" habe ich wegen der Diskussionswürdigkeit in Anführungszeichen gesetzt, dazu in Verbindung mit "fruchtbar". Ich denke, wir sind einen Schritt weiter, wenn wir (im Einzelfall) diesen Begriff durch einen für die jeweilige Situation geeigneteren finden.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)