Die Bachkantate (032): BWV3: Ach Gott, wie manches Herzeleid

  • BWV 3: Ach Gott, wie manches Herzeleid
    Kantate zum 2. Sonntag nach Epiphanias (Leipzig, 14. Januar 1725)




    Lesungen:
    Epistel: Röm. 12,6-16 (Wir haben mancherlei Gaben, Lebensregeln)
    Evangelium: Joh. 2,1-11 (Die Hochzeit zu Kana)



    Sechs Sätze, Aufführungsdauer: ca. 27 Minuten


    Textdichter: unbekannt; inspiriert aber vom titelgebendem Choral aus dem Jahr 1587
    Choral (Nr. 1 und 6, sowie in Nr. 2): Martin Moller (1547-1606)


    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe d’amore I + II, Posaune, Violino I/II, Viola, Continuo




    1. Choral SATB, Oboe d’amore I + II, Posaune, Streicher, Continuo
    Ach Gott, wie manches Herzeleid
    Begegnet mir zu dieser Zeit!
    Der schmale Weg ist trübsalvoll,
    Den ich zum Himmel wandern soll.


    2. Recitativo e Choral SATB, Sopran, Alt, Tenor, Bass, Continuo
    Wie schwerlich lässt sich Fleisch und Blut
    Tenor
    So nur nach Irdischem und Eitlem trachtet
    Und weder Gott noch Himmel achtet,
    Zwingen zu dem ewigen Gut.
    Alt
    Da du, o Jesu, nun mein alles bist,
    Und doch mein Fleisch so widerspenstig ist.
    Wo soll ich mich denn wenden hin?
    Sopran
    Das Fleisch ist schwach, doch will der Geist;
    So hilf du mir, der du mein Herze weißt.
    Zu dir, o Jesu, steht mein Sinn.
    Bass
    Wer deinem Rat und deiner Hülfe traut,
    Der hat wohl nie auf falschen Grund gebaut,
    Da du der ganzen Welt zum Trost gekommen
    Und unser Fleisch an dich genommen,
    So rettet uns dein Sterben
    Vom endlichen Verderben.
    Drum schmecke doch ein gläubiges Gemüte
    Des Heilands Freundlichkeit und Güte.


    3. Aria Bass, Continuo
    Empfind’ ich Höllenangst und Pein,
    Doch muss beständig in dem Herzen
    Ein rechter Freudenhimmel sein.
    Ich darf nur Jesu Namen nennen,
    Der kann auch unermess’ne Schmerzen
    Als einen leichten Nebel trennen.


    4. Recitativo Tenor, Continuo
    Es mag mir Leib und Geist verschmachten,
    Bist du, o Jesu, mein
    Und ich bin dein,
    Will ich’s nicht achten.
    Dein treuer Mund
    Und dein unendlich Lieben,
    Das unverändert stets geblieben,
    Erhält mir noch dein’ ersten Bund,
    Der meine Brust mit Freudigkeit erfüllet
    Und auch des Todes Furcht, des Grabes Schrecken stillet.
    Fällt Not und Mangel gleich von allen Seiten ein,
    Mein Jesus wird mein Schatz und Reichtum sein.


    5. Aria Duetto Sopran, Alt, Oboe d’amore I + II, Violino I, Continuo
    Wenn Sorgen auf mich dringen,
    Will ich in Freudigkeit
    Zu meinem Jesu singen.
    Mein Kreuz hilft Jesus tragen,
    Drum will ich gläubig sagen:
    Es dient zum besten allezeit.


    6. Choral SATB, Oboe d’amore I + II, Posaune, Streicher, Continuo
    Erhalt mein Herz im Glauben rein,
    So leb und sterb ich dir allein.
    Jesu, mein Trost, hör mein Begier,
    O mein Heiland, wär ich bei dir.




    Zum Text der Kantate und seinem Bezug zum Evangelium für diesen Sonntag verweise ich einfach mal auf das von mir zur Kantate BWV 155 geschriebene.


    Die Trauerstimmung in dieser Kantate wird vor allem durch den herrlichen Eingangschor (ein "Adagio") geprägt, der wiederum von den beiden Oboen geprägt wird: Das Ganze schreitet mit einem würdigen, unglaublich eleganten (und elegischen) Ausdruck dahin und könnte ohne Weiteres auch in jede Passionsvertonung Bachs hineinpassen. :jubel:


    Den Cantus firmus, also die eigentliche Choralmelodie, übernimmt hier übrigens zur Abwechslung einmal die Bass-Stimme (das ist auch bei Bach eher die Ausnahme denn die Regel) - normalerweise singt der Sopran als Oberstimme die Melodie, während die anderen Stimmen das Ganze harmonisch höchst kunstvoll füllen und Gegenstimmen zum Cantus firmus bilden. Hier zäumt Bach das Pferd also quasi von hinten auf und gibt der Bass-Stimme zur Verstärkung noch eine Posaunenstimme an die melodische Seite.


    Es lohnt übrigens ein Vergleich mit der Kantate BWV 58, die denselben Titel trägt und dementsprechend mit einer Choralbearbeitung derselben Choralstrophe von Martin Moller anhebt, wie die hier vorliegende Kantate. Bach hat diese Kantate für den Sonntag nach Neujahr komponiert und vermutlich 1727 erstmals aufgeführt.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Die ganze vergangene Woche hat mich nun die Einspielung der Kantate von Helmuth Rilling begleitet - ich habe sie wieder und wieder gehört und vor allem der herrliche Eingangschor mit seinen wundervollen Oboenmotiven ist mir in den letzten Tagen ein zur Abwechslung mal ausgesprochen sympathischer Ohrwurm (siehe auch unser sehr geistreicher Thread zum Thema :] ) gewesen, den ich immer wieder vor mich hingesummt habe :jubel:


    Die "technischen Daten" dieser Aufnahme sind:


    Arléen Auger (Sopran), Gabriele Schreckenbach (Alt), Lutz-Michael Harder (Tenor) und Philippe Huttenlocher (Bass) - dazu die Gächinger Kantorei und das Bach-Collegium Stuttgart.


    Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1980 und ist zusammen mit BWV 1 und 2 auf der 1. CD der bei Hänssler im Jahr 1998 erschienenen "Edition Bachakademie" erschienen. Dabei handelt es sich -zumindest für diese Bachkantate (und zahlreiche andere Kantaten ebenfalls) - allerdings um eine Wiederauflage, denn die numehr auch schon 27 Jahre alte Einspielung gab es bereits vorher auf CD.


    Die 25-minütige Einspielung Rillings hat mir von Anfang an sehr zugesagt - ich mag vor allem den Chorklang der Gächinger Kantorei, der zwar stets transparent, aber nie als zu "dünn" im Gesamtvolumen rüberkommt. Wenn ich einen Chorsatz höre, möchte ich auch, dass der Höreindruck eines Chores und nicht eines größeren Solistenensembles entsteht. Ok - das ist natürlich Geschmackssache. ;)


    Über den Eingangschoral habe ich mich ja schon enthusiastisch geäußert. Da der Bass in dieser Choralbearbeitung die einzelnen Choralzeilen vorträgt (was ja nicht ubedingt die Regel bei solchen Bach-Chorälen ist), gefällt mir gut, dass die Bass-Stimme hier nicht so wuchtig rüberkommt und die anderen, höheren Stimmen, die derweil die Choralmelodie variieren und auszieren, quasi mit Bassgewalt "erschlägt". Im Gegenteil: Die Bässe wirken leicht und flexibel und tragen durch ihre unaufdringliche Vortragsweise dazu bei, dass sie - obwohl sie den Cantus firmus singen - gleichberechtigt mit den anderen Stimmen des Satzes zum Gesamtklang beitragen. Nicht mehr und nicht weniger.


    Für die Nr. 2 Recitativo e Choral hat sich Rilling etwas einfallen lassen, um die Choralzeilen, die wie die Rezitativ-Stellen nur vom Continuo begleitet werden, auch von der Instrumentalbegleitung her deutlich von den Rezitativstellen abzuheben:
    Er verwendet das Orgelpositiv und das Cello, also die Instrumente, die er üblicherweise immer in den Rezitativen der Kantaten als Continuo-Instrumente einsetzt, diesmal ausschließlich für die Choralzeilen. Die Solisten tragen ihre Rezitativeinwürfe dagegen mit Cembalobegleitung vor.
    Eine klanglich überzeugende Lösung, die ich allerdings als ungewohnt (ohne das jetzt negativ zu meinen) empfand, da man die Klänge eines Cembalos in Bachkantaten eher weniger gewohnt ist - noch dazu in Rezitativen, wo man sich aufgrund des Klangbildes plötzlich deutlich an Opernmusik erinnert fühlt...


    Leider ist Rilling nicht konsequent genug, um den Einsatz des Cembalos auch im Rezitativ Nr. 4 nochmal vorzuschreiben. Der Solo-Tenor ist hier wieder wie gewohnt zusammen mit Cello und Orgelpositiv unterwegs... Da hätte ich zumindest in dieser Kantate die einmal gewählte Lösung beibehalten....


    Die Choralstellen werden in Nr. 2 übrigens vom Chor vorgetragen – möglich wäre hierfür sicher auch die Wahl der vier Solostimmen, die in diesem Satz ja eh zum Einsatz kommen. Gerade in diesem Fall fände ich die von Rilling gewählte Unterscheidung beider Musikebenen durch den Einsatz verschiedener Begleitinstrumente besonders überzeugend.


    Die Arie Nr. 3 ist eine nur vom Continuo begleitete solche und dieser Arientyp (den Bach ja recht häufig einsetzt) ist für mich persönlich immer ein wenig problematisch:
    Aufgrund des hier sehr sparsamen Orchestereinsatzes (von „Orchester“ kann man ja eigentlich in solchen Fällen schon gar nicht mehr sprechen!) ist vom Klang her schon eine gewisse Beschränkung gegeben, so dass oft der Eindruck gepflegter Langeweile aufkommen kann.
    Natürlich gibt es auch ganz wundervolle Continuo-Arien, die gerade aus ihrem eher kammermusikalischen Ambiente heraus tolle Effekte erzielen, bzw. die sie gestaltenden Solisten es ganz hervorragend verstehen, den Text derart plastisch rüberzubringen, dass man das „Manko“ einer farbigen, größeren Orchestrierung total vergisst.


    In der vorliegenden Kantate ist es jedenfalls – leider – nicht so: Vielleicht liegt es an der Einspielung, vielleicht am musikalischen Material – die sechseinhalb Minuten der Arie “Empfind ich Höllenangst und Pein“ empfinde ich persönlich als eindeutig zu lang!
    Aber vielleicht war das ja genau der Effekt, den Bach hier erzielen wollte, von wegen "drohende, ewige Höllenqualen"??? :D

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)