Die Bachkantate (024): BWV153: Schau, lieber Gott, wie meine Feind

  • Da es in diesem Jahr keinen Sonntag nach Neujahr gibt (für selbigen aber immerhin 2 Bachkantaten :yes: + den 5. Teil des Weihnachtsoratoriums), denn der 06. Januar 2007, also der Epiphaniastag (= Fest der Heiligen Drei Könige) ist schon am kommenden Samstag, so dass der darauffolgende Sonntag bereits als der 1. Sonntag nach Epiphanias gilt, erkläre ich daher aus pragmatischen Gründen das Hier und Jetzt kurzerhand zum Sonntag nach Neujahr :D - bitteschön:




    BWV 153: Schau, lieber Gott, wie meine Feind
    Kantate zum Sonntag nach Neujahr (Leipzig 02.01.1724)




    Lesungen:
    Epistel: 1. Petr. 4,12-19 (Vom Leiden des Christen)
    Evangelium: Matth. 2,13-23 (Flucht nach Ägypten)



    Neun Sätze, Aufführungsdauer: ca. 15 Minuten


    Textdichter: unbekannt
    Choräle: Nr. 1 David Denicke (1646); Nr. 5 Paul Gerhardt (1653); Nr. 9 Martin Moller (1587)


    Besetzung:
    Soli: Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Violino I/II, Viola, Continuo



    1. Choral SATB, Streicher, Continuo
    Schau, lieber Gott, wie meine Feind’,
    Damit ich stets muss kämpfen,
    So listig und so mächtig seind,
    Dass sie mich leidlich dämpfen!
    Herr, wo mich deine Gnad’ nicht hält,
    So kann der Teufel, Fleisch und Welt
    Mich leicht in Unglück stürzen.


    2. Recitativo Alt, Continuo
    Mein liebster Gott, ach lass dich’s doch erbarmen,
    Ach hilf doch, hilf mir Armen!
    Ich wohne hier bei lauter Löwen und bei Drachen,
    Und diese wollen mir durch Wut und Grimmigkeit
    In kurzer Zeit
    Den Garaus völlig machen.


    3. Arioso Bass, Continuo
    Fürchte dich nicht, ich bin mit dir. Weiche nicht, ich bin dein Gott; ich stärke dich, ich helfe dir auch durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.


    4. Recitativo Tenor, Continuo
    Du sprichst zwar, lieber Gott, zu meiner Seelen Ruh’
    Mir einen Trost in meinen Leiden zu.
    Ach, aber meine Plage
    Vergrößert sich von Tag zu Tage,
    Denn meiner Feinde sind so viel,
    Mein Leben ist ihr Ziel,
    Ihr Bogen wird auf mich gespannt,
    Sie richten ihre Pfeile zum Verderben,
    Ich soll von ihren Händen sterben;
    Gott! meine Not ist dir bekannt,
    Die ganze Welt wird mir zur Marterhöhle;
    Hilf, Helfer, hilf! errette meine Seele!


    5. Choral SATB, Streicher, Continuo
    Und ob gleich alle Teufel
    Dir wollten widersteh’n,
    So wird doch ohne Zweifel
    Gott nicht zurücke geh’n;
    Was er ihm fürgenommen
    Und was er haben will,
    Das muss doch endlich kommen
    Zu seinem Zweck und Ziel.


    6. Aria Tenor, Streicher, Continuo
    Stürmt nur, stürmt, ihr Trübsalswetter,
    Wallt, ihr Fluten, auf mich los!
    Schlagt, ihr Unglücksflammen,
    Über mich zusammen,
    Stört ihr Feinde, meine Ruh’,
    Spricht mir doch Gott tröstlich zu:
    Ich bin dein Hort und Erretter.


    7. Recitativo Bass, Continuo
    Getrost! mein Herz,
    Erdulde deinen Schmerz,
    Lass dich dein Kreuz nicht unterdrücken!
    Gott wird dich schon
    Zu rechter Zeit erquicken;
    Muss doch sein lieber Sohn,
    Dein Jesus, in noch zarten Jahren
    Viel größ’re Not erfahren,
    Da ihm der Wüterich Herodes
    Die äußerste Gefahr des Todes
    Mit mörderischen Fäusten droht!
    Kaum kömmt er auf die Erden,
    So muss er schon ein Flüchtling werden!
    Wohlan, mit Jesu tröste dich
    Und glaube festiglich:
    Denjenigen, die hier mit Christo leiden,
    Will er das Himmelreich bescheiden.


    8. Aria Alt, Streicher
    Soll ich meinen Lebenslauf
    Unter Kreuz und Trübsal führen,
    Hört es doch im Himmel auf.
    Da ist lauter Jubilieren,
    Daselbsten verwechselt mein Jesus das Leiden
    Mit seliger Wonne, mit ewigen Freuden.


    9. Choral SATB, Streicher, Continuo
    Drum will ich, weil ich lebe noch,
    Das Kreuz dir fröhlich tragen nach;
    Mein Gott, mach dich darzu bereit,
    Es dient zum Besten allezeit!
    Hilf mir mein’ Sach’ recht greifen an,
    Dass ich mein’ Lauf vollenden kann,
    Hilf mir auch zwingen Fleisch und Blut,
    Für Sünd und Schanden mich behüt!
    Erhalt mein Herz im Glauben rein,
    So leb und sterb ich dir allein;
    Jesu, mein Trost, hör mein Begier,
    O mein Heiland, wär ich bei dir!




    Neun Einzelsätze (was in Bachkantaten recht selten vorkommt) gepaart mit einer Aufführungsdauer von lediglich einer guten Viertelstunde: Diese Kombination macht deutlich, was oberstes Gebot für die Komposition dieser Kantate war - Knappheit; Beschränkung der theoretisch zur Verfügung stehenden musikalischen Mittel und Schonung der (erschöpften) Musiker-Kräfte.


    Dies wird u. a. deutlich in Elementen wie:


    -Der Chor singt lediglich drei knapp gefasste Choralstrophen,
    -Keine Verwendung aufwendiger Solo-Instrumentalbegleitungen; alle Sätze sind lediglich streicher- bzw. continuobegleitet;
    -Keine "ausufernden" Soloarien; auch hier wird eine knapper als sonst üblich gefasste Ausdrucksform bevorzugt.


    Ähnlich wie z. B. in der Kantate zum 3. Weihnachtstag 1724 (BWV 133) hat Bach sich auch in der hier besprochenen Kantate aus ökonomischen Gründen Selbstbeschränkung auferlegt (auferlegen müssen):
    Seine Thomaner waren mit Sicherheit nach den anstrengenden Tagen der Weihnachtszeit 1723/24 mit all der prächtigen Musik, die sie innerhalb weniger Tage zu singen hatten, ziemlich ausgelaugt - und es war noch kein Ende abzusehen: Der Epiphaniastag am 06. Januar stand schließlich noch bevor und mit ihm die prächtige Kantate BWV 65 "Sie werden aus Saba alle kommen"!


    Bach hatte während seines ersten Weihnachtsfestes, dass er als Leipziger Thomaskantor musikalisch zu gestalten hatte, eine ganze Perlenkette (größtenteils) neukomponierter Kantaten geschaffen, darunter BWV 63, BWV 40 und BWV 64.
    Am Vortag zur hier besprochenen Kantate war außerdem noch BWV 190 aus der Taufe gehoben worden.


    Als ich bei Alfred Dürr diese Zusammenstellung fand, wurde mir erst bewusst, was für eine Schwerstarbeit Komponist und Musiker an Feiertagen wie diesen zu leisten hatten!


    Aber damit noch nicht genug:


    Darüberhinaus wurden zu Weihnachten 1723 wohl noch das Magnificat Es-Dur BWV 243 a sowie das Sanctus D-Dur BWV 238 zu Leipzig aufgeführt! (Als ob die ganzen Kantaten nicht schon genug gewesen wären!)


    Was für ein Einstand für den neuen Thomaskantor! :jubel::jubel:


    Eine echte Herausforderung für Hörer wie für die Interpreten - die Musik ist schließlich festlich und anspruchsvoll zugleich.
    Kein Wunder, dass Bach nun versucht, ein bisschen "auf die Bremse zu treten" und sich der künstlerischen Herausforderung einer Kantate ohne besondere instrumentatorische oder chorische Experimente stellt.


    Eine Aufgabe, die er - wie ich finde - dennoch beeindruckend gelöst hat!


    Ein Wort zur Textdichtung:
    In den bisher hier vorgestellten Kantaten hat der Textdichter nicht immer Bezug auf die Lesungen des Tages (die sogenannten Perikopen) genommen.
    Die Neujahrskantaten behandeln beispielsweise bis auf eine die Namensgebung Jesu (= der Evangeliumstext des Neujahrstages) überhaupt nicht; es herrschen stattdessen Danksagungen für dass alte und Segenswünsche für das neue Jahr vor.
    Umso geschickter finde ich in dieser Kantate (und der anderen Kantate, die für den Sonntag nach Neujahr gedacht ist, nämlich BWV 58 ) die Verknüpfung und Einbindung beider Textstellen (also des Apostelbriefs und des Evangeliums) in den Kantatentext!


    Ein geradezu verzweifelter Zug beherrscht die Aussage dieser Kantate - es will so gar nicht in die freudige Weihnachtszeit passen, was hier an Furcht vor Verfolgung und todbringenden Feinden zum Ausdruck kommt!
    So überrascht es nicht, dass Bach viele Sätze in BWV 153 komplett in Moll-Tonarten komponiert hat: So z. B. Nr. 1 in a-moll, Nr. 3 und Nr. 5 in e-moll und Nr. 6 wiederum in a-moll.


    Das in Nr. 3 verwendete Bibelztat stammt übrigens aus Jesaja Kapitel 41 Vers 10.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)