Die Bachkantate (012): BWV57: Selig ist der Mann

  • BWV 57: Selig ist der Mann
    Kantate („Dialogus“) zum zweiten Weihnachtstag (Leipzig 1725)



    Der 26. Dezember wird auch als Gedenktag des Märtyrers Stephanus begangen:


    Lesungen in diesem Fall:
    Epistel: Apg. 6,8-7,2a und 7,51-59 (Märtyrertod des Stephanus)
    Evangelium: Matth. 23,34-39 (Jerusalem, die du tötest die Propheten)



    Acht Sätze, Aufführungsdauer: ca. 28 Minuten


    Textdichter: Georg Christian Lehms (1684-1717);
    Choral: 1668 von Ahasverus Fritsch (1629-1701)


    Besetzung:
    Soli: Sopran, Bass, Coro: SATB; Oboe I + II, Oboe da caccia, Violino solo, Violino I/II, Viola, Continuo


    1. Aria Bass, Oboe I + II, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
    Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewähret ist, wird er die Krone des Lebens empfahen.


    2. Recitativo Sopran, Continuo
    Ach! Dieser süße trost
    Erquickt auch nur mein Herz,
    Das sonst ich Ach und Schmerz
    Sein ewig Leiden findet
    Und sich als wie ein Wurm in seinem Blute windet.
    Ich muss als wie ein Schaf
    Bei tausend rauhen Wölfen leben;
    Ich bin ein recht verlass’nes Lamm
    Und muss mich ihrer Wut
    Und Grausamkeit ergeben.
    Was Abeln dort betraf,
    Erpresset mir
    Auch diese Tränenflut.
    Ach! Jesu, wüsst ich hier
    Nicht Trost von dir,
    So müsste Mut und Herze brechen,
    Und voller Trauren sprechen:


    3. Aria Sopran, Streicher, Continuo
    Ich wünsche mir den Tod, den Tod,
    Wenn du, mein Jesu, mich nicht liebtest.
    Ja, wenn du mich annoch betrübtest,
    So hätt’ ich mehr als Höllennot.


    4. Recitativo Sopran, Bass, Continuo
    Jesus
    Ich reiche dir die Hand
    Und auch damit das Herze.
    Seele
    Ach! Süßes Liebespfand,
    Du kannst die Feinde stürzen
    Und ihren Grimm verkürzen.


    5. Aria Bass, Streicher, Continuo
    Ja, ja, ich kann die Feinde schlagen,
    Die dich nur stets bei mir verklagen,
    Drum fasse dich, bedrängter Geist.
    Bedrängter Geist, hör auf zu weinen,
    Die Sonne wird noch helle scheinen,
    Die dir itzt Kummerwolken weist.


    6. Recitativo Sopran, Bass, Continuo
    Jesus
    In meiner Schoß liegt Ruh und Leben,
    Dies will ich dir einst ewig geben.
    Seele
    Ach! Jesu, wär ich schon bei dir,
    Ach striche mir
    Der Wind schon über Gruft und Grab,
    So könnt’ ich alle Not besiegen.
    Wohl denen, die im Sarge liegen
    Und auf den Schall der Engel hoffen!
    Ach! Jesu, mache mir doch nur
    Wie Stephano den Himmel offen!
    Mein Herz ist schon bereit,
    Zu dir hinaufzusteigen.
    Komm, komm, vergnügte Zeit!
    Du magst mir Gruft und Grab
    Und meinen Jesum zeigen.


    7. Aria Sopran, Violino solo, Continuo
    Ich ende
    Behende
    Mein irdisches Leben.
    Mit Freuden
    Zu scheiden
    Verlang ich itzt eben.
    Mein Heiland, ich sterbe mit höchster Begier,
    Hier hast du die Seele, was schenkest du mir?


    8. Choral SATB, Oboe I + II, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
    Richte dich , Liebste, nach meinem Gefallen und gläube,
    Dass ich dein Seelenfreund immer und ewig verbleibe,
    Der dich ergötzt
    Und in den Himmel versetzt
    Aus dem gemarterten Leibe.



    Ein Bibelwort aus dem Jakobusbrief (Kap. 1,12) leitet diese in Dialogform gehaltene Kantate ein, die sich ausschließlich am Gedenktag des Märtyrers Stephanus orientiert und so gar nichts weihnachtliches an sich hat.


    Die Dialoge zwischen Jesus und der Seele (immer in der Stimm-Aufteilung Bass - Sopran) waren zur Bachzeit sehr beliebte Stilmittel in der Kantatendichtung.


    Die doch sehr morbide, jenseitsgerichtete Stimmung, die der Text verbreitet, erinnert mich persönlich sehr an die Aussagen der berühmten Kantate "Ich habe genug" BWV 82.
    Eine derartig freudige Erwartung des eigenen Todes ist uns Heutigen eher fremd, aber ganz typisch für die Lyrik des Barockzeitalters. Das irdische Leben war für die Meisten halt sehr hart und entbehrungsreich - da war es oft ein Trost, an die ewige Ruhe zu denken, so hart das auch klingen mag.


    Soviel zum Text - die Musik Bachs macht viele dieser düsteren Aussagen wieder wett und die Kantate zu einem wahren Hörerlebnis... :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo zusammen,


    der geballten Fachkompetenz der bisherigen Beiträge zu den ersten Kantaten kann ich leider nur einen ausgeprägten Enthusiasmus entgegen setzen. Aber auch das kann ja die Diskussion beleben. :)


    Ich lernte diese Kantate erst vor ein paar Wochen kennen, anlässlich des Erwerbs folgender Einspielung unter Gardiner:



    Bin ich grad dabei, die Kantaten nach und nach mit der Veröffentlichung des "Pilgrimage"-SDG-Zyklus kennen zu lernen, und war bisher eigentlich an jeder Kantate etwas faszinierendes zu finden, so gibt es doch immer Höhepunkte, die mich schlicht aus dem Sessel heben oder halt vor Staunen in den selbigen drücken. :jubel:


    So auch geschehen mit BWV 57. Schon die einleitende Bassarie ist großartig, wunderschön gesungen von Peter Harvey, im späteren Verlauf des Werkes mit "Ja,ja, ich kann die Feinde schlagen" sich noch steigernd.


    Sprachlos machen mich aber buchstäblich die beiden Sopranarien und die von Bach vorgeführte Rhetorik: Da wünscht sich jemand den Tod bar aller Hoffnung- denkt man zumindest, aber nein: Es wäre ja nur so, wenn da nicht die Liebe Jesu wäre. Wie das genial musikalisch ausgedrückt wird, wie sich also die Logik erst nach und nach dem Hörer erschließt, ich bin baff. Analog die klagenden, ja flehenden Rufe Mein Heiland, ich sterbe, welche sich plötzlich, in Musik und Text gleichzeitig zu vernehmen, in eine unglaublich freudige Todessehnsucht wandeln ...ich sterbe in höchster Begier, dass ist in der Tat erschütternd anzuhören, für mich ein hin und her an Gefühlen, zumal wirklich großartig gesungen von der Solistin Joanne Lunn. :jubel: :jubel: :jubel:


    Und natürlich gebührt auch Gardiner für die tolle musikalische Umsetzung mein Applaus, auch für die Ruhe, mit welcher die Arie "Ich wünschte mir den Tod musiziert wird. Für mich wieder mal ein Beweis dafür, dass dem häufig für seine Tempowahl kritisierte Gardiner durchaus nicht der Mut für langsame Tempi fehlt - vielmehr setzt er selbigen häufiger für die Wahl forscherer Tempi ein. ;)


    Gruß
    Sascha

  • Dies ist eine der Kantaten, die man sich zuerst mehrfach anhört und dann nie
    mehr vergisst, da sie sooo schön ist.


    Ich schließe mich zu 100 % dem Vorredner an: Besonders die 2 Sopranarien
    berühren und gehen unter die Haut. Das führt dazu, dass ich mir die zweite, wenn ich betrübt bin,
    10 -20 Mal anhöre; sie ist für mich sehr wichtig und zum Trösten da.


    Ich habe schon an anderer Stelle geschrieben, dass die Leusinckaufnahme von
    dieser Kantate sehr sehr gut ist, was zu allererst an der unglaublichen Leistung
    von Ruth Holton liegt :jubel: :jubel::jubel:


    :hello:

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • Guten Abend


    eine schöne Aufnahme der Dialogkantate BWV 57 wurde auf dieser



    CD mit dem Choeur regional d'Auvergne,
    dem Ensemble Les Folies Francoises und den Solisten
    Salome Haller (Sopran) und Stephan Macleod (Bass)
    eingespielt.
    Die affekt- und abwechslungsreichen Arien tragen teils opernhafte Züge.
    Bemerkenswert ist, dass mit der Orgel der Kirche zu Pontaumur
    eine echte Barockorgel -eine Rekonstruktion von Bachs Arnstädter Orgel- eingesetzt wird.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard