Der Keilberth-Ring von 1955

  • Hallo,


    ich bin vor ein paar Tagen bei Amazon auf die Veröffentlichung einer Ring-Aufnahme von 1955 mit dem Dirigenten Keilberth gestossen. Das Label heisst 'Testament'.


    Für mich als Wolfgang Windgassen-Fan ist das eine kleine Sensation, weil ich ihn als Siegfried aus dem Böhm-Siegfried und als Tristan kenne und liebe!


    Ich persönlich schrecke momentan vor dem hohen Preis zurück, und die Götterdämmerung ist noch nicht veröffentlicht.


    Was ist Eure Meinung? Sollte man die Veröffentlichung unterstützen oder lohnt es sich nicht?


    Gruß,
    Olli

  • Hallo Oliver,


    handelt es sich hierbei um CDs oder um LPs?
    Ich kenne die LP-Sammlung zu EUR 590,-- , was wirklich ein stolzer Preis ist.
    Wie gut ist Ramon Vinay als Siegmund?

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Testament bringt "alte" Sachen "neu" auf CDs raus. Also denk ich mal CDs.
    Im übrigen sind die Preise bei Amazon nicht so heftig.
    Zum Vergleich: Siehe Online-Store von testament, wo die Preise in Pfund angegeben sind.

  • Hallo,
    Ich habe gehört, dass es sich hierbei um frühe Stereo-Aufnahmen handelt, die die Decca veranstaltet, aber dann doch nicht herausgegeben hat. Wenn man eine aufnahmetechnisch gute Alternative zum Solti-Ring haben wolle, so heißt es, solle man hier zugreifen. Denn bei Solti haben, so heißt es weiter, die Solisten den Zenit ihres Könnens bereits überschritten, bei Keilberth nicht.


    Gruß,


    Kontrapunkt

  • Ich kenne bisher nur den "Siegfried"....
    Der Stereoklang ist wirklich gut - aber meines Erachtens nicht so überwältigend als dass ein derart exorbitanter Preis gerechtfertigt wäre. Daher zum sängerischen Aspekt: Wer Windgassen liebt, sollte diese Aufnahme besitzen, da er bei Böhm nicht mehr so taufrisch ist. Wer allerdings bereits den 56-Ring (Orfeo) hat und mit Mono leben kann, muss nicht unbedingt den 55-Ring erwerben. Einer der zentralen Knackpunkte ist für mich der Hotter'sche Wotan, dem ich nichts, aber auch so gar nichts abgewinnen kann. Vielleicht ist es bei ihm ja wie Tomlinson, der rein akkustisch eher mäßig, auf der Bühne aber umso mehr überzeugt.
    Ein Tipp zum Probehören: Auf http://www.wagneroperas.com gibt es unter "Podcasts" die Schlussszene Brünhilde-Siegfried zu erhören - ein singuläres Erlebnis. Die letzte Phrase ("lachender Tod") hat einen solch orgiastischen Charakter, dass man es kaum glauben mag.

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  • Vielen Dank für eure Antworten,


    ich werde mir wahrscheinlich nur den Siegfried zulegen....wenn der Geizanfall :( abgeklungen ist ;):)


    Gruß,
    Olli

  • Der Siegfried ist in der Sommer 2006 - Ausgabe vom Classical Record Collector besprochen worden:


    Decca hat danach 1955 den ersten Ring in Stereo und live in Bayreuth aufgenommen. Ein wirtschaftliches Risiko, denn Legge hatte für EMI die Rechte an allen Liveaufnahmen aus Bayreuth bis 1957 gesichert und untersagte Decca die Veröffentlichung des Rings. Später sorgte Culshaw dafür, daß der Keilberth-Ring nicht zu seinem Recht kam, denn er wollte seinen Solti-Ring vor dieser Konkurrenz bewahren. Testament wird den kpl Ring veröffentlichen.


    Die Ausgabe von Testament - so der CRC - klingt mehr wie eine gute Studio- als eine Liveaufnahme. Stimmen und Orchester werden viel näher an den Hörer herangebracht. Sehr gute Balance von Stimmen und Orchester, bewundernswerte Akustik insgesamt. Wohl aufgrund der Mikrophonplazierung ist der Klang viel brillianter und hat mehr hohe Frequenzen als andere Bayreuther Aufnahmen dieser Zeit. Stimmen bleiben präsenter, Publikums- und andere Geräusche hört man so gut wie nicht.


    Für die Walküre (CRC Herbst 2006) gilt im wesentlichen dasselbe, nur sind etwas mehr Nebengeräusche zu hören.


    Allegemein wird das Dirigat von Keilberth sehr gelobt, über die sängerischen Leistungen wird auch viel geschrieben, aber ich kann das alles hier nicht übersetzen und wiedergeben. Jedenfalls soll es ein interessanter, aber kein den-muß-ich-haben-oder-ich-gehe-ins-Wasser-Ring sein.

  • Zitat

    Original von Oliver
    [...] und die Götterdämmerung ist noch nicht veröffentlicht.


    Wird die noch veröffentlicht? Wenn ja: Wann ist damit zu rechnen?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Original von Oliver
    Vielen Dank für eure Antworten,


    ich werde mir wahrscheinlich nur den Siegfried zulegen....wenn der Geizanfall :( abgeklungen ist ;):)


    Gruß,
    Olli


    Dann nimm aber auch das Waldvöglein dazu, denn sonst fehlt dir das:


    Hei! Siegfried erschlug nun den schlimmen Zwerg!
    Jetzt wüsst' ich ihm noch das herrlichste Weib.
    Auf hohem Felsen sie schläft, Feuer umbrennt ihren Saal:
    Durchschritt er die Brunst, weckt' er die Braut,
    Brünnhilde wäre dann sein!


    COPYRIGHT: RICHARD WAGNER

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Nach wie vor nur zu einem unverschämt hohen Preis zu erstehen:



    Nach dem Reinhören in etliche Sound-Schnipsel konstatiere ich, daß der sehr frühe Stereo-Klang ziemlich gut, nicht aber sensationell ist. Die Sängerleistungen scheinen wirklich auf sehr hohem Niveau zu sein. Allerdings gefällt mir das Dirigat nicht. Der Mythos Keilberth wird sich kaum aufgrund dieses "Rings" gebildet haben. Es klingt für meinen Geschmack meistens zu schnell, zu dünn und mit zu wenig Pathos. Es ist daher aus meiner Sicht wirklich sehr bedauerlich, daß nicht auch einer der Knappertsbusch-"Ringe" [1956–58], dessen Leseart mir viel eher zusagt, in Stereo vorliegt. Für mich jedenfalls aufgrund des sehr hohen Preises bisher kein Kaufanreiz, schon wegen der Schwächen des Dirigats.


    Hat jemand die Aufnahmen mittlerweile auch selbst und könnte ein paar Worte dazu schreiben?


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich besitze den Keilberth-Ring seit ca.1 1/2 Jahren und bin mit ihm mehr als zufrieden. Die "Schwäche" Keilberths, seine schnellen und "unpathetischen" Tempi, halte ich größtenteils für eine Stärke, zumal sie ohnehin den originären Vorstellungen Wagners am ehesten entsprechen. Manchmal wünscht man sich vielleicht etwas mehr "Weihebreite", aber dafür gelingen Keilberth besonders die Teile des Rings, für welche den "Pathosdirigenten" wie Knappertsbusch, Furtwängler oder Thielemann die Antenne fehlt: das Quecksilbrige des "Rheingolds" oder die Scherzo-Strecken im "Siegfried". Die Aufnahmequalität ist für die Zeit wirklich sehr gut, es mangelt lediglich ein bisschen an der räumlichen Tiefenstaffelung. Und die Besetzung spricht für sich. Windgassen ist hier m.E. besser und jugendlich-frischer als 12 Jahre später an selbigem Ort unter Böhm oder im Studio unter Solti. Varnay muss man mögen (Testament bietet alternativ auch noch "Walküre" und "Götterdämmerung" mit Mödl aus der zweiten Aufführungsserie), Hotter natürlich auch, wobei sich die Wattigkeit des Timbres hier in Grenzen hält. Beim Orchester muss man natürlich die bekannten schallblendenbedingten Einschränkungen bei den Obertönen in Kauf nehmen, das Orchester klingt manchmal wie vor einem akustischen Röntgenschirm, was aber auch eine interessante und überraschende Erfahrung sein kann...


    Bei "Cantus Classics" ist mittlerweile eine wesentlich preiswertere MP3-Version erschienen, von der ich allerdings nicht weiß, ob sie noch verfügbar ist.


    :hello:


    GiselherHH


    P.S.: 1951 hatte die DECCA den Versuch unternommen, den "Ring" unter Knappertsbusch auszunehmen (noch in MONO). Allerdings war, so John Culshaw, der künstlerische Ertrag bis auf die dann schließlich veröffentlichte "Götterdämmerung" eher mäßig, was nicht nur an den Sängern, sondern auch an "Kna" gelegen haben soll. Außerdem konnte man nur eine Aufführungsserie samt Proben mitschneiden (Karajan machte die andere) und das Aufnahmeteam hatte große Mühe, die mit schöner Regelmäßigkeit fallenden und trotz Schalldeckel auf den Bändern gut zu vernehmenden Kraftausdrücke des Dirigenten herauszuschneiden...

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hier ist der "Ring" als MP3-Datei:



    Richard Wagner (1813-1883)
    Der Ring des Nibelungen

    (Gesamtaufnahme im MP3-Format)


    Künstler: Hans Hotter, Toni Blankenheim, Georgine von Milinkovic, Herta Wilfert, Astrid Varnay, Hans Hotter, Wolfgang Windgassen,
    Orchester der Bayreuther Festspiele,
    Joseph Keilberth
    Label: Line , ADD/m, 1955, 2 MP3s


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Mein Urteil von neulich war wohl zu voreilig. Konnte jetzt ausführlicher in die "Götterdämmerung" reinhören und muß sagen: sensationell! Nicht nur die Sänger, auch das Dirigat. Wie Keilberth die Blechbläser einsetzt, hörte ich so noch nie, etwa in Siegfrieds Rheinfahrt oder im Finale bei der "Einleitung" zum "Zurück vom Ring!", das Greindl so ausdrucksstark bringt, wie es besser nicht geht. Die Varnay mit ihrer dunklen Stimme ist der Nilsson m. E. sogar überlegen als Brünnhilde.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Erst heute fiel mir auf, daß es auch zumindest "Die Walküre" (inkl. Ausschnitten aus dem '55er "Tannhäuser") und die "Götterdämmerung" aus der zweiten Aufführungsserie von 1955 (ebenfalls in Stereo) gibt. Hauptunterschied ist, daß Martha Mödl statt Astrid Varnay die Brünnhilde singt.


    "Die Walküre" I "Die Walküre" II


    "Götterdämmerung" I "Götterdämmerung" II


    Kennt jemand beide Serien und könnte Vergleiche anstellen?


    :hello:

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II., die erste Serie ist vollständig, von der zweiten gibt es tatsächlich nur Walküre und Götterdämmerung. Warum, weiß ich nicht. Beide sind seinerzeit mit der allerneuesten Aufnahmetechnik für eine Veröffentlichung auf Platte mitgeschnitten worden. Erscheinen sollte der erste Durchlauf mit der Varnay als Brünnhilde, der zweite Durchlauf war als Korrekturmasse gedacht. Diese Bänder schlummerten bis zur Verbreitung durch das Verwertungslabel Testament vor ein paar Jahren im Panzerschrank der Decca, die sich schließlich für die Studioproduktion unter Solti entschied und das Live-Projekt aufgab. Was mal bei Meldodram zu haben war, ist der ganz gewöhnliche Rundfunkmitschnitt, damals natürlich in strengem Mono und mit dem, was wir nun hören können nicht zu vergleichen. Natürlich ist Stereo um 1955 noch anderes als 2012. Das muss man berücksichtigen. Der erste, vollständig auf CD veröffentlichte Zyklus ist insofern stärker bearbeitet, als Bühnengeräusche weitgehend beseitigt sind. Dieses Material ist auch die Grundlage für eine realaiv kleine Auflage auf LP gewesen. Ja, LP! Wie es eigentlich geplant war. Die Bühnengeräusche sind bei der alternativen Walküre und bei der Götterdämmerung mit der Mödl erhalten. Das erhöht für meinen Geschmack die Authentizität. Sonst gibt es bis keinen klanglichen Unterschied. Ich würde der Mödl den Vorzug geben, ganz aus persönlicher Neigung und Geschmacksgründen. Die Varnay, damals auf dem absoluten Höhepunkt, ist natürlich auch ein Ereignis. Zu vermerken wäre noch die unterschiedliche Besetzung des Gunther mit Uhde und Hotter. Keilberth ist phänomental. Erst nach diesem Ring habe ich seine ganze Bedeutung für mich erkannt. Er dirigiert diese Musik groß, rauschhaft und mit einer gewissen Gnadenlosigkeit bei den Zuspitzungen des Dramas. Beim Ring sozusagen der Anti-Karajan.


    Die Boxen sind nach wie vor ziemlich teuer. Der Preis soll wohl dem Ereignis angemessen sein. Das habe ich immer so verstanden - und akzeptiert. Qualität hat eben ihren Preis. Unvorstellbar für mich, dass diese Teile für 5 Euro das Stück in der Wühlkiste herumliegen, wo ich erst dieser Tage den nach wie vor bedeutenden Tristan unter Furtwängler mit Flagstad und Suthaus habe erspäht, verstaubt, zerkratzt, misshandelt. Ich könnte heulen bei solchem Anblick. Diese Aufnahmen gehören da nicht hin! Das ist wie im Müll. Ein gewisser Preis schützt sie vor diesem Schicksal. Gern spare ich woanders.


    Ich kann nur zuraten, alle Teile dieses Ringes zu erwerben. Sie gehören zum Bedeutendsten, was es im Nachkrieg-Bayreuth gegeben hat. Das Ohr sieht mit. Es ist, als würden all diese Archtypen, die Wieland Wagner geschaffen hat, noch heute um uns sein.


    Mit besten Empfelungen grüßt Reingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Danke für die kompetenten Ausführungen!


    Mir liegt die komplette erste Serie vor, und die hielt ich bislang eigentlich für kaum zu toppen (inklusive der für das hohe Alter geradezu sensationellen Tonqualität).


    Keilberth erweist sich hier — neben Knappertsbusch — als "der" "Ring"-Dirigent schlechthin. Trotz der Unterschiedlichkeit der beiden Interpretationen, schätze ich beide eigentlich gleich hoch. Keilberth hat eben den Vorteil der Stereo-Technik auf seiner Seite.


    Frau Mödl habe ich nicht im Ohr als Brünnhilde, daher bin ich gespannt auf ein Vergleichshören. Jedenfalls kommt mir die Varnay schon schwer zu überbieten vor.


    Hotter als Gunther — das klingt ja auch spannend. Da ich ihn auch als Amfortas (Bayreuth 1954) fabelhaft fand, kann ich mir das insofern gut vorstellen, daß das auch hier klappt.


    Übrigens merkwürdig, daß damals der "Siegfried" der zweiten Serie nicht mitgeschnitten wurde. Am 12.08.1955 sang Mödl nämlich auch die "Siegfried"-Brünnhilde. Beim "Rheingold" waren die Besetzungen eh immer identisch.


    Beste Grüße
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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