Legendäre Aufnahmen - Aufnahmen mit einer Geschichte


  • Legendär nannte ich die beiden auf der abgebildeten CD enthaltenen Aufnahmen im „Heute gekauft-Thread“. Norbert, dem missfiel, dass ich die von mir ebenfalls gekaufte und an besagter Stelle erwähnte Kegel-Aufnahme der ersten Sinfonie Mahlers nicht ebenfalls als legendär bezeichnet hatte, fragte, welche Aufnahme von Mahlers erster Sinfonie für mich legendär sei. Ich antwortete: „Keine!“ Die von mir gegebene Begründung – es gebe viele empfehlenswerte Aufnahmen von Mahlers Erster, keine sei im Vergleich zu den anderen herausragend, zu keiner gebe es eine besondere Geschichte – fand Norbert interessant. Er regte an, ich möge einen entsprechenden Thread starten. Bitte, hier ist er:


    Legendär wird im Duden mit legendenhaft, unwahrscheinlich, Legende mit [Heiligen]erzählung umschrieben. Im modernen Sprachgebrauch wird der Begriff Legende auch areligiös als Synonym für Held gebraucht (z.B.: Legende des Sports, das legendäre Wembley-Tor).


    In diesem Thread soll es um legendäre Aufnahmen gehen, um solche also, die nicht nur herausragend sind, sondern um die sich darüber hinaus Geschichten ranken, Heldengeschichten. Drei Aufnahmen sollen dass Gemeinte illustrieren:


    Als erste sei die oben abgebildete Aufnahme der schönen Müllerin mit Aksel Schiötz erwähnt. Schiötz - 1906 geboren, er fand erst relativ spät zum Gesang - wurde von dem Liebegleiter schlechthin, von Gerald Moore als größter Liedsänger des 20. Jahrhunderts, seine schöne Müllerin als modellhaft bezeichnet Im November 1945 hat er sie aufgenommen. Kurz darauf erkrankte er schwer. Ein Tumor am Gehörnerv musste entfernt werden. Der Eingriff gelang, allerdings blieb die rechte Gesichtshälfte fortan gelähmt und konnte die Stimme nicht mehr an das anknüpfen, was vorher war. Der Hörer lauscht somit dem Wunder dieser zum Vermächtnis gewordenen schönen Müllerin und fragt sich – ähnlich wie bei Wunderlich – was noch hätte kommen können.


    Eine weitere legendäre Aufnahme ist die folgende, bzw. sind die folgenden:

    aus 1941

    aus 1943


    Es dürfte allgemein bekannt sein, dass Horowitz ein sehr, sehr dünnes Nervenkostüm besaß. Das erste Klavierkonzert von Tschaikowski war sein Konzert Schon damals in den Zwanzigern hatte Horowitz in Hamburg als Einspringer für eine Sensation gesorgt, waren für das sofort anberaumte Folgekonzert binnen zweier Stunden 3.000 Karten verkauft worden. Nun also, Anfang der Vierziger, sollte Horowitz das Konzert unter Toscanini spielen, dem Tyrannen Toscanini, der Horowitz Schwiegervater war. In Kaisers „Große Pianisten unserer Zeit“ heißt es dazu: „Aber seine berühmteste Interpretation ist… doch wohl die Aufführung des b-moll-Klavierkonzerts von Tschaikowski geblieben. Es gehen wilde Gerüchte darüber um, wie viele Proben Horowitz unermüdlicher Schwiegervater Arturo Toscanini gefordert habe und wie eilig der erschöpfte Pianist die schützenden Mauern einer Nervenheilanstalt aufsuchen musste. In der Tat können 40 oder mehr Tschaikowski-Proben auch einen gesunden Mann ruinieren. Deshalb schenken sich allerorten Pianisten und Dirigenten, die es vielleicht nötiger hätten als Toscanini und Horowitz, solche Probearbeit… Wie es aber gehen kann, wenn ein dämonischer Wille und ein zügelloses Temperament sich mit höchster Konzentration des Tschaikowski-Konzertes annehmen, davon ahnen sie, zu ihrem Glücke, nichts.“


    Es gibt zwei Aufnahme des Konzerts mit Horowitz und Toscanini. Die Studio-Aufnahme von 1941 ist die schnellere, die Kriegsanleihenkonzert-Aufnahme von 1943 ist die berühmtere, die ich empfehle. Es ist überwältigend, wie Toscanini dem Stück schon in den ersten Takten seinen Willen aufzwingt und wie Horowitz sich diesem stählernen Zugriffs, diesem Schraubstock Toscaninis zu erwehren weiß. Der Klang, das sei eingeräumt, ist nicht gut, sondern historisch - was ich stets nach kürzester Zeit vergesse.


    Die dritte berühmte Aufnahme mit einer Geschichte ist die Aida-Aufnahme der jungen Callas aus Mexiko. Schöner als Kesting in seiner Callas-Biografie kann man es nicht schreiben. Zitat: „Schon bei den Norma-Aufführungen hatte es Spannungen zwischen dem Tenor Kurt Baum und Maria Callas gegeben, die in der ersten Aida wieder einmal zu einer Art Duell auf der Bühne führen sollten. Carlos Diaz Du-Pond hat in der „Opera“ erzählt, dass Antonio Caraza-Campos nach der Generalprobe Maria Callas und Giuletta Simionato in sein Haus eingeladen hatte. Dort hatte er Callas eine Partitur gezeigt, die der mexikanischen Sopranistin Angela Peralta… gehört hatte. Die Peralta hatte am Ende des zweiten Aktes ein hohes Es gesungen, und Caraza-Campos lockte Maria Callas mit dem Satz: „Madame Callas, wenn Sie morgen ein Es singen, werden die Mexikaner verrückt.“ Maria Callas lehnte ab, zum einen, weil die Note nicht geschrieben war, zum anderen, weil sie ihre Kollegen nicht irritieren wollte. Beim Rückweg soll Giuletta Simionato, nah dem Bericht von Du-Pond gesagt haben: „Cara per me, da il me bomolle… vielleicht wird es ein großer Spaß.“ Am Abend des 30. Mai verärgerte Kurt Baum, ein typischer Rampentenor seine Kollegen, weil er seine hohen Töne endlos lange hielt; das hohe B am Ende der Romanze stemmte er, wie der Mitschnitt zeigt, mit einer so angestrengten Ausdauer, dass man beim Hören das Weiße in seinen Augen zu sehen vermeint. Nicola Moscona begab sich in der Pause in die Garderobe von Maria Callas und beklagte sich. Callas wandte sich zu Du-Pond: „Carlos, gehen Sie bitte zu Siminoato und Robert Weede (der den Amonasro sang) und fragen Sie die beiden, ob sie Einwände haben, wenn ich ein hohes Es singe.“ Ein es in alto im Finale des zweiten Aktes von Aida bedeutet mehr, weit mehr als nur ein sängerisches Risiko, Verdi hat hier, zum letzten Male, eine Szene nach dem Modell der Grande Opera komponiert, ein brillante Effektszene. Sich gegen einen groß besetzten Chor und ein volles Orchester mit schmetternden Trompeten durchzusetzen, erfordert ein Höchstmaß an Durchschlagskraft. Ein Es, wie ein soprano leggiero es bildet, würde in den Klangwogen dieses Finales untergehen. Maria Callas nahm dieses Es – also eine Oktavierung in die Höhe – mit vollem Anschlag. Der Ton durchschneidet den tumultuösen Lärm der Szene – man hat das Gefühl, als ob ein greller, gleißender Blitz das Wüten einer stürmischen Gewitternacht erhellt, und zu spüren ist, dass sowohl das Publikum als auch Kurt Baum für einen Moment fassungslos sind. Maria Callas aber muss Gefallen gefunden haben an diesem Stunt. Ein Jahr später sollte sie ihn, ohne dass Kurt Baums sängerische Mätzchen eine Entschuldigung gewesen wären, wiederholen, diesmal neben oder gegenüber Mario del Monaco, der den Radames mit der Emphase eines römischen Volkstribunen vorführte.“ Und tatsächlich, der Kauf dieser CD lohnt sich wegen dieser einen Szene. Sie zu hören, bedeutet zu wissen, dass Maria Callas etwas ganz besonderes war bzw. aus damaliger Sicht werden wird. Dieser Ton ist, mit einem Wort gesagt, unfassbar!



    das Original aus 1950

    die Wiederholung aus 1951


    Welches sind eure legendären Aufnahmen? Welche Geschichten möchtet ihr erzählen?


    fragt
    Thomas

  • Legenden ranken sich angeblich auch um die Aufnahme von Beethovens Tripelkonzert mit Karajan und den "drei Russen"- Richter, Oistrach, Rostropowitsch. Habe leider vergessen, woran sich ein Streit entzündete , der sich angeblich auch am Plattencover nicht verleugnen läßt (?).
    Weiß hier irgendjemand mehr?



  • Um diese Aufnahe (ich kenne sie nicht) rankt sich folgende Geschichte: Kleiber wurden 10 volle Orchesterproben und 20 Aufnahmesitzungen für diese Oper zugestanden. Bei der so ziemlich letzten Aufnahme, der Wahnsinnsarie von Tristan, stürmte Kleiber plötzlich aus dem Studio und betrat Zeit seines Lebens keines mehr. Laut Jens Malte Fischers "Carlos Kleiber- der skrupulöse Exzentriker" lösten Differenzen mit dem Orchester (sprich: sie spielten nicht so wie Kleiber wollte) diesen Eklat aus. Jetzt war man aber in der schwierigen Situation, dass die ganze Oper praktisch fertig aufgenommen war (und bis jetzt ein Heidengeld gekostet hatte). Nur die beiden Vorspiele zum 1. und 3. Akt fehlten. Der Produzent hatte aber während den Proben zum Glück die Aufnahmegeräte heimlich mitlaufen lassen. Es fehlte allerdings die Freigabe von Kleiber. Dass die Aufnahme dennoch rauskam ist auf Peter Gülke, Assistent bei der Aufnahme, zurückzuführen, der Kleiber solange genervt hat, bis der Einwilligte. Zum Abschied soll er gesagt haben: "Sie haben mich heute zum unglücklichsten Mann der WElt gemacht.


    Wer kann zu dieser Aufnahme was sagen? Ist sie den Aufwand wert gewesen?


    LG
    Georg

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Zitat

    Weiß hier irgendjemand mehr?


    Das Cover ist lächerlich.
    Richter, Oistrach und Rostro stehen im Hintergrund und müssen grinsen, während Karamalz und nicht Richter am Klavier sitzt und bedeutungsschwanger in die Ferne schaut.
    M.w. hat sich vor allem Richter sehr darüber geärgert, den Clown abgeben zu müssen auf diesem Foto.

  • "Karamalz" - der ist gut den kannte ich noch nicht! :D :D :D :jubel: :jubel: :jubel:

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

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  • Hallo Michael!
    Wenn ich mich richtig erinnere, hat sich Richter in seinen Tagebuchaufzeichnungen auch etwas enttäuscht von Rostros Unterwürfigkeit/Schleimerei gegenüber Karajan gezeigt.
    Auf jeden Fall zeigt das Foto drei fröhliche, sympathische Russen und einen ernsten Ösi...
    Die Aufnahme finde ich übrigens wunderschön.

  • Das steht auf der englischen Wikiseite zu Karajan (hab ich auch schon mal woanders gelesen):


    During a rehearsal of the Beethoven Triple Concerto with David Oistrakh, Sviatoslav Richter and Mstislav Rostropovich, pianist Richter asked Karajan if they could go over a passage again, to which Karajan replied "No, now it is time for pictures". This did not prevent violinist Oistrakh from saying, when Karajan turned 65, that he was "the greatest living conductor, a master in every style."

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Hi , Flotan!


    Weiß leider auch nichts genaueres.


    Weiß nur eines:



    Diese aufnahme gefällt mir wahnsinnig gut,


    schon allein wegen rostropovich :yes:


    LG florian


    :hello:

    Gustav Mahler: "Das Wichtigste in der Musik steht nicht in den Noten."