Bruckner IX mit neuem Marthé-Finale - jetzt reden wir mal über die Musik -

  • ... und nicht über Cover, Frisurentrends, Karajan oder Rekonstruktionen, sondern einzig und allein über die Musik, die uns das European Philharmonic Orchestra und Herr Marthé nun auch als offizielle CD-Einspielung zugänglich gemacht haben.


    Alle, die das Konzert live miterlebt haben, oder die die CD besitzen, mögen bitte hier schreiben, was die Musik bei Ihnen ausllöst, wie es Ihnen gefallen hat etc.


    Vergleiche mit bestehenden Einspielungen sind erlaubt, was die Sätze 1-3 betrifft.


    Die Diskussion über den Finalsatz erwarte ich mit Spannung, aber bitte nicht über die Rechtmässigkeit dieser Komposition diskutieren, dazu gibt es andere Threads.


    Hier sprechen wir über die Musik.


    Wer die CD nicht besitzt, und hier bei Tamino registriertes Mitglied ist, möge bitte im internen Bereich den Thread mit der Nummer 4349 lesen, und sich dann bei mir melden.


    Ich freue mich auf eine angeregte, kontroverse und spannende Diskussion.

  • Hallo,


    Auch ich möchte etwas zu dieser Diskussion beisteuern:


    Der Parallellthread hat sich zu einem Thread entwickelt, wo über Sinn und Unsinn von Neukompositionen des 4. Satzes- über die Güte von Plattencovern und Frisuren geschrieben wurde - teilweise weitab von der üblichen Toleranz der Taminoianer - und wo zeitweise recht untergriffig argumentiert wurde.


    Der Thread bleibt aber weiterhin aufrecht.
    HIER jedoch wird ein ANDERES ZIEL verfolgt - und die Moderation wird alles löschen was sich vom Thema dieses Threads entfernt:


    Es werden alle jene aufgerufen sich über den emotionellen Eindruck des 4. Satzes von Peter Jan Marthe zu äussern, die ihn komplett - möglichst mehrmals- gehört haben. Um das zu ermöglichen hat eines unserer Mitglieder Holger Grintz, ein finanzielles Agreement mit der Fa Preiser getroffen, das es 10-15 Tamino-Mitgliedern die DERZEIT Mitglied sind, ermöglicht kostenlos an die mp3 Daten zu kommen, die jedoch KEINESFALLS weitergegeben werden dürfen.


    Es sollen also Tamino-Mitglieder ihre persönlichen Höreindrücke widergeben und untereinander austauschen, wobei Fairness oberstes Gebot ist.
    Von dem Angebot Holgers sollte jedoch nur jener Gebrauch machen, der nicht vorhat sich die CD zu kaufen, weil andernfalls nimmt jemand, der letztlich die CD besitzen will einem anderen interessierten Mitglied die Möglichkeit, die Resourcen sind begrenzt.


    Es sollten alle jene zu Wort kommen, die - nachdem sie dien 4. Satz weitgehend offen und vorurteilsfrei gehört haben - ihre Eindrücke - bitte ohne Untergriffe - miteinander austauschen und allfällige Fragen stellen können.


    Diese Fragen wird - so der Thread nicht in Gehässigkeiten entgleist - Herr Prof. Marthe persönlich - exklusiv für Tamino - hier beantworten. Er erwartet aber, daß man ihn als Person mit jenem Respekt behandelt, die unter Taminoianern normalerweise üblich sind.



    Es soll hier aber AUSSCHLIESSLICH um musikalische Fragen gehen und nicht um jene, des Covers, der Frisur oder der Legitimität des Vorhabens an sich.


    HÖRERFAHRUNGEN sollen ausgetauscht werden, vielleicht kann der eine oder andere, oder Herr Prof Marthé selbst auf interessante Details aufmerksam machen, die den Normalhörer oder dem vorbelasteten Bruckner-Spezialisten entgangen sind.


    Es handelt sich bei diesem Thread um ein bisher noch nie dagewesenes Experiment - bitte um Verständnis wenn wir von der Moderation hier sehr kritisch agieren werden. - Der andere Thread besteht nach wie vor.
    Sollte dieser Thread erfolgreich sein, so wird es einen weiteren dieser Art geben, der sich dann um Ben Cohrs Rekonstruktion handeln soll - Ebenfalls NUR für Hörer.


    Ich hoffe auf einen interessanten Erfahrungsaustausch


    mfg


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hierzu möchte ich vorsorglich gleich jetzt vorausschicken, daß ich mich hier an einer Diskussion der musikalischen "Qualitäten" von Herrn Marthés Komposition ganz gewiss nicht beteiligen werde.


    Ich lege zudem -- im Falle der Einrichtung eines weiteren Diskussions-Threads zu unserer Aufführungsfassung -- Wert auf die Feststellung, daß es sich nicht um "Ben Cohrs´ Rekonstruktion" handelt, sondern um die Aufführungsfassung Samale-Phillips-Cohrs-Mazzuca. Sollte es dann um die Wildner-Einspielung gehen, gebe ich zu bedenken, daß es sich dabei um den Kenntnis-Stand von 1996 handelt. Ich würde es für sinnvoller halten, eine solche Diskussion zu vertagen bis zu dem Zeitpunkt, wo eine neue Einspielung der neuesten Ausgabe 2005 auch wirklich vorliegt.


    Ein solcher Thread würde übrigens auch im Falle der Harnoncourt-Veröffentlichung des Fragments keinen Sinn machen, da Harnoncourt auf die Aufführung der Coda-Skizzen sämtlichst verzichtet hat und außerdem die von ihm verwendete Dokumentations-Partitur des Fragments von Phillips unsere neuesten philologischen Resultate naturgemäß nicht berücksichtigt (insbesondere der nunmehr abgesicherte, kürzere Verlauf der Gesangsperiode in der Exposition und die nunmehr im Particell-Entwurf entdeckten, bisher für fehlend gehaltenen 16 Takte des verlorenen Bogens in der Fugen-Durchführung).


    Mit anderen Worten: Der in Tonaufzeichnungen zur Zeit verfügbare Materialstand ist leider veraltet.

  • Das wird akzeptiert, jetzt brauchen wir nur warten bis die ersten Taminoianer ihre Hörerlebnisse verdaut haben und zu posten beginnen, ich nehme an, das wird dieses Wochenende oder Anfang nächster Woche sein - Angemeldet haben sich ja schon einige.


    Freundliche Grüße aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Oh je. Ich bin gerade beim Hören der Aufnahme. Ich hatte zuerst mit dem vierten Satz angefangen, war sehr überrascht, habe mich aber kurzerhand dazu entschlossen die Aufnahme komplett durchzuhören.


    Leicht wird es einem hier nicht gemacht. Ich möchte kein Urteil abgeben, da dies mein erstes und sicher nicht letztes Hören dieser Aufnahme ist. Ich kann nur wiedergeben, was ich gerade höre.


    Die Tempi sind sehr sehr schleppend. Mir fehlen im Moment einfach die nötigen Akzente. Alles wirkt wie Lava. Es gibt praktisch keine Pausen. Sicherlich entbehrt dies hier nicht einer gewissen Einfühlsamkeit, aber mich stört das etwas Zähe. Wer hier zu Celibidache blickt, wird eine ganz andere Interpretation hören. Nach meinem momentanen Höreindruck ist das hier Gebotene wenn weihevoll, dann auf eine andere Art. Den Finalsatz möchte ich mal ausklammern.


    Meine Lieblingsstelle im Adagio wo die Uhren wie wild ticken erscheint hier auch viel zäher und - ja - qualvoller.


    Dies zieht sich durch die ersten drei Sätze. Selbst das Scherzo, welches ich ja durchaus in sehr "langsamen" Einspielungen kenne, wirkt hier - gedämpft. Diesen Eindruck hatte ich bei Celibidache trotz der Langsamkeit nicht.


    Das alles wirft für mich zunächst Fragen auf, die ich erst durch ein nochmaliges Erleben klären kann.


    So habe ich die Neunte jedenfalls noch nicht gehört. Es ist sehr schwer.


    Grundsätzlich ist es schon erstaunlich, dass diese Sinfonie, mal eher langsam und mal eher schnell gespielt wird. Das sind bei speziell diesem Werk in meinen Augen zwei völlig gegenpolige Auffassungen dieser Sinfonie. Hat dies etwas mit der Stellung des Werkes in Bruckners Biografie zu tun?

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • hallo,


    ich hab die symphonie nun 2x von cd gehört - und beim konzert in st. florian war ich damals auch. meine gedanken über das finale poste ich erst später, das will ich mir noch ein paar mal genehmigen, bovor ich mich äußere.


    ich will zunächst mal auf die "herkömmliche" bruckner 9 (sätze 1-3) in marthé's interpretation eingehen. kurz gesagt: marthé's ansatz (seeehr langsame tempi) ist nicht uninteressant, und manchem mag das gefallen, für mich ist das aber nicht der bruckner, wie ich ihn hören will.


    vor allem im 1. satz gelingt es marthé einfach nicht, den großen bogen zu spannen. wie schon masetto schreibt, fehlen einfach die nötigen akzente, das ganze plätschert irgendwie so dahin. ein schönes beispiel ist die erste steigerung: wo andere die einzelnen passagen durch kleine pausen akzentuieren, geht marthé hier einfach "gerade" drüber. gewiss sind einige details ganz schön gemacht (z.b. die coda kommt sehr atmosphärisch), aber im gesamten ist das doch eher stückwerk. besonders zäh ist das scherzo. der stapfende rhythmus wirkt wie in zeitlupe abgespielt. so ein tempo geht naturgemäß auf kosten der koheränz - damit kann ich gar nichts anfangen. überraschend ist das recht zügige tempo im trio. am besten gefällt mir das adagio. hier stört mich das tempo auch nicht wirklich, und marthé gelingt durchaus ein satz aus einem guss. mit schöner atmosphäre und gut herausgearbeiteten steigerungen. so kanns ja auch gehen.
    positiver als vom konzert in erinnerung empfand ich das spiel des european philharmonic. die akustik in der basilika hat doch so manche akzentuierung zugedeckt, die man auf der cd hören kann (oder bin ich nur in einem "loch" gesessen?).


    natürlich kann ich jeden verstehen, der diese aufnahme mag, denn marthé hat zu bruckner schon was zu sagen. nur das ist halt mit meiner vorstellung nicht ganz kompatibel.


    gedanken zum finale kommen noch...


    greetings, uhlmann

  • Liebe Taminogemeinde, lieber Holger,


    nachdem ich von Holger die dankenswerten MP3-Dateien erhalten habe, wurden diese mit NERO direkt in zwei Audio-CD´s umgewandelt. Dabei habe ich die eigendliche Bruckner-Sinfonie Nr.9 (1.-3.Satz) auf CD1 und den neukomponieren Marthe-Satz auf CD2 kopiert.
    Diese von mir vorab gewählte Einteilung sollte sich später als die richtige Entscheidung herausstellen, da nur eine dieser CD´s später wirklich von mir benötigt wird.


    Meine Erwartungshaltung zum neukomponierten 4. Satz von P.J.Marthe war nach den heißen Diskussionen hier natürlich so hoch, sodaß dieser zuerst gehört wurde.
    Ich werde mich hier möglichst kurz fassen und nicht auf Passagen eingehen – das können die anderen Taminos – sondern nur meine Eindrücke zur Marthe – Aufnahme schildern.
    Die Marthe – Aufnahme habe ich inzwischen mehr als 2mal gehört; im Zusammenhang und einzelne Sätze daraus zum Vergleich.



    4.Satz von Jan Peter Marthe:
    Schon der Anfang hat den Anspruch denn Hörer sofort zu fesseln und diese Spannung bis zum Schluß aufrecht zu erhalten. Der weitere Verlauf erinnert einen oft an brucknersche Klangfarben, die in anderen Bruckner-Sinfonien vorkommen, ohne hier etwas zu kopieren oder zu übernehmen. Man ist stellenweise an das Finale aus Bruckner´s 8ter erinnert. Die Steigerungen und Ausbrüche werden hochdramatisch ausgespielt, wie man es schon in der Aufnahme der Sinfonie Nr.3 mit Marthe mit Begeisterung kennengelernt hatte.
    Der Schluß des Satzes hochdramatisch und packend, wie von Bruckner gewohnt.
    Der Klang der Aufnahme ist sehr hallig. Details sind warscheinlich als LIVE-Erlebnis besser hörbar, als die CD-Klangtechnik es umzusetzen vermag.
    Alles im allen ein gelungener neukomponierter Satz, den ich ohne weiteres Bruckner zuschreiben würde, wenn ich nicht wüßte, das er von Marthe geschrieben wurde. Ich finde soviel Ehrlichkeit gehört dazu um dies zu schreiben.
    Damit ist Herrn Marthe´s Ziel doch erreicht, einen Satz zu schaffen, der zu den Bruckner-Satzen der Sinf. Nr.9 passt.
    Klasse Musik – mit hat es sehr gefallen.



    1.Satz:
    Schon bei dieser Arbeit die Audio-CD mit NERO herzustellen fielen mir die ungewöhnlich lagen Spielzeiten auf. Der Höreindruck bestätigt diese vorab gelesenen Spielzeitenwerte.
    Die Interpretation des Satzes hat wieder eine hohen Anspruch, doch möchte man immer wieder gefühlsmäßig anschieben, damit die Musik vom Fleck kommt.
    Richtig – ich bin einfach straffere Aufnahmen gewöhnt , die auch klanglich detailschärfer sind. Dieser Eindruck hat sich bei mir gefestigt, geprägt und so möchte ich Bruckner lieber hören.
    Es entsteht der Eindruck das durch die aufführungstechnischen Gegebenheiten (Kirche) dem Klang soviel Raum gegeben werden muß um Details nicht zu verschlucken und ein straffes Tempo daher interpretatorisch unmöglich zu sein scheint.
    Trotzdem eine großdisponierte Interpretation, an der eine eine schlechte Kritik verfehlt wäre.
    Marthe kennt den Stoff genaustens. Der Dramatische Schluß begeistert genau wie die Durchführung.


    2.Satz:
    Dieser Satz gibt mir in dieser Aufnahme Rätsel auf.
    Der Satz hat die Tempobezeichnung Scherzo: bewegt, lebhaft-Trio: schnell.
    Wie kann ein Dirigent vor dem Orchester stehen und so eine auseinanderfallende Musik buchstabieren ? Das hat schon nichts mehr mit Interpretation zu tun oder mit klanglichen Gegebenheiten. Das ist IMO kein Bruckner und wird diesem höchst wirkungsvollen Scherzo-Satz eines Bruckner nicht gerecht.
    Ich weis das klingt jetzt böse, aber ganz profan gesagt steht für mich der neukomponierte Mathe-Fianlsatz Bruckner näher als diese Buchstabierübung.


    Fast könnte ich hier das gleiche schreiben, das ich schon zu Tintners Interpretaionen der Frühfassung der Sinfonie Nr.3 geschrieben habe:
    „Um meine Brucknerwelt wieder in Ordnung zu bringen habe ich mir meine höchgeschätzte Aufnahme der Sinfonie Nr.9 2.Satz mit den Berliner PH von DG 09/1976 angehört.“ Den Dirigenten kennt jeder. So soll es sein.


    3.Satz:
    Das Adagio hat für mich den gleichen hohen Ansruch durch Marthe, wie der erste Satz obwohl ich auch hier die schnellere und detailreichere Leseart anderer Aufnahmen bevorzuge.
    Durch den Kirchennachhall entsteht oft ein unerwünschtes Klanggewusel.


    Meine zukünftige Hörpraxis für die Sinfonie Nr.9 mit Finalsatz:
    Wenn ich zukünftig die ganze Sinfonie Nr.9 vom 1.-4.Satz in der Marthe – Aufnahme hören würde, weiss ich nicht ob ich nach dem 3.Satz überhaupt noch die Geduld und die Lust hätte den vierten Satz zu hören. OK, den 2.Satz würde ich warscheinlich nach ein paar Takten weiterzappen, aber dennoch – ich greife für die Sätze 1.-3. doch lieber zu einer anderen Aufnahme.


    Den neukomponierten 4.Satz kann man ohne weiteres alleine hören.
    Man muß ihn auch nicht unbedingt im Zusammenhang mit der Sinfonie Nr.9 hören.
    Sollte ich dennoch, um den gewünschten und vorgesehenen Zusammenhang zu wahren, alle Sätze hören wollen, so würde ich für Satz 1.-3. die Aufnahme der Berliner PH DG 09/1976 voranstellen. Holger hat ja im Eingangsthread geschrieben, das wir uns hier nicht über den Dirigenten dieser Aufnahnme unterhalten wollen.
    Als Solti-Decca-Man (humorvolles Zitat von Holger an anderer Stelle :D) käme für mich aber auch gerne diese in Frage, denn dann wäre noch genug Druck da, um den 4.Marthe-Satz noch mit voller Begeisterung zu hören.


    Damit ist nun klar was ich anfangs meinte – ich benötige für zukünftige Bruckner-Sinfonie Nr.9 - Hörsitzungen nur Audio-CD2.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,


    ich möchte ganz klar herausstellen - nur für den Fall, dass jemand von der Musikindustrie über einige Formulierungen ist diesem Thread stolpert - dass hier alles mit rechten Dingen zugeht und es keinen Austausch illegaler Kopien gibt!


    Der Themenersteller hat beim Label eine Anzahl mp3-Downloads geordert und dankenswerterweise jedem Interessenten einen davon zur Verfügung gestellt.


    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Ich finde die Sätze 1 bis 3 ganz respektabel musiziert, wenn ich berücksichtige, dass hier ein offensichtlich recht junges Orchester agiert. Allerdings geht es mir wie Masetto und Uhlmann, dass mir die Interpretation sehr breiig und schwerfällig herüberkommt. Das mag neben den schleppenden Tempi zum Teil auch an der Akustik und den Bedingungen einer Live-Aufnahme liegen.


    Günter Wand hat einmal gesagt, ihm ginge es darum, Bruckner von Weihrauch zu befreien um ihm als Symphoniker zu dienen. Marthe scheint mir mehr auf Weihrauch zu setzen. Dieses Gefühl überkommt mich sehr stark, wenn ich den 4. Satz höre.


    Ich halte es für sehr verständlich und nachvollziehbar, dass Leute, die beim Konzert in St. Florian dabei waren und es als großen Moment erlebt haben, diese Begeisterung auch verspüren, wenn sie die CD einlegen, da bei ihnen offensichtlich die großen Gefühle des Konzerterlebnisses wieder wach gerufen werden.


    Ich bitte aber auch um Verständnis für jene, die nicht in den Genuss des Marthe-Konzert-Flairs gekommen sind und die „nur“ die CD hören und zu der Meinung gelangen, es mit einer recht durchschnittlichen Interpretation zu tun zu haben. Bei mir, der ich nur die CD höre, stellt sich keine besondere Begeisterung ein, weil, wie oben beschrieben, Marthe in meinen Ohren zu sehr auf Mystifizierung setzt und in seinem 4. Satz m. E. auch zu sehr Bruckners Architektonik außer Acht lässt (ich bin nicht musikwissenschaftlich gebildet und beschreibe hier lediglich meinen Höreindruck; über Form und Metrik bei Bruckner können andere sich besser Auskunft geben).


    Ich muss an dieser Stelle aber auch zugeben, die Darstellung der Final-Fragmente in der Harnoncourt-Aufnahme recht gut zu kennen, weil ich sie oft gehört habe. Ich kann die Uhr hier leider nicht zurück drehen und so tun als ob ich die gerade zu Beginn des Finales fertig komponierte, instrumentierte und auf mich sehr vollwertig wirkende Original-Musik Bruckners nicht kennen würde.


    Christian

  • Ich finde den Bruch, der in meiner Meinung nach zwischen den ersten drei Sätzen und dem vierten Satz besteht bemerkenswert. Auch nach nochmaligem Hören sind für mich die ersten drei Sätze (an dieser Stelle grob pauschalisiert) zu zäh, zu lyrisch, zu wenig akzentuiert. Dann kommt der vierte Satz, auf den ich an dieser Stelle inhaltlich noch immer nicht eingehen kann, und ich habe den Eindruck, es handelt sich um eine andere Aufnahme. Alles ist wie ausgewechselt.


    Was die Weihe angeht, bin ich nicht der Meinung, dass dies hier richtig gut gelingt. Dazu gehört auch einmal inne zu halten, auf den nächsten Höhepunkt vorzubereiten. Eine "weihevolle Dynamik" wenn man will. Die höre ich bei Celibidache aber nicht hier. Da wird langsam und durchaus würdigend gespielt, jedoch fehlt mir hier der gewisse Pathos. Mag sein, dass Bruckner diesen gar nicht wünscht, aber ich finde diese Sinfonie schreit danach. Vielleicht haben mich auch einfach andere Einspielung diesbezüglich vorgeprägt.


    Die Aufnahme wird auf jeden Fall nochmal angehört.


    Hinsichtlich des Finales - insbesondere des Anfangs - habe ich dies auch stets als fertig empfunden. Hier beginnt nun diese Aufnahme sehr dramatisch zu werden. Ich werde mich später noch dazu äußern.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

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  • Es ist schade, daß sich bis jetzt noch keine Österreicher zu dieser Aufnahme geäussert haben - Als Österreicher - so glaube ich wenigstens - haben wir andere Vorstellungen von Tempi, bzw Darstellungen von Emotionen. Vieles was in Deutschland als Idealfall von Interpretationen gelobt wird, ist mir einfach zu rasch und zu ungestüm um nicht zu sagen - zu hastig. Es gab immer schon Dirigenten, die die Tempi auskosteten. Als Klemperer seine - heute berühmte - Aufnahme der Beethoven-Sinfonien machte, meinte der Produzent Walter Legge, der bei sen Aufnahmen stets dabei war, skeptisch: "Ist das nicht zu langsam Herr Klemperer ?
    "Sie werden sich schon noch daran gewöhnen" kam die lakonisch Antwort.
    Und hier ist sicher ein Knackpunkt - Auch mir war Klemperer in meiner Jugend zu langsam, ich empfand ihn als langweilig . Mein ästetisches Empfinden war von Karajan und Böhm "geschult", "geprägt " wäre aber hier das bessere Wort.


    Masetto schrieb so treffend:


    "So habe ich die Neunte jedenfalls noch nicht gehört."


    Es ist eine Frage ob der nachkomponierte 4. Satz einen Bruch darstellt (das würde ich persönlich bejahen), bzw ob er beabsichtigt war- und wenn ja - warum.


    Wir sind hier in der glücklichen Lage das bald zu wissen, weil man hier den Komponisten selber fragen kann.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Es ist schade, daß sich bis jetzt noch keine Österreicher zu dieser Aufnahme geäussert haben


    ?( ist linz nicht in österreich?



    Zitat

    Als Österreicher - so glaube ich wenigstens - haben wir andere Vorstellungen von Tempi, bzw Darstellungen von Emotionen. Vieles was in Deutschland als Idealfall von Interpretationen gelobt wird, ist mir einfach zu rasch und zu ungestüm um nicht zu sagen - zu hastig.


    meinst du jetzt die österreicher im allgemeinen oder nur dich?


    also mir wäre noch nie ein allgemeiner unterschied zwischen österreichern und deutschen oder franzosen oder sonst wem aufgefallen. aber natürlich hat jeder einzelne seinen eigenen geschmack. ob der allerdings von der nationalität abhängt, wage ich zu bezweifeln. da müsste mal jemand eine studie drüber machen.


    greetings, uhlmann

  • Nun, Zeit zum Verdauen benötigt Marthés Aufnahme wahrlich. Ich muß auch noch weiterverdauen. Aber nun schon mal erste Eindrücke, nicht nur aus Pflichtschuldigkeit :D


    Wurden meine hohen Erwartungen erfüllt? Wird sich diese Aufnahme meiner liebsten Brucknersinfonie gegenüber meinen anderen Einspielungen durchsetzen können? Harnoncourts Aufführung der "Dokumentation des Fragments" ist ein höchst interessanter und beeindruckender Museums-/Werkstattbesuch aber ist als tatsächlich erklingendes "Finale" unbrauchbar. Sehr gespannt bin ich auf zukünftige Einspielungen durchgängig spielbarer Finalfassungen aus dem Hause Cohrs et altera. Und das Marthé-Finale? Überzeugt es mich? Könnte meiner Meinung nach Bruckner damit glücklich sein? Andere Frage: Würde mir das Marthé-Finale gefallen, hätte ich nicht schon die ungeheuerlichen (!) Finale-Fragmente aus der Hand Harnoncourts gehört? Verbirgt sich in Marthés Finale auch so etwas wie "ein Stein vom Mond" (Harnoncourt über Passagen aus dem Finale-Fragment Bruckners)?


    Einige Fragen habe ich jetzt natürlich schon vorläufig für mich beantwortet, aber ich will Marthés Neunte wirklich noch ein paar mal hören, bevor ich ein abschliessendes Urteil ausspreche. Wenn ich mir die Marthé-Aufnahme wirklich verinnerlicht habe, will ich dann nochmal mit Harnoncourt, Giulini und vor allem den im Zusammenhang mit Marthé vielfach erwähnten Celibidache (EMI, München) gegenhören.


    Nun aber tatsächlich ein Beginn einer Auseinandersetzung mit den ersten drei Sätzen. Ja, doch, für ein juges Jugendorchester über weite Passagen eine beachtliche Leistung, im ersten Satz etwa gibt es ganz reizende Momente, die sich nicht vor großem Vergleich scheuen brauchen, aber man hört das Orchester nun mal doch an seine Grenzen stossen.
    Zuerst hörte ich mir den dritten Satz an und hatte mit Entsetzen den ersten Eindruck, daß Marthé über die brucknertypischen Brüche und Verwerfungen munter drüberfährt und die Kanten zusammenkittet als wäre nichts passiert... diesen Eindruck will ich aber nochmal überprüfen. Im ersten Satz habe ich derartiges eher nicht wahrgenommen. Aber auch der erste Satz will abermals gehört werden. Man muß einer Aufnahme, gerade einer, die in halligem Raum entstand, ja eine Chance geben, daß man sich an sie akklimatisiert. Ich will also alles vermeiden, um die Aufnahme vorschnell abzuurteilen. Das Scherzo allerdings finde ich nicht zu retten. Ich habe gar kein Problem mit langsamen Tempi, kann mich daran gewöhnen, auch wenn ich weit schnellere Idealvorstellungen habe, aber an dem Scherzo geht mir eigentlich so ziemlich alles ab, was ich da rausgeholt haben möchte...


    es ist spät geworden, der Wecker morgen ist erbarmungslos... Ihr könnt auf eine Fortsetzung zählen!


    Gruß, Markus

  • Ich muß mich hier auch mal kurz melden. Ich bin ja offenbar der Einzige hier, der sich mit Bruckner 9 überhaupt noch nicht näher beschäftigt hat. Nicht daß Ihr mich falsch versteht, ich mag Bruckners Musik sehr und schon lange, aber es ist über gelegentliches Hören nicht hinweggekommen. Ihr werdet also eine von jeglicher Sachkenntnis ungetrübte, aber auch unvoreingenommene Meinung von mir hören.
    Ich habe mir folgendes überlegt: Marthé wird (ist) mein Ersteindruck (aber OHNE Satz4). Dann werde ich zum Vergleich bemühen: Inbal, Wand, Giulini. Und dann - wirklich erst dann - hör ich mir den Marthé-Satz 4 an und äußere mich. Gebt mir also noch Zeit, bitte

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Ich hänge mich mal an Reinhard dran :D
    Kenne die 9. von Bruckner zwar und habe sie auch in mehreren Einspielungen, aber muss mich zuerst intensiv damit befassen, bevor ich ein Urteil fällen kann. Meine Vergleichsmaßstäbe sind Tintner (auch recht langsam), Jochum und Harnoncourt ( :hello: Ben), die bisher immer nur isoliert gehört wurden...
    Wegen beruflicher Auslastung (kuckst Du Abwesenheits-Thread) kann ich nur hoffen (nicht versprechen :D ), dass es am Wochenende soweit sein wird :angel:
    Einen ersten Eindruck kann ich vorab schon mal abgeben: das Scherzo ist in seiner Totalität viel besser und interessanter, als die Hörschnipsel vermuten ließen. Sicherlich sehr langsam und oft kurz vorm Auseinanderfallen, aber doch durchaus interessant...
    Die anderen beiden Sätze und insbesondere das Finale können aber nur nach intensiverer Betrachtung des Werks als Ganzes erfolgen - die rekonstruierte Fassung mit Wildner kann leider nicht hinzugezogen werden, da sie wohl erst als Weihnachtsgeschenk unterm Baum liegen wird (und so lange kann man den edlen Spender ( :hello: ) nicht mit dem Posting warten lassen :pfeif:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • 1. Zuerst war der Ansturm auf den Download gigantisch groß – es gibt ja etwas um sonst.
    Aber wenn es darum geht mal wenigstens kurz die ersten Eindrücke zu schildern, dann tut sich bisher sehr wenig. Natürlich bin ich auch der Meinung das man dem Hörer Zeit geben muß, besonders wenn die Sinfonie Nr.9 noch unbekannt ist (aber ich denke dies sind Einzelfälle).
    Offenbar will keiner sein Gesicht verlieren und etwas falsches schreiben.
    Ich meine die ersten Eindrücke hier kundzutun kann nie falsch sein !


    Dann diese Windungen, statt klare Worte: „…was ist das doch für ein schwieriger Stoff, das Marthe-Tempo ist ja sooo langsam, nee, nee, „So habe ich Bruckner noch nie gehört!“(ich auch nicht) , wat het dä Maate da bloos jemaat.......“


    2. Das interessanteste an dem Unternehmen ist doch der neukomponierte 4.Satz. Dazu hat sich bisher kaum einer geäußert. Edwin hat sich wenigstens (aus verständlichen Gründen im anderen Thread) mit klaren Worten zum Finale geäußert. Für ihn ist es eine gut klingende Themenverfehlung, eine Bruckner-Fantasie – das ist doch ein klares Statement, das ich nachvollziehen kann.


    Es zeichnet sich bisher ab, das sowieso kaum einer die Marthe-Aufnahme der eigendlichen Bruckner-Sinfonie Nr.9 mit den Sätzen 1.-3 wirklich "supertoll" finden wird. Sie ist einfach zu zäh und kommt nicht vom Fleck. Einzig die Ausbrüche sind groß und wirklich wirkungsvoll disponiert.
    :hello: Also erhoffe ich mir in folgenden Beiträgen mehr über das neue Finale zu lesen.


    3. Alfred begründet seine offenbare Vorliebe für auskostende Tempi bei Interpretationen länderspezifisch und wünscht sich österrechische Beiträge. Er übersieht dabei, das bereits ein Österreicher gepostet hat und die Marthe-Interpretation für ihn auch nicht so ist, wie er Bruckner hören will.
    Ich meine es gibt sowohl in Österreich, wie in Deutschland und überall auf der Welt Musikliebhaber, die sowohl langsame als auch schnelle Interpretationen schätzen.
    Nationalbewustsein ist hier absolut verfehlt.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Guten Morgen,


    erst einmal vielen Dank für die bisheringen Beiträge, insbesondere für die fairness und die Sachlichkeit.


    Jeder hat natürlich eine andere Herangehensweise an Musik, das ist auch vielfach Thema hier im Forum, und das ist legitim.


    Und niemand soll sich "verpflichtet" fühlen, hier etwas zu schreiben. Ich selber halte mich ja auch noch zurück, obwohl ich die CD jetzt sehr oft gehört habe.


    Da es aber hier ausschliesslich um "Musik" geht (es ist zufällig Bruckner :D / Marthé ), kann man bei diesem Projekt auch mitmachen, wenn einem die Materie völlig neu ist. Klar kann man "vergleichend" Hören, aber das ist hier eigentlich gar nicht nötig.


    Deshalb mal ein alternativer Vorschlag:


    Packt Euch die 140MB auf einen portablen Player, nehmt Euch zwei Stunden Zeit, und begebt Euch an einen Ort, der für Euch etwas Besonderes bedeutet. Das kann eine Kirche sein, ein Friedhof, ein Museum, eine Fabrikhalle, weiss der Geier was. Es sollte allerdings an diesem Ort einigermassen ruhig zugehen.


    So, und dann konzentriert Euch einfach auf das, was Ihr hört. Vergesst Zeit und Raum, vergesst, daß Celi in München 10 Minuten länger brauchte und Furtwängler 20 Minuten weniger.


    Und dann schreibt auf, was Ihr beim Hören erlebt habt. Ich weiss, daß das sehr schwer ist, wahrscheinlich das schwierigste hier überhaupt, nämlich Hörerlebnisse in Text zu fassen.


    Der Schlüssel zur Musik liegt in einem selbst, wobei ich gestehen muss, daß in diesem Fall der Booklet-Text sozusagen das Graphit im Schloss ist.
    Der Text bringt für mich plausibel rüber, wie das Werk gedacht ist. Nach dem Lesen war klar, daß das "neukomponierte" Finale z.B. so, und nur so beginnen kann und muss. Das ist für mich schlüssig. Genauso, wie das Ende.


    Evtl. gibt der Rechteinhaber den Booklettext für dieses Hörprojekt frei, und stellt ihn hier in digitaler Form herein?

  • hallo,


    nachdem sich teleton schon mokiert, hier nun meine gedanken zum finale. ich möchte betonen, dass ich kein finale der 9. kenne, ich also völlig "blank" an die musik herangehen muss und nicht weis, was von bruckner selber oder von herrn marthé ist (was mir aber eigentlich auch wurscht ist).


    gleich worweg: der satz ist imo sehr gut gelungen. und dass er nicht nach bruckner klingt, wie edwin im anderen thread geschrieben hat, kann ich nicht betätigen. im gegenteil, ich hatte an vielen stellen den eindruck, dass bruckner das so oder zumindest so ähnlich geschrieben hätte.


    super gelungen finde ich den einstieg. marthé erzeugt eine große spannung, die richtig dämonisch wirkt und sofort lust auf mehr macht. schön gemacht, sowohl kompositorisch als auch dirgentisch, sind auch die meisten steigerungen. bestes beispiel hierfür ist der schluss: ab ca. min. 25 baut sich 5 minuten lang eine riesige steigerung bis zur finalen apotheose auf, das hat wahrlich bruckersche dimensionen. der beginn dieser passage mit seiner gespenstischen ruhe erinnert ein wenig an die coda des ersten satzes.
    recht brucknerisch wirken auch manche ruhige passagen: z.b. min. 8-10 – ruhiger teil mit pizzicato-streichern und anschließendem accelerando und erscheinen des hauptthemas (cool gemacht, herr marthé).
    leicht banal sind manche bläser-einschübe. z.b. bei min. 11:05 – holzbläser skandieren das stapfende motiv, oder ca. min. 18:40 – bläsereinwürfe, die atmosphärisch wirken sollen, aber irgendwie aufgepickt sind. und der unmittelbare schluss erinnert mit seiner abwärtsbewegung etwas zu sehr an dem der achten.
    im gesamten ist dies trotz kleinerer schwächen doch ein finale, das bruckner würdig ist.


    interpretatorisch fällt auf, dass marthé im finale bei weitem nicht mehr die lethargie der ersten 3 sätze (v.a. sätze 1 u. 2) aufkommen lässt. im gegenteil – das tempo wirkt hier recht zügig, keine spur von celibidacher langsamkeit.


    bleibt mein resumee: mir gefällt dieses finale. kompliment, herr marthé!


    greetings, uhlmann

  • Für mich stellt sich die Frage, ob Bruckner nur vorhatte, in der Coda sich in so großem Maße selbst zu zitieren, ob er es möglicherweise tatsächlich getan hat oder ob dies eine Legende ist.


    Ferner stelle ich mir hier die Frage, warum Herr Marthé in dieser Aufnahme bewusst so eine Cäsur zwischen den drei Sätzen und dem Finale setzt. Dies schon allein durch die Pauken. Es fällt mir schwer, die Sinfonie als Ganzes zu betrachten.


    Eine weitere Frage ist, warum Reihenfolge von Scherzo und Adagio ausgetauscht wurden. War die hier vorliegende Reihenfolge von Bruckner ursprünglich angedacht?

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Masetto


    Eine weitere Frage ist, warum Reihenfolge von Scherzo und Adagio ausgetauscht wurden. War die hier vorliegende Reihenfolge von Bruckner ursprünglich angedacht?


    Das war schon immer so, in #8, #9.


    Marthé hat es bei der #3 nachträglich auch in dieser Reihenfolge auf die CD gepresst, aber bei der #9 ist es wirklich auch so vorgesehen. Also kein unerlaubter Eingriff :D

  • Zitat

    Evtl. gibt der Rechteinhaber den Booklettext für dieses Hörprojekt frei, und stellt ihn hier in digitaler Form herein?


    ich halte das für keine besonders gute Idee, da IMO grade dieser Text es ist, in dem viele ihre Abneigung festklammern würden.


    Ich finde, daß jeder erläuternde Text i priori Vorurteile erzeugt - positive oder negative.


    Genau das sollte vermieden werden.


    Ansonst möchte ich noch einiges anmerken:
    Es war nicht zu erwarten, daß nun alle Forianer binnen weniger Stunden bis Tage sofort eine Meinung abgeben würden - dazu kenne ich dieses Forum zu gut.
    Es war auch klar, daß eher zurückhaltend gepostet werden würde, Lobeshymmnen gab es hier meist nur auf verstorbene Größen - Das ist ein spezifisches Phänomen von Klassikforen.
    Auch ich habe mich bisher eher zurückgehalten, schon deswegen weil es bei Tamino Tradition hat, daß der Forenbetreiber sich erst im laufenden Thread äussert.


    Zitat

    1. Zuerst war der Ansturm auf den Download gigantisch groß – es gibt ja etwas umsonst.


    Diese Behauptung kann ich nicht verifizieren - es war eher die Neugier der Mitglieder - zudem wurden einige Exemplare via jpc gekauft.


    Es ist IMO eher die Scheu sich festzulegen.


    Bisher wurde wenig über den vierten Satz gesagt, Lediglich Edwin hat sich im Parallelthread ein: "Ja - er klingt gut" abgerungen , dem aber etliche Einschränkungen gefolgt sind (welche - ist dort nachzulesen).


    Tamino ist nun mal sehr "wissenschaftlich analytisch" strukuriert.
    Eine Aussage "aus dem Bauch raus" - das liegt den Forianern nicht (nie wurde mir das so bewusst wie in diesem Zusammenhang), die Frage der Legitimität des gesamten Projekts (in diesem Thred ein Tabuthema) beschäftigt sie scheinbar doch mehr als die eigentliche Musik.


    Ein weiterer Punkt ist, daß einige Mitglieder sich Zeit zu öfterem Hören nehmen wollen, bevor sie ihre Eindrücke schildern - Unbewusst ist es den meisten nämlich klar, daß unserem Forum um deutschen Sprachraum schon mehr Bedeutung zugemessen wird, als dies bei einem Hobbyprojekt üblicherweise der Fall ist und sich daher irgendwie "verantwortlich" fühlen.
    Ich meine, das kann entschärft werden, wenn man betont, daß sein Urteil SUBJEKTIV ist.


    Auch ich werde das Marthé Finale noch mehrmals hören bevor ich mich konkret äussere, daß es seine Qualitäten hat sollte jedoch schon beim ersten Hören klar sein - offen bleibt lediglich die Frage wie gut die Annäherung an die Tonsprache Bruckners geglückt ist - und inwieweit die überhaupt angestrebt war.Halten wir uns vor Augen: Selbst wenn wir die "Unvollendete" von Schubert durch das (von Schubert weitgehend fertiggestellte) Scherzo ergänzt hören, beschleicht uns ein Gefühl des Fremden. DIESES Problem wird IMO übrigens JEDE Ergänzung eines Werkes haben.


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    die Frage der Legitimität des gesamten Projekts (in diesem Thred ein Tabuthema) beschäftigt sie scheinbar doch mehr als die eigentliche Musik.


    Hm.... das Wort "Tabuthema" gereicht meiner Meinung nach dem Marthé-Finale zu zu großer Ehre. Jemand, der sich einem Tabu widersetzt, ist ein Held, ein kühner Neuerer, vielleicht ein Märtyrer, vielleicht auch einer, der verlacht wird, aus der Gesellschaft der ernstzunehmenden ausgestossen wird...


    Nein, wir sind uns glaube ich darüber einig, daß es jedem freisteht, an unvollendete Werke hintendran zu komponieren, was er mag. Es steht sogar jedem frei, Werke zu schänden. Wir kennen das von der Deutschen Grammophon und ihrem CD-Projekt, dessen Titel mir gerade nicht einfallen will, ihr wisst, diese Sache, daß alte Aufnahmen von einem "DJ" mit supi beats unterlegt werden... das darf ja jeder machen. Manches ignoriert man halt vollständig, mit Marthés Finale kann man sich durchaus eher auseinandersetzen, denn es ist ja eine nicht uninteressante Sache. Es bleibt nur zu klären, ob das Marthé Finale musikalisch wertvoll ist, oder eher der Niedrung der musikalischen Gattung der Stilkopie/Parodie zuzuordnen ist. Man kennt das ja von Hochschulorchestern her. Student oder Professor X haben für das Karnevalkonzert ein bisschen im Stil von Y komponiert...


    Was uns Harnoncourt da für Fragmente aus dem Original-Bruckner-Finale präsentiert, das ist doch wirklich "ein Stein vom Mond" - unerhörte Klänge, harmonische Kühnheiten, wie man sie bislang von Bruckner nie vernommen hat! Kann sich das Marthé-Finale, das ja auch mit "Originalthemen" aus dem Fragment arbeitet daran messen? Einen harmonischen Stein vom Mond, der einen den Atem stocken liesse hat Marthé jedenfalls nicht zu bieten, und das ist das beste Argument, auf die nächste Einspielung der Cohrs-Fassung zu warten.


    Am interessantesten wäre für mich, wenn jemand die aktuelle Cohrs-Fassung vollständig ausinstrumentieren würde und das Ding dann mit einer Monsterfuge (die wohl neu und frei zuende komponiert werden muß) zuende bringt.

  • Ich habe mir nochmal die Wildnereinspielung angehört. Ist die Verwendung des Anfangsthemas des Adagio Ergänzung oder tatsächlich in der Partitur vorgesehen?

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Ich meine es gibt sowohl in Österreich, wie in Deutschland und überall auf der Welt Musikliebhaber, die sowohl langsame als auch schnelle Interpretationen schätzen.
    Nationalbewusstsein ist hier absolut verfehlt.


    Also bitte! Das hat nun wirklich nichts mit Nationalbewusstsein zu tun! Du solltest Alfred jetzt schon lange genug kennen um zu wissen, dass er nicht zu Unrecht der Meinung ist, dass es gewisse Vorlieben gibt, die in einzelnen Ländern mehrheitlich existieren. Und der Österreichische musikalische Geschmack unterscheidet sich nun einmal sehr oft vom Deutschen. Deshalb Alfreds Interesse an hiesigen Meinungen, und wenn nur um festzustellen, inwieweit die Meinungen bei diesem Thema übereinstimmen oder auch divergieren.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!



  • Hallo Alfred,


    ob Vorurteile erzeugt werden oder nicht, liegt an einem selbst und nicht an einem Beiheft.


    Das Beiheft liefert -grundsätzlich- Informationen, die sich natürlich auf die Höreindrücke auswirken. Wenn ein Harnoncourt zum Beispiel in einem Beiheft über seine Intention oder seine Interpretation berichtet, dann vergleicht man "Anspruch und Wirklichkeit" oder hört ein bestimmtes Werk unter dem Eindruck der erhaltenen Informationen.


    Die Maßstäbe, die man an eine Interpretation von einem Harnoncourt legt, sollten also nicht anders sein als diejenigen an einen Marthé.


    Apropos Höreindruck: Ich habe zum ersten Mal Marthés Version im ganzen gehört und erlaube mir, einige erste Eindrücke zu schreiben.


    Abgesehen vom Scherzo sind Marthés Tempi nicht außergewöhnlich langsam. Giulini brauchte bei seiner Einspielung mit den Wiener Philharmonikern für das Adagio sogar noch 1 1/2 Minuten länger.


    Interessant wäre es für mich zu erfahren, in wieweit die langsamen Tempi durch die Kirchenakustik bedingt sind.
    Günter Wands erste Einspielung der 9. mit dem Sinfonieorchester des NDR wurde live aus dem Lübecker Dom mitgeschnitten. Insbesondere beim Scherzo, in dem Wand drei Minuten schneller war als Marthé, geht sehr viel an "Durchhörbarkeit" durch den Nachhall verloren. Stellenweise kann man dem weiteren musikalischen Verlauf kaum folgen, da in lauten Passagen der Nachhall noch nachklingt.


    Wichtiger als die Tempofrage scheint mir aber die des Gesamtkonzepts zu sein.
    Marthé widmet sich imo eher der "Weihe" als der "Analyse". Es geht ihm eher darum, die Großartigkeit der Musik zu zeigen als die Binnenstrukturen offenzulegen. In sofern ist er interpretatorisch erheblich näher an Giulini als an Schuricht (wenngleich Marthé imo nicht an Giulini heranreicht). Da Bruckner aber beide Interpretationsansätze "verträgt", ist das kein Problem.


    Der vierte Satz, um den es hauptsächlich gehen soll, verschreckt zuerst durch den Fortissimo-Einsatz der Pauke, aber dieser Effekt ist gewollt. Vorbei ist es mit der Ruhe und Verinnerlichung, die zum Schluß des Adagios herrscht, "etwas neues beginnt".


    Und wie wirkt "das neue"? Ich bin noch zwiegespalten, denn zum einen war Bruckners 9. fast immer nach dem Adagio zu Ende, obwohl Bruckner die Sinfonie dort nicht enden lassen wollte und zum anderen muß sich Marthé natürlich dem stellen, was Bruckner zu Lebzeiten begann aber nicht vollenden konnte und was durch Samale und Kollegen so gut wie möglich rekonstruiert und vollendet wurde.


    "Mehr Bruckner" höre ich bei Samale und Co., wenngleich Peter Jan Marthé Anleihen bei früheren Sinfonien Bruckners nimmt (5., 7.), "mehr Klangkathedralen" entwirft Marthé.


    Ich werde mir also zu gegebener Zeit Marthés Aufnahme zu Gemüte führen -und zwar in der Gesamtheit aller vier Sätze, denn es handelt sich um eine viersätzige Sinfonie und nicht um einen isolierten Satz- und schauen, in wieweit sich Höreindrücke verfestigen oder ändern.


    Unbeeindruckt oder komplett ablehnend stehe ich Marthés Version zumindest nicht gegenüber.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert


    Zitat

    Interessant wäre es für mich zu erfahren, in wieweit die langsamen Tempi durch die Kirchenakustik bedingt sind.
    Günter Wands erste Einspielung der 9. mit dem Sinfonieorchester des NDR wurde live aus dem Lübecker Dom mitgeschnitten. Insbesondere beim Scherzo, in dem Wand drei Minuten schneller war als Marthé, geht sehr viel an "Durchhörbarkeit" durch den Nachhall verloren. Stellenweise kann man dem weiteren musikalischen Verlauf kaum folgen, da in lauten Passagen der Nachhall noch nachklingt.


    Natürlich sind sie es. Zumindest dann, wenn der Dirigent darauf achtet, dass der Aufbau der Klanggebäude in einem richtigen Verhältnis zu ihrem Verklingen steht. Dann ist man in einer Kirche zwingend langsamer unterwegs als man es in einem herkömmlichen Konzertsaal wäre. Dein Beispiel zeigt ja, was passiert, wenn diesem Umstand nicht ausreichend Rechnung getragen wird.


    Auffallend ist auch die Tatsache, dass sich Peter Jan Marthé bei den der Aufnahme vorangehenden Aufführungen akustisch verwandter Räumlichkeiten bediente. Das nährt die Vermutung, dass diese fast meditativ zu nennende Präsentation des Werkes die von ihm bevorzugte, wenn nicht sogar verlangte Lesart darstellt.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Vielleicht sollte ich das mit den Tempi relativieren. Ich mag ja durchaus wenns nicht so fix dahergeht. Aber trotzdem muss es lodern. Das tut es hier nicht.


    Der Finalsatz. Als ich ihn mir heute früh angehört habe, kam mir so der Gedanke, dass Bruckner das nie so geschrieben hätte, da er bestimmt nicht so viele Phrasen seiner selbst gebraucht hätte. Dies ist mir an verschiedenen Stellen aufgefallen. Der Anfang klingt bis 4:30 Minuten für mich nicht richtig nach Bruckner. Marthé geht sehr frei mit dem vorhandenem Material um. Diese Dissonanz am Ende des Choralthemas, die Harnoncourt sogar wiederholt hatte, fehlt z. B. völlig. Das finde ich eigentlich nicht gut, da Bruckner dies sicher so wollte. Gerade so erkennt man noch in Grundzügen das Fragment.


    Der Schluss klingt wirklich sehr schön. Auch als das Choralthema auf einmal in einer ganz anderen Tonart erklang fand ich das herrlich. Aber insgesamt brauch ich noch Zeit.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Hallo Bruckner-Freunde und Marthe-Gegner :D :D :D :beatnik:,


    ich habe mir gestern abend nochmal den neukomponierten Marthe Satz 4 angehört und muß sagen, dass mir die Musik immer besser gefällt.


    Inzwischen möchte ich diese an anderer Stelle genannte „Bruckner-Fantasie“ eigendlich mehr losgelöst von Bruckner´s Sinfonie Nr.9 sehen, auch wenn es anders vorgesehen ist.
    Marthe hat diesen 30minütigen Satz wirklich sehr brucknernah hinbekommen. Trotzdem kann ich die Einwände von massetto nachvollziehen, wenn er meint Bruckner hätte nicht so viele Phrasen aus anderen Sinfonien wiederholt.
    Marthe muste aber zu solchen Mitteln der Wiederholung von Phrasen greifen, damit der Wiedererkennungswert für Bruckner für den Hörer vorhanden ist –
    :hello: Gratulation für diese Klasse-Musik.


    Massetto und Alfred hatten vorher geschrieben das für sie der 4.Satz einen Bruch zu den Sätzen 1.-3. darstellt; das ist Richtig.
    Schon der Anfang des 4.Satzes eröffnet eine ganz andere Welt als der Schluß des Adagio es vermuten läßt.
    Den Bruch sehe ich aber auch in der Interpretation, die im 4.Satz auf mich gelungen und angemessen wirkt, während die eigendlichen Bruckner-Sätze bei Marthe´s Interpretation stark abfallen.
    Inzwischen wurde ja von Norbert und Theophilius ebenfalls zur Sprache gebracht, dass die Kirchenakustik mit ein Grund für die insgesamt langsamen Tempi sind um den Instrumenten wenigsten einigermaßen die Klangentfaltung zu lassen.


    Ein Manko der gesamten Aufnahme die Klangqualität, die durch den Aufnahmeort Kirche zu hallig und breiig klingt. Man vergleiche mit anderen Aufnahmen aus Berlin, Wien und Chicago !


    Ich würde mir, wie ich schon in meinem Beitrag vom 03.12.06 geschrieben habe, eine detailschärfere Aufnahme davon wünschen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,
    Marthe hätte das 30 minütige Werk ja als eigene" Tondichtung,
    im Stile Bruckners" herausbringen können.
    Aber dann hätten wir keine Diskussionsgrundlage.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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