früher Beethoven: JA - später: NEIN!!!

  • Hi,


    in diesem Thread soll es nicht speziell um Beethoven gehen, sondern eher um die Schaffensphasen der Komponisten, die voneinander unterscheiden. So ist doch das frühe Beethovenwerk etwas witziger, lockerer, als das Spätere, das oft als "schwer" bezeichnet wird. Natürlich gibt es eine Übergangszeit, doch der Unterschied der Früh- und Spätwerke ist doch eindeutig.
    Bei Beethoven geht es mit selbst so, dass ich mit mit den ca. letzten fünf etwas schwerer tu als mit den davor. Bei Brahms hingegen ist das genau umgekehrt. So gefallen mit nur die die ganz späten Werken zurätzlich der Rhapsodien und den Händelvariationen.
    Bei Schumann beispielstweise gefallen mir von den wenigen Spätwerken nur die Waldszenen und die Bunte Blätter.
    Seltsamerweise gefällt mir bei Skrjabin fast alles bis auf die "billigeren" :stumm: chopinschen Werke in den einstelligen Opi, obwohl ja seine kompositorische Entwicklung sehr weit ging. Wenn man mal sich genau überlegt, war er vielleicht sogar der erste (vor Schönberg!), der Atonal komponiert hatte, wenn man seinen "Mystischen Akkord", der sich nicht harmonisch nicht erklären lässt, nicht als tonal bezeichnet. Das gehört aber jetzt auch nicht hier her.


    Geht es euch mit bei manchen Komponisten ähnlich oder bin ich hier einer von wenigen?


    LG

    Die Dame des Hauses erhebt sich vom Klaviersessel: "Das war Siegfrieds Tod." Ein Zuhörer zu seinem Nachbarn: "Kann ich verstehen."

  • Der Thread ist viel zu interessant, um ihn in den Tiefen des Forums verschwinden zu lassen, weswegen ich einfach mal umfassender antworte (er ist ja im Klavierforum; ich beziehe mich darüber hinausgehend auch auf andere Werke)


    Da Komponisten im Laufe ihrer Tätigkeit immer wieder andere Richtungen einschlugen kommt es natürlich vor, dass man mit einer bestimmten Schaffensperiode mehr anfangen kann als mit einer anderen.
    Oft sind dies Frühwerke, die ich weniger schätze (z.B. 95 % Mozart vor KV 300 :stumm: ), manchmal ist das Spätwerk sperrig (der späte Beethoven ist mir immer noch in großen Teilen ein Rätsel, wenngleich ein faszinierendes). Ganz extrem verhält es sich bei Strawinsky, der mehrfach radikal seinen Stil änderte - da bevorzuge ich größtenteils seine frühen Ballette :angel:


    Es gibt also mehrfach Phasen eines Komponisten (ist ja auch bei anderen Musikern und Bands so), die man extrem schätzt und andere dann eher weniger...


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von AlexScria
    So ist doch das frühe Beethovenwerk etwas witziger, lockerer, als das Spätere, das oft als "schwer" bezeichnet wird.


    Die späten Beethovenwerke sind ja schon lange von einer Aura umgeben, die manchmal auch abschreckend wirken kann. Sätze wie das Scherzo aus op. 106 mit seinem spukenden Zweitonmotiv oder das plötzlich durchdrehende Trio aus dem zweiten Satz von op. 135 verraten aber schon (einen allerdings ziemlich rabiaten) Humor.



    Zitat

    Bei Schumann beispielstweise gefallen mir von den wenigen Spätwerken nur die Waldszenen und die Bunte Blätter.


    Für Schumann gibt es ja das bösartige geflügelte Wort: "Er begann als Genie und endete als Talent" (sinngemäß zitiert - ich dachte immer, Wagner sei der Urheber gewesen, aber es war wohl Felix Draeseke). Die offensichtliche Veränderung von Schumanns Früh- zu seinem Spätwerk muss man aber nicht unbedingt auf seine psychische Erkrankung zurückführen. Die "anarchischen", bis zu einem gewissen Grad auch antibürgerlichen frühen Klavierwerke sind einfach etwas anderes als die Werke jener Zeit, in denen Schumann sich der Musiktradition zu stellen versuchte und bewusst "bürgerliche" Gattungen wie das Oratorium pflegte.


    Ähnlich gelagert (wenn auch im Detail völlig verschieden) der zeitgleiche Weg Mendelssohns von seinen frühromantischen jugendlichen Geniestreichen bis zu den Werken, in denen er Bach rezipiert und über seine jüdische Herkunft reflektiert (Elias, Psalmvertonungen).


    In beiden Fällen geht es also nicht nur um die Weiterentwicklung eines Personalstils, sondern auch um den gesellschaftlichen Kontext einer sich immer stärker entwickelnden öffentlichen bürgerlichen Musikkultur. Welche Phase man aber persönlich mehr schätzt, bleibt aber selbstverständlich dem Geschmack jedes einzelnen überlassen. Zwar habe ich inzwischen einen Großteil des Schumann'schen Spätwerks schätzen gelernt, aber meine spontane Zuneigung gilt wie bei Dir auch immer noch den frühen Klavierwerken.



    Zitat

    Original von Barezzi
    Ganz extrem verhält es sich bei Strawinsky, der mehrfach radikal seinen Stil änderte - da bevorzuge ich größtenteils seine frühen Ballette :angel:


    Das geht wohl vielen so, ich nehme mich da nicht aus. Strawinskys faszinierende kompositorische Chamäleontechnik ist natürlich ein besonders krasser Fall. Aber auch beim großen Antipoden Schönberg verhält es sich trotz einer besonders konsequenten kompositorischen Fortentwicklung nicht anders: "Verklärte Nacht" und "Gurrelieder" schätzen viele, auch die freie atonale Phase findet noch ihre Freunde, aber bei den Zwölftonwerken bröckelt die Publikumsgunst (mit ganz wenigen Ausnahmen) doch sehr stark.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Die "Phasigkeit" ist ja bei unterschiedlichen Komponisten auch sehr verschieden ausgeprägt. Bei Bach kann man zwar auch früh und spät unterscheiden, das scheint aber für die Rezeption weitgehend irrelevant.


    Bei den Komponisten, die nicht ohnehin mit fast allen ihren Werken im Repertoire vertreten sind, gibt es ja häufig eine "offizielle" Bevorzugung. Jugendwerke werden, auch bei Frühreifen wie Mozart oder Schubert meist etwas weniger geschätzt (oder sind schlicht weitgehend unbekannt). Ausnahmen, für die das umgekehrte zu gelten scheint, sind besonders Schumann und teils vielleicht auch Mendelssohn. (Besonders "spät" sind deren Spätwerke indes auch nicht).


    Bei Brahms' Soloklaviermusik besteht die zusätzliche Besonderheit, dass es fast nur relativ frühe und dann wieder sehr späte Werke gibt, dazwischen kaum etwas (Ausnahme nur op.76 u. 79)...
    Brahms und Beethoven schätze ich aber völlig unabhängig von Phasen gleichmäßig. Die Aura des Spätwerks finde ich übertrieben. Ich mochte op.111 und op.131 und 132 praktisch sofort, ganz anders als die Waldsteinsonate oder etliche der frühen Klaviersonaten usw.


    Ich kenne häufig, wenn eine Phase insgesamt sehr viel weniger bekannt ist, davon nicht viel. z.B. bei Schumann. Die Waldszenen sind ganz nett, aber hier bin ich auch der Ansicht, dass sie den Vergleich zu Davidsbündlern, Carnaval, Sinf. Etüden, Fantasie usw. nicht aushalten. Aber das ebenfalls eher späte dritte Klaviertrio finde ich großartig.
    Bei Schubert finde ich die frühe Instrumentalmusik weitgehend wenig interessant, aber das sind wirklich Jugendwerke und ganz hübsch sind die Sinfonien allemal (die frühen Quartette kennt wohl kaum jemand, ich auch nur ein einziges, Es-Dur, an das ich keinerlei Erinnerung habe)


    Früher Mozart, was ist hier früh? Gewiß wird niemand ernsthaft die frühen Sinfonien o.ä. mit den späteren auf eine Stufe stellen wollen (völlig wurscht, was Böhm oder Harnoncourt angeblich gesagt haben, sie verstehen beide zu viel von Musik, um das ernst zu meinen). Aber es gibt unter den ersten 300 schon etliche sehr hörenswerte und wichtige Stücke (ich kenne natürlich auch lange nicht alle, aber z.B. die Violinkonzerte, das Klavierkonzert 271, die ersten 6 Klaviersonaten, die Haffner-Serenade)


    Vom späten Strawinsky kenne ich, glaube ich, gar nichts


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Bei mir ist es bei Beethoven genau andersrum, die Spätwerke, vor allem die späten Klaviersonaten schätze ich sehr und sie beeindrucken mich immer wieder aufs Neue, während mich ein Großteil der Frühwerke (u.a. viele Sonaten) langweilen.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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  • Noch zwei Antipoden fallen mir ein:


    Unter "Wagnerianern" (im allerweitesten Sinne) dürfte es wohl keinen geben, der "Tannhäuser" höher schätzt als "Tristan" oder "Lohengrin" höher als "Parsifal". Ich habe aber viele nicht wagnerisierende Opernfreunde erlebt, die sehr gerne "Tannhäuser" und "Lohengrin" hören, aber mit den späteren Musikdramen nichts mehr anfangen können.


    Bei Verdi verhält es sich etwas anders: Hier findet man öfter das Phänomen, dass die populären "mittleren" Opern, aber auch der frühe "Nabucco" den Spätwerken "Otello" und "Falstaff" vorgezogen werden. Ein aus Sicht sogenannter Kenner unhaltbares Urteil, sollte man meinen. Aber ausgerechnet Strawinsky schlug in diese Kerbe, als er insbesondere im "Otello" das Wagner-Virus grassieren sah, das die Singstimme zugunsten des Orchesters immer mehr zurückdränge. Auch er bevorzugte "Rigoletto" und "Traviata" (ich nicht, um das mal klarzustellen :D).


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Noch zwei Antipoden fallen mir ein:


    Unter "Wagnerianern" (im allerweitesten Sinne) dürfte es wohl keinen geben, der "Tannhäuser" höher schätzt als "Tristan" oder "Lohengrin" höher als "Parsifal". Ich habe aber viele nicht wagnerisierende Opernfreunde erlebt, die sehr gerne "Tannhäuser" und "Lohengrin" hören, aber mit den späteren Musikdramen nichts mehr anfangen können.


    Wagner hatte ich oben vergessen. Es gibt nämlich noch eine von Dir nicht genannte Kategorie: Ich bin wohl nicht der einzige Nicht-Wagnerianer und Nicht-Opernfanatiker, der sehr viel mit den "späten Musikdramen" anfangen kann, aber Tannhäuser, Lohengrin, sowie auch weite Teile des Holländers eher mit Mühe erträgt.
    Ich vermute mal, dass unter allen, die prinzipiell eher von der sinfonischen Musik als von der Oper im engeren Sinne kommen, diese Präferenz nicht so außergewöhnlich ist.


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Es gibt nämlich noch eine von Dir nicht genannte Kategorie: Ich bin wohl nicht der einzige Nicht-Wagnerianer und Nicht-Opernfanatiker, der sehr viel mit den "späten Musikdramen" anfangen kann, aber Tannhäuser, Lohengrin, sowie auch weite Teile des Holländers eher mit Mühe erträgt.
    Ich vermute mal, dass unter allen, die prinzipiell eher von der sinfonischen Musik als von der Oper im engeren Sinne kommen, diese Präferenz nicht so außergewöhnlich ist.


    Das leuchtet ja auch ohne weiteres ein. Und zeigt, wie tief manchmal die Gräben sind, die "Nur-Opernfreunde" von anderen Musikliebhabern trennen...


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Bei Verdi verhält es sich etwas anders: Hier findet man öfter das Phänomen, dass die populären "mittleren" Opern, aber auch der frühe "Nabucco" den Spätwerken "Otello" und "Falstaff" vorgezogen werden. Ein aus Sicht sogenannter Kenner unhaltbares Urteil, sollte man meinen. Aber ausgerechnet Strawinsky schlug in diese Kerbe, als er insbesondere im "Otello" das Wagner-Virus grassieren sah, das die Singstimme zugunsten des Orchesters immer mehr zurückdränge. Auch er bevorzugte "Rigoletto" und "Traviata" (ich nicht, um das mal klarzustellen :D).


    Was meist Du, was ich mir damals dachte, als ich zum ersten Mal den Otello gehört habe :untertauch: (bin bis heute kein großer Wagnerfreund) - den Falstaff habe ich hingegen nach dem ersten Kontakt innig ins Herz geschlossen...


    Der ganz späte neoklassische Strawinsky hat seltsamerweise auch kaum Verehrer - ob er potentielle Interessenten etwa mit dem 12-Ton-Kram verscheucht hat? :rolleyes:


    @ Johannes: Die von Dir genannten Mozart-Werke < KV 300 sind ja mengenmäßig noch nicht mal die von mir taxierten 5 % :D (inhaltlich stellen sie eine Teilmenge dar :beatnik: )


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Original von Zwielicht


    Das geht wohl vielen so, ich nehme mich da nicht aus. Strawinskys faszinierende kompositorische Chamäleontechnik ist natürlich ein besonders krasser Fall. Aber auch beim großen Antipoden Schönberg verhält es sich trotz einer besonders konsequenten kompositorischen Fortentwicklung nicht anders: "Verklärte Nacht" und "Gurrelieder" schätzen viele, auch die freie atonale Phase findet noch ihre Freunde, aber bei den Zwölftonwerken bröckelt die Publikumsgunst (mit ganz wenigen Ausnahmen) doch sehr stark.


    Im 20. Jh. kommt das aber doch häufig vor. Für die Generation der um 1900 geborenen ist es die Regel, in sehr unterschiedlichen Stilen geschrieben zu haben, mitunter gleichzeitig. Eisler und Krenek sind hier herausragende Namen, wobei letzterer sicher eine noch extremere Vielfalt als Strawinsky an den Tag legt.


    Wobei für mich gilt: später Strawinsky mindestens genauso gut wie der Strawinsky vor dem Sacre, requiem canticles ist mir lieber als der Feuervogel, den ich als noch nicht so gelungenes Frühwerk ansehen würde.


    Komponisten, die der Nachkriegsavantgarde angehörten und die nicht ihren Stil irgendwann radikal geändert haben, haben überhaupt Seltenheitswert.

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Die Waldszenen sind ganz nett, aber hier bin ich auch der Ansicht, dass sie den Vergleich zu Davidsbündlern, Carnaval, Sinf. Etüden, Fantasie usw. nicht aushalten.
    viele Grüße


    JR


    Hallo Johannes!


    Volle Zustimmung. Bis auf eine kleine Ausnahme: "Vogel als Prophet" - ein Juwel inmitten des eher unspektakulären Zyklus. Dieser "Vogel als Prophet" gehört in seiner geheimnisvollen Stimmung für mich zu einer der schönsten Klavierwerke Schumanns überhaupt.


    LG
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Im 20. Jh. kommt das aber doch häufig vor. Für die Generation der um 1900 geborenen ist es die Regel, in sehr unterschiedlichen Stilen geschrieben zu haben, mitunter gleichzeitig. Eisler und Krenek sind hier herausragende Namen, wobei letzterer sicher eine noch extremere Vielfalt als Strawinsky an den Tag legt.



    Polystilistik ist schon ein typisches Kennzeichen des 20. Jahrhunderts. Mit Messiaen fällt mir aber zumindest ein Komponist ein, dessen Werk trotz zeitweiliger Experimente um 1950 von der frühen bis zur späten Phase relativ viel Konstanz aufweist. Man könnte auch Schostakowitsch nennen, wobei hier natürlich (wie so oft) außermusikalische Faktoren die Entwicklung beeinflusst haben. Immerhin gibt es hier ein unverkennbares Spätwerk, um das ebenso wie beim sonst völlig anders gelagerten Nono ein gewisser Kult entstanden ist.


    Zum Thema Spätwerk gibt es übrigens bereits einen interessanten Thread.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Mit Messiaen fällt mir aber zumindest ein Komponist ein, dessen Werk trotz zeitweiliger Experimente um 1950 von der frühen bis zur späten Phase relativ viel Konstanz aufweist.


    1928 Préludes
    1932 L'Ascension
    1941 Quatuor pour la fin du temps
    1948 Turangalila-Symphonie
    1949 Mode de valeurs et d'intensité
    1956 Oiseaux exotiques
    1963 Couleurs de la cité celeste
    1991 Concert à quatre


    Ich habe die ganz späten Stücke nicht mehr so im Ohr, aber die Unterschiede zur zentralen Phase (1940-70) scheinen mir doch recht stark. Und zwischen den Préludes/L'Ascension und Oiseaux exotiques etwa liegen doch auch Welten. Wobei Oiseaux exotiques eben nicht zu den Experimenten um 1950 zu rechnen ist (so würde ich "Mode de valeurs et d'intensité" bezeichnen, das überhaupt kein typischer Messiaen ist).


    Bislang galt für mich:


    früher Messiaen: ja
    mittlerer Messiaen: ja unbedingt
    später Messiaen: lieber nicht


    dementsprechend kenne ich aber vom späten Messiaen fast nichts und kann eigentlich keine Aussage treffen.

  • Die Diabelli-Variationen dürften ja zum Spätwerk gehören. Für mich gehören sie zu den beeindruckensten Werken, die aus Beethovens Feder flossen. Allerdings kenne ich micht bei Beethovens Spätwerk noch zu wenig aus, um generell von Gefallen oder Mißfallen zu sprechen.


  • Ich mag den späten Messiaen sehr ;). "Saint Francois d'Assise" ist nicht nur eine überwältigende (wenn auch etwas lange) Oper, sondern in mancher Hinsicht auch eine Synthese vieler früherer Werke von Messiaen (ich entdecke hier sowohl Turangalila wie auch den experimentellen "Réveil des oiseaux", vieles andere habe ich sicherlich überhört). Und soweit finde ich die späten "Éclairs sur l'Au-Delà" gar nicht von der frühen "L'Ascension" entfernt.


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Ich habe aber viele nicht wagnerisierende Opernfreunde erlebt, die sehr gerne "Tannhäuser" und "Lohengrin" hören, aber mit den späteren Musikdramen nichts mehr anfangen können.


    Yupp !!


    Bin allerdings kein Opernfreund. Und mag auch nur die Vorspiele. Aber die sind genial !

  • Hallo,


    Zitat

    Original von Barezzi
    Der Thread ist viel zu interessant, um ihn in den Tiefen des Forums verschwinden zu lassen, weswegen ich einfach mal umfassender antworte (er ist ja im Klavierforum; ich beziehe mich darüber hinausgehend auch auf andere Werke)


    Eben. Und da wir eh mittlerweile bei Wagner angelangt sind... :rolleyes:


    Also: Woran soll man "späten" Beethoven fest machen? Daß op. 133 ein spätes und oder op. 1 ein frühes Werk ist, dürfte klar sein. Soll man bei den Opuszahlen eine Grenze ziehen? Die Methode ist nicht astrein, spiegelt die Opuszahl doch die Reihenfolge der Veröffentlichung der Werke Beethovens wieder - op. 135ff. sind dann die deutlichsten Ausnahmen, da m. W. posthum veröffentlichte Werke früherer Zeiten. Zu den Ausnahmen gehören auch opp. 19, 20, 30, 49, 50, 51, 87 ...]


    Man könnte sein Œuvre nach meinem Dafürhalten in etwa wie folgt dreiteilen:


    I Frühwerk [1795-1802]
    II Mittlere Schaffenperiode [ab op. 37? - 1803-1811]
    III Spätwerk [ab op. 89 - ab ~1812?]


    Dabei sind unter I vorwiegend Werke zu finden, die sich am ehesten noch dem klassischen Bereich der sogenannten Wwiener Klassik zuordnen lassen, wobei die 2. Sinfonie sicherlich bereits die erste nennenswerte Ausnahme dieser Kategorisierung ist. :wacky: II umfasst bereits reife - überwiegend heroische - Werke und ab III spätestens zeigt sich das für mich typische komplett Andersartige bei Beethoven, wobei ich die Lieder insgesamt ausgeklammert habe, da ich sie nicht kenne. Wer dies tut, kann die von mir vorgenommene Einteilung gerne differenzieren. Periode III weit Werke auf, die als Abgrenzung zur zweiten Schaffensperiode eher feinsinniger, kopflastiger, nicht stets so "rüpelhaft" jedoch nichtsdestoweniger unkontrolliert wirken.


    Sicherlich ließe sich die Periode II noch weitaus detaillierter aufsplitten, denn sie umfasst derzeit die Sinfonien 3-8 in quasi einem Schriftzug und die Vierte aber lässt sich mit der Siebenten nicht so recht in einen Topf werfen.


    Auch beiden zu Lebzeiten auf [Nicht-] Veranlassung Beethovens unveröffentlichten Werken sind noch einige Werkew dabei, die sich ganz bestimmt in Periode I und in nicht wenigen Ausnahmen sicherlich in Periode II einsortieren lassen.


    Das Ziehen von Grenzen ist natürlich prinzipiell Quatsch, da - wie Gardiner es formuliert - viele Werke ein "Work in Progress" sind, die Werke also ihren Kopf aus der einen Kategorie bereits herausstrecken, in der nächsten aber noch ncht vollständig angekommen sind. Farblich unterlegt könnte man dies vielleicht annähernd darstellen?


    Ich persönlich schätze selbstverständlich alle vier [WoO inkl.!] Kategorien - je nach Tagesform und selischem Bedarf :D


    Was also sind die verabscheuten Spätwerke? Und - ganz wichtig: warum?


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Deine Einteilung entspricht ungefähr dem Üblichen. Die 7./8. Sinfonie, das Erzeherzog-Trio und die letzte Violinsonate werden normalerweise ebenso wie das Quartett op.95 noch zur mittleren Periode gezählt. op. 90 hängt so dazwischen. Man kann das "Spätwerk" dann entweder mit op.101 und 102 beginnen lassen, oder mit dem "Paukenschlag" op.106. Relativ klar scheint zu sein, dass op.106 eine gewisse "Krise" beendete und vielleicht als ein bewußt deutlicher "Beweis" (besonders auch für Beethoven selbst) der ungebrochenen Kreativität gesehen werden kann.
    Das ist aber doch eine einigermaßen deutliche Zäsur, weil zwischen 1813 und 1817 sehr wenige Stücke komponiert wurden. Nach langer Arbeit ist dann 1818 op.106 fertig und danach schreibt er wieder recht stetig (wobei die beiden umfangreichsten Werke, die Missa und die 9. Sinfonie natürlich ihre Zeit brauchten)
    Viel weniger klar scheint mir die Abtrennung der "frühen" von der mittleren Periode zu sein. Irgendwie um 1801/02, ja. Man könnte hier einmal extramusikalisch biographisch das Heiligenstädter Testament als Wasserscheide nehmen oder Beethovens Reden von einem "neuen Weg", der mit op.31 (und vermutlich op.30) eingeschlagen werden sollte. Dann wären op.30/31 die ersten mittleren Werke.
    Ich würde allerdings lieber die Werke von (ca.) op.26 - op.37 als "späte frühe" oder "frühe mittlere" einordnen. Die drei unkonventionellen Sonaten op.26 & 27 scheinen mir bereits der Versuch eines "neuen Weges" zu sein.


    Aber Du hast natürlich ganz recht, dass es "immer weitergeht". Gerade bei den Klaviersonaten, die ja bis op.57 in ziemlich stetiger Abfolge kommen, finde ich das ziemlich deutlich. op.10 setzt nach op.2 und 7 wieder völlig andere Schwerpunkte usw.


    viele Grüße


    JR

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  • Wie so oft, stimme ich Ulli zu.


    Die Einteilung - was bringt sie.
    Offensichtlich ist doch, daß man kein Werk mit einem anderen vergleichen kann, was ja den Zeitgenossen unangenehm aufgestoßen ist - sie wollten weiter so bedient werden mit guter, bekannter Unterhaltung - ich möchte da nicht ins Fettnäpfchen treten, aber vieles von Haydn und Mozart dreht sich im Kreise.
    Und das ist eben bei Beethoven nicht so, man kann schon eine stetige Weiterentwicklung beobachten, er geht kaum mal zurück.


    Insofern ist die Einteilung sehr willkürlich, man sollte es besser als fortlaufend ansteigende Meisterschaft betrachten.


    Die "Spätwerke" - ich höre gerade wieder mal die Quartette - was ist das für ein Kosmos an Melodien, Rhythmen, Harmonien. Und das alles aus der reinen Imagination ohne es zu hören.
    Welche Lebenslust, welcher Humor noch in dem nachgeschriebenen Satz für Op, 130, dem letzten fertigen Werk - für mich zu Unrecht gegenüber der Großen Fuge" ins Abseits gestellt.


    Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Ich war und bin bei aller Diskussion über "Spätwerke" immer skeptisch, vor allem bei Komponisten, denen kein langes Leben beschieden war, z.B. Mozart oder Schumann.
    Von einem Spätwerk kann man meiner Ansicht nach mit Fug und Recht nur bei Komponisten mit einem langen Leben sprechen, die ihrem Tod irgendwie entgegensahen, und nicht wie z.B. Bach zwar mit 65 jahren, aber doch herausgerissen wurden: Kandidaten wären Heinrich Schütz, Joseph Haydn, Georg Phillip Telemann, Johannes Brahms.
    Alles andere ist Deutung ex post facto - aber nicht aus der Perspektive des Komponisten. Ich finde solche Phaseneinteilungen sowieso nicht sehr hilfreich.

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  • Zitat

    Original von miguel54
    Ich war und bin bei aller Diskussion über "Spätwerke" immer skeptisch, vor allem bei Komponisten, denen kein langes Leben beschieden war, z.B. Mozart oder Schumann.
    Von einem Spätwerk kann man meiner Ansicht nach mit Fug und Recht nur bei Komponisten mit einem langen Leben sprechen, die ihrem Tod irgendwie entgegensahen, und nicht wie z.B. Bach zwar mit 65 jahren, aber doch herausgerissen wurden: Kandidaten wären Heinrich Schütz, Joseph Haydn, Georg Phillip Telemann, Johannes Brahms.
    Alles andere ist Deutung ex post facto - aber nicht aus der Perspektive des Komponisten. Ich finde solche Phaseneinteilungen sowieso nicht sehr hilfreich.


    Ab wann ist bei Brahms "Spätwerk"? Ab op.114? Oder auch schon das Quintett op.111 und die 3. Violinsonate?
    Wann bei Haydn? Nur die beiden Oratorien, die späten Messen und op.77? Oder schon alle "Londoner" Sinfonien, op.76 usw.


    Ich sehe weder bei Haydn noch bei Brahms in der Biographie oder auch im Stil eine solche Zäsur wie bei Beethoven zwischen 1813 und 1818, etwa dem "Erzherzogtrio" und der "Hammerklaviersonate". Ich habe mich selbst weiter oben entschieden gegen eine übertriebene "Mystifizierung" des "Spätwerks" gewendet, aber das Phänomen ist nicht immer völlig aus der Luft gegriffen. Natürlich hätte Beethoven noch 10 oder mehr Jahre leben können, vielleicht gäbe es dann sogar eine "4. Periode", sein Spätwerk ist kein "Alterswerk".
    Bei Mozart bin ich ebenfalls skeptisch, was ein "Spätwerk" betrifft, bei Schubert sowieso.
    Bei Bach und Verdi ist es aber nicht ganz unplausibel.


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Stabia
    Und das ist eben bei Beethoven nicht so, man kann schon eine stetige Weiterentwicklung beobachten, er geht kaum mal zurück.


    Insofern ist die Einteilung sehr willkürlich, man sollte es besser als fortlaufend ansteigende Meisterschaft betrachten.


    Einerseits ist dies so, andererseits erkennen wir in den Werken der einzelnen Schaffensphasen häufig bestimmte typische Merkmale, die nicht in jeder Hinsicht ein fortlaufendes nach oben Schreiten bedeuten. Bei Beethoven vermisse ich in der Frühphase, im Gegensatz zu den Werken seiner Werke der letzten Jahre, das Reife, das Ruhende, das Mystische, die Widersetzen des Persönlichen gegen die Norm. Andererseits empfinde und genieße ich in den Frühwerken, mehr noch als in den späteren, das Vorwärtsstrebende, das Heraussprudelnde, den erfrischenden Willen nach mehr. Unbändige Kraft spüre ich also, in sehr unterschiedlicher Ausformung und auf sehr unterschiedliche Art, sowohl in den Werken seiner Jugend wie auch in seinem Alter. Die mittlere Phase sagt mir dagegen weniger zu. Es scheint mir gefühlsmäßig im Großen und Ganzen eher eine Phase des Sich-Sammelns, Sich-Ordnens und vielleicht auch des Probierens zu sein.


    Interessant ist in etwas ähnlichem Sinne auch Adornos Empfinden den beiden Streichquartetten Alban Bergs gegenüber. Das Frühwerk op. 3 schätzt er außerordentlich wegen seiner jugendlichen Kraft, seines Nach-Vorne-Strebens und seiner lebendigen Ideen. Die spätere "Lyrische Suite" dagegen schätzt er aus ganz anderen Gründen, wie vielleicht denen der Kraft des organischen Ordnens des menschlich/musikalisch Erworbenen u.s.w.


    Ich persönlich bin im Allgemeinen eher ein Freund der späten Werke, während ich in meiner Jugend, wenngleich auch reife Werke nicht verachtend, Frühwerke etwas besser miterleben konnte.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ab wann ist bei Brahms "Spätwerk"? Ab op.114? Oder auch schon das Quintett op.111 und die 3. Violinsonate?
    Wann bei Haydn? Nur die beiden Oratorien, die späten Messen und op.77? Oder schon alle "Londoner" Sinfonien, op.76 usw.


    Eben, lieber Johannes - anstatt mir über solche Fragen den Kopf zu zerbrechen, geniesse ich lieber die Musik, und die stetige Entwicklung des Menschen, egal wie sie sich konkret gestaltet.


    Wenn sich ein Telemann von Ämtern zurückzieht, oder auch Bach, oder eben Haydn, dann hat das eine Auswirkung. Wir ziehen alle mal Bilanz und werden alle mal mit der Endlichkeit unseres Lebens konfrontiert. Auch die Frühverstorbenen - s. Frobergers "Méditation faict sur ma Mort future".


    Wems hilft, meinetwegen, aber wir sollten nie vergessen, was wir uns ausgedacht haben, und was die Komponisten selbst.