Eigencharakter von Komponisten - bzw ihrer Werke

  • Liebe Forianer


    Selten - nein eigentlich noch nie - habe ich mir mit einem Threadtitel so schwer getan wie mit diesem. Es ist schwer zu beschreiben was gemeint ist - notabene da ich gar nicht weiß, ob das Phänomen, das ich im folgenden beschreiben werde, von allen (oder zumindest den meisten) Forianern ebenso empfunden wird wie von mir - oder ob es sich um eine Einzelerscheinung handelt
    Die Idee zu diesem Thread kam mir beim Abhören der zweiten Sinfonie von Raff: Raff - es gab einen Thread über seine erste - und ich konnte mich bis jetzt nicht aufRAFFen einen über seine zweite zu schreiben - weil Raff hier im Forum nicht gut aufgenommen wurde. (Irgendwann werde ich es trotzdem tun)


    Dabei kam mir in Erinnerung wie farb- und charakterlos ich anfangs diese Musik empfand, wie gleichförmig alles war. Ähnliche Empfindungen haben ja Einsteiger gelegentlich auch mit Bach, mit Haydn-Sinfonien, mit Vivaldi - ja einige sogar mit Mozart.


    Und natürlich mit vielen Komponisten, die aus der "zweiten Reihe" stammen. Befasst man sich aber länger mit solch einem Komponisten, dann bekommt die Musik plötzlich Konturen, sie wird unverwechselbar.
    Ab diesem Zeitpunkt wird jedes Werk zum unverwechselbaren Einzelstück, der Komponist zum Schöpfer von "Einmaligem"


    Und nun hört man auch die Feinheiten und Eigenarten, man lernt sie
    lieben und schätzen.



    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    "Natürlich" habe ich eine Meinung. Leider ist die noch nicht auskristallisiert, denn Du überfallst mich hiermit.


    Zufällig lese ich im Moment das Buch "Johann Sebastian Bach" von Maarten 't Hart. Und gerade was Du hier beschrieben hast, habe ich bei ihm gelesen.
    Findest Du es gut, daß ich später auch seine (übersetzte) Meinung zitiere?


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Befasst man sich aber länger mit solch einem Komponisten, dann bekommt die Musik plötzlich Konturen, sie wird unverwechselbar.
    Ab diesem Zeitpunkt wird jedes Werk zum unverwechselbaren Einzelstück, der Komponist zum Schöpfer von "Einmaligem"


    Das ist wohl Vorraussetzung für einen guten Komponisten, dass er einen eigenen Stil hat. Freilich gibt es immer Werke, die nicht leicht zugeordnet werden können aber zumindest eine Phase muß ein Komponist haben, in der er erkennbar ist, sonst wird er auch gar nicht bekannt. Ich glaube nicht, dass heute Werke Komponisten aus früheren Jahrhunderten auf CD erscheinen, die nie einen eigenen Stil hatten.

  • Zitat

    Ich glaube nicht, dass heute Werke Komponisten aus früheren Jahrhunderten auf CD erscheinen, die nie einen eigenen Stil hatten.


    Es gibt keine Komponisten, die "keinen eigenen Stil" haben. - Allenfalls ist ein Komponist OBERFLÄCHLICH einem anderen ähnlich.
    Selbst wenn es ANGESTREBT wurde den Stil zu kopieren, sei es in Mozarts "Sinfonien Nr 37", Sei es in Puccinis Tosca (Alfano), sei es in Bruckners 9.(Marthé) Stets kommt das Temperament und die spezielle Eigenart des Komponisten zum Vorschein.
    Auch der vielbelächelte Ries ist viel mehr als nur ein Beethoven-Verschnitt.


    @

    Zitat

    Findest Du es gut, daß ich später auch seine (übersetzte) Meinung zitiere?


    Mit Quellenangabe - und stark gekürzt ja - NICHT wörtlich übersetzt - aus Gründen des Urheberrechts - lediglich die Qintessenz der Aussage.


    Bach ist übrigens ein gutes Beispiel:
    Jemand der sich mit ihm nicht befasst hat, wird unter Umständen meinen, alle seine Kantaten klängen "gleich"




    LG
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Am deutlichsten ist für mich der Personalstil von Bruckner erkennbar.


    Ich lernte Bruckner sehr früh kennen und seitdem verbindet mich eine Art Hassliebe zu Bruckner, wie sie vielleicht auch Mahler hatte. Bisher ist mir kein Komponist untergekommen, der auch nur ähnlich wie Bruckner schrieb.


    Für mich stand er früher etwas außerhalb der anderen großen Namen des 19. Jhd. - was nicht als Qualitätsmaßstab gemeint ist, sondern in der Schwierigkeit für mich lag zu sagen, Bruckner gehöre ins 19. Jhd. Ich empfand seinen Stil zu eigen, hätte ihn auch keinem anderen Jhd. zuordnen wollen. Na ja, Wagner lernte ich erst später kennen.


    Trotzdem: der Bruckner-Ton ist unverwechselbar. Diese Synthese aus Weltentiefen, Resignation und diese typischen Intervallsprünge gigantischen Ausmaßes sind für mich ein unverwechselbares Kennzeichnen Bruckners.


    LG
    Wulf.

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  • Auf die Gefahr das Thema zu torpedieren - ich hatte anfangs wirkliche Problem mit Bruckner: Dieses immer wieder einem Höhepunkt zustrebende, welches dann überraschend sich selbst zurücknimmt um sich einem neuen, wieder nicht stattfindenden Höhepunkt zuzuwenden - das machte mich nervös (Diese Definition gebrauchte ich in etwa, als ich 20 war)


    Worauf ich in diesem Thread jedoch in erster Linie hinauswollte, war zu ergründen oder zu analysieren, warum einem viele Komponisten die man noch nicht kannte, beim ersten Hörerlebnis eher farb- und stillos vorkommen, wobei bei intensiverer Befassung - so es überhaupt so weit kommt - die Musik zu Leben erweckt wird und sich in all ihrer Schönheit offenbart.


    Hier 3 Beispiele:


    Ferdinand RIES:



    Er erschien mir sofort vertraut - teilweise eine Kopie bzw Parodie Beethovens, den er NIE zitiert, jedoch stets Bausteine seiner Technik verwendet, die immer suggerieren Beethoven habe das geschrieben - Sehr schön zu hören in der 5. Sinfonie von Ries - speziell am Anfang, der leider im jpc Hörbeispiel unterschlagen wird.....


    Dennoch - er hat auch eigenes zu bieten - und zwar durchaus beachtliches - aber dazu mehr - sehr bald im demnächst von mir gestarteten 3. Ries -Thread .....



    Joachim RAFF:


    Ein Fehlkauf - das war mein erster Eindruck nach dem Kauf seiner 5. Sinfonie - ein Fehlurteil ersten Ranges, daß ich später zu 100& revidiert habe.
    Anfangs erschienen mir seine Themen banal oder nicht einprägsam (wobei zweiteres in meinen Augen das Schlimmer Übel ist !!!) - Eines Tages machte es "Klick" , die in einigen Sinfonien verwendeten Zitate bekannter vollkstümlicher Themen (wobei ich oft gar nicht eruieren konnte, was es denn war, was mir so vertraut erschien), der allgemein volkstümliche Ton und nicht zuletzt die RAFFinierte Instrumentation - eine Spezialität des Komponisten - all das hatte mich in seinen Bann gezogen.....



    Felix DREASEKE:


    Hier ist mir der Zugang noch nicht geglückt. Eigenartig sperrig wirkt diese Musik auf mich, was aber sicher an deren "Fremdheit" liegen dürfte - sie gilt noch entdeckt zu werden - vielleicht habe ich mich an den Komponisten und seine Tonsprache noch nicht gewöhnt .


    Dreaseke und die beiden anderen Komponisten stehen hier lediglich für Dutzende andere, bei denen es mir ebenso erging wie bei den drei Prototypen...


    Eybler und Cannabich, ebenso Kalliwoda haben mich beispielsweise beim ersten Hören sehr beeindruckt - aber dann letztlich keine tieferen Spuren hinterlassen - von keinem der drei könnte ich ein Thema auch nur "ansummen" - Das kliegt aber mit Sicherheit daran, daß ich die Werke nicht oft genug gehört habe - etwas , das sich beim Abhören von Alternativinterpretationen automatisch ergäbe - wenn da nur welche wären... Ich werde daher das Vorhandene gelegentlich öfter in den Player legen unm die scheinbar erforderliche "Prägung" zu forcieren...


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Selbst wenn es ANGESTREBT wurde den Stil zu kopieren, sei es in Mozarts "Sinfonien Nr 37"


    Salut,


    ier verstehe ich den Zusammenhang zum Thread nicht!? Mozart hat nur eine langsame Einleitung dazu komponiert, die nicht den Anspruch hatte, Michael Haydns [folgender] G-Dur-Sinfonie ähnlich zu sein. Man sagt gar, Mozarts Einleitung sei völlig unpassend und stilfremd. Ich kann's nicht beurteilen, denn die M.-Haydn-Sinfonie findet einfach den Weg nicht zu mir... ;(


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Wenn man ehrlich ist, ist für Nichtexperten in sehr viel Musik vor ca. 1800 der Eigencharakter eines Komponisten nicht leicht herauszuhören. Das sieht man u.a. daran, dass die ominöse und umstrittene Toccata&Fuge BVW 565 dem naiven Hörer als "typisches" Bachwerk gilt, oder an dem lange als von Haydn stammend akzeptierten "Serenadenquartett". Selbst ein Experte wie Tovey schreibt irgendwo sinngemäß, dass man bei Händel ganze Stücke oder längere Auschnitte sehen müßte, um ein Stück ihm zuzuordnen (und hier gibt es auch noch etlicher Werke unklarer Autorschaft) während man bei Beethoven an ein paar Takten erkennen würde, von wem es ist.


    Unterschiede, die für die Zeitgenossen offensichtlich waren und zu heftigen Differenzen führten (wie im Barock italienischer vs. Franz. Stil) sind für uns eher Nuancen und es bedarf ziemlich viel Wissen und Hörerfahrung, um die Unterschiede klar zu erkennen!


    Es ist ja keine Wertung, wenn man feststellt, dass sich manche Vivaldi-Konzerte nicht so deutlich voneinander unterscheiden wie die Sinfonien von Brahms.


    Der andere Aspekt, den Alfred anspricht, ist wohl ein hör- oder lernpsychologischer: Selbst relativ erfahrenen Hörern kommt unvertraute Musik oft zunächst einförmig vor. Einfach weil die erwarteten Strukturen und Kontraste nicht auftauchen, sondern andere. Für mich waren auch mit bald 10 Jahren Hörerfahrung mit dem Schwerpunkt Mozart bis Brahms Bachs Klavierwerke eintönige, kontrastarme Stücke, Wiederholungen von 16teln, ohne "Melodie" oder prägnante Motive. Oder Debussy: wabernde Klangwolken, völlig unverständlich. Heute ist mir schwer begreiflich, wie ich so eingeschränkt zuhören konnte...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Naja, es gibt eben Komponisten, die eher darauf Wert legten, dass jedes ihrer Werke einen unverwechselbaren Charakter besitzt (z. B. Beethoven, Brahms) und andere, die eine eigene Tonsprache (eigenen Stil) entwickeln wollten bzw. entwickelten, welche sich durch all ihre Werke zieht (z.B. Mozart, Bach). Kommt immer auch auf die Epoche an. Aber ich glaube Bach hat nicht so viel wert darauf gelegt, dass jeder seiner Choräle sich bestmöglichst von allen anderen unterscheidet. Das ist nicht negativ zu sehen.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Der andere Aspekt, den Alfred anspricht, ist wohl ein hör- oder lernpsychologischer: Selbst relativ erfahrenen Hörern kommt unvertraute Musik oft zunächst einförmig vor. Einfach weil die erwarteten Strukturen und Kontraste nicht auftauchen, sondern andere. Für mich waren auch mit bald 10 Jahren Hörerfahrung mit dem Schwerpunkt Mozart bis Brahms Bachs Klavierwerke eintönige, kontrastarme Stücke, Wiederholungen von 16teln, ohne "Melodie" oder prägnante Motive. Oder Debussy: wabernde Klangwolken, völlig unverständlich. Heute ist mir schwer begreiflich, wie ich so eingeschränkt zuhören konnte...


    Das ist das Beste was je zu diesem Thema gesagt werden konnte - Ich selbst, der den Thread eröffnet habe , konnte das Problem zwar anreissen - jedoch nicht so prägnant analysieren und formulieren.
    Das Tückische daran ist, daß den meisten Hörern gar nicht bewusst ist, daß sie "vorbeihören"


    Rappy bestätigt dies Behauptung (unfreiwillig), wenn er da sagt:


    Zitat

    ich glaube Bach hat nicht so viel wert darauf gelegt, dass jeder seiner Choräle sich bestmöglichst von allen anderen unterscheidet. Das ist nicht negativ zu sehen

    .


    Natürlich hat Bach Wert drauf gelegt, daß jedes seiner Werke originell und verschieden war (von Gelegenheitwerken mal abgesehen, die man schnell liefern musste) - und die Zeitgenossen haben das auch so gesehen. Lediglich dem eher desinteressieren, distanzierten Beobachter erscheinen viele Werke Bachs "ähnlich"


    Aber sowohl Bach, als auch Haydn wurden gelegentlich für ihren Einfallsreichtum gelobt, wo trotz der Fülle ihrer Kompositionen "kein Werk dem anderen glich"


    mit freundlichen Grüßen
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ein weiterer Aspekt ist hier, dass Stücke, in denen viel wiederholt wird, eingängiger sind als welche, wo ständig variiert wird. Leider hat man sich dann auch schneller sattgehört.
    Stellvertretend sei der erste Satz der "kleinen" g-moll-Symphonie von Mozart genannt.


    Gruß,
    Spradow.

  • Naja, ich hab mich schon viel mit Werken von Bach beschäftigt, wenn man mal einige Bach-Choräle analysiert hat, wird man feststellen, dass alle nach ähnlichem Muster gestrickt sind. Nicht umsonst ist Bachs Musik unverwechselbar. Natürlich hat jedes Werk seine Besonderheiten. Aber der Gedanke, mit jeder Komposition etwas komplett Neues schaffen zu müssen, kam glaube ich erst mit Beethoven auf.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Salut,


    ich empfinde es jedesmal als "persönlichen Erfolg" und ich freue mich diebisch, wenn ich ein mir bisher unbekanntes Werk höre, dann sage: "Diese Stelle ist typisch ***" und es bewahrheitet sich dann [z. B. nach dem Abspann im Radio].


    Ich würde steif und fest behaupten, einen [echten] J. M. Kraus, G. F. Händel oder Chr. W. Gluck sofort bzw. nach einer kurzen Eingewöhnungsphase bei einem neuen Werk zu erkennen. Bei Mozart hingegen eher nicht, wenn es sich um Werke bis 1780 handelt.


    Gestern hörte ich im Radio


    1. ganz sicher eine mir bekannte Opernouvertüre
    2. fast ganz sicher Carl Maria von Weber


    Bei 1. hatte ich Recht, bei 2. musste ich lachen, als die Radiomoderatorin verkündete, es sei die [mir bekannte] Ouvertüre zu Cherubinis 'Medea'... damit wäre dann 'bewiesen', dass Freischütz- und Medea-Ouvertüre zumindest ähnliche Stellen haben. :P


    'Komponistenraten' ist übrigens ein sehr amüsantes Spielchen... :]


    :hello:


    Viele Grüße
    Ulli




    *** Man setze einen Komponisten meines Vertrauens ein

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Jeder Komponist lebt in seiner Zeit und daran kann man nichts ändern.
    Er ist dem Zeitgeist, der Gesellschaft, der Errungenschaften der Vergangenheit und der jeweiligen gegenwärtigen Philosophie ausgesetzt und untergeordnet (es gibt dann wohl auch Ausnahmen, die der Zeit vorraus sind, und so die Zeit selber entwickeln und prägen.). Deshalb spricht man ja gerade von Epochen und diese haben starke Einflüsse auf die kompositorischen Mittel wie Harmonien, Orchestrierung, Melodieführung etc.
    Der Unterschied von den berühmteren Komponisten zu den doch von denen der "hinteren Reihen" ist wohl die Fähigkeit, diese musikalischen Mittel auf den Menschen wirken zu lassen. Dabei spielt es wohl eine große Rolle, ob es reicht, diese unterbewusst wahrzunehmen/halb bewusst, oder ob man mit dem Verstand und mit dem Gedächniss schuften muss, bis man diese überhaupt Wahrnimmt. Musikalische Mittel wie z.B. die Wiederholung eines/r bestimmte/n Motives/Thematik/Harmonische Wendung, die dann später verändert oder garnicht Auftritt, sprich quasi, das, was man Erwartet, eben nicht passiert. Man fühlt sich verletzt, man empfindet Emotion. (Prinzip der Antizipation!)
    Mozart und Beethoven usw. haben wohl gewusst, wie man mit solchen Mitteln hantieren muss, damit diese auch Wirkung zeigen. Ich denke, dass auch weniger bekannte Komponisten auch solche emotionale Techniken verwendet haben, doch diese nicht so einprägsam, auffallend, leicht und hintergründig, so gut struktuiert und deshalb nicht einfach verständlich sind. So muss man sich erstmal damit befassen, bis unser Gehirn das Stück verarbeiten kann. Es muss erstmal wissen, auf WAS Es zu achten hat, damit das ganze einen Sinnzusammenhang bekommt.
    Die verschiedenen Zusammensetzungen solcher musikalischen Mittel (denn mehr als komponieren kann man wohl nicht, schließliche werden Töne nur geordnet und in Zusammenhang gestellt?!) ergeben dann den Gesamtstil vom Komponisten, der dann seinen Eigencharakter erhält, durch sich selbst und durch uns, dem Hörer!


    Das ist, glaube ich, bis auf Ausnahmen (die dann wohl so gewollt sind), in jeder Epoche so. Nur die Systematik wird schwerer, man versucht es auf andere Mittel zu übertragen (Dynamik, wem fällt das so großartig auf?), man überträgt auf Struktur, auf Harmonik, welche sowieso immer komplexer wird (fällt dann auch nicht mehr so auf!). Deshalb ist wohl das intuitive Hören "Neuer Musik" nicht so einfach, wie die Systematik bei SHF, von Dur/Moll- Tonalität oder Periodik. Man muss quasi mehr mitdenken als vorher, man muss die Stücke kennen. Quasi wären das dann wohl schlechte Komponisten, wenn sie z.B. zum Barock oder zur Klassik gehört hätten. Aber durch Erkennen der uns manipulierenden kompsitiorischen Mittel, die vom Komponisten so gewollt sind, lebt diese plötzlich! Man fühlt mit ihr, sie ist plötzlich emotional und menschenfreundlich, sie ergreift uns!
    Ich glaube, der selbe Vorgang läuft auch bei solchen Komponisten ab, die zwar wohl gut komponieren, aber nicht so Unmittelbar sind, Empfindbar und Tastbar sind, und deshalb nicht direkt auf Anhieb auf uns wirken (und wirken können. Einiges hört einer oder jeder besser, man fühlt eine gewisse Wendung mehr intensiver, oder eben auch garnicht. Deshalb hat ein jeder seine Vorlieben und die meisten können mit mancher Musik garnichts anfangen.


    Deshalb auch gefällt einem Musiker die Musik meist besser, wenn er sie selbst einmal gespielt hat, da er das Stück erarbeitet hat, es kennt, und weiss, wo die Höhepunkte liegen müssen. Darum kann ein Interessierter mit langer Hörerfahrung besser und schneller ein Stück aufgreifen, da seine Fokussierungen beim Hören auf viel mehr Faktoren gerichtet ist, als bei einem unerfahrenem, der wirklich alles erst erarbeiten muss. Darum ist Popmusik mit einfacher Harmonik und prägender Melodie so eingängig, berechenbar und wird schnell langweilig.


    Das ist jetzt so viel Text, ich wollte garnicht so viel. Aber das ist, was ich weiß und erschlossen habe, und das ist, was ich denke.


    LG Kwanny

  • Mahlzeit,


    im Booklet zu der nachfolgend gezeigten CD steht sinngemäß "Leider hat er [Joh. Nepomuk Hummel] keinen eigenen Stil entwickeln können". Das betrachte ich aus einem anderen Blickwinkel. Hummel hat in einer Zeit gewirkt, in der sich viele "Stile" überkreuzten, wie beispielsweise Beethovens Fidelio [1804] mit Naumanns Aci e Galathea [1803], zwei grundverschiedene Stilrichtungen. Während Naumann noch absolut der typischen "Wiener Klassik" des ausgehenden 18. Jahrhunderts verpflichtet war, wirkt Beethovens Werk hier wie ein Fremdkörper [eigentlich erfahre ich es eher umgekehrt, da ich den Fidelio als zum Beginn des 19. Jahrhunderts gehörend als Maßstab setze]. Und Hummel komponiert hier ein Werk [c1814/1815], das formal und musikalisch nicht reiner sein kann, wenn ich die Stilistik des ausgehenden 18. JHs zugrunde lege - ich habe das Werk andernorts als 90-60-90-Werk bezeichnet. Und Hummel hat hier also ganz perfekt komponiert - man hört durchgehend Mozart in den Ecksätzen, Beethoven im Mittelsatz und Haydns Esprit und Humor vor allem im Finalsatz, der aber doch auch wieder an Mozarts Schlußchor der "Entführung" erinnert. Das gesamte Trio wirkt auf mich als Ableger von Beethovens Triofassung seiner 2. Sinfonie, wobei ich damit nicht meine, daß Hummel hier als Epigone tätig war. Er hat eigentlich das komponiert, was gerade "in" war - und so hervorragend.


    Ich möchte an dieser Stelle auf die wunderbare Einspielung von Staier, Sepec und Queyras hinweisen:




    Johann Nepomuk Hummel [1778-1837]
    Klaviertrio Nr. 4 G-Dur op. 65


    Andreas Staier, Fortepiano
    Daniel Sepec, Violine
    Jean-Guihen Queyras, Violoncello


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    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Meine Lieben,


    Manchmal glaubt man, einen Personalstil allmählich zu kennen, also zu hören bzw. als Kunsthistoriker zu sehen), um dann irgendwann feststellen zu müssen, daß man noch immer Zeitstil und individuellen Ausdruck verwechselt. Mir ging es so, als ich Victor Jacobis "Syblll"" das erste Mal hörte und sah - das klang so lehárisch, daß mir - nach anfänglichem Fehlglauben, es mit einer späten Lehárimitation zu tun zu haben - bald und nach einem Blick auf das Entstehungsdatum klar wurde, daß ich zum wahren Lehárverständnis noch einen sehr weiten Weg vor mir habe. Für mich klingt auch mancher sogenannte Kleinmeister von Anno Dazumal etwas mozartisch, dabei höre ich offenbar nur die Zeitlage heraus. Aber Tamino hilft enorm, solche subjektiven Defizite zu verbessern.


    LG


    Waldi