Vibrato bei der Violine - Gesang oder Geleyer?

  • Salut,


    das Thema Vibrato kommt ja in vielen Besprechungen sehr oft vor und artet dann entweder als Offtopic aus, oder wird im Keim erstickt. Dieser Thread soll also dem Vibrato gewidmet sein. PRO und CONTRA, wenn es denn sein muß.


    Kurzer Anriß:


    Das Vibrato war bereits im 17. Jahrhundert als Verzierungselement bekannt. Man deutete dies durch z.B. Schweller <> an, wenn es ausdrücklich gewünscht war. Auch bei Tönen, die über längere Zeit gehalten wurden, wurde das Vibrato angewendet. Ein 'Dauervibrato', wie es heute in modernen Orchestern und bei nicht HIP-orientierten Solisten üblich zu hören ist, gab es offenbar noch nicht so ausgeprägt, aber insbesondere die Franzosen haben dies vorwärtsgetrieben, so daß heute eher die Umkehrsituation herrscht und beispielsweise Bartók ausdrücklich ein non vibrato verlangen musste, um sein akustisches Ziel für eine bestimmte Stelle im Werk zu erreichen.


    Am Rande: Eine Art Vibrato gab es auch zu Johann Sebastian Bachs Zeiten am Cembalo - jeweils durch unterschiedlichen Druck auf die Taste konnte der Ton mehr oder weniger Schwingen. Soweit mir bekannt ist, hat Bach diesen Effekt gewollt durch punktierte Bindebögen verlangt.


    Das Vibrato unterscheidet sich natürlich sehr deutlich von einem Triller [ :hello: Salisburgensis] und man kennt heute eigentlich zwei Arten davon: eines über 2 und eines über 3 Töne. Bei letztgenanntem wird ein Ton X von jeweils einem höheren und einem tieferen Ton "umgeben", beim 2tönigen wird nur der untere Ton "mitvibiriert". Diese Tonabstufungen sind aber keinesfalls ganze oder halbe Töne unseres Tonsystems, sondern kaum merkbare Differenzen zum eigentlichen Ton, die Violine klingt bei geschicktem Einsatz des Vibrato singender, als ohne [meine Meinung]. Auch Carl Ditters von Dittersdorf, ein zu seiner Zeit äußerst geschätzter und gefragter Violinvirtuose, beschreibt in seiner Autobiografie andere Virtuosen mit "singendem Spiel" [aus der Erinnerung zitiert]. Das Vibrato wird durch minimale Zitterbewegung der linken Hand bzw. auch nur des entsprechenden Fingers auf der jeweiligen Saite erzeugt. Der erzeugte Ton wirkt dann durch das Mitschwingen weiterer Töne voller und runder, nicht so kratzig und leer. Fidelnde Taminos mögen mich gerne korrigieren und/oder ergänzen. Ein ausgezeichnetes Vibrato war auch lange Zeit für hochrangige Violinvirtuosen ein [berechtigtes] Aushängeschild: Eigentlich gehört das Vibrato zum allgemeinen Violinstudium dazu, doch könnte man ihm auch ein eigenes widmen.


    Ich persönlich mag sowohl ausgezeichnetes Vibrato, wie auch stellenweises non Vibrato.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Ulli,


    erst einmal vielen Dank für diese Ausführungen! Ich schätze mal, dass du unter anderem durch die Andrew-Manze-Diskussion auf das Thema gekommen bist. Was mich angeht, möchte ich ein klares Ja zum gekonnten Vibrato (das natürlich keinen riesigen Tonumfang haben darf) aussprechen, das ich für eine grundlegende Verbesserung des Klangbilds von Streichinstrumenten halte und daher nicht auf die Epochen beschränkt sehen möchte, in denen es selbstverständlich angewandt wurde. Den Effekt empfinde ich genauso wie von dir beschrieben: Der Ton wird runder, voller und verliert an dem instrumenttypischen "kratzigen" Charakter. Wenn ein Solo-Streicher ohne Vibrato spielt, finde ich das irritierend. Das ist an sich noch gar nicht negativ, aber ich kann dann nicht auf die "Musik an sich" achten, sondern versuche in erster Linie mit dem problematischen Klang zurechtzukommen. Wenn es jedoch von bestimmter (Barock-)Musik für Violine, Cello oder was auch immer lediglich historisierende Interpretationen gibt, dann setze ich mich dieser "Anstrengung" bereitwillig aus, um das jeweilige Werk kennenzulernen.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

  • Lieber Ulli,


    Ich habe die Briefe nicht so zum greifen, aber bin mir ziemlich sicher daß Leopold Mozart nicht so entzückt war von Vibrato.
    Und Mozart hat sich m.W. darüber nicht geäußert.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von musicophil
    Ich habe die Briefe nicht so zum greifen, aber bin mir ziemlich sicher daß Leopold Mozart nicht so entzückt war von Vibrato.


    Ich [jetzt] auch nicht :D


    Aus der Erinnerung weiß ich, dass er das Vibrato in seiner gründlichen Violinschule anreißt und durchaus gezielten Einsatz positiv vertritt. Ich muß das nochmal heraussuchen, ich finde das Buch seit längerem nicht.


    Was aber wohl richtig ist, dass es [neben technischem] einen geschmacklichen Unterschied zwischen der deutschen und französischen Spielweise der Violine insgesamt gab, wie ich oben andeutete.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • In einem Buch hier finde ich jedenfalls die Zeile von Leopold, wo er schreibt (1756) über Violinespieler die


    Zitat

    bei jeder Note beständig zittern, als wenn sie das immerwährende Fieber hätten


    LG, Paul

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  • Die Vibrato-Frage betrifft ja nicht nur die Streicher....auch uns Holzbläsern (Klarinetten in Deutschland sowie alle möglichen Tröten in Wien ausgenommen) bereitet dieses Thema schlaflose Nächte und arbeitsreiche Tage.


    Ich persönlich halte es für ein Gerücht, daß man vor 250 oder 300 Jahren völlig vibratolos gespielt hat. Schon Agricola beschreibt 1528 den "zitternden Wind".


    Erstrebenswert ist für mich ein differenzierter Umgang mit dem Vibrato - und das gilt meiner Meinung nach ebenso für "alte" wie für "klassische" oder "romantische" Musik. Ein permanent durchjaulendes Einheitsvibrato kann zur wahren Ohrenplage werden - auch bei Strauss oder Puccini!


    Wenn ich Barockmusik spiele, gehe ich normalerweise mit dem Vibrato sehr sparsam um. Das heißt aber nicht, daß ich wirklich jeden Ton bemüht geradeaus blase.


    Zitat

    Der erzeugte Ton wirkt dann durch das Mitschwingen weiterer Töne voller und runder


    Ja, das gilt auch für die Bläsers, wenn man nicht völlig ungehemmt herumtremuliert ("Meckervibrato" oder gar "Quintenschleuder").


    Jedenfalls ist das Vibrato, wenn man es eingermaßen kontrolliert einsetzt, ein wunderbar bereicherndes Gestaltungselement. Und wenn einem beim Musikmachen mal so richtig die emotionalen Sicherungen durchbrennen, kann auch ein aus dem Ruder laufendes Vibrato seine spezifische Ausdrucksqualität haben....


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Jedenfalls ist das Vibrato, wenn man es eingermaßen kontrolliert einsetzt, ein wunderbar bereicherndes Gestaltungselement. Und wenn einem beim Musikmachen mal so richtig die emotionalen Sicherungen durchbrennen, kann auch ein aus den Ruder laufendes Vibrato seine spezifische Ausdrucksqualität haben....



    Wunderbar formuliert! Genauso sehe ich das auch.



    :hello:
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Zitat

    Original von musicophil
    In einem Buch hier finde ich jedenfalls die Zeile von Leopold, wo er schreibt (1756) über Violinespieler die



    LG, Paul


    Salut,


    die Stelle habe ich auf Anhieb in den Briefen nicht finden können, aber der Satz kommt mir durchaus bekannt vor. Es kann eigentlich nur aus der Korrespondenz L. Mozarts mit seinem Verleger in 1755/56 stammen - hast Du ein genaues Datum? Die Korrespondenz ist übrigens äußerst amüsant zu lesen - by the way ein kurzer heiterer Auszug:


    Sie lassen sich leicht irre machen. [...] unten in der ersten Zeile des letzten Absatzes anstatt 'zweene Buchstaben', 'zween Buchstaben' setzen, folglich beym 'zweene' das letzte 'e' weglassen. denn es ist der Articulus 'die' dabey folglich muß es 'zween' heissen. Klar doch! ;)


    So, wie Du es zitierst, ist es ja lediglich eine wertfreie Feststellung.


    Vielleicht entstand so der Begriff Fiebrato?


    @Bernd: Du hast ganz Recht: Die Moderation sollte den Threadtitel passend machen, denn auch für den Gesang ist das fiebrige Zittern von Bedeutung.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Lieber Ulli,


    Die Bücher habe ich irgendwo in Kartons zu Hause. Aber hier, in diesem Buch, finde ich auch einige Punkte.
    Leopold unterscheidete drei Vibratogeschwindigkeiten: langsam, schneller werdend und schnell.
    Dieses Zitat von ihm betraf Geminianis Empfehlung (1751) um ein Dauervibrato anzuwenden, op de aanvaarde moderne manier.
    Und das kann man am besten übersetzen mit "wie das heute algemein akzeptiert ist". (Oder üblich statt algemein akzeptiert ?( Das ist ja doppelsinnig)


    Die Jahreszahlen 1756 und 1751 standen im Buch.


    Weiter steht da noch was über Vibrato bei Sänger und Bläser:
    Aus Mozarts Briefe über Meisner und Ramm kann man konkludieren, daß Vibrato auch bei ihnen bekannt war und angewendet wurde.


    Bei den Briefen über Meisner und Ramm weißt Du zweifelsohne Bescheid.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Die Vibrato-Frage betrifft ja nicht nur die Streicher....auch uns Holzbläsern (Klarinetten in Deutschland sowie alle möglichen Tröten in Wien ausgenommen) bereitet dieses Thema schlaflose Nächte und arbeitsreiche Tage.


    Ich persönlich halte es für ein Gerücht, daß man vor 250 oder 300 Jahren völlig vibratolos gespielt hat. Schon Agricola beschreibt 1528 den "zitternden Wind".


    Aus den Quellen des 18. Jhds. geht meines Wissen hervor, dass vibrato als gezielter Effekt eingesetzt wurde. Leopold Mozart echauffiert sich über die Geiger, die es undifferenziert und zu häufig anwenden.
    Beim Singen ist ein gewisses vibrato kaum zu vermeiden, es gehört zum "natürlichen" Stimmklang (wobei ich das sehr weite vibrato, das einige Opernsänger auszeichnet, allerdings auch nicht mag). Ich dachte, dass sei bei den Doppelrohrblättern ähnlich... Bei der Klarinette bin ich allerdings so konditioniert, dass jegliches über ein kaum hörbares Minimum hinausgehende vibrato für meine Ohren schnell nach Kaffehaus oder Swingband klingt.


    Man kann natürlich alles zum Manierismus übertreiben, aber viele Streicher und Streichensembles (zB Quartette) könnten Effekte wie (non) vibrato u.ä. wesentlich gezielter einsetzen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Hallo Johannes,


    was man beim Berücksichtigen der Quellen aus früheren Jahrhunderten leicht vergißt, ist die Tatsache, daß sie auch nur jeweils eine bestimmte, letztlich subjektive Perspektive wiedergeben.


    Wenn sich L. Mozart über den übermäßigen Gebrauch des Vibratos aufregt, beweist das eigentlich nur, daß der übermäßige Gebrauch des Vibratos zu seiner Zeit nicht unüblich war :D, und daß das L.Mozart nicht gefallen hat, anderen Zeitgenossen aber sehr wohl.


    Damals werden unterschiedliche Leute an unterschiedlichen Orten einen unterschiedlichen Geschmack gehabt haben - genauso wie heute (in diesem Forum kann man ja sehr schön sehen, wie unterschiedlich die Vorstellungen von einer musikalisch überzeugenden Interpretation sein können).
    Und wer will letztlich beurteilen, ob der Geschmack von L.Mozart oder Quantz - auch wenn das bedeutende Musiker und Lehrer ihrer Zeit waren - immer der einzig "richtige" gewesen ist?


    Damit will ich nicht behaupten, die Beschäftigung mit den alten Quellen sei überflüssig. Nur sollte man sich ihrer Relativität bewußt sein.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo,
    ich denke,man sollte sich an dem ältesten Instrument,
    der menschlichen Stimme orientieren.
    Vibrato ja, Tremolo nein.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo,


    zusätzlich zur bereits getroffenen Differenzierung, wonach das Vibrato ein gekonnt einzusetzendes Stilmittel ist und keineswegs dauerhaft und gleichmäßig benutzt werden sollte, möchte ich noch unterscheiden zwischen dem Gebrauch bei Solisten und in der Gruppe. Meines Erachtens hat das Vibrato im Orchester, sobald also mehrere Geigen die gleiche Stimme spielen, nichts zu suchen (was natürlich für alle anderen Instrumente oder auch im Chor genauso gilt). Die Musiker einer Stimmgruppe werden kaum den absolut perfekt gleichen Ton spielen. Die Mischung dieser ganz leicht unterschiedlichen Frequenzen ergibt einen vergleichbaren Effekt wie er durch die Frequenzvariation des Vibratos zustande kommt. Wenn jetzt jeder Geiger auch noch ein eigenes Vibrato draufstetzt, ergibt das keinen diskreten Ton mehr - beispielsweise ein a' mit 440 Hz - , sonden ein einen Mischton von 437 - 443 Hz. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Zusammenklang mit anderen Stimmen im Orchester. Akkorde werden unklar, das Obertonspektrum wird ärmer etc.


    Also, im Orchester (oder im Chor) würde ich das Vibrato verbieten. Für den Solisten dagegen ist es ein unverzichtbares Gestaltungsmittel.



    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Zitat

    Original von salisburgensis
    Also, im Orchester (oder im Chor) würde ich das Vibrato verbieten. Für den Solisten dagegen ist es ein unverzichtbares Gestaltungsmittel.


    Lieber Thomas,


    Das schreibst, was ich empfinde. :jubel:
    (Dieser Beitrag hat nicht das Zweck um der Zähler wieder höher anzeigen zu lassen :D)


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von salisburgensis


    Also, im Orchester (oder im Chor) würde ich das Vibrato verbieten.


    Was Chöre angeht, meine absolute Zustimmung. Für mich ist es kaum erträglich, wenn geistliche oder weltliche Chorwerke von Opernchören vorgetragen werden, die aus lauter kleinen Solisten bestehen und wo jeder fröhlich vor sich hin vibriert. Vor allem Altistinnen scheinen dieses Problem zu haben.

    „People may say I can't sing, but no one can ever say I didn't sing."
    Florence Foster-Jenkins (1868-1944)

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  • Hallo,
    vielleicht kann mich mal ein Streicher aufklären.
    Da lernt man wärend der ganzen Ausbildung,wie ein
    Vibrato erzeugt wird,und wenn man dann nicht Solist
    wird,sondern im Orchester landet,was auch schon sehr
    schwierig ist,soll man es sich wieder abgewöhnen.Und was
    ist wenn im Orchester ein Solo kommt,z.B.in "Scheherazade",
    was dann ?Wo ist denn da eine Logik drin.Ein guter Sänger
    hat von Natur aus Vibrato.Ich halte es für unmöglich,sich
    das abzugewöhnen ,und ich sehe auch gar keinen Grund dafür.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • also wenn man die 'zitternden' finger bei den streichern als indiz für
    vibratro nehmen kann, dann spielen die grossen orchester oft mit
    vibrato (wiener philharmoniker, wiener symphoniker, rso). ein unklares
    oder obertonarmes klangbild kann ich persönlich bezeugen.


    faun

    die kritik ist das psychogramm des kritikers (will quadflieg)

  • Hallo,


    man muss bei diese in der Tat spannende Frage m.E. nicht generell, sondern in Abhängigkeit von der jeweiligen Epoche diskutieren.
    Tendenziell sehe ich es so, dass die Häufigkeit des Vibratos zunimmt, je weiter man sich in der Musikgeschichte nach vorne bewegt, was aber nicht heisst, dass es etwa bei Streicherpassagen bei Schütz ( siehe Beginn von SWV 148, am besten von MAK gespielt) nicht kommen dürfte.
    Das berühmte warme ( Bratschen?)-Thema aus dem Finalsatz der 1. Symphonie von Brahms etwa mag ich mir non-Vibrato eigentlich nicht vorstellen.
    Ein eintöniges, immer gleich gespieltes Dauervibrato lehne ich persönlich für die Musik vom 17. bis zum späten 19. Jahrhundert eindeutig ab.
    Genauso falsch finde ich allerdings auch den einseitigen Ansatz eines bei mir intern als "der Vibratoverbieter" bekannten Dirigenten, auch aus der Sicht der historischen Aufführungspraxis.
    Mit beiden extremen Ansätzen beraubt man sich m.E. selbst eines der schönsten und stärksten Ausdrucksmittels, dass ja nie für sich alleine steht, sondern immer im Zusammenhang mit der Dynamik und Artikulation, der rhetorischen Aussage, den Grund- und Nebenaffekten ( und vielen anderen Aspekten mehr) zu sehen ist.


    Zum Thema Vibratoeinsatz in der Barockmusik gibt es ein sehr gutes Buch von Greta Moens-Haenen " Das Vibrato in der Musik des Barock" (ISBN: 3-201-01398-6)
    Hierin wird u.a. sehr fundiert ausgeführt, dass es für diese Epoche keineswegs nur um die Frage "mit oder ohne Vibrato" gehen kann. Es gab sehr sehr viele unterschiedliche Formen des Vibratos ( z.B. langsamer oder schneller werdend, auf längeren Tönen langsam einschwingend- Stichwort Messa di voce-, alles zwischen stark und sehr schwach vibrierend) die von manchen Komponisten auch recht detailiert gefordert wurden ( wenn ich mich recht erinnere, waren es französische Gambisten)
    Auch Bach forderte besondere Vibratoeffekte z.B. bei der Kantaten-Arie "Tief gebückt und voller Reue" aus der der Kantate "Mein Herze schwimmt in meinem Blut", die - wenn ich mich recht erinnere- von Herausgebern gerne als Triller missverstanden und von unkritischen Musikern so auch abgespielt wurden. Nebenbei gesagt sieht man, wie wichtig es sein kann, sich nicht alleine auf herausgegebenes Notenmaterial zu verlassen.


    Ich möchte salisburgensis zustimmen, wenn er sagt, dass die Streicher-Solisten mehr Vibrato als die Tuttisten im 18. Jahrhundert spielten, bzw. spielen sollten.
    Ganz dogmatisch verbieten möchte ich es aber auch den Tuttispielern nicht, nur sollte es bei ihnen keineswegs so stark werden, dass sich Unsauberkeiten bei der Tonhöhe ergeben...ein führendes HIP-Ensemble, bei dem dieses Problem hörbar wäre, ist mir nicht bekannt.
    Es kommt hier m.E. sehr auf den Zusammenhang innerhalb der barocken Klangrede an.
    Gerade auf manchen kurzen, akzentuierten Tönen (wie z.B. Zieltönen oder Anfangstönen von Figuren, die aus dem Auftaktschwung ein gewisses gestisches Pathos ausdrücken, siehe erster Orchesterton des Concerto grosso in G-Dur op.6 Nr.1 von Händel) kann ein gezieltes Vibrato im Zusammenhang mit einer Glockentondynamik sehr effektvoll sein, auch aus dem Bereich der Viola oder des Continuocellos heraus.
    Vibratolosigkeit kann auf einem Ton wunderbar und auf dem nächsten wieder furchtbar "falsch empfunden" klingen. Hier kommt es auf den rhetorischen Zusammenhang und den Grundsatz des grösstmöglichen barocken "Farben"reichtums an, ähnlich wie bei der Artikulation, die ja im Barock selbst bei Parallelstellen sehr unterschiedlich und nicht immer angeglichen gehandhabt werden sollte.
    Hier ist der in den damaligen Schulwerken oft geforderte gute Geschmack des Musikers gefordert, der mit einer starken Bewusstheit im Einsatz des Stil- und Ausdrucksmittels einhergehen sollte.
    Man darf auch den überaus wichtigen Einfluss der Harmonik hierbei keineswegs übersehen. Schmerz = Dissonanz/Vorhalt/Leitton etc. könnte man non Vibrato spielen, die Auflösung wieder Vibrato. Es kann aber auch einmal andersherum kommen...dogmatisch sollte man da nicht werden, dazu ist die Kunst zum Glück viel zu vielschichtig und farbenreich.
    Eintönig alles in der Barockmusik ohne Vibrato zu spielen, halte ich für eine historisch nicht haltbares ästhetisches Missverständniss, dass ich bei heutigen Aufnahmen zum Glück immer seltener höre.
    Rein geschmacklich argumentiert meine ich, dass die Abwechslung in der Musik immer ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist. Wie langweilig wäre doch manche Komposition, wenn sie nur aus Dur- Akkorden ( oder umgekehrt) bestünde.
    Ganz ähnlich empfinde ich es bei der Frage des Vibratos.


    Bei einem mir bekannten Barockensemble, dass diese Fragen nach meinem Geschmack sehr gut löst, habe ich schon oft beobachtet, dass sich manche Tutti-Passagen nach relativ scharfem Non-Vibrato anhören, obwohl die Streicher sichtbar ( aber nicht extrem stark) vibrieren, z.B. beim Eingangschor BWV 61 "Nun komm der Heiden Heiland" in den Teilen, wo das Orchester eine französische Ouvertüre spielt.


    Bei den Sängern mag ich es für den Bereich der "Alten Musik" nicht so sehr, wenn es mit dem Vibrato zu viel wird, sonst eigentlich auch nicht.
    So gefallen mir in dieser Hinsicht die Beiträge Isabelle Poulenards bei der h-moll Messe BWV 232 unter G. Leonhardt sehr gut, um nur ein Beispiel zu nennen.
    Für Chöre höre ich auch diejenigen Ensembles am liebsten, die mit diesem Stilmittel im Tutti eher sparsam und bewusst umgehen, wie z.B. das Collegium vocale Gent ( diese Altstimmen :jubel: )
    Die Hilliards haben sich schon bald ihre eigene (vibratoarme) Klang-Ästhetik geschaffen, die man mögen kann...
    Ich höre dieses Ensemble sehr gerne, kann sie aber kaum in den Zusammenhang mit anderen Gruppen einordnen, weil sie schon ziemlich singulär und meditativ klingen - doch hier komme ich vom Thema ab.


    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Glockenton,


    ich bin verblüfft, einmal mit Dir völlig einer Meinung zu sein und zwar auch im Detail!


    Im Grunde ist zur Musik des 17. bis 19. Jh. nichts mehr zu sagen, sowohl permanentes "non vibrato" als auch permanentes vibrato sind da fehl am Platz.


    Im 20. Jh. differenziert sich das dann nach Stil und Komponist aus. Bei Xenakis hat ein Vibrato wohl nichts zu suchen und dementsprechend gehen viele Ensembles für Neue Musik Stücke ohne explizite Angaben zum Vibrato wenn sie einer betont rauhen Ästhetik anzuhören scheinen bevorzugt vibratolos an (habe wiederholt diese Erfahrung gemacht). Also auch hier bedarf es des Einfühlungsvermögens des Interpretens, um zu erkennen, ob ein Komponist das Vibrato höchstwahrscheinlich als "zu schönklangmäßig" nicht mögen wird.

  • Zitat


    Original von Kurzstückmeister
    ich bin verblüfft, einmal mit Dir völlig einer Meinung zu sein und zwar auch im Detail!


    ...DITO :D , auch deshalb, weil meine Meinung in Sachen Vibratodosierung von einem Interpreten ( und seiner Frau ) schon ab dem 13.Lebensjahr entscheidend beeinflusst wurde, als dessen Fan Du Dich bisher ja nicht direkt geoutet hast... :D


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Zitat

    Original von Glockenton
    auch deshalb, weil meine Meinung in Sachen Vibratodosierung von einem Interpreten ( und seiner Frau ) schon ab dem 13.Lebensjahr entscheidend beeinflusst wurde, als dessen Fan Du Dich bisher ja nicht direkt geoutet hast...


    ich habe aber nie den vibratoeinsatz bei harnoncourt kritisiert
    :hello:

  • Ich kopiere mal ein älteres Posting aus dem Thread über das "Deutsche Requiem" von Brahms hierher:


    Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    In meiner Kindheit versuchte eine (schlechte) Geigenlehrerin, ein permanentes Vibrato als Ideal mir einzubläuen. Wo kommt das her? Offenbar nicht aus dem Brahmsschen Freundeskreis. Ist das dicke Dauervibrato eine Erfindung der - mal ins Blaue geraten - 1940er Jahre? Kommt das aus der russischen Geigerschule oder woanders her und was haben die, die das erfunden haben, gespielt? Wo passt es zu den gerade aktuellen Kompositionen, die viel gespielt wurden? Richard Strauss? Bartok? Prokofieff? Oder ist es eine nachträgliche Versülzung älterer Musik, als man das Interesse an neuen Stücken verlor?



    Das würde mich auch sehr interessieren. Inbesondere im Hinblick auf das Spiel im Orchester. Dazu gab es hier folgende Äußerungen:



    Zitat

    Original von salisburgensis
    Meines Erachtens hat das Vibrato im Orchester, sobald also mehrere Geigen die gleiche Stimme spielen, nichts zu suchen (was natürlich für alle anderen Instrumente oder auch im Chor genauso gilt).



    Zitat

    Original von faun
    also wenn man die 'zitternden' finger bei den streichern als indiz für
    vibratro nehmen kann, dann spielen die grossen orchester oft mit
    vibrato (wiener philharmoniker, wiener symphoniker, rso). ein unklares
    oder obertonarmes klangbild kann ich persönlich bezeugen.



    Ich kann die Eingangsfrage auch nicht beantworten, aber erinnere mich vage an Zusammengelesenes: Hat die Problematik des Dauervibratos nicht viel mit der Verdrängung der Darmsaiten durch Stahlsaiten zu tun, also einem Prozess, der die 20er und 30er Jahre betrifft? Und hat die Vermutung des Kurzstückmeisters nicht viel für sich, dass diese Praktik mit der Musealisierung des Musiklebens in dieser Zeit zusammenhängt? Im Adventskalender habe ich eine Erinnerung von Michael Gielen an ein Furtwängler-Dirigat der Matthäuspassion in den späten 40er Jahren gepostet, bei dem der Dirigent die offenbar nicht vibrierenden Streicher bei einem Jesus-Rezitativ aufforderte: "Signori, vibrato - Puccini e Bach la stessa cosa" - was Gielen kommentiert: "Damals vibrierte man alles, die Stilkunde war noch in den Kinderschuhen". Und wenn man heute dem Streicherklang der Berliner Philharmoniker sinngemäß vorwirft, er habe keine "Seele" mehr: hängt das nicht möglicherweise damit zusammen, dass Rattle auf vibratoärmeres Spiel setzt? Und hat Norrington Recht, wenn er jetzt auch bei Mahler bis zu einem hohen Grad auf das Vibrato verzichtet? Ich finde das faszinierend, weiß aber nicht, ob ich das wirklich als Interpretationsstandard etabliert haben möchte. Was meint Ihr?


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Und hat Norrington Recht, wenn er jetzt auch bei Mahler bis zu einem hohen Grad auf das Vibrato verzichtet? Ich finde das faszinierend, weiß aber nicht, ob ich das wirklich als Interpretationsstandard etabliert haben möchte. Was meint Ihr?


    nach allem was ich von Norrington bisher gehört habe, insbesondere Schumann, Brahms, Mahler: JA! (ENDLICH!)


    Das ganze hat aber was von einer Pendelbewegung: Man muß wohl erst ins andere Extrem gehen um zu sehen, wie sinnlos ein Dauervibrato ist. Dauer-Nonvibrato ist auf alle Fälle der bessere Ausgangspunkt. Relativ dicht daran läßt sich nämlich hervorragend differenzieren (Dauervibrato zu differenzieren ist ungleich schwerer, meiner Meinung nach praktisch unmöglich).
    Im Prinzip ging z.B. sogar Celibidache in diese Richtung, indem er dem "amerikanischen" Espressivo per Vibrato ein echtes Gefühls-Espressivo entgegenzusetzen versuchte, das mit weniger Vibrato auskommt (meines Erachtens mit Erfolg, auch wenn seine Bezeichnung "amerikanisch" in diesem Zusammenhang eine fragwürdige Vereinfachung ist).


    Gruß, Khampan

  • Zitat

    Original von faun
    also wenn man die 'zitternden' finger bei den streichern als indiz für
    vibratro nehmen kann, dann spielen die grossen orchester oft mit
    vibrato (wiener philharmoniker, wiener symphoniker, rso). ein unklares
    oder obertonarmes klangbild kann ich persönlich bezeugen.


    Eigentlich gibst Du damit alle großen Orchester ein "testimonium paupertatis".
    Ungeachtet welches Orchester es betrifft, es gehört dann nicht mehr zu der Spitzenklasse.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Khampan
    (Dauervibrato zu differenzieren ist ungleich schwerer, meiner Meinung nach praktisch unmöglich).


    Wieso?
    Sprichst Du aus persönlicher (Streicher-) Erfahrung?
    :hello:

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  • Hallo Kurzstückmeister,


    nicht direkt eigene Spielerfahrung, aber ich bin oft sehr nahe dabeigesessen.
    Es ist z.B. ein Problem der Intonation. Mit Vibrato kommt's nicht so sehr darauf an, aber ohne V. bleibt einem gar nichts anderes übrig (jedenfalls z.B. als kleineres Streicherensemble) als rein zu intonieren. Das heißt, Durterz sehr tief, Leitton sehr tief.
    Herkömmliche Streicher wurden bis vor kurzem so unterrichtet, daß Leittöne immer so hoch wie möglich zu spielen waren, rechnerisch viel zu hoch, und als Rechtfertigung etwa beim Zusammenspiel mit Klavier kam der Standardsatz, ja das Klavier ist eh falsch gestimmt (dabei sind die Durterzen beim Klavier weniger zu hoch (!) als bei fast allen Streichersolisten alter Schule).


    Das ist sicher nicht das einzige Problem. Intonationsunsicherheit wirkt sich auch direkt auf die Homogenität aus. Bei einer nicht vibrierenden Streichergruppe stört sofort jeder, der intonatorisch auch nur gering danebenliegt. Vibrato ist also eine zusätzliche Rückversicherung, bzw. Arbeitserleichterung.
    Wenn man's nicht anders gelernt hat, wird's echt schwierig.
    Aber ich bewundere manche Orchester wie z.B. die Berliner Ph. wie schnell sie sich in den letzten Jahren umpolen konnten (vermutlich hauptsächlich durch einen Generationenwechsel...)


    Gruß, Khampan

  • OK, Du meinst, wenn man dauernd Vibrato braucht, um die falschen Tonhöhen zu cachieren, fällt es schwer, im Zuge der Gestaltung eines musikalischen Ablaufes die Dosierung schwanken zu lassen - eben bisweilen bis auf den Nullpunkt?


    Ich weiß nicht so recht. In der Regel sind die unangenehm falsch spielenden Leute (was die Tonhöhen betrifft) sowieso nicht in der Lage, musikalisch zu gestalten.


    Ich würde sagen, das Vibrato geschmackvoll zu variieren, ist mindestens so schwierig, wie ausreichend die Tonhöhen im Griff zu haben, sodass Vibratolosigkeit einem nicht aufgrund von Tonhöhenungenauigkeit die Schuhe auszieht!

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    OK, Du meinst, wenn man dauernd Vibrato braucht, um die falschen Tonhöhen zu cachieren, fällt es schwer, im Zuge der Gestaltung eines musikalischen Ablaufes die Dosierung schwanken zu lassen - eben bisweilen bis auf den Nullpunkt?


    so ungefähr. Wobei man eigentlich stark zwischen solistischem und Orchesterspiel unterscheiden müßte. Und es geht nicht unbedingt um "falsche Tonhöhen", mit Vibrato kommt es eben nicht so genau drauf an. Beispielsweise stört bei einem Streichquartett eine temperierte Intonation (mathematisch gemittelte Tonhöhen, sehr praktisch, aber zu hohe Durterzen) mit Vibrato absolut nicht, ohne Vibrato klingt's dagegen schon schräg.
    Die Tonhöhe ist bis zu einem gewissen Grad auch Ausdrucksmittel, mit Vibrato ist die allgemein akzeptierte Toleranzgrenze (des noch richtigen bzw. erträglichen) viel größer als ohne Vibrato (für ein Solokonzert wird die Geige schon mal 5 Hz höher gestimmt, dazu sag ich jetzt lieber nichts).



    Zitat

    Ich weiß nicht so recht. In der Regel sind die unangenehm falsch spielenden Leute (was die Tonhöhen betrifft) sowieso nicht in der Lage, musikalisch zu gestalten.


    Das würde ich so nicht sagen, leidergottes. Nehmen wir mal wieder die alten aber guten Streichquartette, da wird schon ganz herzhaft danebengegriffen, trotzdem kann man sich der musikalischen Aussagekraft nicht entziehen. Allerdings, ohne Vibrato würde das schiefgehen. Das kann auf die Schnelle - denke ich - kein Ensemble dazulernen.
    Auf der anderen Seite die Hagens und (noch mehr) das Takacs Quartett - haben sie sich die reine Intonation von HIP abgeguckt? - die sich erlauben können, auch mal ganz auf Vibrato zu verzichten. Die haben dann alle möglichen Vibrato-Grade als freies Ausdrucksmittel. Wobei es mich dann schon stört, wenn sie bis zum Extrem gehen, wie bei Takacs öfter, Hagen selten. Wirkt auf mich ziemlich unpassend (vielleicht ein Makel der CDs. Könnte mir gut vorstellen, daß man als Spieler im Verlauf eines Konzerts nicht eine solch breite Vibrato-Pallette an den Tag legt).


    Wo wir gerade bei Streichquartetten sind...
    Die Tempodiskussion bei den Beethoven Quartetten hat mir keine Ruhe gelassen. Normalerweise plädiere ich ja stark für die (zumindest versuchsweise) Einhaltung von Beethovens Metronomangaben. Ausgerechnet das Emerson Quartet, das genau das tut, gefällt mir aber überhaupt nicht, klingt mir zu hastig, sportlich, showmäßig. Meine neueste Vermutung: Emerson macht ein völlig herkömmliches Dauervibrato, Intonation so-la-la. Möglicherweise will beides zusammen - original beethovensches Tempo, aber neuzeitliches Vibrato+Intonation, nicht in meinen Kopf. Aber das ist wohl mein Problem.



    Noch ein Aspekt, den ich mit "schwierig zu differrenzierendem Dauervibrato" meinte: Bei Orchester hört man vorwiegend nicht das Vibrato als solches, sondern die gesamte Schwankungsbreite eines von einer Gruppe gespielten Tons. Es spielt weniger eine Rolle, wie stark der einzelne vibriert und wie genau er die mittlere Tonhöhe trifft. Solange er sich innerhalb der Schwankungsbreite bewegt, wird er in den Gesamtklang integriert (guter Sall vorausgesetzt). Dauervibrato zu differenzieren ist also hier etwa das gleiche wie zwischen dickem und schlankem Streicherklang zu differenzieren.


    Gruß, Khampan

  • Was Du über die Stimmungen heutiger Streichquartettensembles sagst, wundert mich etwas. Ich habe mir aber abgewöhnt, besonders auf die Stimmungen zu hören, drum kann ich Dir jetzt nicht mit ganzer Sicherheit widersprechen.


    Bist Du sicher, dass es welche gibt, die wohltemperiert oder gleichstufig intonieren (abgesehen von Spezialensembles für Neue Musik)? Und dass das Hagen-Quartett rein spielt? Mich würde das sehr wundern.
    :hello:

  • es ist natürlich alles relativ, niemand spielt absolut rein oder absolut temperiert.


    Aber einen deutlichen Unterschied in der Intention kann man sicher ausmachen. Am leichtesten hört man das am Beispiel der Leittöne (Leitton zum Grundton = Durterz der Dominante).
    Ein rein gespielter Leitton klingt "überraschend" tief (jedenfalls für nicht HIP gewohnte Ohren), temperiert ist mittel(zu)hoch, Streicher nehmen ihn gerne noch höher, bis zur Schmerzgrenze. Ich habe schon viele kennengelernt, die das in der vollen Überzeugung getan haben, die (temperierte) Klavierterz wäre zu tief. Dieser Irrtum ist aber im Verschwinden begriffen, da die HIP zur Genüge das Gegenteil bewiesen hat.


    Bei Streichquartetten ist es durchaus üblich, daß, sobald man sich über die genaue Intonation eines Tones nicht einig wird, einer das Stimmgerät zückt und als Kompromiß temperiert gespielt wird. Meistens zeigt sich, daß der bewußte Ton vorher zu hoch war.


    Gruß, Khampan

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