• Ich versuche mal wieder einen Querschnittsthread zu eröffnen, der ein wenig beleuchten soll, was so gleichzeitig passiert ist.


    In den 1770er Jahren befinden wir uns in einer Zeit, in der gleichzeitig Spätwerke "vorklassischer" Tendenzen und bereits hochklassische Stücke entstehen. D.h. dass vor allem jüngere Komponisten gewisse entwickelte Formschemata als beinahe verbindlich etablieren während ältere Komponisten ihre persönliche Lösungen perfektionieren oder fortspinnen.


    Ich führe mal ein paar wichtige Köpfe im symphonischen Bereich an und hoffe auf Ergänzung der anderen Bereiche im Laufe der Zeit ...


    Carl Philip Emmanuel Bach schuf für Hamburg Symphonien von einer abgründigen Zerrissenheit, die ihm sein Sanssouci-Flötist kaum hätte durchgehen lassen. Man könnte von einer Perfektion des Gegenteils sprechen, was gleichzeitig als "Hochklassik" zum Maßstab für spätere Komponisten wird.


    Im Ausdruck vielleicht verwandt sind die Sturm-und-Drangsymphonien, als deren berühmteste ich einmal Haydns Abschiedssymphonie, Mozarts kleine g-moll und Johann Christian Bachs g-moll (op. 6 Nr. 6, 1770 veröffentlicht, alle Sätze in Moll) vorschlagen möchte. Bei letzterem eine absolute Ausnahme wird die Molltonart bei Vanhal geradezu zur Mode.


    Die Regel ist die Sturm-und-Drangsymphonie aber wohl doch nicht. Wie bei Johann Christian Bach ist auch bei Wagenseil die drängende Mollsymphonie absolute Ausnahme. Dieser hat mit Sammartini und Boccherini die Gemeinsamkeit, die Symphonie zur Hochklassik geführt zu haben und von hier geht dann der Weg zu den späten Symphonien Haydns und Mozarts, die leider vergessen haben lassen, dass sie nicht vom Himmel fielen sondern das Resultat einer Beschäftigung mit Entwicklungen älterer Komponisten sind.


    Was kennt ihr aus den 1770ern, wie läßt sichs "schubladisieren", wer schrieb von wem ab?
    :hello:

  • Salut,


    um zunächst einige Werke zu nennen: Johann Christian Bachs Endimione [Serenata, 1772] und La Clemenza di Scipione [Seria, 1778]. Joseph Myslivecek Il Bellerofonte [Seria, 1767] und La Passione di N.S.G.C. [Oratorio, nach 1770]. Myslivecek benutzt übrigens bedauernswerter Weise, obschon sich dies mehrfach anbietet, in seiner Oper 'Bellerofonte' nur zwei Mal das Tongeschlecht moll [g]. Vielleicht ist noch Kraus' Proserpin [1781] zu nennen.


    Und das sind schon herausragende Beispiele.


    Es hat sich hier meiner Meinung nach tatsächlich ein ziemlich einheitlicher Stil entwickelt, dem sich ausnahmslos alle Komponisten annahmen, ohne daraus großartig auszubrechen - dennoch behielten alle ihre persönliche Note. So klingt Joh. Chr. Bach 'eher elegant' und Myslivecek 'eher bömisch'. Alles wiederum 'kopiert' von Größen wie Jommelli [Armida abbandonata, Seria, 1770], Traetta [Antigone, 1772] oder gar Hasse [Cleofide, Seria, 1731 (sic!)]. Musikalisch und formal sind kaum Unterschiede zu vermelden.


    Dieser 'italienische Styl' war offenbar lange Zeit Mode - ein Stil, der relativ leicht [schematisch] zu kopieren war, so tat dies auch Mozart mit seinem 'Mithridate', 'Lucio Silla' oder 'Ascanio in Alba' [vielleicht noch 'Il Ré Pastore'?]. Es handelt sich dabei m. E. nach durchaus um eine Art 'Markenartikel', der sehr geschätzt war, darunter auch - natürlich - eine Art von Massenware... [von dem Aufgezählten ist solches selbstverständlich nicht dabei].


    Erst Mozart bricht m. E. mit dem 'Idomeneo' 1781 aus [Glucks Reformen in Ehren, die hatte Mozart zwar im Auge, aber nicht im Sinn]. Dem folgen aber andere Komponisten nicht [mehr], oder erst weitaus später. Warum sich dem Risiko aussetzen, 'Neues' zu machen und eine Bruchlandung zu erleiden, wenn man auf altbewährtes zurückgreifen kann. Ich finde, es war eine sehr perfekte Zeit.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Vielen Dank, Ulli!


    Opernmäßig bin ich total unterbelichtet, wenigstens JC Bachs "Clemenza" hat seinen Weg in meine Wohnung mittlerweile gefunden und Traettas Antigone steht auf meinem "Wunschzettel".


    Von Jommelli und Hasse kenne ich ältere Werke, die ich sehr schätze. Vor allem in der Orchesterbehandlung scheint ja Jommelli eine ähnlich wichtige Rolle gespielt zu haben wie Wagenseil oder die Mannheimer während bei Hasse die Entstehungsdaten beweisen, dass die Vorklassik in den 1730ern voll im Gange war - vielleicht ist das bei Hasse noch deutlicher als bei Sammartini (in den 1730ern), der in den Ohren mancher Klassikliebhaber eher barock klingt (während mir eher die vorklassischen Elemente auffallen).


    Die klassischen Modelle sind in den 1770ern also gar nicht besonders neu, aber die Selbstverständlichkeit, wie bestimmte Ausformungen derselben von vielen Komponisten angewandt werden, finde ich einfach verblüffend. Mozart etwa beginnt doch in den 1770ern mit seinen Klaviersonaten, die (mit Ausnahme der Sonata facile) alle dem in Folge verbindlichen Aufbau mit klar abgesetztem Seitensatz in Dominanttonart (bzw. bei moll-Sätzen der parallelen Durtonart) folgt, was bei Johann Christian Bach etwa keineswegs Regelcharakter besitzt. Diese abgegrenzten Seitensätze finden sich zwar schon bei Monn in den 1740ern, sind damals aber noch die Ausnahme.


    Ich möchte in Folge noch ein paar herausragende nicht diesem einheitlichen Stil entsprechende damals durchaus hochberühmte und nach wie vor interessante Werke vorstellen, vor allem denke ich an Wilhelm Friedemann Bachs Fugen für Cembalo und Abels Kammermusikwerke, deren Stil man gerne als "Rokoko" bezeichnet.
    :hello:

  • Salut,


    jüngst habe ich von Karl Friedrich Abel [1723-1787] Sechs Sonaten für Viola da gamba und bc HM 40 erstanden. Die wurden offenbar nach 1760 komponiert... Die sind extrem einfach gestrickt, z.B. HS C# 25 Takte, exakt auf der Hälfte [Takt 12 also] Modulation nach G#. Dann folgt tatsächlich eine DF von 16 Takten [HT in G#] und eine R. Ganz ähnlich bei den andern Sonaten. Sie sind extrem einfach zu spielen - hatte mich halt mal interessiert.


    Ganz interessant sind die Klaviersonaten Joseph Haydns. Eine Beschäftigung lohnt sich absolut - man entdeckt laufend Kurioses.


    Richtig vor den Kopf gestossen fühlte ich mich, als ich erstmals Gossecs Grand Messe des Morts hörte - für mich ein klarer Fall ausgehender 1780er... weit gefehlt: Das Werk war bereits 1760 [!] komponiert.


    Interessant ist im Zusammenhang mit der 'Stiltreue' auch, dass z.B. ausnahmslos alle Oratorien der Zeit absolut identisch mit einer Seria der Zeit sind. So haben auch die Oratorien durchaus bewußt italienische Texte, teils von Metastasio. Da wurde einfach nach Schema-F gearbeitet und alles durch den Wolf gedreht - offenbar war dies erfolgversprechend. Diese 'Operatorien' wurden sogar teils sehr dekorativ inszeniert. Ganz selten findet man, wie z.B. bei Myslivecek oder Kozeluch dann in den Chören ausnahmsweise einen Hauch von 'Geistlichkeit' - auch Paisiello hat das später mit seinem Buffa-Stil noch gemacht [ebenfalls 'La Passione di N.S.G.C.].


    Mozarts 'Davidde penitente' ist da eher die Ausnahme, da Mozart das musikalische Gros aus seiner unfertigen c-moll-Messe übernommen hat. Das klingt dann schon eher nach Oratorium - mit Ausnahme aber der nachkomponierten Arien im typisch italienschen Stil [!]. Auch hier ist natürlich der Text italienisch.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    jüngst habe ich von Karl Friedrich Abel [1723-1787] Sechs Sonaten für Viola da gamba und bc HM 40 erstanden. Die wurden offenbar nach 1760 komponiert... Die sind extrem einfach gestrickt[...]


    Hallo Ulli,


    ich würde die Einfachheit im Formellen nicht als Schwäche sondern als Stileigenschaft ansehen (obwohl ich gerade diese Stücke nicht kenne). Aber bei dem was ich kenne, ist der formelle Ablauf auch nicht als spannend zu bezeichnen. Wichtig ist das Grazile, Galante der Melodieführung, die schöne Wendung im Detail. Drum wird es auch nicht zur Klassik sondern zum Rokoko gezählt (sagen wir mal "versuchsweise" - siehe Sturm und Drang).


    Ich sehe diesen Stil durchaus als gültige Alternative zu dem, was Haydn und Mozart machten, freilich berücksichtigend, dass Abel etwas älter war, und ohne ihn auf dieselbe Stufe wie Haydn oder Mozart stellen zu wollen.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    ich würde die Einfachheit im Formellen nicht als Schwäche sondern als Stileigenschaft ansehen


    Salut,


    ich habe das keinesfalls als Schwäche kritisiert. 8o Mich wunderte nur [aber eigentlich auch wieder nicht!], dass solch unterschiedliche Dinge nebeneinander existierten.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ich kenne (wenig verwunderlich) aus dieser Zeit nur Werke von CPE Bach, J. Haydn und W.A. Mozart, sowie etwas Gluck und JC Bach.


    Haydns Sturm&Drang-Zeit ging Anfang der 1770er schon zu Ende, mit der Abschiedssinfonie ca. 1772 und den schon sehr klassisch anmutenden Quartettserien opp. 9, 17 (ca. 1769/71) und 20 (ca. 1772, erschienen 1774), trotz einigen sehr kühner Sätzen und demonstrativ-gelehrten Fugen in op. 20. (irgendwo las ich, dass ein Komponist namens Florian Gassmann oder so ähnlich, ebenfalls zu der Zeit oder etwas vorher Quartette mit Fugenfinali komponiert hätte, kennt den jemand?)
    Die Sinfonien ca. Nr. 50-70 stammen aus den 1770er Jahren und sind fast alle eher unbekannt, aber soweit sie mir präsent sind weitgehend "klassisch" (die wohl aus einer Schauspielmusik entstanden #60 "Il distratto" ist eine Ausnahme). Eines der besten Stücke aus dieser Zeit ist die Sinfonie Nr. 70 (1779), ein sehr konzentriertes, knappes Stück mit einem herben kanonischen andante in d-moll und einem weitgehend fugierten Finale.


    Die Sinfonien, die Mozart 1772/73 in Salzburg schrieb, also zB die kleine g-moll oder die C-Dur KV 200 und A-Dur KV 201 kann man ebenfalls schon als mustergültig klassisch im Aufbau betrachten (auch wenn die g-moll den Strum&Drang-Affekt aufgreift, so ist sie formals "regulär"). Das erste richtige Klavierkonzert KV 175 hat noch ein mit gelehrten Elementen spielendes Finale (das Mozart später durch ein eingängiges Rondo ersetzte, ich bevorzuge die Urversion, obwohl ich das Rondo jetzt nicht im Ohr habe)
    Etwas später die Violinkonzerte und das grandiose Es-Dur-Klavierkonzert KV 271 (1777). Ein weiteres von mir sehr geschätztes Werk aus der Zeit ist die "Haffner-Serenade" KV 250.


    CPE Bachs grandiose Hamburger Sinfonien (1773) sind wilder und "chaotischer" als die Haydnschen Mollsinfonien wie 44, 45 oder 52, die im Vergleich klassisch anmuten. Die etwas früher entstandenen Cembalokonzerte (ebenfalls mitunter "Hamburger" genannt) sind wesentlich verbindlicher, auch wenn nicht so galant-elegant wie die Stücke des jüngsten (Halb)bruders Johann Christian. Und CPE fuhr fort in seinem expressiven und exzentrischen Personalstil zu komponieren als er die 60 oder gar 70 überschritten hatte. eine der letzten Werkgruppen, die drei Quartette für Flöte, Bratsche, Klavier datieren IIRC 1787; die sind zwar nicht so stürmisch wie die 15 Jahre älteren Stücke, aber mit gleichzeitigem von Mozart oder Haydn würde man sie nicht verwechseln.


    Glucks Reformopern fallen ebenfalls in dieses Jahrzehnt, von Iphigenie en Aulide 1774 bis zu seinem wohl größten Werk (und Erfolg) der Iphigenie en Tauride 1779 (außerdem Armide, Alceste und die franz. Fassung von Orfeo/Orpheé)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Die Sinfonien, die Mozart 1772/73 in Salzburg schrieb, also zB die kleine g-moll oder die C-Dur KV 200 und A-Dur KV 201 kann man ebenfalls schon als mustergültig klassisch im Aufbau betrachten (auch wenn die g-moll den Strum&Drang-Affekt aufgreift, so ist sie formals "regulär"). Das erste richtige Klavierkonzert KV 175 hat noch ein mit gelehrten Elementen spielendes Finale (das Mozart später durch ein eingängiges Rondo ersetzte, ich bevorzuge die Urversion, obwohl ich das Rondo jetzt nicht im Ohr habe)
    Etwas später die Violinkonzerte und das grandiose Es-Dur-Klavierkonzert KV 271 (1777). Ein weiteres von mir sehr geschätztes Werk aus der Zeit ist die "Haffner-Serenade" KV 250.


    Salut,


    zwischen 183 und 201 sowie zwischen 175 und 271 liegen m. E. mehr als Welten. Als 'typisches 70er-Werk' würde ich doch den Mithridate und Lucio Silla bei den Opern, 'La Betulia liberata' bei den Oratorien, 184 bei den Sinfonien [trotzdem gerne auch 183], bei den Klaviersonaten am ehesten noch die 'Dürnitz' KV 284 [jedenfalls erster Satz] vermuten. Ansonsten zeichnet sich bereits ab, dass Mozart andere Wege gehen wird: Er beginnt mit den Streichquartetten [KV 156], die diesem Stil relativ fern sind, alle Violinkonzerte falle in diese Zeit [und sind doch zumeist eher atypisch].


    Der italienische Stil und der Mannheimer Manierismus geht bei Mozart gerade in dieser Zeit [endlich, in Bezug auf Mozart] flöten. Während sich beide 'Stile' gegeneinander auszuspielen versuchen, geht Mozart bereits merklich andere Wege und bereitet den Idomeneo vor.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli


    zwischen 183 und 201 sowie zwischen 175 und 271 liegen m. E. mehr als Welten.


    Inwiefern zwischen 183 und 201, die doch innerhalb weniger Monate entstanden sein dürften? (oder verstehe ich falsch wozwischen das "zwischen" gehört? ;))
    Ohne das jetzt genau überprüft zu haben, erfüllt 183 meiner Erinnerung nach vollständig die von KSM genannten Sonatensatzkriterien, inkl. dem 2 .Thema in Moll in der Reprise (hier gibt es bei Mollsätzen ja mindestens zwei Möglichkeiten, Seitensatz in der Reprise entweder in der Hauptonart oder in der gleichnamigen Durtonart (wie zB in Beethoven 5, i). Der Affekt und einige Mittel mögen noch "frühklassisch" anmuten, aber sehr viele Effekte und Gesten bleiben ja auch später erhalten. Der Synkopenbeginn erstmal ohne viel Melodie kommt ebenso im d-moll-Klavierkonzert, im Kopfsatz der Prager, in der ersten Szene der Königin der Nacht usw. vor, weil Synkopen halt seit jeher Erregung vermitteln sollen.


    Zitat


    bereits ab, dass Mozart andere Wege gehen wird: Er beginnt mit den Streichquartetten [KV 156], die diesem Stil relativ fern sind, alle Violinkonzerte falle in diese Zeit [und sind doch zumeist eher atypisch].


    Ich habe ja auch nichts Systematisches behauptet (außer dass die mir alle schon ziemlich "klassisch" vorkommen), sondern einfach einige Werke aufgezählt, die in der Zeit entstanden sind. Und war nicht KSMs Ansatz, dass es "den" Stil der 1770er nicht gibt?
    Die frühen Opern kenne ich alle nicht.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Inwiefern zwischen 183 und 201, die doch innerhalb weniger Monate entstanden sein dürften? (oder verstehe ich falsch wozwischen das "zwischen" gehört? ;))


    Du hast es ganz richtig verstanden: Ich meinte genau die Unterschiede von 183 und 201 untereinander sowie 175 und 271 untereinander.


    Zitat

    Ohne das jetzt genau überprüft zu haben, erfüllt 183 meiner Erinnerung nach vollständig die von KSM genannten Sonatensatzkriterien, inkl. dem 2 .Thema in Moll in der Reprise (hier gibt es bei Mollsätzen ja mindestens zwei Möglichkeiten, Seitensatz in der Reprise entweder in der Hauptonart oder in der gleichnamigen Durtonart (wie zB in Beethoven 5, i). Der Affekt und einige Mittel mögen noch "frühklassisch" anmuten, aber sehr viele Effekte und Gesten bleiben ja auch später erhalten.


    Frühklassisch meinte ich nicht, das war vielleicht mein Denkfehler. In 183 aber gibt es noch volle Kanne den Mannheimer Manierismus, in 201 nicht mehr. Bei 175 scheppert noch der Gb durch, bei 271 nicht mehr. So war's gemeint.


    Zitat

    Ich habe ja auch nichts Systematisches behauptet


    Habe ich Dir auch nicht vorgeworfen 8) - es war lediglich eine zusätzliche Feststellung meinerseits.


    Zitat

    Und war nicht KSMs Ansatz, dass es "den" Stil der 1770er nicht gibt?


    Und ich behaupte, dass es ihn gibt. Ich lese aber aus KSMs Beiträge keinen Protest dagegen. Ihm ging es m. E. nach darum, einige extreme Gegenbeipsiele zu nennen, also quais "fortschrittlichere" Komponisten bzw. deren Ergebnisse, was es für meine Begriffe in dem Sinne nicht gibt [Fortschritt]. Ich stufe es immer nur als 'anders' ein. zugleich lässt sich nicht abstreiten, dass es gleichzeitig sehr große 'Neuerungen', also Veränderungen gab.


    Zitat


    Die frühen Opern kenne ich alle nicht.


    Das ist schade und auch wieder nicht. Ob Du nun Joh. Chr. Bachs 'Scipione' kennst, oder Mozarts 'Silla' ist wurscht.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Original von Ulli


    Und ich behaupte, dass es ihn gibt. Ich lese aber aus KSMs Beiträge keinen Protest dagegen. Ihm ging es m. E. nach darum, einige extreme Gegenbeipsiele zu nennen, also quais "fortschrittlichere" Komponisten bzw. deren Ergebnisse, was es für meine Begriffe in dem Sinne nicht gibt [Fortschritt]. Ich stufe es immer nur als 'anders' ein. zugleich lässt sich nicht abstreiten, dass es gleichzeitig sehr große 'Neuerungen', also Veränderungen gab.


    Es existieren natürlich immer mehrere Stile nebeneinander, aber ich habe ja doch den Eindruck, dass gerade zu jener Zeit viele Komponisten einen sehr einheitlichen Stil pflegen und zwar international. Insofern könnte ich beiden Aussagen zustimmen.


    Was das "fortschrittliche" betrifft, hat mich Ulli mißverstanden. Freilich ist zu diesem Zeitpunkt der Stil Haydns und Mozarts der modernere und die (ebenfalls großartigen) Bachsöhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emmanuel hängen noch einer älteren Stilstufe an. Dennoch sind ihre wilden verschrobenen quasi anarchischen Werke genial und ein Gegenargument zur Vorstellung, dass in den 1770ern der hochklassische Stil das einzig Wahre wäre. (Da Ullis Ranking der Mozartzeitgenossen diese Sicht suggeriert hat, habe ich ja dort "rebelliert" und diesen Thread gestartet, um die "Zeitgenossenfrage" und möglichen Stile der Zeitgenossen hier etwas deutlicher machen zu können.)

  • Salut,


    Zitat

    Freilich ist zu diesem Zeitpunkt der Stil Haydns und Mozarts der modernere


    Hm, ich weiß nicht, ob das so stimmt? Anton Schweitzers Alceste, ein deutsches Singspiel von Chr. M. Wieland, wurde am 28. Mai 1773 in Weimar uraufgeführt: Das ist aus heutiger Sicht der reinste Stilmix. Damals aber fand Mozart, der das Werk auch hörte und sah, die Ouvertüre als das Gelungenste an dieser Oper. Die Ouvertüre ist quasi noch im Stile Händels [ganz grob gesagt]: Eine Largo, dann ein Fugato. Die m. E. herausragenden Arien der Alceste jedoch verabscheute Mozart [und nicht nur er] damals. Komisch nur, dass die Arien der Königin der Nacht, die er rund 20 Jahre später komponierte, fast genau dem Stil der Alceste-Arien Schweitzers entsprechen. Witzig, dass immer alle meinen, die KdN-Arien seien noch typische Seria-Arien, das sehe ich nicht so.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ulli schrieb schon davon, dass der italienische Stil der Opera Seria eine homogene Gruppe von Werken hervorgebracht hat.


    Ich kenne nun (vom 1x Hören) Traettas Antigona (1772) und Bachs Clemenza di Scipione (1778 ). In beiden Fällen bemerkt man ein Straffen der Rezitative und eine Verlebendigung des Ablaufs durch Vermeiden des stereotypen Rezitativ-Arien-Wechsels zugunsten einer bunten Folge von Chören, Arien und Duetten/Terzetten, wobei ich zur Beurteilung der dramatischen Funktionsweise dieser Abfolgen mal das Libretto lesen sollte ...


    Wo kommt das nun her? Von Gluck? Ist das bei den anderen Serias der Zeit auch so?


    Und: Ist es wirklich gerechtfertigt, dass Mozarts Lucio Silla so viel bekannter ist als die genannten Opern von Traetta und Bach oder liegt das nur an der albernen Genieverehrung, dass man wegen eines Frühwerks eines 16-Jährigen die zeitgleichen Hauptvertreter der Gattung ignoriert (Traetta ist aus dem CD-Angebot ja schon wieder verschwunden: :no: )?
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Ist das bei den anderen Serias der Zeit auch so?


    Größtenteils schon. Wo J. Chr. Bach das nun her hat, weiß ich nicht. Vielleicht jemand anderes? Ich bin aber ziemlich sicher, dass J. Chr. Bach hier - wie auch Gluck - selbst als Reformator der Oper [hier speziell der Seria] bezeichnet werden darf.


    Zitat

    Und: Ist es wirklich gerechtfertigt, dass Mozarts Lucio Silla so viel bekannter ist als die genannten Opern von Traetta und Bach oder liegt das nur an der albernen Genieverehrung, dass man wegen eines Frühwerks eines 16-Jährigen die zeitgleichen Hauptvertreter der Gattung ignoriert (Traetta ist aus dem CD-Angebot ja schon wieder verschwunden: :no: )?
    :hello:


    Es it m. E. nicht gerechtfertigt. Der Lucio Silla ist m. E. sogar noch eher ein sperriges Werk [Mithridate gefällt mir wesentlich besser, da schlanker, transparenter]. Der Silla ist dagegen schon ein mächtiger Brocken - trotzdem natürlich sehr schön. Die Chöre sind hier zwischendurch auf dringend erforderlich, damit es nicht zu trocken wird.


    Chöre übrigens - meistens als "coro" in der Partitur vermerkt - wurden oftmals auch schlicht durch Heranziehen des gesamten aktiven Bühnen-Ensembles zusammengestellt. Beispielsweise beim Mithridate ist die letzte Nr. m. W. auch ein Coro - der aber sonst in der Oper nicht auftaucht. So wird auch meist der letzte Coro im Mithridate als Gesangsquartett [-sextett, -septett] dargeboten.


    Probieren solltest Du unbedingt Mysliveceks "Il Bellerofonte" - da geht es wirklich bunt zu. Sehr schöne Chöre hat auch Michael Haydns "Andromeda e Perseo" [bitte die ital. Fassung!]. Deren Chöre dienen noch mehr der Handlung, der Unterstreichung des Geschehens. Der Chor ist hier - ähnlich Mozarts Idomeneo - in die Handlung integiert und nicht nur Aufwach-Tusch-Chor.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Wo J. Chr. Bach das nun her hat, weiß ich nicht. Vielleicht jemand anderes? Ich bin aber ziemlich sicher, dass J. Chr. Bach hier - wie auch Gluck - selbst als Reformator der Oper [hier speziell der Seria] bezeichnet werden darf.


    Ich werd nochmal meine Musikgeschichten danach durchschauen, die sind aber nicht gar sooo detailliert. Jedenfalls werden auch Jommelli und Traetta als Reformatoren der Seria angeführt - die Frage ist halt, wer welchen Aspekt nun wie weiterentwickelt. Ich muss es aber nicht unbedingt wissen, um mit dieser Musik glücklich zu werden, habe keine großen Zugangsschwierigkeiten. Außerdem gäbe es noch einen Anfossi und einen Majo, die aber nicht auf CD zu finden sind, was mich nicht stört, da mein Einkaufszettel lang genug ist (jetzt kommen z.B. Opern von Holzbauer - der Günter von Schwarzburg gehört auch in die 1770er - und Cimarosa dran).


    Übrigens scheint der Lucio Silla eh nicht so präsent zu sein. Aber wenn Ihr wüßtet, wie wenige Mozart-Opern ich bislang gehört habe, würdet Ihr mich eh aus dem Forum werfen ...
    :D

  • Hallo!


    Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Aber wenn Ihr wüßtet, wie wenige Mozart-Opern ich bislang gehört habe, würdet Ihr mich eh aus dem Forum werfen ...
    :D


    Gibts denn mehr als fünf? 8)


    Ernst beiseite: Das wichtigste musikalische Ereignis der 1770er Jahre fand hier noch keinerlei Erwähnung: Die Geburt des Klavierquintetts !
    Also ich finds wichtig... 8)


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hm, ich dachte, Johann Schobert (gestorben 1767) hätte alle Besetzungsvarianten Klavier+Streicher von der "Violinsonate" bis zum "Klavierkonzert" in ziemlich fließendem Übergang beliefert, weshalb ich mich frage, ob man seine Klavierkonzerte nicht auch solistisch besetzt spielen könnte, womit man dann beim Klavierquintett wäre (oder habe ich die Besetzung falsch im Gedächtnis?)
    :hello:

  • Nach meinen Stöber - Erfahrungen gibt es zwei Formen der Oper Seria.


    Die vollkommen straffe Abfolge von Rezitativ und Arie (ab und zu ein Duett) ohne jedwede Unterbrechung von Chören, Ballett oder orchestrale Rezitative, als das eine Ideal.
    Der Chor am Schluss setzt sich nur aus den Personen des Dramas zusammen.


    Dann die Hofoper die sich sowohl aus der Tradition der Opera Seria als auch der Tragèdie Lyrique bedient: mit anderen Worten dem Ballett und dem Chor breiteren Raum gibt.


    Und da ist wohl Jommelli die wichtigste Figur.
    Jommelli war wohl einer der ersten der diesen Mix im großen Stil durchführte.
    Traettas Antigone gehört ebenfalls in diese Gattung - genauso wie Mozarts Idomeneo und natürlich die späten Opern Glucks.
    Diese Werke kann man unmöglich als Opera Seria bezeichnen.


    Somit hat Mozart mit seinem Idomeneo keinen Bruch vollzogen, sondern vielmehr versucht, dass was an den Höfen Europas gerade in Mode war (besonders in Deutschland) umzusetzen.
    Jommelli war Hofkapellmeister in Stuttgart und in dieser Zeit entstanden seine Hauptwerke die eben eine völlige Synthese zwischen frz. Tragèdie Lyrique und Opera Seria zu eigen haben.
    "Armida abbandonata", ist eine reine Opera Seria, die aber mit den Werken, für die Jommelli so gerühmt wurde, nicht viel zu tun hat.


    Man merkt ja schon bei den ersten "reinen" Serias dass es die Komponisten anödete nach so einem Strengen Muster zu komponieren, Händel hält sich nur bedingt daran, bei der Alcina hat er dem Ballett auch schon breiten Raum eingeräumt und richtige Chöre eingefügt.


    Gluck hat die Ideen von Jommelli weitergeführt.
    Oft wird ja behauptet "Iphigenie en Aulide" sei die erste "Reformoper" um die frz. Oper neu zu beleben - völliger Quatsch, nicht die frz. Oper hatte eine Reform nötig sondern die Opera Seria - weil sie durch ihre starre Abfolge einem Großteil des Publikums als unglaubwürdig erschien.
    Joseph Martin Kraus wandte sich ja auch von dieser Opernform ab, entwickelte einen neuen Arientyp und nahm die Ideen von Gluck auf.




    Johann Christian Bach würde ich persönlich jetzt nicht als Reformator sehen.
    Er hat etwas moderner komponiert, den Mannheimer Stil in die Oper übernommen, aber das haben auch alle anderen Opernkomponisten der Zeit getan.
    Das müsst ihr mir mal erklären was an J.Ch. Bach so revolutionär sein soll ?
    Ich habe ihn eher als typischen Vertreter dieser Opernepoche angesehen.



    :hello:

  • Zitat

    Original von Pius
    Gibts denn mehr als fünf? 8)


    Laß mal zählen: Mitridate, Il sogno di Scipione, Gärtnerin aus Liebe, Il re pastore und... äh... Lucio Silla (oder war die von J.Chr. Bach)...
    Nee, ich glaube Du hast Recht. :D


    LG, Paul

  • Eine weitere Figur die bisher kaum ins Blickfeld geraten ist




    Niccolo Piccinni (1728 - 1800)



    Bekannt ist er fast nur noch als Konkurrent Glucks in Paris.


    Komisch dass ein Komponist der eine genauso große "Fan-Gemeinde" hatte wie Gluck, Heute kaum gespielt wird.


    Zumal ich jetzt 2 Opern aus seiner Feder gehört habe und es nochweniger verstehe weshalb man ihn nicht spielt.
    Die Opern die ich jetzt gehört habe waren:


    Catone in Utica


    und


    Iphigenie en Aulide


    Catone ist eine wunderbare Opera Seria, geschrieben für den Mannheimer Hof, die Oper hat alles was man sich erwartet, halsbrecherische Kolloraturarien, sinnliche Momente und absolute Ohrwürmer.
    Der Stil erinnert natürlich an die Opern von J.Chr. Bach, von denen man ja jetzt ein paar auf Cd bekommen kann und den frühen Opern Mozarts.


    Allerdings ist Piccinni irgendwie "sicherer" im Umgang mit dem Medium Oper, ich weiß nicht wie ich das anders beschreiben soll - das ist absolute Perfektion.



    Iphigenie en Aulide, ist eine frz. Tragèdie Lyrique geschrieben für Paris.
    Und da bleib mir ebenfalls die Spucke weg.
    Kein Wunder, dass Gluck sich vor Piccinni in Acht nehmen musste - er beherrschte beide Nationalstile in Perfektion, ebenso wie Gluck.


    Und natürlich wird man auch hier an die Opernsprache erinnert die man eben durch Glucks Werke wie Alceste oder Armide kennt.
    Dennoch ist das ein eigener Stil, ebenso wie die Opern von Sacchini.



    Ich muss jedenfalls sagen, dass ich von Piccinni sehr begeistert bin und ich behaupte dass man es hier mit einem noch unentdeckten Großmeister vom Range Glucks zu tun hat.


    Ich hoffe das Piccini so wie Salieri mal bald von den Protagonisten der Alten Musik entdeckt und mehr gespielt wird.

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  • Guten Tag



    Nicolo Piccinis -1728 in Bari geboren, 1800 in Paris gestorben- Opern, er schrieb ernste als auch heitere Stücke, wurden am Mannheimer Hof gerne auffgeführt; so z.B.:


    "La buona figliuola - Das gute Mädchen" 1769


    und


    "Gli stranvaganti - Die Ausschweifenden" 1771


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Guten Tag


    an der Hofoper zu Mannheim wurden um 1770 etliche, heute teils nicht mehr bekannte Opern aufgeführt.
    Einige Beispiele:


    - Antonio Sacchini "L´isola d´amore - Die Liebesinsel" 1769
    - Florian Leopold Gassmann "Lámore artigiano - Die Liebe unter Handwerksleuten" 1772
    - Antiono Saccini "La contadina in corte - Die Bäuerin bei Hofe" 1772
    - Giuseppe Gazzanige "Lísola d´Alcina - Die Insel der Alcina" 1773
    - Nicolo Jommeli "Il giuoco di picchetto - Das Staffettenspiel" 1773
    - Pietro Guglielmi "L´Assemblèa - Die Versammlung" 1773
    - Egidio Duni "Les deux chassurs et la laitière - Das Milchmädchen und die beiden Jäger" 1774
    - Baldassare Galuppi "Lámante di tutte - Der Liebhaber von allen" 1774
    - Joh. Chr. Bach "Amor vincitore - Amor als Sieger“ 1774
    - Francois-Joseph Gossec „Le Tonnelier – der Faßbinder“ 1774
    - Joh. Chr. Bach „L´Endimiome“ 1775
    - Pasquale AnfossI “L`inconita perseutata – Die verfolgte Unbekannte” 1775
    - Nicolo Jommeli „L´ Arcadia conservata – Das errettete Arkadien“ 1775
    - Anton Schweitzer „Alceste“ 1775
    - Andre Ernest Modeste Gretry „Le tableau parlant – Das redende Gemählte“ 1776
    - Andre Ernest Modeste Gretry „Zemira e Azor“ 1776
    - Andre Ernest Modeste Gretry „La festa della Rosa – Das Rosenfest“ 1776
    Hatten die Opern damals schöne Namen :hahahaha:


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Drei davon kenne ich sogar...


    bzw.




    Alle empfehlenswert.


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Johann Christian Bach würde ich persönlich jetzt nicht als Reformator sehen.
    Er hat etwas moderner komponiert, den Mannheimer Stil in die Oper übernommen, aber das haben auch alle anderen Opernkomponisten der Zeit getan.
    Das müsst ihr mir mal erklären was an J.Ch. Bach so revolutionär sein soll ?
    Ich habe ihn eher als typischen Vertreter dieser Opernepoche angesehen.


    Hm?


    Seit wann muß eine Reform im Ergebnis revolutionär sein?


    ?(


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Hm, ich dachte, Johann Schobert (gestorben 1767) hätte alle Besetzungsvarianten Klavier+Streicher von der "Violinsonate" bis zum "Klavierkonzert" in ziemlich fließendem Übergang beliefert, weshalb ich mich frage, ob man seine Klavierkonzerte nicht auch solistisch besetzt spielen könnte, womit man dann beim Klavierquintett wäre (oder habe ich die Besetzung falsch im Gedächtnis?)
    :hello:


    Die Opera XI bis XIII sind Cembalokonzerte mit Begleitung von 2 Violinen, Viola und Violoncello, Oboen und/oder Hörner ad libitum (siehe hier) - die kann man zwar ohne Bläser und solistisch besetzt spielen, aber sind das dann schon "Quintette"? Die Bezeichnung impliziert m.W. weniger eine Besetzungsstärke als eine Stimmenzahl, und vom Komponisten intendierte "kammermusikalische" Anlage, was bei einem Solokonzert weniger gemeint ist, auch wenn man es quasi kammermusikalisch spielen kann. Wir meinen heute Kammermusik, wenn wir von Quintetten reden, damals waren implizit auch bestimmte Formen und ähnliches gemeint.


    Ich würde Schoberts Konzerte wegen ihrer Schreibweise nicht in diesem Sinne als Quintette auffassen - sie stehen Haydns und Mozarts Clavier-Concerten näher, und die würde man auch nicht ohne Bläser solistisch spielen und als Quintette bezeichnen .....


    Reinhard Goebel hat mit Christian Rieger und der Musica Antiqua Köln mal einen Abend mit Cembaloquintetten gemacht, ich muß das Programmheft erst noch suchen, das waren Werke, die gehen in die Richtung "Vorläufer" des Klavierquintett.

  • Zitat

    Außerdem gäbe es noch einen Anfossi und einen Majo



    Giuseppe de Majo (1697 - 1771)


    gehört wohl zu den wichtigsten Vertretern der Oper im 18. Jahrhundert.


    Vom Stil erinnert er stark an Hasse.
    Allerdings ist seine Musiksprache schon wieder etwas moderner.
    Ich habe einen Radiomitschnitt der Oper "Montezuma" von 1765 (mit der Capella della Pieta de'Turchini unter Diego Fasolis)
    Ich war und bin restlos begeistert und wenn man den Erinnerungen Goldonis Glauben schenken darf, ging es dem damaligen Publikum genauso:


    Zitat

    „...im nämlichen Theater sah ich auch die Premiere der Oper von Ciccio de Mayo. Der Applaus war gewaltig. Ein Teil des Publikums zog am Ende der Aufführung aus dem Theater, um den Maestro in einem Triumphzug nach Hause zu tragen; die andern blieben im Saal und riefen so lange „Es lebe Mayo“, bis auch das letzte Licht gelöscht war.“


    Je öfter ich Opern dieser Epoche höre, umso gebannter bin ich von diesen wunderschönen Werken.
    Ich würde es sehr begrüßen wenn diese Opern auch verstärkt auf CD zu haben wären, aber die meisten bisherigen Aufnahmen haben mich nicht wirklich überzeugt.
    Denn bei diesen Opern haben Countertenöre erst recht nichts mehr verloren!



    Leider ist ja diese musikalische Epoche selbst bei Liebhabern des Barock und der Klassik eher ein Bereich mit dem wenig anzufangen ist.


    Diese Opern von Jommelli, Traetta, de Majo, Piccinni, Sacchini u.a. setzen absolute Spitzenleistungen vorraus und eben diesen speziellen Tonumfang den nur Kastraten haben.


    Die meisten Produktionen die ich bisher gehört habe hatten immer massive Schwachstellen in der Interpretation (meist die Sopranisten oder Countertenöre) die das ganze Werk zum kippen brachten.


    Trotzdm hoffe ich darauf, dass das Interesse an diesen Opern auch irgendwann stärker wird - es muss nur einfach bessere Aufführungen geben.

  • Der älteste Bachsohn ist schwer einzuordnen, da er mehr als zwei Füße in mehr als zwei verschiedenen Stilen hatte.


    Die weiter oben erwähnten "Acht Fugen" sind einerseits der Musik des Vaters verpflichtet, aber eher den zweistimmigen Inventionen als seinen Fugen, und versuchen einen moderneren Stil mit der strengen Fugentradition zu verbinden, vor allem die Rhythmik und Länge der Themen gehen weit über ältere Fugen hinaus. Mozart hat sie gekannt, eine auf van Swietens Bitte für Streicher gesetzt und mit einem Präludium versehen. Ob W.F. Bach in jenen Jahren noch weiteres komponiert hat, ist fraglich - seine Motivation war aufgrund seiner Lebensumstände gering, auf die Wünsche von Auftraggebern einzugehen widerstrebte ihm.


    Einen Einfluß unter Kennern hat er gewiß gehabt, s. Mozart - diese Fugen und seine Polonaisen waren in Abschriften recht gut verbreitet.

  • Ich habe selbst schon etwas aus den 1770er Jahren mit aufgeführt, und zwar die Messen KV 140 und KV 194 von Wolfgang Amadeues Mozart.
    Da wir in unserem Chor die Soli bei der Missa brevis KV 140 mit Chorstimmen besetzen, hatte ich die Ehre, schon rund ein halbes Dutzend Male das Tenorsolo singen zu dürfen.


    Liebe Grüße


    Willi :D

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).