Salut,
ich setze die Reihe der Haydn-Sinfonien im Einzelbesprechungsmodus fort.
Die 98 ist die letzte des ersten Zyklus der Londoner Sinfonien, die auch Salomon Sinfonien genannt werden.
Die Sinfonie beginnt mit einer obligatorischen sehr zum barocken Stile gewandten langsamen Einleitung, aus der Haydn - wie in späteren Sinfonien gewohnt - das Thema des Hauptsatzes entwickelt, der sehr mitreißend ist und beinahe romantische Züge hat. Diese "barocke" Einleitung verweist bereits fast unverschämt auf das noch unverschämtere Finale hin.
Sehr überrascht war ich nach 15jähriger Hörpause, im Beginn des 2. Satzes überdeutlich das "God save the Queen" herauszuhören [die ersten 4 Takte jedenfalls] - in einer ehrfürchtigen Langsamkeit und Transparenz [vielleicht sogar Transzendenz?], wie er das "Gott erhalte Franz..." in demzufolge genannten Kaiser-Quartett komponierte. Weiterhin komme ich an einer Stelle im 2. Satz nicht vorbei, diese gedanklich mit dem 2. Satz von Mozarts Sinfonie KV 551 "Jupiter" weiterzuspinnen - es könnte nahtlos übergehen. Zudem steht Johann Peter Salomon [im Prinzip] beiden Sinfonien als Pate zu Seite: Bei Haydn als Auftraggeber, bei Mozart als [vermutlicher] Namensgeber [Jupiter]. Vielleicht kann dies jemand nachempfinden?
Charles Rosen weist darauf hin, dass das Thema des 2. Satzes fast so unverhohlen mit dem Sei nun gnädig [Terzett und Chor Nr. 6 aus den Jahreszeiten] verwandt sei, wie das entsprechende Zitat aus dem gleichen Oratorium mit dem 2. Satz der Sinfonie Nr. 94 G-Dur mit dem Paukenschlag.
Das Menuett ist hier eher unauffällig.
Bekannt ist die Sinfonie für den von Haydn eingebauten Gag im Finale. Zunächst aber wartet Haydn mit Violin-Soli auf, die entzückend sind und einem Thema Mozarts sehr ähnlich sind [ich komme aber gerade nicht darauf, welchem].
Während Leopold Mozart noch im Zeitalter des basso continuo aufgewachsen ist und sich nur krampfhaft davon lösen konnte und wie ein provinzialer Schulmeister [...] modisch erscheinen möchte [Alfred Einstein: Mozart, sein Charakter, sein Werk], war Haydn diesbezüglich sehr viel aufgeschlossener und intelligenter: Anstelle daraus eine schmerzhafte Erfahrung zu machen, nimmt er dies scherzhaft an, und baut in der 98. Sinfonie ein Cembalo-Solo kurz vor dem Schluß des Finales ein.
Einstein beschreibt Haydn als originellen Tonkünstler, wobei er die Originalität als Stillosigkeit bezeichnet und diese darin besteht, dass er eben nicht das, was wir als Folklore nennen, als unverarbeiteten Stoff in seine Komposition hineinwirft, sondern dass er volksmäßig unbekümmert erfindet. Haydn ersetze die galante Witzigkeit eines Pergolesi durch seinen eigenen Witz, der derb, gesund, lustig und doch geistvoll ist. Sein Menuett ist nicht zierlich, sondern bäurisch, kräftig, natürlich. Die Musik fällt aus ihrem stilistischen Rahmen, manchmal mit großem Gepolter [sic!]. Das ist Haydn von vielen Zeitgenossen gewaltig übelgenommen worden, namentlich von den Berlinern, die von "Herabwürdigung der Kunst" sprachen, von dem "Lustigmacher" Joseph Haydn. Was Haydn zwar ärgerte, ihn aber nicht hinderte, auf seinem Weg weiterzugehen.
Mir diente als Hörvergnügen:
RIAS Symphonie-Orchester Berlin
Ferenc Fricsay,
wobei hier bezeichnender Weise das Cembalosolo ausgespart wurde.
Ulli