Künstlerische Freiheit der Dirigenten

  • Hallo!


    Ich habe eine Frage, die mir unter den Fingern brennt.


    Ich habe Beethovens 5. Symphonie inzwischen einige Male gehört, in verschiedenen Interpretationen. Eigentlich habe ich mir diese Symphonie "überhört".
    Als ich vor einiger Zeit Kleibers hochgelobte Deutung mit den Wiener Philharmonikern hörte, kam mir deswegen auch nicht mehr als ein "ganz nett" über die Lippen. Es war einfach Beethovens Fünfte - häufig gehört, hier sehr gut ausgeführt, aber für mich nichts Besonderes mehr.
    Neulich habe ich mir dann eine alte Aufnahme von Furtwängler zu Gemüte geführt - und mir ist die Kinnlade runtergeklappt. Furtwängler geht mit dem Tempo sehr frei um, variiert; die Wirkung ist enorm! Die Schicksalsschläge klingen trotz Monoaufnahme um einiges wuchtiger als gewohnt, auch an anderen Stellen spürt man die Wirkung.


    Gibt es auch heute noch Dirigenten, die abseits von der Suche nach der Deutung "so, wie Beethoven es gemeint hat", versuchen, eigene Akzente zu setzen und so ein eigenes, einmaliges Kunstwerk schaffen?



    Gruß,
    Spradow.

  • Lieber Spradow, das kann ich absolut verstehen. Eine ähnlich knorrige Deutung des Werkes findest Du bei Hans Knappertsbusch in einer Aufnahme de Jahre 1956 mit den Berlienr Philharmonikern. Oder bei Carl Schuricht mit dem Pariser Conservatoriumsorchester 1946. Beide Aufnahmen sind naturgemäß mono bei Kna handelt es sich überdies um einen Live-Mitschnitt (beide Aufnahmen liegen mir als CD vor). Es mag Zufall sein, daß die Aufnahmedaten dieser beiden Deutungen relativ dicht bei dem der Furtwängler-Einspielung liegen, und möglicherweise spiegelt sich hier so etwas wie Zeitgeist. Und die alte Aufnahmetechnik tut natürlich das ihre, um allen dreien eine spezifische Wirkung zu verleihen. Die Harnocourt-Einspielung kenne ich nicht, werde die Empfehlung aber gerne aufgreifen. Auch wenn's Widerspruch erzeugt: die drei genannten alten Einspielungen verhalten sich zu den mir bekannten neueren ungefähr so wie ein krabbelnder Käfer zu seinem Biologieunterrichtpendant in Kunstharz :untertauch:. Bin aber für Tipps dankbar. :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Na bitte, der Kna konnte schon mal augetrieben werden



    Gottlob auch als CD verfügbar Günter Wand mit dem Gürzenichorchester. Die Platte habe ich mir nun, angestachlt Durch Deinen Thread aus dem Schrank geholt. Meine Güt, wie wars in Köln vordem..... :jubel:



    Und der Schuricht gibts in einer Box zusammen mit Mendelsohn, Bruckner, Brahms und Mahler:



    Sorry, wenn ich hier die Fahnen der Alten hoch halte, aber da stößt man doch immer wieder auf ungeahnte Exzellenz, die nicht vergessen werden sollte.

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
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  • Genau, und bitte in dieser illustren Runde, wo eine Aufnahme die andere übertrifft, Erich Kleiber mit dem Concertgebouw Orchestra Amsterdam 1953 nicht vergessen. Was läuft heute bloss falsch ...



    Viele Grüße,


    Walter

  • Zitat

    Original von Spradow
    Neulich habe ich mir dann eine alte Aufnahme von Furtwängler zu Gemüte geführt - und mir ist die Kinnlade runtergeklappt. Furtwängler geht mit dem Tempo sehr frei um, variiert; die Wirkung ist enorm! Die Schicksalsschläge klingen trotz Monoaufnahme um einiges wuchtiger als gewohnt, auch an anderen Stellen spürt man die Wirkung.


    Gibt es auch heute noch Dirigenten, die abseits von der Suche nach der Deutung "so, wie Beethoven es gemeint hat", versuchen, eigene Akzente zu setzen und so ein eigenes, einmaliges Kunstwerk schaffen?


    Deine Reaktion ist ohne weiteres verständlich, denn wenn man IHN mit Beethoven hört, möglichst live und mit der richtigen Aufnahme (hatte ja nicht immer einen guten Tag), dann gehen einem die Ohren auf. Welche Aufnahme war es denn?


    Schau mal in meine Unverzichtbaren, da ist die Music & Arts - Box mit seinen Kriegsaufnahmen. Höre Dir da mal die Eroica an und Du begreifst,... Ach was, hör es Dir einfach nur an. Punkt. :yes:


    Die Harnoncourt-Box habe ich mir gekauft. Sie ist sehr gut, aber trotzdem fehlt ihr das gewisse Etwas. Ragt im Vergleich zum Abbado-Muti-Masur-Solti etcpp - Mainstream deutlich hervor, aber die Wucht von SEINEN Aufnahmen erreicht sie nicht. Allerdings möchte ich das Harnoncourt keineswegs nachteilig anrechnen, denn sein Ansatz ist auch ein anderer.


    Ich hätte noch Mengelberg genannt, aber der gehört zur Generation Furtwängler.

  • Salve Spradow,


    für noch einmal etwas ganz anders - die Fünfte als dorische Säule - empfehle ich die Aufnahme von den Wiener Philharmonikern unter Otto Klemperer aus dem Jahre 1968 (Konzertmitschnitt, in der DG-Edition 150 Jahre Wiener Philharmoniker ebenfalls enthalten):



    Vergleichen kann man die grantische Urgewalt dieser Interpretation m.E. tatsächlich nur mit dorischer Tempelarchitektur.


    Flo

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Ja, wer viel zu breite Tempi, dazu irrwitzige Beschleunigungen und Vollbremsungen, Hörner statt Fagotte
    im Kopfsatz, adagio statt andante con moto im 2. Satz und keine Wiederholung im Finale möchte, dabei aber die Phantasie besitzt, trotz alledem an einer höheren Offenbarung teilzunehmen, sollte Furtwänglers Liveaufnahmen hören. Was dabei zu rauchen, dürfte dem Offenbarungskick förderlich sein :beatnik:
    Schuricht möchte ich aber nur sehr ungern in diesen Topf werfen, der ist zumindest was Tempi und deren Stetigkeit betrifft wesentlich "moderner", Kleiber senior sowieso.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Danke JR für den Verweis auf meine Anmerkung zur Wiederholungsproblematik.


    Zitat

    Original von Santoliquido
    die drei genannten alten Einspielungen verhalten sich zu den mir bekannten neueren ungefähr so wie ein krabbelnder Käfer zu seinem Biologieunterrichtpendant in Kunstharz


    Ein altes Dilemma. Um bei dem Bild zu bleiben:
    Ja es krabbelt etwas bei den alten Aufnahmen, unbestritten. Aber es ist nicht der Käfer, den Beethoven zu Papier gebracht hat. Im Lauf der Interpretationsgeschichte hat er sich verändert und ist dazu noch mutwillig beinchenamputiert worden.


    Jetzt ist natürlich die Frage, was mir als Zuhörer lieber ist: dieser mutierte, amputierte aber krabbelnde Käfer, oder ein eingegossener, möglicherweise originalgetreuer, aber toter Käfer.


    Mich befriedigt keines von beiden. Ich will alles auf einmal haben. Wie das erreicht werden kann ist eigentlich klar:
    Wir gehen ins Museum nachforschen, wie der Käfer in Wirklichkeit ausgesehen hat. Dann sehen wir uns die lebendigen Käfer an und studieren, was sie so lebendig macht. Als drittes bringen wir das Kunststück fertig, dem toten Käfer Leben einzuhauchen.


    In dieser Hinsicht bin ich grenzenloser Optimist. Es muß gehen, sonst ist alles für die Katz.


    Gruß, Khampan

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  • Nun mal halblang: den HIPstern seien ihre Einspielungen ja von Herzen gegönnt. Als jemand, der beim Musikhören keine Partituren vor sich liegen hat (da könnte ich allerdings genausogut mich mit dem japanischen Klappentext einzelner Platten befassen), der überdies Musik unbefangen und unbeschadet wissenschaftlicher Erörterungen hört nehme ich für mich aber in Anspruch, den Furtwängler und den Kna so mancher neuen Einspielung vorzuziehen. Da muß man auch nix zu rauchen, selbst mono ist diese Musik Droge genug.


    Die Demarkationslinie, was die musikalische Vorliebe betrifft, scheint wohl nicht nur zwischen traditionell und HIP zu verlaufen, sondern auch noch zwischen Notenexegeten und Genießern.


    Wohlverstanden: die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Notentexten werde ich niemals bestreiten. Geeignete Nachschöpfer scheinen allerdings dünn gesät.


    Was das 20. Jh. betrifft sind wir ja scheinbar in einer sehr glücklichen Situation: Berg komponiert Wozzek, Böhm nimmt Änderungen zusammen mit dem Komponisten vor und spielt's auch noch als Schallplatte ein. Ähnliches gilt für Ansermet/Honegger, Richard Strauss (metamorphosen) und Karajan.


    Vielleicht wäre einmal ein Gedanke darauf zu verwenden, welche Berechtigung die eingeschliffene Spielpraxis dem originalen Notentext gegenüber hat.


    Nix für ungut sagt der Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Spradow
    Gibt es auch heute noch Dirigenten, die abseits von der Suche nach der Deutung "so, wie Beethoven es gemeint hat", versuchen, eigene Akzente zu setzen und so ein eigenes, einmaliges Kunstwerk schaffen?


    Merkwürdigerweise hat kaum jemand darauf eine Antwort gegeben.
    Es scheint so, als wäre das, was an Furtwängler und dessen Kollegen hier so geschätzt wird, Zeitgeist von damals gewesen, und im heutigen Zeitgeist nicht zu finden?

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Merkwürdigerweise hat kaum jemand darauf eine Antwort gegeben.
    Es scheint so, als wäre das, was an Furtwängler und dessen Kollegen hier so geschätzt wird, Zeitgeist von damals gewesen, und im heutigen Zeitgeist nicht zu finden?


    Es war nur sehr bedingt "Zeitgeist". Es gab Dirigenten, die sich aus heutiger Sicht große Freiheiten nahmen, aber sie waren vermutlich nicht die Mehrheit. Bei Toscanini, Klemperer, Szell, Erich Kleiber, auch Walter oder Busch oder auch Böhm wird man selten oder nie die Exzesse besonders was Temposchwankungen betrifft von Furtwängler oder Mengelberg finden.
    Man kann das mögen und es hat mitunter gewiß was, es mag einzelne einzigartige Interpretationen geben (ebenso wie einzigartige Schiffbrüche). Ich finde es allerdings schon ziemlich einseitig, sämtliche Musiker, die das dirigieren, was da steht (zB Fagotte, keine Hörner, zB andante con moto, nicht adagio molto) als phantasielose Pedanten hinzustellen. Aber das ist ja nicht neu, schon Toscanini war für Furtwängler ein bloßer "Taktschläger". Nur hat sich eben in den letzten 50 Jahren Toscaninis Stil durchgesetzt. Das mag man als Zeitgeist abtun, man könnte es aber auch als einen wohltuenden Schritt weg von Kunst/Musik als einer Art Ersatzreligion mit Hohenpriestern, die sich, da vom Geist ergriffen, um den Buchstaben nicht scheren müssen (bekanntlich tötet der Buchstabe, der Geist aber macht lebendig), werten.


    Und natürlich gibts die noch: Celi kürzlich verstorben, evtl. Thielemann.
    Es ist doch aber sehr die Frage, ob ein teilweise in willkürliche Extreme gehende extrem persönlicher Zugang die einzige Möglichkeit einer eigenständigen und lebendigen Interpretation ist. Das möchte ich doch entschieden bezweifeln.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Es ist doch aber sehr die Frage, ob ein teilweise in willkürliche Extreme gehende extrem persönlicher Zugang die einzige Möglichkeit einer eigenständigen und lebendigen Interpretation ist. Das möchte ich doch entschieden bezweifeln.
    viele Grüße
    JR


    Das möchte ich auch. Komischerweise scheint diese Ansicht doch weit verbreitet.
    Kürzlich hörte ich in die 3er CD-Box "Dimitrij Mitropoulos" von united archives herein.
    Der Booklet-Autor erwähnte die Freizügigkeit des Dirigierstils, verteidigte aber "seinen"Mitropoulos mit der polemisierenden Aussage, daß es in heutiger Zeit mit der allzugroßen Partiturtreue an Indivdualität verloren gehe und solche markanten und großen Persönlichkeiten deswegen gar nicht mehr auftauchen.


    Dabei sollte man doch meinen, es ginge in erster Linie um die Musik .... :stumm:

  • Zitat

    Original von Wulf
    Dabei sollte man doch meinen, es ginge in erster Linie um die Musik .... :stumm:


    Eben, deshalb ja Furtwängler. Die Partitur lesen konnte er genausogut wie Toscanini. Das war ihm aber nicht genug. Er suchte mehr und fand es in der Musik, über die Partitur hinausgehend.


    Zeitgeist hin oder her, Furtwänglers Stil ist ebenso Mode wie HIP. Keine ist richtig oder falsch im wissenschaftlichen Sinne. Und Toscaninis Stil ist auch nicht besser, nur weil er sich nach dem Kriege durchgesetzt hat. Die Mode wird vorbeigehen wie alle Moden irgendwann vorbeigehen.


    Im übrigen ist das eine wie das andere nur ein Weg zur Interpretation der Musik. HIP zB kann genauso tot klingen wie der späte Toscanini, aber genauso musikalisch und beseelt wie Furtwängler. Das geht - bei Beethoven - quer durch die Zyklen, quer durch die Dirigenten. Wer die verschiedenen HIP-Zyklen vergleicht, wird ebensoviele Interpretationen wie Zyklen finden. Jeder Dirigent nimmt sich mehr oder weniger Freiheiten, nur eben andere als Furtwängler oder Mengelberg (oder v Bülow bzw. Nikisch). Es ist auch ein Irrglaube anzunehmen, Toscanini und Co hätten "partiturgetreu" dirigiert.

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  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Es ist auch ein Irrglaube anzunehmen, Toscanini und Co hätten "partiturgetreu" dirigiert.


    stellt sich die frage, wieso gerade hier ".


    außerdem kenne ich weder furtwängler noch toscanini.


    doch dass niemand versucht, nicht gegen das zu verstoßen, was in der partitur zu lesen ist, stimmt nicht, während andere es als unverbindliche empfehlung empfinden, was der komponist sich da erlaubt, ihnen vorzusetzen ...

  • Wenn die Angaben und Noten der Komponisten so präzise wären, dann müsste ja eigentlich jede Aufführung nahezu gleich klingen. Eigentlich eine schlimme Vorstellung. Tatsächlich finden sich immer spekulative Begründungen für das jeweils gewollte Klangbild. Sei es, daß Debussy Noten anders aufgeschrieben hat als er sie dann gespielt haben wollte, Bach hätte natürlich für Steinway-Flügel geschrieben. hätte er sie denn gekannt und da die Aufführungssäle seit Beethovens Zeiten größer geworden sind, die Instrumente in Bauart und Stimmung sich geändert haben, müssen natürlich auch die Orchester um- und aufgerüstet werden. Unter veränderten räumlichen Bedingungen will ja immerhin ein bestimmter Klang erzeugt werden.


    Kommt bei den inkriminierten Aufnahmen noch ein technischer Aspekt hinzu: klammheimliches live-mitschneiden gab's bei Furtwängler und Konsorten ja nicht: die Mitschnitte -auf Acetatplatten- mussten rundfunktauglich sein (ein Medium, das Furtwängler übrigens gehasst hat).


    Schon verständlich, wenn da schon mal Fagotte durch Hörner ersetzt werden, weniger des spezifischen Instrumentenklanges, sondern der Klangbalance wegen (ich erinnere da nur an die legendären Stroh-Geigen der Akustik-Schallaufzeichnungszeit bis 1927; die Dinger sind nach ihrem Erfinder so genannt worden und hatten kein klassisches Schalloch, sondern vorne einen Schalltrichter, aus dem der Klang herauskam. Die einzige Möglichkeit damals, den Geigenton ohne Mikrophon ansatzweise einzufangen).


    Als dann die elektrische Aufzeichnungstechnik kam, fühlte sich der Dirigent Stokowski immer noch bemüßigt, bei seiner Gesamteinspielung von Beethovens 7. Sinfonie das Orchester auf über 100 Mann aufzurüsten. Mit der eingeschränkten Laufzeit einer Schellackplattenseite ergaben sich je nach Stück zwangsläufig Striche und Tempoveränderungen (selbst Kna musste sich dem zuweilen beugen). Soviel also zu alten Studio-Aufnahmen.


    Und live? Die jeweilige Aufführungssituation (Aufführungssaal, Publikumsanspannung etc.) wird durch diese alten Tonträger kaum vermittelt. Für den Dirigenten war's im Moment der Aufführung aber präsent, genau darauf hat er reagiert. Ein Grund dafür, daß die unterschiedlichen "live"-Aufzeichnungen, die posthum ohne des Künstlers Freigabe veröffentlicht wurden, ein so uneinheitliches Bild liefern. Von da bis zu unseren heutigen Studio-Artefakten mit hundeten von Schnitten ist ein weiter Weg.


    Immerhin: die 5. gibt's unter Furtwängler auch als Studio-Einspielung. Vielleicht hören wir da einmal rein und nicht in die diversen war-time-broadcast performances, deren Entstehungskontext nicht so ohne weiteres nachvollzogen werden kann (und die -zumal in Deutschland- nicht immer unter guten Sternen entstanden sind)


    Was die unverbindliche Empfehlung betrifft,die Du so bekümmert ansprichst, so fällt mir außer Stokowski kein Dirigent ein, der sich in dieser Form zu den ihm anempfohlenen Noten geäußert hätte. So einfach kann man es sich also nicht machen mit dem Tadeln von Furtwängler, Mengelberg, Knappersbusch, Toscanini und Konsorten.

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    O je, lies mal über Harnoncourt und Figaro


    Na, der Je' hat da wohl nichts mit zu tun. :)
    Ich habe neulich im Fernsehen Hanoncourts Dirigat beim Salzburger Figaro bewundern können, aber ich kenne die Oper nicht so gut, als dass ich da Vergleichsmöglichkeiten hätte. Mit ist eher der merkwürdige Engel in Erinnerung geblieben. ;)
    Ist doch interessant: Bei Opern und Theaterstücken ist es avangardistisch, möglichst obskure Bühneninterpretationen zu bieten; Bei der Musik hingegen werden subjektive Interpretationen von so vielen verdammt.


    Zitat

    Es ist doch aber sehr die Frage, ob ein teilweise in willkürliche Extreme gehende extrem persönlicher Zugang die einzige Möglichkeit einer eigenständigen und lebendigen Interpretation ist. Das möchte ich doch entschieden bezweifeln.


    Natürlich nicht. Solange es Menschen gibt, die das nachfragen (und das scheint so zu sein), haben eigentlich beide Interpretationswege eine Daseinsberechtigung.



    Gruß,
    Spradow.

  • Zitat

    Wenn die Angaben und Noten der Komponisten so präzise wären, dann müsste ja eigentlich jede Aufführung nahezu gleich klingen. Eigentlich eine schlimme Vorstellung.


    Dazu Mozart:
    Er schrie es angeblich bei eine Probe in die er zufälliog hineinplatzte mit hoher, schriller, sich überschlagender Stimme: "Wollt ihr das wohl so spielen wie ich es aufgeschrieben habe ?"


    Aber zum Theme:


    Seit ich Musik höre gabe es immer ZWEI Richtungen:


    Jene, die Musik "partiturgetreu" wiederzugeben versuchten.
    Von ihren Anhängern stets gefeiert, wurden sie von ihren Gegnern stets als "Langweiler", Akademiker" oder "Kapellmeister" gefeiert.
    Schallplattengeschicht habe diese Leute selten geschrieben - klangen ja doch zumeist alle Aufnahmen gleich oder ähnlich.
    Ausnahme war hier Nikolaus Harnoncourt, der bewies wie viele Schlampereien sich in der Interpretationspraxis der Vergangenheit gesammelt hatte - und sie ausmerzte - nicht immer zum Vorteil des Ergebnisses möchte ich sagen.



    Jene, die eine Partitur "deuteten", die großen Maestri.
    Von ihren Anhängern gefeiert wurden sie von ihren Gegner als Scharlatane und Werkverfälscher abgetan. Diese Leute haben zumeist Schallplattengeschichte geschrieben - oft wider Willen (CELI)
    Eigenwillige Interpretationen wurden vom Publikum und der Kritik jedoch nur "charismatikern" zugestanden, was letztlich jeder der Werke fehlinterpretierte sich für einen Charismatiker hielt - ioder zu einem solchen hochstilisiert wurde...



    diese Richtungen wechselten je nach Zeitgeist ab - und immer wurde die vorherrschende als "Erlösung" gefeiert



    Eine Frage ist indes noch nicht beantwortet worden:


    Zitat

    Gibt es auch heute noch Dirigenten, die abseits von der Suche nach der Deutung "so, wie Beethoven es gemeint hat", versuchen, eigene Akzente zu setzen und so ein eigenes, einmaliges Kunstwerk schaffen?


    Ich würde bei dieser Frage instinktiv an Roger Norrington denken - oder (in abgeschwächter Form) die Rattle Einspielung von Beethvens Sinfonien mit den Wiener Philharmonikern denken, auch David Zinman sollte nicht unerwähnt bleiben.



    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Dazu Mozart:
    Er schrie es angeblich bei eine Probe in die er zufälliog hineinplatzte mit hoher, schriller, sich überschlagender Stimme: "Wollt ihr das wohl so spielen wie ich es aufgeschrieben habe ?"


    Salut,


    überliefert ist, dass er völlig unerwartet zu einer Opernprobe in Prag [DG oder Figaro] hineinplatze und brüllte: "Wollt Ihr wohl DIS greifen!!!?" :motz: [<--- das ist der Motz-art]


    Es ist vermutlich eine dieser "modernen" Stellen in Mozarts Notentext, die - wie vorher auch im Dissonanzen-Quartett [daher der Name] - mutwillig von den "Interpreten" korrigiert wurden. Die Anekdote aber zielt m. E. primär auf Mozarts außergewöhnlich gutes Gehör ab.


    Mit künstlerischer Freiheit hat dies aber rein gar nichts zu tun, eher mit künstlerischem Mißtrauen oder Unkenntnis bzw. vorsichtiger ausgedrückt: Unverständnis.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Wollt ihr das wohl so spielen wie ich es aufgeschrieben habe ?


    Salut,


    das könnte wohl eher auf die Kappe Beethovens gehen; gerade lese ich seinen Brief an Karl Holz [1825] betreffend des Druckes [oder der Abschrift der Einzelstimmen?] des Streichquartetts a-moll op. 132. Ich kann ihn hier wegen der zahlreichen Notenbeispiele etc. nicht vollständig wiedergeben, aber die Intention wird wohl herauskommen:


    [...] Die Noten sind alle recht - versteht mich ja nur recht. - Volti subito. Mein Bester - obligatissimo. - ma [= aber] die Zeichen p < > etc. sind schrecklich vernachlässigt u. oft am unrechten Ort [...]. um Gottes willen bitte ich Rampel einzuschärfen, daß er alles schreibt wie es steht, Sehen Sie nur jetzt das von mir corrigirte an so werden Sie alles finden was Sie ihm zu sagen haben; wo . über der Note darf kein ' stattdessen stehen und so umgekehrt - Es ist nicht gleichgültig [...] Die < stehen manchmal später nach den Noten mit Absicht [Beispiel] [...]


    Merkts euch von höhern Ortes - Ich habe nicht weniger als heute den ganzen Vormittag und vorgestern den ganzen Nachmittag mit der correctur der 2 Stücke zugebracht und bin ganz heiser vom Fluchen und Stampfen


    eiligst der ihrige
    Beethoven


    :hello:


    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ich denke wir sollten mit dem Bild aufräumen - so weit es geht - daß Partiturtreue Interpration einengt und Langeweile erzeugt.
    Ich glaube nicht, daß das zwangsläufig einhergeht,aber ich bin ja auch kein Dirigent.


    Jemand, der sich akribisch an die Partitur hält ist mir immer noch lieber als ein Stokowski der mit seinen mannigfachen eigenmächtigen Änderungen der Partitur IMO Ruabbau an der Musik betrieben hat.


    LG
    Wulf.

  • Zitat

    Original von die winterreisende
    Kommt das nicht aus dem Italienischen?


    ma non troppo...


    Ja. Es war offenbar eine Mode damals, in so einem Mischmasch zu schreiben und zu reden. Auch Mozart tat dies oft. Der ganze Satz Beethovens ist in dieser "Form" notiert:


    Volti subito. Mein Bester - obligatissimo. ma...


    :hello:


    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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    Original von Wulf
    Jemand, der sich akribisch an die Partitur hält ist mir immer noch lieber als ein Stokowski der mit seinen mannigfachen eigenmächtigen Änderungen der Partitur IMO Ruabbau an der Musik betrieben hat.


    Da sehe ich aber gerade ein Problem der Diskussion. Es werden immer die extremsten Fälle einander gegenübergestellt und dann Schlüsse in die eine oder andere Richtung gezogen.


    Niemand hält sich akribisch im Sinne von buchstabengetreu an die Partitur, auch Toscanini oder Gardiner nicht. Das dürfte schon daran scheitern, daß von vielen Werken keine Originalpartitur erhalten geblieben ist, Notationen mehrdeutig sind, offensichtliche Fehler enthalten, oder der Komponist nicht alle Einzelheiten festgehalten hat (wie es wohl zB in der Barockmusik üblich war). Auch bei HIP-Interpretationen gibt es große Unterschiede.


    Auf der anderen Seite haben sich Furtwängler und Mengelberg (und, um ihn auch mal anzuführen: Golowanow) durchaus nicht so extrem von der Partitur entfernt wie man heute glauben machen will. Zumindest ist das Ansichtssache. Stokowski mag ein vereinzelter Extremfall sein, ich kenne aber zu wenig von ihm, um das zuverlässig beurteilen zu können. Das seinerzeitige Konzertpublikum sowie viele hochgeachtete Interpreten und Dirigentenkollegen haben keine Zweifel daran gehabt, daß Furtwängler nach der Partiitur dirigiert, nur eben mit Freiheiten, die seiner Meinung nach im Geist der Musik enthalten sind, die in der nur schriftlich niedergelegten Partitur aber nur unvollkommen zum Ausdruck kommen.


    Sooo extrem unterschiedlich sind die Positionen deshalb in Wirklichkeit nicht und es ist mE nicht sonderlich hilfreich, stets zur Stützung der eigenen Ansicht (beide Seiten!), die Außenseiterpositionen der Gegenmeinung als Beweis ins Feld zu führen.


    Entscheidend ist letzlich die Musikalität der Aufführung (hoffentlich ist das jetzt der richtige Begriff dafür)!

  • Zitat

    Salut,


    das könnte wohl eher auf die Kappe Beethovens gehen;


    Könnte es. Tute aber nicht, lieber Ulli, auch wenn ich gelegentlich zu faul bin die Quellen rauszusuchen und aus Höflichkeit schreibe "aus der Erinnerung" - so ist es dennoch Mozat, wenn ich Mozart schreibe - ich habe ein brillantes Gedächnis für Details - aber keines woher die Quelle ist - sie interessiert IMO sowieso niemanden.


    Aber gut:


    Als Mozart das zweyte uind letzte Mal in Berlin ankam war es gegen Abend. Kaum ausgestiegen fragte er: "Gibts diesen Abend nichts von Musik hier?"
    Marqueur: "O ja soeben wird die Deutsche Oper angegangen sein"
    Mozart: "So ? - Was geben die heute"
    Marqueur: Die Entführung aus dem Serail -
    Mpzart: "scharmant" (rief er lachend)
    Marqueur: Ja ! Es ist ein recht hübsches Stück. Es hat componiert - - - -Wie heißt er nun gleich -?


    Indes war Mozart im Reiserocke, wie er war schon fort.
    Im Theater bleibt er ganz am Eingange des Parterre stehen um da ganz unbemerkt zu lauschen.
    Bald freuet er sich über den Vortrag einzelner Stellen, bald wird er aber auch unzufrieden mit dem Tempo, bald machen ihm die Sängerinnen zuviel Schnörkeleyen - wie ers nannte;
    Kurz, sein Interesse wird immer lebhafter und er drängt sich bewusstlos (unbewusst ?) immer näher und näher dem Orchester zu, indem erbald dieß, bald jenes, bald leiser, bald lauter brummt und murret, und dadurch den Umstehenden, die auf das kleiune unscheinbare Männchen im schlechten Oberrocke herabsehen, Stoff genug zum Lachen giebt - wovon er aber natürlich nichts weiß.


    Endlich kam es zu Pedrillos Aria: FRISCH ZUM KAMPFE FRISCH ZUM STREITE.... etc
    Die Direction hatte entweder eine unrichtige Partitur, oder man hatte darin verbessern wollen und bey der zweyten Violine bey den oft wiedrholten Worten: NUR _EIN FEIGER TROPF VERZAGT, Dis statt D gegeben.
    Hier konnte Mozart sich nicht länger halten; er rief fast ganz laut in einer freylich nicht verzierten Sprache:
    "Verflucht - wollt Ihr D greifen"
    Alle sahen sich um auch Mehrere aus dem Orchester.Einige von den Musikern erkannten ihn - und nun ging es wie ein Lauffeuer durch das Orchester und von diesem auf die Bühne - Mozart ist da !!!!


    (zitiert aus einem zeitgenössischen Brief von Franz Niemetschek)


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Die Direction hatte entweder eine unrichtige Partitur, oder man hatte darin verbessern wollen und bey der zweyten Violine bey den oft wiedrholten Worten: NUR _EIN FEIGER TROPF VERZAGT, Dis statt D gegeben.
    Hier konnte Mozart sich nicht länger halten; er rief fast ganz laut in einer freylich nicht verzierten Sprache:
    "Verflucht - wollt Ihr D greifen"


    Sagichdoch. Du muß auch das vorherige Posting lesen... die Story gibt es in verschiedenen Varianten, ich kenne sie mit "Prag"... und mit Dis statt D [also anders herum]. Die Quelle muß auch ich erst suchen.


    8)


    Das Zitat dürfte aber eher aus der Biografie Niemetscheks stammen, als aus einem Brief [ungeprüfte Annahme]. Diesen ganzen Anekdotenmüll habe ich vor längerer Ziet irgendwie hinter mir zurückgelassen; offenbar nimmt es wieder an Gewicht zu. Niemetscheks Biographie ist zwar mehr oder weniger auf [seinen] Augenzeugenberichten basierend, nichtsdestotrotz aber erst 1798 erschienen.


    Mit dem


    Zitat


    Wollt ihr das wohl so spielen wie ich es aufgeschrieben habe ?


    habe ich eine andere Aussage verknüpft, als Du es meintest. Du bezogst es eher auf die Werktreue, ich auf einen Fehler [so beschrieb ich es]. Zudem kommt das Zitat in der Form in der Anekdote nicht vor.


    Das ist übrigens T. 40 besagter Arie - die Stelle verführt echt zum Korrigieren... :D


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)