Amerikanische E-Musik nach 1945

  • Der Thread ist mir eingefallen aufgrund einer Diskussion mit GiselherHH über Gunther Schuller, in deren Verlauf der Kurzstueckmeister meinte, es gäbe gar nicht so viele US-Komponisten, die in den 20er-Jahren geboren wären.


    Ich will mich in diesem Thread nun mit Euch unterhalten über die E-Musik in den USA - bei uns ist sie ja nahezu unbekannt, wenn man von ein paar Minimalisten absieht. Und natürlich von den beiden großen Gestalten der Neuen Musik John Cage und Morton Feldman.


    Charakteristisch für die Musik der USA ist, daß sie cum grano salis aus zwei Richtungen besteht: Einer experimentellen, die sich auf Charles Ives als Urvater beruft, und einer am Publikumsgeschmack orientierten, die sich auf Charles Ives als Urvater beruft.


    Moment, da stimmt was nicht...


    Nein, es stimmt: Ives deckt mit seinem Werk eine derartige Breite an Möglichkeiten ab, daß sich jeder das heraussuchen kann, was ihm am besten paßt.


    Nur, daß zahlreiche Komponisten, deren Werk in den von mir abgesteckten Zeitraum fällt, wirklich rein amerikanisch ausgebildet sind. Sehr viele gingen nach Paris und ließen sich dort von Nadia Boulanger im Neoklassizismus indoktrinieren.
    Dadurch entstand, in Verbindung mit pathetischer Klanggestik fast etwas wie ein Einheitsstil - gar nicht weit entfernt von jenem Stil, den die Sowjetbehörden ihren Komponisten vorschrieben.
    Vertreter dieser Richtung sind unter sehr vielen anderen
    - Aaron Copland (der in seinen letzten Werken aber auch mit Reihen experimentierte)
    - Roy Harris
    - William Schuman
    - David Diamond
    - Samuel Barber

    Eine Zwischenposition nimmt Leonard Bernstein ein, der sowohl kommerzielle Musicals schreiben konnte als auch Symphonien mit komplexer Tonsprache ("Kaddish") - und so flotte wie intelligente Musik für den Konzertsaal ebenso ("Divertimento").
    Ebefalls in die "Zwischengruppe" gehören Ned Rorem, der nicht nur zahlreiche Lieder komponierte und mitunter mit Tonreihen arbeitet, und Dominick Argento, ein Schüler von Luigi Dallapiccola, der aus Zwölftonreihen weit ausschwingende Melodien destilliert, aber keineswegs immer auf zwölftöniger Basis schreibt.


    Die Facetten der amerikanischen Avantgarde sind so mannigfaltig, daß man sie gar nicht aufzählen kann: John Cages Aleatorik gehört hierher, Forton Feldmans Minimalismus, der sich vom Minimalismus eines Steve Reich ebenso unterscheidet, wie dieser vom Minimalismus eines Philip Glass.
    Dazu kommt George Crumb, der eine "magische Musik" anstrebt und Klangzeichen setzt im Versuch, kosmische Ereignisse klangsymbolisch zu erfassen.
    John Eaton wiederum komponiert mikrotonal und wirft Klangballungen gegeneinander.
    Henry Brant komponiert denkt Ives konsequent weiter und komponiert "Raummusik" mit Orchestergruppen in räumlicher Verteilung mit genauen Spielanweisungen, innerhalb derer es Wahlmöglichkeiten gibt.


    Und dann wären da noch die beiden großen alten Herren der Avantgarde: Der Serialist Milton Babbitt, der fast nur Kammermusik komponiert hat, und Elliot Carter mit seinen ausgefeilten rhythmischen Verwandlungssystemen, die er mit einer frei angewendeten Zwölftontechnik kombiniert.



    Und dann gäbe es da noch die amerikanische Oper, für die der sehr erfolgreiche Menotti mit italianisierender Kantilene und eingeschrägter tonaler Harmonik das Modell abgibt. Carlisle Floyd, Robert Ward und zahlreiche andere folgen dem Modell, eine Handlung in der Nähe des Thrillers mit einer amerikanisierten Italianità zu verbrämen.
    Leonard Bernsteins Traum, eine Amerikanische Oper auf der Basis des stilisierten Jazz zu schaffen, hat sich nach Gershwins "Porgy and Bess" nie wirklich realisiert - sieht man von Bernsteins eigenem "Quiet Place" einmal ab. Schule gemacht hat dieses Werk allerdings nicht.


    Womit ich jetzt einmal auf Eure "amerikanischen Erfahrungen" gespannt bin.


    :hello:

    ...

  • Ich könnte zu der umfangreichen Auswahl noch Roger Sessions empfehlen (wie immer alle meine Ausführungen nur auf die Violinkonzerte bezogen, den Rest kenn ich mit keiner Note). Ein enorm rhythmisches, treibendes Konzert, das zu den besten amerikanischen Violinkonzerten gehört (IMHO).
    Charles Wuorinen ist da so ein anderer Name. Mir fällt zu ihm und seinem Vk immer nur der Ausdruck "geordneter Krach" in Ermangelung theoretischer Kenntnisse ein. Absolut faszinierend und einmalig!
    Und ein weiteres Highlight amerikanischer Violinkonzerte bildet wohl eindeutig Stanley Wolfe. Auch seine Sinfonien sind eindrucksvoll!
    John Adams fehlte glaube ich auch noch. Da muss ich wohl nicht viel sagen. Ich mag ihn trotzdem. ;)
    Relativ "neu" und ziemlich gut finde ich Richard Danielpour und Michael Daugherty. Obwohl und gerade weil sie leicht verständliche, melodische, z.T. schmalzige Musik bieten. Zum Schwelgen. Die Spitze dieses "Gefühlsberges" bildet dann David Diamond, denn ich sehr mag (und wo ich seit Jahren auf die VÖ seines 1. Vk warte).
    David Borden hat, wenn ich nicht irre, ein Synthesizer-Ensemble gegründet und komponiert dafür recht eigenwillige Sachen.



    Na ja, und dann gibt es noch ein Dutzend anderer sehr interessanter oder schlicht von mir geschätzter Komponisten und etliche mehr, die meine Gunst eher nicht treffen. Aber das solls erst mal sein.

  • Hallo Edwin,


    die bereits von Dir genannten Komponisten Aaron Copland, Roy Harris, Samuel Barber, William Schuman, Samuel Barber, David Diamond, Ned Rorem und als Gipfelpunkt Leonard Bernstein schätze ich überaus.
    Hinzufügen würde ich noch William Kraft, Edgar Varese zu der moderneren Fraktion und ganz und gar "klassisch" Howard Hanson und George Gershwin.


    Ich bewundere das diese Komponisten im 20.Jahrhundert noch "anständige Musik" schreiben, die Gefühl und Wärme hat.
    Alles was nach Bernstein kam, gefällt mir gar nicht.


    :) Ausnahme wären die Werke von John Adams mit seiner Harmonielehre u.a. - mit ShakerLoops habe ich schon meine Schwierigkeiten, die sich in Langeweile äußert.
    :( Ich habe auch einige Versuche mit Philip Glass gemacht, aber das ist für mich derart fad und blöd, das ich zukünftig davon absehe mir diese Zeitverschwendung anzutun.
    Eine ElliotCarter-CD von ARTE, war zum Glück kein teurer Kauf - 5,00€ in den Sand gesetzt :stumm:.


    Nachdem was ich von Dir über Gunter Schuller gelesen habe, muß man ja eine direkte Antipathie gegen diesen Querolanten gegen Bernstein haben. Hat der wenigsten brauchbare Musik geschrieben ? Ich kenne nichts von ihm ?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Edwin,


    als ich Deine Thread-Einfühurng gelesen habe, ist mir erst aufgefallen, dass sich meine weiß Gott nicht zahlreichen Erfahrungen auf dem Gebiet der E-Musik des vorgerückten 20. Jahrhunderts (also nach 1945) tatsächlich hauptsächlich auf Komponisten amerikanischer Herkunft erstrecken.


    Scott Joplin, George Gershwin, Charles Ives, Aaron Copland und Leonard Bernstein waren die ersten Amerikaner, von denen ich zahlreiche Werke kennen und schätzen lernte.


    In den letzten Jahren sind -nicht zuletzt dank der verdienstvollen NAXOS-Reihe "American Classics"- noch ein paar weitere Werke dazu gekommen. Schön, dass man hier für wenig Geld auch mal "experimentierfreudig" und neugierig sein kann!


    Besonders gut gefallen haben mir dabei die 3 Symphonien von Ned Rorem (geb 1923) sowie die Niagara Falls-, Grand Canyon- und Mississippi-Suite von Ferde Grofé (1892-1972).




    Ich frage mch bloß, warum das so ist, dass einem etwas skeptischen Hörer gegenüber Komponisten des 20. Jahrhunderts wie mir der Zugang zu amerikanischen Komponisten so viel leichter fällt, als zu den europäischen Zeitgenossen?!?
    Vielleicht die weniger strenge, typisch locker amerikanische (und damit undogmatischere) Herangehensweise an die Komposition neuer Stücke?


    Ein spannendes Phänomen, wie ich finde. Jedenfalls bin ich seitdem -dank der überaus positiven Hörerlebnisse, die ich mit den obengenannten Herren gemacht habe- für weitere Erfahrungen dieser Art sehr aufgeschlossen :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo Edwin,


    die wichtigsten Namen sowohl der kompositorischen Avantgarde als auch der eher konservativen, neoklassischen Richtung in den USA hast Du ja bereits benannt. Von den Avantgardisten gefällt mir die Musik Morton Feldmans am ehesten, die für mich eine merkwürdige Schönheit ausstrahlt, auch wenn man bei seinem teilweise extrem langen Kompositionen doch sehr aufpassen muss, um die feinen Veränderungen in seinen "Patterns" mitzubekommen. Aus dem Cage-Umfeld wäre dann auch noch Christian Wolff zu nennen (sehr gute Aufnahmen dieser sog. "New York School" bei den verdienstvollen Labels "hat art" und "mode").


    Lehrer von Feldman und dem vor allem im Bereich der elektronischen Musik komponierenden David Tudor war der aus Deutschland 1938 in die USA emigrierte Stefan Wolpe, der selbst stark von der Zweiten Wiener Schule beeinflusst war. Eher eine Aussenseiterposition nahm der weitgehende Autodidakt Harry Partch ein, der mit Mikrointervallen experimentierte, eine neue Stimmung für Instrumente verwendete und teilweise sogar die Instrumente für seine Zwecke umbaute. Eine sehr späte Anerkennung fand auch der in Mexiko lebende Conlon Nancarrow, der bei Walter Piston und Roger Sessions studiert hatte und der für das sog. "Player Piano" komponierte, einer Art elektro-mechanisches Selbstspielklavier, da nur dieses Gerät in der Lage war, die aberwitzigen pianistischen Anforderungen Nancarrows zu realisieren.


    Weniger gefällt mir John Corigliano, dessen Werke zwar recht angenehm im Ohr klingen, mir aber insgesamt zu seicht und "glib" sind (am bekanntesten vielleicht durch seine Filmmusik zu "The Red Violin").


    Zwei Fragen hätte ich noch an Dich, da Du Dich ja sehr gut in der amerikanische Musikszene auskennst:


    - Welchen Einfluss hatte die von mir sehr geschätzte Musik von Carl Ruggles, der mit seinem atonal-expressionistischen Werk doch eigentlich eher quer zu den Trends der amerikanischen Musikgeschichte zu stehen scheint?


    - Und welche Spuren hat Paul Hindemith als Lehrer in den USA hinterlassen?


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher,

    Zitat

    Harry Partch


    ha, ich wußte, daß ich einen vergessen habe. Nämlich den Komponisten von "Delusion of the Fury" und anderer Werke!
    Dabei ist gerade er so ein wunderbares Beispiel für die Eigenbrötler-Richtung. Seine Werke können kaum aufgeführt werden, weil man die von ihm selbst gebauten Instrumente nur mit äußersten Schwierigkeiten transportieren kann. Die Gefahr der Beschädigung ist zu groß - z.B.: gibt es da Sätze von großen Glasglocken etc.
    Partch war einerseits von der fernöstlichen Musik beeinflußt, andererseits wollte er in seinen Bühnenwerken das griechische Drama wiedererwecken. Sprache und Musik gehen eine Verbindung ein, die im theoretischen Ansatz gar nicht weit von Orff entfernt ist, musikalisch aber völlig anders strukturiert ist und auch anders klingt.


    Außerdem habe ich Lou Harrison unterschlagen: Auch ein Eigenbrötler. Hat mit John Cage an Schlagzeugstücken gearbeitet, jedoch den Schritt in die Aleatorik nicht mitvollzogen. Harrison arbeitete hingegen oft mit Skalen ohne Halbtonschritte, wofür er teilweise eine völlig neue Stimmung für die Instrumente vorschreibt.
    Außerdem hatte die Gamelan-Musik großen Einfluß auf ihn, was man in den Besetzungen seiner Werke merkt - er schrieb etwa ein Konzert für Geige und Gamelanorchester.


    Ruggles ist IMO einer der ganz großen - und auch in den USA nach wie vor nicht genug anerkannten Komponisten. Michael Tilson-Thomas hat Ruggles' gesamtes Schaffen, nämlich etwa 10 Werke von keineswegs langer Spieldauer, auf zwei Langspielplatten aufgenommen, viel hat der Kerl halt nicht komponiert. Aber das Wenige ist von außerordentlicher Qualität.
    Ruggles postuliert ein chromatisches Beinahe-Total, d.h., er komponiert ohne Reihen mit freier Tonauswahl, wiederholt Töne aber erst, nachdem mindestens 9 andere erklungen sind. Die Musik ist dissonant und "atonal" - aber sie leuchtet und strahlt, wie wenig sonst. Ein Werk wie "Sun Treader" gehört für mich zu den Höhepunkten der Musik des 20. Jahrhunderts.
    Allerdings gehört er nur bedingt in diesen Thread, da nahezu alle Werke vor dem Stichdatum 1945 entstanden sind (Ruggles war, wie Ives, einer, der einfach zu komponieren aufhörte - eine Empfehlung, die man manchen der heute noch immer Schreibenden geben sollte).
    Nach 1945 fertig wurde "Organum", für mich seine absolut schönste Komposition, ein Werk, das Spannung, Ruhe und Dynamik zugleich ausstrahlt und etwas wie Magie und Vision entfaltet, ohne nachdrücklich darauf hinzuweisen.
    Ruggles Einfluß ist allerdings praktisch Null, weil seine Musik nach wie vor die große Unbekannte geblieben ist.


    Die Frage nach Hindemith und seinem Einfluß ist berechtigt: Hindemith hat insoferne Spuren hinterlassen, als die meisten seiner Schüler zu seinen Epigonen wurden und kaum hervortraten. Harold Shapero konnte sich ein wenig emanzipieren, Leonard Bernstein hat sich für seine "Symphonie für klassisches Orchester" eingesetzt - meiner Meinung nach verlorene Liebesmüh'. Das Werk verwendet in etwa das Orchester der späten Haydn-Symphonien, der Klang ist stark geschärfter Neoklassizismus, allerdings dermaßen verkrampft, daß sich das Werk kaum zu einem natürlichen Fluß entwickelt.
    Ein anderer Hindemith-Schüler, der sich abgenabelt hat, ist Mitch Leigh, der sich dem Musical zuwendete und einen Höhepunkt in diesem Bereich komponierte, nämlich den "Mann von La Mancha".



    Übrigens: Bei den Opernkomponisten habe ich einen unterschlagen, der nicht uninteressant ist, nämlich Jack Beeson. Beeson war Schüler von Bartók, was man seiner chromatisch gebrochenen Melodik anmerkt. Da diese Melodik dennoch ausgesprochen sinnfällig ist, steckt man Beeson oft in die Menotti-Schublade, wo er aber nicht hingehört.
    Zweifellos verwendet er Topoi der amerikanisierten Italianitá, aber die Harmonik ist konsequent dissonant, oft atonal, mitunter gibt es Reihenbildungen und chromatische Totals, die aber nicht zum Gesetz erhoben werden. Eine Oper wie "Lizzie Borden" nach einer Mordgeschichte im familiären Bereich (Morton Gould schrieb über die wahre Begebenheit sein Ballett "Fall River Legend") gehört zum Besten, was die US-Oper hervorgebracht hat und schlägt die süßlichen Produkte der Menotti-Nachfolger um Längen.
    Den großen Erfolg hat Beeson eher nicht gehabt, aber immerhin wurden fast alle seine Opern auf Schallplatte aufgenommen.
    Wenn sich jemand dafür interessiert: "Lizziie Borden" ist wirklich ein Knüller, die Aufnahme ist halbwegs gut gesungen, mittelprächtig in der orchestralen Leistung und etwas blamabel in der Tonqualität angesichts dessen, daß es sich um eine reguläre Studio-Aufnahme handelt.
    Gleiches läßt sich über "The Sweet Bye and Bye" sagen - nur, daß hier auch das Werk zwar einige Höhepunkte hat, als Ganzes aber nicht so unmittelbar anspricht, vielleicht weil die Thematik (ein Kriminalfall im Sektenmilieu) einfach nicht opernhaft wirkt, eher wie ein schlechter Film.
    "Captain Jinks" ist eine Komische Oper, in der Beeson, ähnlich Henze im "Jungen Lord", versucht, die Musiktypen des Genres quasi stilisiert einzusetzen - und es passiert ihm etwas ganz Ähnliches wie Henze: Er geht dem eigenen Material auf den Leim, und die Sache wird banaler, als es der Komponist angestrebt hat, der ja eigentlich die Banalität zitieren wollte. Sozusagen verfällt er in der musikalischen Erzählung von der Dritten Person in die Erste.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    wo es gerade um Opern geht:


    Kannst Du was zur Oper Harvey Milk sagen?


    Ein Werk von Stewart Wallace (?), das mich schon seit längerem interessieren würde, zu dem ich bisher aber nur sehr wenig Infos bekommen konnte...

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo MarcCologne,
    "Harvey Milk" gehört in die Reihe der tonalen Opern. Wallace versucht, Einflüsse von Britten, Menotti und Bernstein mit minimalistischen Verfahren zu verbinden, also ein Eklektizismus (was ich nicht abwertend meine), wie man ihm etwa auch bei Tobias Pickers "Emmeline" und "Therese Raquin" und in Previns "A Streetcar named Desire" begegnet.
    :hello:

    ...

  • Und mich würden noch einige Bemerkungen zum Musikstil über Ross Lee Finney, Ben Weber und Martin Mailman interessieren. Deren Violinkonzerte sind mir nicht bekannt und auch nicht kommerziell aufegnommen worden, werden aber immer wieder als wesentliche amerikanische Werke der Neuzeit genannt.


    Was da jemand was?

  • Einer meiner Lieblinge unter den Konventionellen ist Walter Piston. Ich habe ihn durch die Einspielung seiner 2. Symphonie durch Michael Tilson Thomas kennengelernt.
    Ein bezaubernd schönes Werk, sehr zurückhaltend im Wesen. "Eine Huldigung an die Vernunft" - wie im Booklet zu lesen ist - häufig muß man schon genauer hinhören um kurze, leidenschaftliche Bekundungen zu entdecken.


    Von seiner eigenen Zunft wurde er häufig bewundert (Stravinsky z.B.), das Publikum verhielt sich jedoch meist reserviert, so daß von einer Popularität größeren Ausmaßes a la Copland wohl kaum zu sprechen ist.


    Einer größeren Allgemeinheit ist er durch seine Ballettmusik The Incredible Flutist bekannt geworden.


    Werke, die nach 1945 entstanden sind:


    3. - 8. Symhonie
    Serenata für Orchester
    Bratschenkonzert
    Violinkonzert Nr. 2
    Fantasia für Violine und Orchester
    Turnbridge Fair für sinfon. Blasorchester
    Concerto for String Quartet, Winds and Percussion
    Quintett für Klavier und Streicher
    Bläserquintett
    Quartett für Klavier und Streicher
    Streichsextett
    Psalm und Gebet des David



    :hello:
    Wulf

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  • Da ist ja schon viel zusammengekommen.


    Meine Ergänzungen:


    zuerst mal die Senioren:


    Sehr schön ist ein Alterswerk (so alt war sie noch gar nicht) von Ruth Crawford nach ihrer Komponierpause, ein Bläserquintett, das aus den 50er Jahren stammt und recht durchhör und überblickbare Elemente in polyphonem Spiel überlagert, was mir manchmal wie eine Vorwegnahme späteren Minimalismusses (als der nicht mehr so minimal war) vorgekommen ist.


    George Antheil ist in seinem Spätwerk leider etwas "heruntergekommen", die Originalität seiner grandiosen 20er-Jahre-Werke scheint durch merkwürdiges Sichanhängen an große Vorbilder (Prokofieff) abgelöst worden zu sein. Ebenso ist Henry Cowell zum Neoklassizismus übergewechselt, ich bin mir aber nicht sicher, ob ich ein Stück nach 1945 von ihm kenne.


    Zwar schon erwähnt, aber nochmal unterstrichen werden muß Edgar Varese, dessen Déserts ein Hauptwerk der 50er Jahre ist, dass seinen früheren Stil (ebenfalls nach einer Komponierpause) durch radikale Kargheit überhöht und als eine Art klingender Monolit Verwandtschaft zum Werk von Xenakis hat, von dem die Architektur geplant war, in dem Varesens Poème electronique aufgeführt wurde (wenn ich da jetzt nicht was verwechsle). Dieses elektronische Werk hat mich in seiner eher zufällig wirkenden Collagierung verschiedener Geräusche aber wenig überzeugt.


    nun die nach dem 2. Weltkrieg hervorgetretenen:


    Dabei hat die amerikanische Elektronik schon was zu bieten. Von Otto Luening gibt es ein lyrisches Stück für Flöte und Tonband, Ussacheysky ist ein Beispiel für wilder klingende 50er/60er-Jahre-Tonbandmusik. Auch bei dem bereits erwähnten Milton Babbitt sollte man vor allem die elektronischen Werke nicht vergessen, eine sehr schöne Version ist "correspondences" für Streichorchester und weitgehend Sinustonartiges (die Version mit Klavier statt Strorch finde ich dagegen eher enttäuschend), das klingt sehr frisch, komplex und munter und mischt sich wunderbar. Zeitgleich (in den 60ern) macht James Tenney frühe algorithmische Tonbandkompositionen z.T. großer klanglicher Komplexität um dann 1969 eine radikale Wende zur Konzeptkunst minimalistischer Prägung zu vollführen mit dem meiner Ansicht nach sehr gelungenen Stück "For Ann, rising", das aus identen aufsteigenden Sinustönen besteht, woraus sich ergibt, dass das Stück erst im Ohr des Hörers entsteht, da man nicht in der Lage ist, auf alle diese vielen gleichzeitigen Sinustöne zu hören, sondern mit dem Bewußtsein immer unwillkürlich von einem Ton oder Rudel zu einem anderen noch weiter unten befindlichen umschlägt. Die 70er sehen dann die Blüte der Kunst der Verwendung der Frequenzmodulation für üppige Klangbänder bei John Chowning. In die Generation gehört noch Morton Subotnick, der eine eher verspielt chaotische Klangwelt in meinem Gedächtnis zurückgelassen hat.


    Im Kreis um Cage, dem wichtigsten amerikanischen Komponisten überhaupt, fehlen noch ein paar Fluxus-Mitstreiter: La Monte Young mit seiner berühmten Fluxus-Mappe, die wohl eher zur bildenden Kunst gehört, in der sich auch die unter seinen "Compositions" befand, die nur aus einem Strich besteht, und die Paik über den Boden kriechend realisierte, indem er mir seinem Haarschopf Farbe auf den Boden auftrug, die aber freilich auch musikalisch gedeutet werden sollte als lang ausgehaltener Ton als Vorahnung seiner späteren Beschäftigung mit langen Tönen und Stimmung, sein späteres Werk habe ich aber noch nicht zu Gehör bekommen. Auch Earle Brown schuf musikalische Graphik, die zum "Standartrepertoire" dieser Gattung zählt: folio november (mit Resten an Erinnerungsstücken an musikalische Notation) und folio december (ohne dergleichen). Aber zurück zum Fuxus: George Brecht mag man ja eventuell nicht als Komponisten ansehen, aber George Macunias ist mit seinem "Carpenter Piece" in die Musikgeschichte eingegangen, hier werdem einem Klavier alle Tasten festgenagelt, das Stück ist zu Ende, wenn man das Klavier nicht mehr bespielen kann.


    Freilich halte ich Cage, Feldman und Carter für viel besser als diese in jedem Falle aber interessanten Fluxuserkundungen im Graubereich zwischen den Künsten (deren beste natürlich wieder von Cage sind ;) ).


    Ich entdecke gerade mit Entsetzen, dass auch die wichtigsten Vertreter der Minimal Music noch fehlen: Den Beginn machte Terry Riley mit "In C", wohl auch einem Schlüsselwerk, das ich leider noch nicht gehört habe, bei dem aber wohl auch zufällig kombinierte (?) in C gehaltene Partikel einen repetiven Teppich wirken. Wesentlich strenger und von klassischer Vollkommenheit ist "Piano Phase" von Steve Reich, dem Vollender des Minimalismus, hier wird durch schrittweise allmähliche (nicht sprunghafte!) Phasenverschiebung das einfache diatonische Material von zwei Pianisten gegeneinader verschoben bis alle Varianten durch sind, dann dasselbe nochmals mit noch weniger Material. Auch "Four Organs" und "Phase Shifting" gehört in diese Phase strengen Minimalismusses, der in der Strenge dann noch durch den bereits erwähnten Tenney mit "For Ann, rising" übertroffen wird, wenn auch ohne "tonale" Elemente.


    Die weniger greisen Komponisten haben den Sprung über den Atlantik wohl etwas zu wenig geschafft. Druckman war mal bei Wien Modern mit einem mich keineswegs abschreckenden Stück für Posaune und Live-Elektronik zu hören, Daniel Rothman, der aus dem Jazz kommt, gab es mit einem witzigen bunten aber nie "wahllos" wirkenden Stück für computerbedientes Klavier, das Neugier auf mehr geweckt hat.


    Zuletzt kehre ich nochmal zum Tonband zurück, da ich oben nur die "klassischen" Werke bis in die 70er vorstellen wollte: William Schottstaedt ist für "Leviathan" berühmt, einem Knirsch-Epos gemacht aus Klängen brechender Mäste, das mir vor einigen Jahren nicht so recht gefallen wollte, mir zu sehr nach "Virtuel Reality" roch, dem ich aber heute durchaus eine zweite Chance in meinen Ohren geben würde.


    Im konservativen und populistischen Bereich hat mir bislang nur Copland sehr gut gefallen, dessen Violinsonate und Appalachian Spring aber leider knapp vor 1945 entstanden (wenn ich mich richtig erinnere). Bernstein ist mir ziemlich zuwider, er erscheint mir als verkommerzialisierte Konzertsaalversion der unerreichten Vorbilder Gershwin oder des Jazz, dessen Lebendigkeit durch Improvisation und vor allem schmutzige Tongebung einem staatstragenden Orchesterklang weicht: :kotz:

  • Hallo Kurzstueckmeister!


    Versuch' einmal Bernsteins "Halil", die 3. Symphonie und den "Dybbuk" - Du wirst merken, daß er keineswegs nur kommerziell dachte. Man muß ihn natürlich in das Umfeld des US-E-Musik-Mainstreams einbetten, aber wenn ich ihn an Schuman, Harris, Diamond und Konsorten messe, ist mir Bernstein um Klassen lieber.


    Bezüglich Cowell und Antheil sind wir einer Meinung, ich kenne von Cowell ein Streicherstück aus der Zeit nach 1945 - öde neoklassizistische Sache, nicht der Rede wert.


    Varèse kam bei mir nicht vor aus einem ganz persönlichen Grund: Ich rechne ihn immer zu den Franzosen. Ich weiß, ich weiß... Dennoch...


    Druckman hat mich meistens enttäuscht: Was in "Windows" durchaus funktioniert, nämlich einer Schicht Fenster einzubauen, die plötzlich "Blicke" auf andere Schichten ermöglichen, scheint mir auf die Dauer ein relativ billiges Verfahren, einerseits "Neue Musik" zu schreiben, andererseits das konservative Publikum mit "schönen Klängen" zu fangen.


    Übrigens fällt mir jetzt noch einer ein: Es gibt da einen gewissen Mel Powell, der offenbar (ich habe nie eine Partitur in der Hand gehabt) serielle und punktuelle Verfahren verbindet und dennoch eine mir durchaus expressive, kraftvolle Musik schreibt. Ich habe ein Konzert für 2 Klaviere und Orchester von ihm, dazu noch etwas Kammermusik. Begeistert mich nicht restlos, hat aber mein Interesse nie einschlafen lassen.


    :hello:

    ...

  • ich möchte meinen Beitrag mit einem Zitat des bei Tamino eher unterrepräsentierten Clint Eastwood beginnen: "Die einzigen Kunstformen, die die USA im 20. Jahrhundert hervorgebracht haben, sind der Western und der Jazz."


    Das zitiere ich deshalb, weil Edwin nach der amerikanischen E-Musik nach 1945 fragte. Und genau hier will ich sagen, dass man diese kurz und knapp benennen kann: Jazz. Allerdings steht man mit dieser Aussage auch vor Problemen. Der Jazz hat sich erst ab den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts von einer Unterhaltungs- und Tanzmusik hin zur E-Musik verändert. Als solche gehorcht er allerdings ganz anderen Gesetzen als die europäische E-Musik. So steht beispielsweise die Komposition nicht im Vordergrund. Mittelpunkt ist der ausführende Musiker selbst, der sich durch seine Improvisation als "instant composer" stets aufs Neue zu beweisen hat.


    Als einer der einflussreichsten Menschen im amerikanischen Musikmarkt gilt der Trompeter Wynton Marsalis, bei Tamino vielleicht bekannt durch seine klassischen Einspielungen von Hummel, Haydn u.a. und seinen Einspielungen mit Frau Battle. Er entstammt einer Jazzmusiker-Dynastie aus New Orleans und ist mittlerweile Musikalischer Leiter des Lincoln Center in New York und somit auf einem der wichtigsten Musikposten des Landes überhaupt.


    Seine Bestrebungen forcieren die Etablierung des Jazz als die Klassische Musik Amerikas im 20. Jahrhundert. Den Respekt, den er für diese Musik einfordert, kann ich nachvollziehen. Die Mittel, die er anwendet, jedoch nicht. Denn was er macht, ist Jazz aufzuführen, z. B. Duke Ellingtons Partituren in einem abendfüllenden Programm mithilfe einer beschlipsten und beanzugten Big Band artig zu interpretieren. Seht her, will Marsalis sagen, so ist er, der Jazz. Ist er aber nicht. Er funktioniert eben gerade nicht wie die Klassische Musik. Er will nicht interpretieren, sondern sich besten Falle Abend für Abend neu erfinden. (Was selbstverständlich nur in den wenigsten Fällen auch klappt...) Dazu kommt, dass der Mann und seine Mitstreiter an einem Kanon basteln, wer denn nun zum Jazz gehört und wer nicht. Europäer fliegen da sowieso raus. Musiker, die sich nicht dem triolischen Schema und den Blue Notes fügen, ebenso.


    Komme ich zu den amerikanischen Komponisten, die Elemente des Jazz in ihre Musik zu integrieren versuchten. Genau wie bei Marsalis' Bestrebungen, den Jazz auf Konzertsaal-Format zu trimmen, vermisse ich auch beispielweise bei Gershwin das wahre Feuer, das der Jazz entfachen kann. Wenn ich in ein Jazz-Konzert gehe, frage ich mich nicht, wie spielt er Stück XY denn wohl, sondern was, wie und mit wem spielt er denn überhaupt. Entgegen meinem Vorredner geht es mir bei Bernstein da schon deutlich besser. Selbst in niedergeschriebenen Partituren finde ich dort etwas dieses Flirrens, Nervösem und Unvorhergesehen, das dem Jazz immanent ist. Harmonisch hat der Jazz der europäischen Musik nicht viel hinzufügen können. Rhythmisch dafür umso mehr. Und gerade hier habe ich auch an Bernstein meine wahre Freude. Einziger Grenzgänger, von dem ich aber vollends überzeugt bin, ist angesprochener Gunther Schuller. Erstens fangen Stücke wie ""Transformations" oder "Conversations" viel von dem ein, was mir im Jazz wichtig ist. Zudem hat er auch innerhalb des Jazz, beispielsweise mit seiner Zusammenarbeit mit Miles Davis, Tolles vollbracht. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass es eine stilistische Richtung im Jazz gegeben hat, den Schuller selbst etwas ungelenk als "Third Stream" bezeichnete.


    Betrachte ich nun die amerikanischen Komponisten, die auf den ersten Blick sich nicht in erster Linie vom Jazz haben inspirieren lassen, so muss ich schon Samuel Barber und mit Abstrichen Aaron Copland zu meinen Favoriten zählen. Auch wenn Edwin diese zu den von Boulanger verseuchten Neoklassizisten zählt, wobei ich mir auch bei mehrmaligem Lesen frage, ob das despektierlich gemeint war... :hello: Die drei großen Instrumentalkonzerte Barbers oder sein Streichquartett sind mir immer wieder einen Griff ins Regal wert.


    Lou Harrison habe ich auch unlängst mit der Suite für Streicher kennengelernt. Diese ist, wie Edwin erwähnte, an der Gamelan-Musik angelehnt und hat mir viel Freude bereitet. Wer, wenn ich ihn nicht überlesen habe, noch fehlt, ist Alan Hovhaness. Nicht, dass ich ihn empfehlen möchte, doch seine eigenbrötlerische Arbeit an mehr als 100 Sinfonien finde ich bemerkenswert. Schade nur dass sie alle so klingen, als seien Vaughan Williams die Ideen ausgegegangen...


    Zum Schluss noch die Bemerkung, dass ich mich über diesen Thread sehr freue, hat er mir doch wieder Anreize gesetzt, meinen Fundus zu erweitern. Herr Ruggles zum Beispiel wird mir wohl eine Anschaffung wert sein.


    Gruß
    B.

  • Zitat

    so muss ich schon Samuel Barber und mit Abstrichen Aaron Copland zu meinen Favoriten zählen. Auch wenn Edwin diese zu den von Boulanger verseuchten Neoklassizisten zählt, wobei ich mir auch bei mehrmaligem Lesen frage, ob das despektierlich gemeint war...


    Hallo Barbirolli!
    Oh ja, es war despektierlich gemeint. Und wie!
    Die ganze Boulangerie klingt nahezu indentisch. Immer wieder die gleichen "erlernbaren Melodien" über leicht verschmutzter Harmonik, die im wesentlichen aus einem diatonischen dissonanten Satz besteht mit plötzlichen Chromatismen. Ich kenne nur einen Boulanger-Zögling, der sich allmählich nachhaltig ihrem Einfluß entziehen konnte, das ist Ned Rorem.
    Samuel Barber hingegen ist, wie sein damaliger Lebensgefährte Gian-Carlo Menotti, frei vom Boulangerismus, beide sind Schüler von Rosario Scalero am Curtis Institute gewesen.
    Wenn man die Musik von Harris und Copland (beide B.-bedient) mit Barber und Menotti vergleicht, wird einem schnell der völlig andere Klang und der andere Melodietypus auffallen. Ich meine das keineswegs als Werturteil, zumal Coplands späte Werke wie "Inscape" erstaunliche Musik enthalten.
    :hello:

    ...

  • Ja,im Jazz sehe ich auch die wesentliche Leistung der amerikanischen Musik des 20. Jahrhunderts. In seiner Folge gibt es aber auch neue Entwicklungen. Das sind für mich in erster Linie die Komponisten, die das Projekt "Bang on a Can" gegründet haben: Julia Wolfe, David Lang und Michael Gordon. Ich scheue mich nicht etwas euphorisch zu sagen, dass sie von den mir bekannten neuen Komponisten am besten und für mich persönlich nachvollziehbarsten das Lebensgefühl treffen, wie es jemanden ergangen ist, der die letzten Jahrzehnte mit erlebt hat.


    Wenn ich die Zeit finde, nach Neuerungen in der Musik Ausschau zu halten, dann lese ich vor allem, was in ihrem Umfeld veröffentlicht und angeboten wird.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Ich möchte mal diese Frage stellen: Wieso gerade 1945? Für Europa ist der Schnitt in diesem Jahr einleuchtend, aber IMHO nicht für die USA. Eher schon 1914, als die Reisen junger amerikanischer Komponisten nach D aufhörten.


    Mir stellt sich die Frage, wel ich gerade diese CD höre:



    und alle Komponisten vor und nach 1945 tätig waren. Von den Lebensjahren her gilt das auch für zahllose andere Komponisten.

  • Hallo Robert,


    natürlich ist die wesentliche Grenze der Schritt zur "Neuen Musik" um 1910. Auch in Europa.


    Aber eine Radikalisierung nach dem 2. Weltkrieg gibt es auch in den USA. Das Werk von Cage, Feldman, Carter, Babbitt, Crumb und Reich, um einmal nur die wichtigsten Komponisten zu nennen, rechtfertigt schon, die Nachkriegsavantgarde auch in den USA als etwas von den radikal Modernen der ersten Jahrhunderthälfte unterschiedenes zu sehen.


    Andererseits frage ich mich, wo in diesem Forum das Werk von Ives, Ruggles, Crawford, Antheil und Cowell gebührend gewürdigt werden soll, da ein erster "amerikanische Musik"-Thread mit all den Leichtgewichten mit Ohrwurmqualität derart überschwemmt wurde, dass von Antheil vergleichsweise kaum Notiz genommen wurde.


    Dasselbe hätte hier eigentlich auch passieren müssen, ist doch ein Großteil der seichteren amerikanischen E-Musik nach 1945 angesiedelt. Das "nach 1945" im Threadtitel hat aber offenbar allarmierende Wirkung, weil damit eher Cage als Bernstein assoziiert wird.

  • Zitat

    weil damit eher Cage als Bernstein assoziiert wird.


    Ich wollte eigentlich die radikaleren Strömungen der US-Musik beleuchten. Obwohl ich mich zu meiner Schwäche für Bernsteins Musik bekenne, schiene es mir wichtig auf weniger bekannte Komponisten hinzuweisen, die aufgrund einer weniger ohrfälligen Musik nicht einmal in ihrer Heimat wirklich Fuß fassen konnten.
    Damit meine ich nicht einmal so sehr Cage und Feldman (beide haben eigene Threads bzw. sollten sie bekommen), sondern Erscheinungen wie Harrison, Partch, Babbitt, auch Sessions (der seine Hauptwerke nach 1945 komponiert hat).
    Meiner Meinung nach gibt das Material genug her, um Threads folgen zu lassen, die eine Differenzierung zwischen der populären und der avantgardistischen Richtung vornehmen. Aber schauen wir einmal, wie dieser Thread sich überhaupt entwickelt.

    ...

  • Hallo van Rossum,
    Ich fürchte, daß dieses Werk Babbitts nie aufgenommen worden ist. Einzige Möglichkeit, die mir einfällt: Anfrage bei Schirmer - eventuell, wer das Stück uraufgeführt hat; danach Anfrage beim Solisten. Der hat zweifellos ein Band.
    :hello:

    ...

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  • Weiß wer was, bzw. mehr . . . über William Russo (1928- 2003)?


    Nur durch einen Zufall kam ich hinter ein Stück von ihm, als ich mir vor Jahren eine CD mit Teilen der Westside Story, auch Gershwin ist dabei, zulegte und dieses (ca.) halbstündige Werk angefügt ist. Es heißt: “Street Music - A Blues Concerto”
    Das originelle daran ist, dass als Soloinstrument zum San Francisco Symphony Orchester (Seji Ozawa) eine Mundharmonika spielt, großartig virtuos beherrscht, und das Stück kaum einmal in einer Konzertübertragung zu hören ist.
    Mir gefällt es ausgesprochen gut, da es Stimmungsbilder wiedergibt (Geschehen auf der Straße, dunkle Gassen ect.), die zu vielerlei Phantasien anregen. Ich höre u. a. das nächtliche, vergeblich suchende, “Miauen” einer streunenden Katze heraus, aber Spaß beiseite, jeder wird etwas anderes entdecken. Auf jeden Fall sehr gekonnte Stimmungsbilder.


    Liebe Grüße
    Edmund

  • Hallo Edmund,


    von William Russo kenne ich nicht viel und nur die Inhalte des sehr gut beschriebenen CD-Covers der nachfolgenden DG-CD über die Entstehungsgeschichte der Projekte mit der Siegel-Schwall-Band aus San Franciso und Seiji Ozawa, der Russo zu den Kompositionen animierte.


    Wenn Dir die Street-Music (das ist das zweite CD-Projekt mit Ozawa) gut gefällt, dann werden Dir auch die
    3Stücke für Blues-Band und Symphony Orchestra op.50 gut gefallen.
    Die von Dir genannte DG-Aufnahme mit Gershwin und Bernstein habe ich auch in einer anderen Zusammenstellung, aber ohne die Steet-Music, sondern mit den 3Stücken op.50.


    Nun gibt es diese DG-CD mit beiden William Russo - Werken:



    3 Stücke für Blues Band & Orchester op. 50
    +Blues Concerto op. 65 "Street Music"
    +Gershwin:An American in Paris

    Siegel, Siegel-Schwall-Band, San Francisco SO,
    Seiji Ozawa

    DG, 1972/7, ADD


    :] Mir gefallen die 3 Pieces op.50 sehr gut. Die Instrumentation mit Mundharmonika, Jazz-Band und großem Orchester ist somit ähnlich, wie bei der Street Music.


    8) Die Geschmäcker sind verschieden. Während mir Russo hier super gefällt, habe ich auch schon die Erfahrung gemacht, das die Musik einigen überhaupt nicht zusagt, nachdem ich davon Kostproben gegeben habe - andere Klasikhörer waren hingegen begeistert.
    Der reine Klassikliebhaber wird es warscheinlich abstoßend finden.


    In 2005 habe ich einen Thread zu William Russo eingestellt, der jedoch ohne große Resonanz blieb (ich glaube er ist nichtmal im Themenverzeichnis).
    Es war ein Kenner der Szene, der sich nicht gerade positiv zu Russo´s op.50 äußerte, da ihm die Original-Jazz-Stücke, an denen sich Russo orientiert, lieber waren.
    :yes:Ich finde hingegen Russo´s Projekt mit Ozawa und der Siegel-Schwall-Band einäußerst gelungenes Ergebnis:
    Nicht ohne Grund jetzt auf den DG-Originals wiederveröffentlicht.


    :)Noch eins:
    Bei den 3Pieces op.50 geht es "richtig Rund" - klasse Musik des 20.Jahrhunderts; mal ganz anders als gewohnt - mit Jazz-Band.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich habe oben den mir bekannten elektronischen Tenney der 60er Jahre versucht zu beschreiben.


    An "for Ann, rising" schließt er mit einem Solo-Violinwerk an, dass aus einer gebundenen Achtelkette besteht, wobei mit den untersten leeren Saiten begonnen wird, der untere Ton langsam glissandiert bis zum Kammer-a, dann wird dasselbe Spiel nahtlos mit den beiden Mittelsaiten gemacht u.s.w. Zum Schluss hängt er ein Verdämmern ins Geräusch an, das mir eher entbehrlich vorkommt (wieso nicht mit a-e oder e-h enden?)


    Später wirds etwas unübersichtlicher. Da gibt es ein Stück "in Form einer Birne" als Hommage an Satie, wobei lt. Begleitheft eine pointillistische Birne auf dem Blatt zu finden ist, ohne Anweisungen, wie das akustisch umgesetzt werden soll. Da ich Mitkrointervalle höre, obwohl Klavierklänge auf der CD sind, schließe ich auf eine elektronische quasi-instrumentale Umsetzung. Andere Stücke klingen so sehr nach Ruth Crawfords Piano-Akzente, denen eine Crawford-artige Violinmelodie entgegengesetzt wird, dass ich nicht so ganz sehe, wo denn nun "der springende Punkt" ist - ich fürchte, ohne die Partitur wird sich in manchen Fällen die Intention nicht ganz nachvollziehen lassen.


    Jedenfalls ist die Klarheit des Konzepts und die Perfektion der akustischen Umsetzung - oder gerade deren Identität - die ich bei "for Ann, rising" so hoch schätze, im späteren Werk nicht mehr zu finden. Vielleicht ist auch einfach der CD-Begleittext zu wenig ausführlich und man sollte es ohnehin begrüßen, wenn ein Komponist nicht bei einer gelungenen Stufe anhält sondern weitergeht - auch wenns nicht mehr so "zwingend" wirkt, was nachkommt.
    :hello:

  • Hallo Wolfgang,
    die 3Stücke für Blues-Band und Symphony Orchestra op.50 von Russo habe ich auch immer gerne gehört.
    Schön, daß sie auf CD herausgekommen sind, da mir die alte LP leider abhanden gekommen ist.
    Wunderbare 70er "Crossover" Musik, würde ich sagen, in jedem Falle lohnend, wenn man nicht

    Zitat

    Es war ein Kenner der Szene, der sich nicht gerade positiv zu Russo´s op.50 äußerte, da ihm die Original-Jazz-Stücke, an denen sich Russo orientiert, lieber waren


    Erbsenzähler ist.


    Nicht wirklich wichtig, aber ich besitze da noch ein wirklich fetziges und unterhaltsames Violinkonzert von Robert Mcbride, der 1911 in Tucson geboren wurde, welches Lust auf weitere Werke dieses Komponisten macht.
    Allerdings ist mir seit 1979, als ich die Schallplatte (Desto-Records mit Maurice Wilk-Violine) kaufte, nichts weiteres mehr von diesem Komponisten über den Weg gelaufen außer der Tatsache, daß er offiziell Gershwins "Second Rhapsody" instrumentatorisch überarbeitet hat und Professsor in Tucson war.
    Maurice Wilk scheint ein ganz herausragender Geiger gewesen zu sein, er starb bereits 1963, wahrscheinlich relativ jung. ?(
    Gibt es weitere Aufnahmen mit ihm und wer kennt seinen Lebenslauf?
    Das würde mich sehr interessieren.


    Nicht unterschlagen möchte ich, daß der bedeutende Filmkomponist Bernard Herrmann (1911-1975) trotz einer großen Ausrichtung nach England Amerikaner war.
    "http://de.wikipedia.org/wiki/Bernard_Herrmann"


    Seine Sinfonie von 1941 finde ich mehr als beachtlich- überwiegend sogar ziemlich großartig- und würde mir wünschen, daß sie wesentlich öfter aufgeführt (und endlich auch einmal gedruckt herausgegeben) würde.

    Die Bezeichnung auf der tollen Koch-Aufnahme als Symphony No.1 ist übrigens völliger Quatsch, denn es gab niemals eine 2.Sinfonie :D -leider.


    Wenn man bei Google Bernard Herrmann Symphony eingibt, erhällt man mehrere Seiten, auf denen es Klangbeispiele der Aufnahmen unter Herrmann (Unicorn) selber sowie Sedares (Koch) gibt.
    Und vor allem die Möglichkeit, sich diese sehr, sehr lohnende Sinfonie noch zu kaufen.
    Beide Aufnahmen sind offiziell nicht mehr erhälltlich.
    Ich bevorzuge übrigens deutlich die Sedares-Aufnahme mit der Phoenix Symphony.
    :hello:
    LG,
    Michael

  • eine interessante komponistin ist gloria coates: sie ist 1938 in wisconsin geboren, lebt und schafft aber seit 1969 in europa (münchen).


    ihre musik ist sehr eigen, geprägt vom fast ständigen einsatz des glissando. durch diese werden spannungsreiche, langgezogene musikalische bögen gebildet, die sich nach und nach verändern und so der musik den charakter einer langsamen und stetigen entwicklung geben. aus den glissando-klangflächen schälen sich immer wieder einzelne kontrastierende figuren heraus, die der musik komplexität und struktur geben.


    coates werkverzeichnis ist recht umfangreich und umfasst nahezu alle bereiche der e-musik (symphonien, orchestermusik, kammermusik, vokales, bühnenwerke). es gibt eine reihe von cd's, u.a. streichquartette und symphonien bei naxos, sowie symphonien/orchesterwerke bei cpo.


    besonders gelungen finde ich den ersten satz der 4. symphonie, der auf didos schlussgesang aus purcells dido und aeneas beruht. die melodie schält sich hier immer wieder aus den glissandi heraus, das ist toll gemacht.



    hier gibt es eine interessante und recht umfangreiche website:
    "http://home.wanadoo.nl/eli.ichie/coates.html"


    greetings, uhlmann

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Ruggles postuliert ein chromatisches Beinahe-Total, d.h., er komponiert ohne Reihen mit freier Tonauswahl, wiederholt Töne aber erst, nachdem mindestens 9 andere erklungen sind. Die Musik ist dissonant und "atonal" - aber sie leuchtet und strahlt, wie wenig sonst. Ein Werk wie "Sun Treader" gehört für mich zu den Höhepunkten der Musik des 20. Jahrhunderts.


    Hab mir gestern abend mal wieder den Sun Treader zu Gemüte geführt. Ich bin begeistert wie nie zuvor. Lange Zeit schien mir das Werk in seinem herb-dissonanten Stil weniger zugänglich als die gefälige, elegant komponierte 2. Symphonie von Piston oder gar als die Three Places in New England von Ives. Was für ein fataler Irrtum. Dieser Sun-Treader ist mir ab jetzt das liebste Werk von den drei auf dieser folgenden CD versammelten Werke.


    Was für eine Kraft, was für eine Vision. Musik stärkster Kontraste, klar und kühl wie Gebirgswasser, massiv wie die Berge selbst.


    Ruggles ließ sich durch eine Lobrede Brownings auf den englischen Dichterfürsten Percy Shelley inspirieren, der über selbigen in Metaphern von marschierenden Riesen sprach.
    Wenn nach Passagen lyrischster Verhaltenheit, dann plötzlich - jedoch ganz organsich und ohne den Hörer zu erschrecken - die das Stück einleitenden Blechbläserakkorde über beschleunigt geschlagene, dröhnende Kesselpauken einsetzen, dann sieht man sie vor sich: marschierende Riesen. Musik von einer Urwüchsigkeit, wie man sie selten in so reiner Form hört.Ruggles hat für das Werk fünf Jahre benötigt. Mit seiner Spieldauer von einer guten Viertel Stunde ist es bereits wohl das längste unter seinen Werken, aber ein Werk unglaublicher Perfektion und Klarheit, das ich JEDEM, der sich nur ansatzweise mit Musik des 20. Jhd. beschäftigt unbedingt empfehlen möchte. :yes::yes:



    :jubel::jubel::jubel:



    :hello:
    Wulf

  • George Frederick McKay wurde 1899 im Bundesstaat Washington geboren. In Seattle studierte er Musik und Komposition, etwas später durch ein Stipendium auch an der Eastman School of Music in Rochester. Später übernahm er eine Professur in Seattle, die er mehr als 40 Jahre innehatte. Zu seinen Schülern zählten u.a. William Bolcom und John Cage.



    Das Violinkonzert hat er 1940 für den Heifetz-Wettbewerb geschrieben. Gewonnen hat ein Konkurrent, Heifetz fand dennoch anerkennende Worte für das Werk. Das Konzert ist formal streng, dreisätzig (schnell-langsam-schnell) und bietet im dritten Satz schöne tänzerische Elemente und endet regelrecht im Triumph.


    Harbor Narrative (1934) ist ein neunsätziges Orchesterstück mit dominierendem Einsatz des Klaviers, für das es ursprünglich auch komponiert wurde. Das Werk beschreibt episodenhaft Aspekte einer Bootsfahrt durch den Puget Sound und den Hafen Seattles.


    Das viersätzige From a Moonlit Ceremony (1945) beruht größtenteils auf indianischen Melodien, die McKay nach dem Besuch einer indianischen Zeremonie in Washington gesammelt hat. Ab Mitte der vierziger Jahre bemühte sich auch McKay, so etwas wie eine amerikanische Tonsprache zu entwickeln, die sich deutlicher von den europäischen Vorbildern lösen sollte.


    Von McKay existieren insgesamt 5 Sinfoniettas, in denen er stilistisch suchte und sich ausprobierte, bis er 1951 die Evocation Symphony - Symphony for Seattle zur Hundertjahrfeier der Stadt herausbrachte. In ihr scheint er die vielfältigen Einflüsse und Stilmittel am schlüssigesten zusammengeführt zu haben. Der Orchesterklang - in einigen Werken schon ausprobiert und angedeutet - klingt hier erstmals unverwechselbar und ist in seiner rauhen Klarheit von hohem Wiedererkunngswert.


    McKay starb 1970. Viele seiner Werke sind erst posthum aufgeführt oder veröffentlicht worden. Naxos hat einige seiner Orchesterwerke herausgegeben, eingespielt vom Radio-Sinfonie-Orchester der Ukraine. (Warum eigentlich nicht mit dem Seattle Symphony - das hätte gerade hier gepasst, hat McKay Zeit seines Lebens doch mit diesem Ensemble gearbeitet...)


    LG
    B.

  • Der amerikanische Komponist Richard Danielpour (Jahrgang 1956) mischt aus "West Side Story", Minimal Music und amerikanischer Symphonik (Barber, Copland etc.) eine kurzweilige Melange zusammen, die in den USA ziemlich erfolgreich ist und es hier inzwischen immerhin schon in die Abbey-Road-Studies in London auf die Notenpulte des Philharmonia Orchestras geschafft hat. Das ist vielleicht nicht sehr tief schürfende Musik, aber unterhaltsam ist sie schon.


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