Beethovens 9. in der Fassung von Gustav Mahler?

  • Liebe Musikfreunde,


    einige von euch werde wohl die Streichorchesterfassung Mahlers von Schuberts "Tod und das Mädchen" kennen. Viel weniger werden aber wohl wissen, dass Mahler auch versucht hat, die Schwächen Beethovens Instrumentierung zu bereinigen und eine eigene Fassung der 9. Sinfonie instrumentiert hat.


    Dazu nun die Frage: Wer kann mir sagen, ob und gegebenenfalls wo diese Fassung jemals auch auf Tonträger aufgenommen worden ist?

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

    Einmal editiert, zuletzt von a.b. ()

  • Es gibt ziemlich viele mehr oder weniger geringfügige Instrumentationseingriffe in Beethovens Sinfonien; am verbreitsten dürften die von Weingartner sein. Sie betreffen nicht nur die 9. (hier ist ein in vielen Aufnahmen zu hörendes Detail die "Verstärkung" der Holzbläser durch Hörner im 2. Thema des molto vivace der 9.), sondern vermutlich alle 9 Sinfonien. Z.B. gibt es in der Eroica eine oder zwei Stellen, wo im Orignal nur Holzbläser spielen, die dann häufig von einer Trompete verstärkt werden und die einzige mir noch konkret bekannte Stelle ist die Reprise im Kopfsatz der 8., wo Beethovens Witz, das wiederkehrende Thema in den Celli von einem fff des gesamten Orchesters übertönen zu lassen durch eine Verstärkung mit Hörnern konterkariert wird. (letzteres hat IIRC sogar der Maestro com' escritto Toscanini gemacht :rolleyes: )
    Viele Kleinigkeiten hört man als Laie ohne kritische Partiturausgabe vermutlich gar nicht.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo a.b.,


    bei "Bridge" ist eine Aufnahme von Beethovens 9. mit den Mahler-Retuschen von 1895 erschienen:



    Beethoven Symphony No. 9
    1895 orchestration by Gustav Mahler


    Leah Anne Myers, soprano
    llene Sameth, mezzo-soprano
    James Clark, tenor
    Richard Conant, bass-baritone
    Brno Philharmonic Orchestra
    Janacek Opera Choir
    Peter Tiboris, conductor


    BRIDGE 9033


    Gibt es beim deutschen amazon-Ableger für etwa 13 Euro (incl. Porto)


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)


  • das frage ich mich allerdings auch? ich habe nur von der einfügung von posaunenstimmen durch monteux gehört, der schwachsinnigerweise meinte, b. könne ja nicht instrumentieren :motz:....

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    Original von klingsor


    das frage ich mich allerdings auch? ich habe nur von der einfügung von posaunenstimmen durch monteux gehört, der schwachsinnigerweise meinte, b. könne ja nicht instrumentieren :motz:....


    Ich meine, sogar Lennie hätte das in einer Fernseheinführung mal gesagt. :rolleyes:


    Noch ein Fall: der Anfang des 2. Thema sin der 5., 1. Satz (bababa baa baaaa) in der Reprise. Im Original von den Fagotten gespielt. Da es in der Expo die Hörner haben und Naturhörner es so wie es in der Reprise liegt (C-Dur statt Es-Dur wahrscheinlich) damals nicht gut spielen konnten oder was auch immer, wird die Stelle in der Reprise manchmal ebenfalls den Hörnern gegeben. Man weiß aber halt nicht, ob Beethoven, nicht absichtlich den etwas skurrilen Effekt mit den Fagotten im Sinn hatte...
    Ich finde außerdem Instrumentation per se eh überschätzt, abgesehn davon gibt es bei Beethoven genügend ganz wundervolle Instrumentationseffekte, z.B. im 4. Klavierkonzert, Trompeten und Pauken erst im Finale, nach dem düsteren, streicherdominierten Mittelsatz auftreten zu lassen. Oder die Klarinetten und Celli später in diesem Finale. Oder die adagios in der 4. und 9. usw. :jubel:

    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

  • In Wien bekommt man demnächst Gelegenheit, die von Mahler retuschierte Version zu hören, und zwar im Musikverein am 29. september. Kristjan Järvi dirigiert das Niederösterreichische Tonkünstlerorchester, es singen der Slowakische Philharmonische Chor, Gabriele Fontana, Barbara Hölzl, Arnold Bezuyen und Reinhard Mayr.
    Im ersten Teil ist der "Cantus in memoriam Benjamin Britten" von Arvo Pärt angesetzt.

    ...

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Im Original von den Fagotten gespielt. Da es in der Expo die Hörner haben und Naturhörner es so wie es in der Reprise liegt (C-Dur statt Es-Dur wahrscheinlich) damals nicht gut spielen konnten oder was auch immer, wird die Stelle in der Reprise manchmal ebenfalls den Hörnern gegeben.


    Humbug. Sie konnten - und mussten bereits bei Mozart und Haydn. Bzw. sollte man schreiben: Sie hatten zu können... :D


    In Mozart d-moll-Konzert KV 466 z.B. haben die D-Hörner in T178/79 [notiert] Es-B [gehört: F-C]. Von dieser Lappalie abgesehen: Denke einfach mal an Mozarts oder Haydns Hornkonzerte - die wurde damals ohne Ventile gespielt, heute klappt es nichtmal mit...


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli


    Humbug. Sie konnten - und mussten bereits bei Mozart und Haydn. Bzw. sollte man schreiben: Sie hatten zu können... :D


    In Mozart d-moll-Konzert KV 466 z.B. haben die D-Hörner in T178/79 [notiert] Es-B [gehört: F-C]. Von dieser Lappalie abgesehen: Denke einfach mal an Mozarts oder Haydns Hornkonzerte - die wurde damals ohne Ventile gespielt, heute klappt es nichtmal mit...


    Ich habee das irgendwo gelesen, mir kommt es ja selbst ziemlich seltsam vor. Vielleicht war es spielebar aber "gestopft" oder so, damit der Fanfarencharakter unmöglich?? Aber er hatte ja in der Eroica schon ein drittes Horn; er hätte auch hier eines in G oder C (im 2. u. 4. Satz sind corni in C verlangt, in 1. und 3. in Es) dazunehmen können (schließlich kommen nachher ja sogar noch Piccolo, Kontrafagott und Posaunen). Die ganze Stelle ist außerdem anders instrumentiert. Beide Male antworten zunächst die Streicher mit der Melodie des eigtl. 2. Themas, in der Expo wird es dann zuerst von Klar. wiederholt, in der Reprise von Flöten usw.


    Ich habe jetzt mal in ein paar Aufnahmen (ich habe perverserweise noch etliche mehr, aber die HIPster spar ich mir und auch keine Lust noch mehr zu suchen) hineingehört:


    Weingartner hat natürlich Hörner
    Leibowitz: Hörner
    Wand: Fagotte
    Gielen: Fagotte
    Markevitch 1959: Hörner
    Cluytens ca. 1960: Hier habe ich den Eindruck, die Fagotte spielen mit den Hörnern...Es spielen jedenfalls Hörner, klingen aber eigenartig
    Furtwängler live 1943: Hörner
    Karajan 1962: Hörner
    Barenboim 1999: Hörner
    Kleiber 1975 hat Fagotte, das weiß ich ohne nachzuhören. Mich wundert, dass mir die Hörner nie wirklich aufgefallen sind, da ich mit Kleibers, der ff knarzende Fagotte hat aufgewachsen bin.


    viele Grüße


    JR

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  • Salut,


    gestopfte Hörner und Trompeten gibt es bereits in Mozarts Idomeneo - das aber nur wegen des Effektes [brieflich überliefert: Mozart bestellt die Stopfen bei Leopold!], dass sie aus der Entfernung klingen [erinnere Dich an den entsprechenden Marsch und die anschliessende Frage: "Was ist das für Siegesmusik?"]. Drei Hörner dienen m. E. nach "nur" dem Effekt, dass es eben blecherner klingt. Wie Du richtig sagst,


    Zitat

    hätte auch hier eines in G oder C (im 2. u. 4. Satz sind corni in C verlangt, in 1. und 3. in Es) dazunehmen können

    .


    Die Stelle ist daher absichtlich den Fagöttern zugeteilt, ich finde auch dass es besonders reizvoll klingt, da man es so nicht unbedingt erwartet. Um das Werk insgesamt heroischer klingen zu lassen, muß man natürlich die Fagotte an besagte Stellen gegen Hörner oder Posaunen tauschen.


    Übrigens sollte man nicht vergessen, dass die Eroica mit nur drei Violinen uraufgeführt wurde.


    :hello:


    Ulli

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Geht zwar wieder nicht um die Neunte, aber um bei der Instrumentierung zu bleiben - in diesem Beiheft schreibt Brigitte Massin:



    Zitat

    [...] In seinen beiden ersten Symphonien, C-Dur und D-Dur, bediente sich Beethoven praktisch der gleichen musikalischen Besetzung wie Mozart (das Orchester des Hofes zu Salzburg bestand aus lediglich 36 Instrumenten). Von einigen Ausnahmen abgesehen (eine oder zwei Flöten, kein systematischer Einsatz von Klarinetten bzw. Trompeten) war das Mozart'sche Orchester in den Blasinstrumenten (Flöten, Oboen, Fagotte, Klarinetten, Trompeten, Hörner) paarweise besetzt und wurde von sechs ersten Geigen, sechs zweiten Geigen, vier Bratschen, vier Violoncelli, zwei Kontrabässen und den Pauken ergänzt. Diese Besetzung verwandte Beethoven auch in seiner 3. Symphonie in Es-Dur noch, wobei er jedoch ein drittes Horn von entscheidender Bedeutung hinzufügte. [...]


    und Jordi Savall schreibt darin:


    Zitat

    [...] Da es in Wien bis zum Jahre 1840 kein "offizielles" Orchester gab, waren die Größe und Zusammensetzung der Orchester höchst unterschiedlich. 1808 bestand zum Beispiel das Orchester des Theaters an der Wien aus 12 Geigen, 4 Bratschen, 3 Cellos, 3 Kontrabässen, 2 Querflöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotten, 2 Hörnern, 2 Trompeten, Kesselpauken, das heißt aus 35 Musikern insgesamt. An den ersten Aufführungen der [3.] Symphonie nahmen 30 (Wiener Palais Lobkowitz) bis 56 (1808 Wien, Festsaal Universität) Musiker teil. [...] Man könnte sagen, dass die technischen Möglichkeiten und der Klang der verschiedenen Instrumente im Großen und Ganzen einer musikalischen Übergangszeit entsprechen, die reich an langsamen, doch ständigen Änderungen ist. [...]


    Kann, so gesehen (also wenn man sich anschaut, was bisher so aufgeführt und eingespielt wird), jeder seine eigenen Retuschen machen und die Symphonien aufführen, wie er will?? Womöglich noch nach dem neuesten Stand der Technik per 2006 und mit Instrumenten, die es zu Beethovens Zeit noch nicht gegeben hat ...

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Langsam.
    Wie die Zitate zeigen schwankte die Orchestergröße beträchtlich. Die privaten Aufführungen der 3. im Palais des Fürsten Lobkowitz mit knapp 30 Musikern dürften kaum als ideal angesehen worden sein (scheint mir hier schwer möglich eine vernünftige Balance zu erzielen, Hörner, Trompeten & Pauken müßten sich immer zurückhalten, sonst würden sie alles erschlagen).
    Es gab außerdem zu besonderen Gelegenheiten, etwa der Aufführung von Haydns Pariser Sinfonien an ihrer Widmungsstätte Orchester ungefähr moderner Größe (vgl. Mozarts Brief mit den 40 violin und allen bläsern doppelt).


    Die Komponisten rechneten also nicht mit einer bestimmten Besetzungsstärke, sie mußten von starken Schwankungen ausgehen.


    Aber wenn die Partitur unzweideutig Fagotte vorschreibt und man gibt die Stelle den Hörnern (acuh wenn aus nachvollziehbaren Gründen) ist das m.E. klar etwas anderes. Wie gesagt, ich weiß nicht, was es für ein Problem mit damaligen Hörnern hätte gegeben können. Die Stelle ist eine ff-"Fanfare", keine Durchgangsnote, es geht also nicht nur um den richtigen Ton, sondern dass er laut, frei und schmetternd erklingen kann. Aber wie gesagt, die gesamte Stelle ist anders instrumentiert in der Reprise und ein weiteres Horn (oder paar) wäre kaum ein unüberwindlichen Hindernis gewesen, besonders angesichts der zusätzlichen Instrumente im Finale.


    viele Grüße


    JR

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  • Salut,


    als ich in Schweden Martín y Ssolers Oper La Capricciosa Corretta live hörte, war das Orchester auch denkbar klein: Der Orchestergraben bot ebenfalls nur Platz für 30 Musiker [3m x 12m oder so], wobei Hörner, Trompeten und Pauken auf den seitlichen beiden Balkonen untergebracht waren. Das Theater ist insgesamt recht niedlich, die Klangbalance war daher sehr, sehr ausgeglichen. Auch haben die Blechbläser nichts übertönt - alles war ganz wunderbar ausgeglichen und erklang an den entsprechenden Stellen sehr schön kräftig.


    Man kann das bei den Östman-DVDs der Mozartopern sehr gut nachempfinden. Bei den CDs aber sind es meist Studioaufnahmen, das ist wieder etwas anderes.


    Es war übrigens durchaus üblich, sofern man die Möglichkeit hatte, die Holzbläser an Fortestellen zu verdoppeln. Auch Haydn schreibt dies in seinem Trompetenkonzert z.B. bei der Flöte vor.


    Viele Grüße
    ulli

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Wer kennt diese Aufnahme?


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Peter,


    ist sie denn empfehlenswert?
    Leider gibt es bei den Werbepartnern keine Hörproben.
    Sind mittlerweile noch weitere Einspielungen der Mahler'schen Bearbeitung vorhanden?


    Liebe Grüße :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Felipe II,


    ich werde erst am Wochenende dazu kommen, noch einmal hineinzuhören. Dass sie bei mir auf jeden Fall einen Dauerplatz im Regal hat, liegt an dem guten Booklet, in dem die Änderungen der Partitur und die Intentionen von Mahler dokumentiert sind.


    Liebe Grüße Peter

  • Hallo Peter,


    vielen Dank! :jubel:


    Liebe Grüße :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões