Wolfgang Amadeus Mozart: Die Entführung aus dem Serail

  • Sagitt meint:
    Bei den Liebliungsopern wird sie nur von Alfred erwähnt, also probiere ich einmal einen eigenen thread für dieses Werk.
    Die Entführung war die erste Oper, die überhaupt kennenlernte und dann auch live in der Duisburger Oper sah, so um 1960. Ich hatte eine Platte, erinnere mich aber nur an Rudolf Schock als Belmonte.


    Mozarts erste Oper als " freier Unternehmer"- 1782 in Wien- als Beispiel für die Emanzipation von italienischer Vorherrschaft ( was nicht klappte und nicht nur deswegen, weil Joseph II starb). Schon Idomeneo zeigt die Meisterschaft, die Entführung ist alles andere als ein Frühwerk. Herrliche Arien, Duette, Trios, das große Quartett im zweiten Akt. Ein Feuerwerk von highlights.


    Es gibt eine Fülle gut anhörbarer Aufnahmen. Böhm nenne ich nicht, der wird schon erwähnt werden, Harnoncourt gefällt mir gar nicht, speziell auch wegen seiner Sänger. Hogwood ist eine modern interessante Alternative,aber gegen die Sänger, auch Lynne Dawson, die ich sonst sehr schätze, habe ich Einwände.
    Aber eine großartig gelungene Aufnahme ist diejenige von Solti. Was hat er für Sänger, die Gruberova, die Battle; eine großartige ist diejenige von Friscay- 1954- mit Stader und Streich und Haefliger. Jochum finde ich nicht so gut, aber natürlich ist Fritz Wunderlich ein großartiger Belmonte.Robert Lloyd in der Aufnahme mit Davis und St.Martin ist mir der liebste Osmin. Erstens ist er ein wirklich schwarzer Bass und zweitens legt er die Rolle nicht auf Dümmlichkeit an, wie etwa Kurt Boehme.
    An Einzelaufnahmen will ich nicht Peter Anders und Erna Berger vergessen. Sie sangen einen so gemütvollen Mozart. Überholte Ästhetik, aber ich höre es gerne.


    Momentan will ich nur auf eine Inscenierung hinweisen, die ich mit einer Warnung verbinde. Es gibt eine webside opera house, die eine unglaubliche Fülle sehr spannender Operninscenierungen anbietet. Die Qualität dieser DVDs entspricht den berüchtigten italienischen live-Aufnahmen- Es rauscht- das Bild ist schlecht.
    Aber: in dieser Reihe gibt es eine sehr schöne Inscenierung von Hampe von den Schwetzinger Festspielen. Matthias Habich gibt einen melancholischen Bassa Selim. Mein favourite tenor Hans Peter Blochwitz singt wunderbar die Partie des Belmonte,ihm an der Seite ein hervorragender Kurt Rydl als Osmin, nicht nur als Sänger, sondern auch als Schauspieler. Alle andere Rollen sind gut anhörbar besetzt, es dirigiert Gelmetti. Wer diese Aufführung in einer besseren Version sehen kann, könnte beglückt sein und nun entlasse ich die Entführung.....in die Diskussion

  • Hallo sagitt,


    ich halte diese Aufnahme für recht gelungen:



    Vielleicht bin ich auch etwas voreingenommen, weil diese Aufnahme zu den Lieblingen meines Vaters gehörte. Ich halte in dieser Aufnahme Gottlob Frick als Osmin schon für ein Klasse für sich.

    Beste Grüße aus Bonn
    Matthias


    Ich tu', was meine Pflicht gebeut, doch hass' ich alle Grausamkeit (ROCCO)

  • Hallo Rocco,


    ich kenne die Aufnahme nicht, weil ich Vorurteile habe. Eine Aufnahme mit der Rothenberger möchte ich nicht besitzen.
    Allgemein mlöchte ich dazu schreiben, die beiden Frauenpartien haben es in sich. Die geläufige Gurgel ist gefordert und zugleich keine koloraturhafte Piepsigkeit. Deswegen ist die Gruberova für mich referenz, weil sie beiden Anforderungen in höchsten Mass gerecht wird,während Sängerinnen wie die Callas ( viel zu dramatisch) oder Dawson( zu wenig souverän) an der Partie stimmlich scheitern.
    Blondchen ist Soubretten auf den Leib geschrieben- wie eben Rita Streich oder der phänomenalen Kathleen Battle ( die gar kein Deutsch kann und so akzentarm singt).
    Bisher, darauf werde ich genauer in einem späteren Zeitpunkt eingehen, habe ich keine Aufführung gesehen, die diesen Anforderungen wirklich gerecht wird. Die von mir gelobte Wiedergabe von den Schwetzinger Festspielen hat gut anhörbare Sängerinnen, aber mehr auch nicht.

  • Zitat

    Original von sagitt
    ........Deswegen ist die Gruberova für mich referenz, .............


    Kenne sie leider nur aus der Zauberflöte unter Haitink, aber auch da Zeit ihre Sonderstellung.


    Gruss

  • Zitat

    Original von sagitt
    Hallo Rocco,


    ich kenne die Aufnahme nicht, weil ich Vorurteile habe. Eine Aufnahme mit der Rothenberger möchte ich nicht besitzen.


    Das könnte sich u.U. als Fehler erweisen, denn die gute Frau Rothenberger hatte erheblich mehr "auf dem Kasten", als sie es in ihren "Fernseh-Tralala-Sendungen" zeigen konnte. Das gleiche Schicksal teilt sie imo übrigens mit Rudolf Schock.


    Ich finde, die Aufnahme hört sich sehr interessant an: Krips war ein sehr guter Mozart-Dirigent, Nicolai Gedda in manchen Partien göttlich :jubel: , Frick als Osmin dürfte in der Boshaftigkeit an Salminen oder Moll heran reichen, dazu die (damals wohl noch) sher junge Lucia Popp. Auch wenn die "Entführung" nicht zu meinen meist gehörten Opern gehört, spiele ich ernsthaft mit den Gedanken, mir diese Aufnahme zu kaufen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Hallo, meine Antwort wird auf zwei Beiträge aufgeteilt, zumächst möchte auch ich mich für die Reputation von Frau Rothenberger verwenden, die das sei gesagt auf dem Zenit ihrer Karrierre absolut hörenswert war.


    Als sie im Laufe der Jahre der Zeit Tribut zollen musste, da tat sie, was fast alle klugen Sänger machen, sie begann leichteres Repertoire zu singen, und auch das über Jahre hörenswert.


    Sie folgt damit Berühmtheiten wie Nellie Melba und Adelina Patti, und mehr oder weniger machen die drei Tenöre heute auch nichts anderes, vielleicht um den Preis, daß, wenn man in 10 Jahren einen Musikfreund fragt: "Wer sind diese Drei Männer ?" die Antwort Lauten könnte: "Weiss ich nicht genau, der eine ist mir aber aus der Werbung für Balsamico-Essig und Kreditkarten bekannt " :D
    Das rüttelt aber nicht an ihrem Ausnahmestatus vor 20 Jahren.
    Und genau das selbe Maß lege ich bei Anneliese Rothenberger an.


    Beste Grüße aus Wien
    Alfred


    der anschließend den Artikel zur "Entführung" schreiben wird...

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Norbert,


    ich habe mich schon zu meinem Vorurteil bekannt. Da ich recht viele Aufnahmen kenne und habe, wird es wohl nicht zu einer weiteren Anschaffung kommen, zumal ich bei Oper längst zu Inscenierungen tendiere-also DVD, Video usw. Da ich classica sehen kann, habe ich jede Woche Gelegenheit, mehr oder weniger gute Inscenierungen zu sehen. Ich habe noch eine Inscenierung von Neuenfels und eine von Gardiner dirigiert, ferner Zürich 2004. Die harren des Ansehens und werden nach erfolgter Tat von mir kommentiert werden.


    Freundliche Grüße aus Bremen


    Sagitt

  • Hallo Sagitt und alle Interessierten,



    zunächst muß gesagt werden, daß es sich bei der "Entführung aus dem Serail" auch wenn wir sie so nennen, um keine Oper im eigentlichen Sinn handelt, sondern um ein Singspiel, obwohl der Begriff sowieso nicht ganz eindeutig abzugrenzen ist. Am ehesten umschrieben als deutsches Sprechstück mit vielen Musikalischen Einlagen und vorwiegend heiterem Inhalt. So gesehen dürfen dann auch einige Bewertungen anders ausfallen, respektive die Ansprüche, die an solch ein Werk und auch an seine Interpretation gestellt werden.


    Geadelt wird die "Entführung", wie auch später die "Zauberflöte" vor allem durch Mozarts Musik, ansonst ist in einem Falle das Libretto (von Stefanie, nach einem Sprechstück von Brezner) sehr simpel gestrickt, im anderen (von Schikaneder) voll Unlogik und Ungereimtheiten (wird ein Eigener Thread) die man mir teilweise sehr gewagten Thesen zu erklären versucht hat.)


    Wenn ich der "Entführung" abspreche, tiefschürfend zu sein, dannn soll das bitte nicht heißen, daß ich das Werk nicht liebe. Indes reiht es sich nahtlos in eine Reihe im 18. Jahrhundert in Mode befindlicher Türkenopern ein, deren es etliche gab, die jedoch nicht das Glück hatten einen Mozart zum Komponisten zu haben...



    Ich habe anlässlich dieses Threads in meine mir zur Verfügung stehenden Aufnahmen hineingehört, und habe erstmals Dinge herausgehört (oder glaube sie herauszuhören) die mir bislang kaum aufgefallen sind.


    Beginnen wir mit Gardiners Aufnahme:



    Offenbar wollte man die Schwächen der Sänger durch viele Mätzchen, und Details ausbüglen, was IMO aber nicht ausreichend war. Unter Gardiner klingt die Ouvertüre schneidend "türkisch", manchmal schon überzogen in der Dynamik und wenig klangschön, aber das mag Geschmackssache sein. Im weiteren Verlauf ist das Dirigat delikater und überzeugender, obgleich ein gewisser Hang Gardiners , zu eilen, nicht zu überhören ist, eine Modeerscheinung unserer Zeit offenbar, nicht immer vorteilhaft, wie ich meine. Es gibt aber auch Stellen, die für diese Aufnahme sprechen, etwa der Marsch Nr 5a vor dem Auftritt des Bassa Selim, den man sonst in keiner ( mir bekannten ) Aufnahme hört, und der doch so gut hierherpasst. Über den Sänger des Belmonte, Stanford Olsen möchte ich nicht alzuviel sagen. Als ich die CD vor einigen Jahren erwarb, hatte ich nicht viel auszusetzen, aber gestern im unmittelbaren Vergleich mit Fritz Wunderlich wirkte er doch sehr blass.
    Zu den positiven Punkten dieser Aufnahme zählt, trotz sprachlicher Einwände, der Montverdi Chor.
    Der für mich absolute Tiefpunkt ist jedoch der Osmin von Cornelius Hauptmann , der hier weder Kraft nach Saft hat und für diese Rolle IMO eine Fehlbesetzung ist.
    Eine der Bosheiten die in dieser Musik versteckt sind, ist ja de Darstellung eines (stets kastrierten) Haremswächters durch einen (möglichst schwarzen) Bass.
    Im übrigen spricht dieses Werk allen Vorurteilen die wir über die Unterdrückung der Frauen in vergangenen Jahrhunderten haben, Hohn, die Damen geben sich hier ganz schön emanzipiert ("O Engländer seid ihr nicht Toren - Ihr lasst eueren Weibern den Willen" wird mit "Ein Mädchen zur Freiheit geboren..." gekontert.-- "Nun "troll Dich" - - und die Antwort "Nur Ruhe ich will ja gern gehen - bevor Du mir Schläge erteilst" ist auch kein uninteressanter Text :D
    Nun kommt noch eine Konstanze mit Akzent, ein (vergleichsweise) schwacher Pedrillo, also befriedigt hat mich diese Einspielung nicht.....
    Ich hab sie drum wahrscheinlich auch seit ihrem Kauf nie mehr aufgelegt.




    Kommen wir nun zur "Entführung" unter Sir Thomas Beecham, die ich in bester Erinnerung hatte. Es zeigt sich, wie weise es war, erneut und kritisch hineinzuhören, denn die Erinnerung verklärt viel.
    Ich frage mich, warum ich seinerzeit überhört habe wie hallig und teilweise dick und dumpf das Orchester tönt, wahrscheinlich hat mein
    extrem hell abgestimmter (milde gesprochen) Philips CD Player das ein wenig ausgeglichen (?)
    Die Dialoge werden manchmal so dilletantisch vorgetragen wie auf einer (schlechten) Laienbühne. Nun zu den Sängerleistungen: Die Damen schlagen sich achtbar, Leopold Simoneua, ist abgesehen von seinem Akzent ("....dich wiieder zu säääähen") nach Wunderlich sicher die beste Wahl seiner Zeit. Gottlob Frick ist, wie schon in der anderen heute erwähnten Entführung schlechthin optimal, dasselbe kann auch über den Pedrillio von Gerhard Unger gesagt werden, aber hier bin ich nicht unparteiisch, ich mag dessen Stimme persönlich sehr.
    Alles in allem, eine Achtbare Aufnahme, der man jedoch das Alter (1957-Stereo) deutlich anhört, oder anders ausgedrückt, ich kenne klanglich überzeugenderes aus dieser Zeit.
    Meine Referenz in bezug auf dieses Werk ist , man höre und staune, diesmal nicht Karl Böhm (Ich kenne dessen Aufnahme nicht, Peter schreier als Belmonte wäre nicht so sehr mein Geschmack) sondern Eugen Jochum. Ich habe schon eingangs gelesen, daß es Einwände gegen diese Aufnahme gibt, aber gegen welche bitte nicht.?
    Indes überwiegen IMO die Pluspunkte:
    Fritz Wunderlich ist wohl der beste Belmonte bisher auf Schallpatte, und wie es derzeit aussieht, wird das noch lange so bleiben.
    Jochums Dirigat trifft meinen Geschmack, er fasst beispiesweise die Ouvertüre nicht als "türkisch" auf, sondern "alla turca". Das ist etwas was mir gestern erstmals aufgefallen ist, der leicht parodierende Charakter, der dieses Werk wie ein roter Faden durchzieht, überall findet man mehr oder minder verhohlenen Spott ("Wein und gute Laune versüsst einem die härteste Sklaverei"), sowohl textlich als auch musikalisch. Es wurde beanstandet (ich glaube es war Sagitt) daß Kurt Böhme einen dümmlichen Osmin mimt. Das mag sein, aber auch nicht übertriebener als Frick, das dürfte auch zu Mozarts Zeit nicht anders gewesen sein, Mozart war, wie wir alle wissen durchaus nicht zimperlich, von seinen Zeitgenossen mal ganz zu schweigen. Zur musikalische Darstellung lässt sich nur das Beste sagen vor allem wenn man seinen Kollegen von der Archiv-Aufnahme unter Gardiner noch im Ohr hat. Erika Köth und Lotte Schädle typisch und rollendeckend. Friedrich Lenz ein ausgezeichneter Pedrillo. Jochums Dirigat, weder sportlich schlank, noch dick und überzogen, vermeidet alles allzu grelle,ist aber sehr durchsichtig, sehr gut zu beobachten in der Ouvertüre, die nie schrill und unangenehm wird, sondern immer, bei aller Vitalität, Mozart bleibt, ein Komponist, der hier Musik mit türkischem Kolorit schrieb, aber keine "Türkenmusik"
    Abgesehen von einigen Rauschfahnen ist auch die Tontechnik lobend zu erwähnen. Dazu kommt, daß diese Aufnahme als DGG- 2CD -Edition sehr kostengünstig zu haben ist. Für mich kein kaufentscheidendes Argument, aber eine erfreuliche, erwähnenswerte Tatsache.



    Soeben, bei der Suche nach Bildern, sehe ich, daß es diese Aufnahme jetzt als "eloquence" Ausgabe gibt, zu 9.90 Euro.
    Inwieweit sie sich klanglich von früheren Ausgaben unterscheidet, entzieht sich meiner Kenntnis, allerdings hält sich das Risiko in Grenzen...




    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    danke für die erweiterte Einführung in das Werk. Zu dem Thema " Osmin" möchte ich mich nochmals äußern. Ich würde Mozart nie bestreiten, dass er in ein Singspiel eineRolle eines Dümmlichen hineinschreibt. Aber seit ich Kurt Rydl gesehen und gehört habe, überzeugt mich mehr die Version, dass Osmin, genau wie sein Herr, ein Suchender nach Liebe ist- hinreißend von Rydl dargestellt, als er seine Blonde losgeben muss. Da er diese noch nicht besessen hat, ist er schlicht gefährlich- und das ist was anderes als Dümmlichkeit. Es gibt eine gewisse deutsche Tradition, ihn eher den Dümmlichen anzulegen- und das gefällt aus den benannten Gründen weniger.
    Oft unterschätzt, dies zum Zweiten ist die Sprechrolle des Bassa Selim. Matthias Habich hat diese Rolle großartig gestaltet, Curd Jürgens hat ihn bei Davis gesprochen, Brandauer sah ich kürzlich- auch hervorragend.
    Ich freue mich immer wieder, die Entführung zu sehen und zu hören. Mozart hat ja die unvergleiche Fähigkeit tiefste Dimensionen des Humanum auszuloten..Perdono im Figaro, das ist eine gesamte Theologie in wenigen Takten, so in der Entführund das Duett von Belmonte und Kostanze im dritten Akt- unbedingte Liebe rührt einen doch immer wieder an.


    Schöne Grüße, von Vollmond zu Vollmond


    Sagitt

  • Hallo,


    wir haben eben auf Radio Stephansdom eine hin- und mitreissende Aufnahme gehört:


    Besetzung
    Selim Hans-Peter Minetti
    Belmonte Stanford Olsen
    Konstanze Luba Orgonasova
    Blonde Cyndia Sieden
    Pedrillo Uwe Peper
    Osmin Cornelius Hauptmann
    The Monteverdi Choir, The English Baroque Soloists
    Leitung: John Eliot Gardiner

    Diese Aufnahme entstand im Jahr 1991.


    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Salut,


    etwas zur 'Entstehungsgeschichte' der Oper aus der Feder des Meisters selbst:


    - die oper hatte mit einem Monologue angefangen, und da bat ich H: Stephani eine kleine ariette daraus zu machen - und daß anstatt nach dem liedchen des osmin die zwey zusammen schwätzen, ein Duo daraus würde. [...]


    dieser osmin hat aber im original büchel das einzige liedchen zu singenm und sonst nichts, außer dem Terzett und final, dieser hat also im Ersten Ackt eine aria bekommen, und wird auch im 2:ten noch eine haben. - die aria hab ich dem H: Stephani ganz angegeben; - und die hauptsache der Musick war schon fertig, ehe Stephani ein Wort davob wuste. - [...] der zorn des osmindadurch in das komische gebracht [sic!], weil die türkische Musick dabey angebracht ist. - in der ausführung der aria habe ich seine schöne tiefe töne [...] schimmern lassen. - das, drum beym Barte des Propheten etc: ist zwar im nemlichen tempo, aber mit geschwinden Noten - und da sein zorn immer wächst, so muß - da man glaut die arie seye schon zu ende - das allegro aßai - ganz in einem andern zeitmaas, und in einem andern Ton - eben den besten Effect machen; denn, ein Mensch der sich in einem so heftigen zorn befindet, überschreitet alle ordnung, Maas und Ziel, er kennt sich nicht - so muß auch die Musick sich nicht mehr kennen - weil aber die leidenschaften, heftig oder nicht, niemal bis zum Eckel ausgedrücket seyn müssen, und die Musick, auch in der schaudervollsten lage, das Ohr niemalen beleidigen, sondern doch dabey vergnügen muß, folglich allezeit Musick bleiben Muß, so habe ich keinen fremden ton zum f /: zum ton der aria :/ sondern einen befreundeten dazu, aber nicht den Nächsten, D minor [sic!], sondern den weitern, A minor, gewählt.


    Nun die aria von Bellmont in ADur. O wie änstlich, o wie feurig, wissen sie wie es ausgedrückt ist - auch ist das klopfende liebevolle herz schon angezeigt - die 2 violin in aktaven. - dies ist die favorit aria von allen die sie je gehört haben - auch von mir. [...] man sieht das zittern - wanken - man sieht wie sich die schwellende brust hebt - welches durch ein crescendo exprimirt ist - man hört das lispeln und seufzen - welches durch die ersten violinen mit Sordinen und einer flaute mit in unisono ausgedrückt ist. -


    Der Janitscharen Chor ist für einen Janitscharen Chor alles was man verlangen kann. - kurz und lustig; - und ganz für die Wiener geschrieben. - die aria der konstanze habe ich ein wenig der geläufigen gurgel der Mad:selle Cavallieri aufgeopfert. - Trennung war mein banges loos. und nun schwimmt mein aug in Thränen - habe ich, so viel es eine wälsche Bravour aria zulässt, auszudrücken gesucht. - das hui - habe ich in schnell verändert also: doch wie schnell schwand meine freude etc: ich weis nicht was sich unsere teutsche dichter denken; - wenn sie schon das theater nicht verstehen, was die opern anbelangt - so sollen sie doch wenigstens die leute nicht reden lassen, als wenn schweine vor ihnen stünden. - hui Sau; -


    Nun das Terzett, nemlich der schluß vom Ersten Ackt. - Pedrillo hat seinen Herrn für einen Baumeister ausgegeben, damit er gelegenheit hat mit seiner Konstanze im garten zusamm zu kommen. der Bassa hat ihn in diensten genommen; - osmin als aufseher, und der darum nicht weis, ist als ein grober flegel, und Erzfeind von allen fremden impertinent und will sie nicht in dem garten lassen. das erste was angezeigt, ist sehr kurz - und weil der Text dazu anlaß gegeben, so habe ich es so ziemlich gut 3stimmig geschrieben. dann fängt aber gleich das major pianißimo an - welches sehr geschwind gehen muß - und der schluß wird recht viel lärmen machen - und das ist Ja alles was zu einem schluß von einem Ackt gehört - Je mehr lärmen, Je besser; - Je kürzer, Je besser - damit die leute zum klatschen nicht kalt werden. -


    Von der ouvertüre haben sie nichts als 14 täckt. - die ist ganz kurz - wechselt immer mit forte und piano ab; wobey beym forte allzeit die türkische Musick einfällt. - modolirt so durch die töne fort - und ich lgaube man wird dabey nicht schlafen können, und sollte man eine ganze Nacht durch nichts geschlafen haben. - Nun sitze ich wie der Haaß im Pfeffer - über 3 wochen ist schon der Erste Ackt fertig - eine aria im 2:ten Ackt, und das Saufduett [...] welches in nichts als meinem türkischen Zapfenstreich besteht ist schon fertig; - mehr kann ich davon nicht machen - weil izt die ganze geschichte umgestürzt wird - und zwar auf mein verlangen. - zu anfange des drittes Ackts ist ein charmantes quintett oder vielmehr final - dieses möchte ich aber lieber zum schluß des 2:t Ackts haben. um das bewerkstelligen zu können, muß eine grosse veränderung, Ja eine ganz Neue intrigue vorgenommen werden - und Stephani hat über hals und kopf arbeit da muß man halt ein wenig gedult haben.


    Wien, 26. September 1781


    Im nachfolgenden Brief vom 15. Dezember 1781 beginnt Herr Mozart dann, von "seiner" Konstanze zu berichten...


    :hello:


    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Austria,


    Da sieht man , wie verschieden man etwas beurteilen kann:


    Wenn Du ein paar Einträge weiter oben nachliest, wirst Du sehen, daß ich die Aufnahme ziemlich verrissen habe.


    Alles in allem ist sie nicht schlecht (aber auch kaum wesentlich besser), bei Osmin darf man an Frick nicht mal im entferntesten denken, Fritz Wunderlichs Gestaltung des Belmonte zum Vergleich heranzuziehen wäre wahrscheinlich unfair - denn die ist unerreicht..


    LG


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Aber Luba Orgonasova als Konstanze ist doch in Gardiners Aufnahme sehr gut (ich habe die Aufnahme nicht vollständig gehört, die Marternarie ist mir mit Abstand das wichtigste :D)


    Ich habe keine bessere Aufnahme der Marternarie.


    Wer bietet mehr?


    p.s.: jetzt, wo ich mir es noch mal anhöre, kann ich mir gut vorstellen der Gruberova-Empfehlung demnächst mal nachzugehen.

  • Hallo Markus


    Zitat

    Ich habe keine bessere Aufnahme der Marternarie.


    Kennst du Joan Sutherland auf "The Art of the Prima Donna"?

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • @Alfred und Thomas


    Um ehrlich zu sein - wir haben die Aufnahme nach einem stressreichen Tag im Auto auf der Heimfahrt und dann während des Kochens gehört, also nicht sooo genau auf die Sänger geachtet. Hin- und mitreissend war jedoch die schwungvolle und präzise Interpretation durch das Orchester, den Chor und Gardiner (darum habe ich sie auch fett geschrieben). Und allein deswegen werden wir uns die Aufnahme eventuell besorgen. Vielleicht wird's ja aber auch eine andere ;-)


    LG
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Sagitt meint:


    Gruberova hat die Kostanze bei Böhm gesungen( in der Verfilmung, 1980) und bei Solti. Die gelkäufige Gurgel steht ihr vollkommen zur Verfügung,zugleich kann sie aber auch, was mir ja immer wichtig ist, wnderbar piano singen. Beides wird von der Konstanze gefordert, das macht die Partie so herausfordernd. Die beste Schauspielerin ist sie nicht, aber die Konstanze singt sie sehr souverän ( vielleicht bei Böhm schon ein wenig zu " stark"). Sie hat,meines Wissens, nach der Aufnahme mit Solti diese Partie nicht mehr gesungen, sondern eher dramatischere Rollen , wie die Lucia, verkörpert.

  • Hallo Opernfreunde,


    ich kenne eine Aufnahme aus den Fünfzigern mit Erna Berger und Walther Ludwig als Konstanze und Belmonte und eine weitere mit Teresa Stich-Randall und Rudolf Schock,beide in Hamburg produziert und für Freunde der älteren Sängerriege durchaus interessant.

    Bilder

    • Entführung 1.jpg

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Nun denn: Zuerst mal einerseits eine Lanze für die tolle Beecham-Aufnahme und auch für die Rothenberger, die damals die Konstanze schlechthin verkörperte!
    Dann möchte ich aber gerne noch eine etwas skurile Aufnahme präsentieren, die in englischen Plattensammlerkreisen hochgeschätzt ist, wohl aber nie als CD auf den Markt kam: Yehudi Menuhin dirigiert 1968 das Bath-Festival-Orchester, Nicolai Gedda gibt auch in dieser Aufnahme den Belmonte, Sprache: Englisch!!!!!!!!!

  • Vor wenigen Tagen habe ich in der Hamburgischen Staatsoper die Entführung aus dem Serail gesehen. Nun hatte ich mich Ewigkeiten nicht mehr mit dem Libretto beschäftigt, die Oper oder besser das Singspiel nur dann und wann gehört. So hatte ich auch nicht mehr in Erinnerung, wie international dieses Stück ist.


    Belmonte ist Spanier, wird im Stück von Pedrillo als italienischer Baumeister ausgegeben. Blonde ist Engländerin, worauf sie viel hält, Konstanze offenbar Deutsche, meinetwegen auch Österreicherin. Das Schiff, von dem Konstanze, Blonde und Pedrillo entführt werden, ist holländisch. Bassa Selim, der auf den den ersten Blick Türke ist, entpuppt sich schließlich als Spanier – er spricht am Ende von seiner spanischen Heimat, aus der ihn Belmontes Vater vertrieben hat.


    Ich frage mich, was soll das?


    Braunbehrens spricht in seinem Buch „Mozart in Wien“ davon, dass durch die Personen der Entführung eine europäische Einkreisung vorgenommen werde, welche die Großmut des (türkischen) Bassa in besonderem Licht erscheinen lasse.


    Nur, ist das wirklich so gemeint? Wenn es darum ginge, der abendländischen Zivilisation den Spiegel vorzuhalten und ihr mitzuteilen, dass der Orient ebenfalls zivilisiert ist, mehr noch, zur christlichen Nächstenliebe besser fähig ist als das durch Belmontes Vater personifizierte Abendland, dann frage ich mich: Warum ist Bassa Selim nicht Türke?


    Hat Mozart, hat Stepanie – dem Librettisten – der Mut gefehlt?


    Oder liegt der Grund in der unzureichenden Bearbeitung der Ursprungsfassung? In dieser war Belmonte der bis dato unerkannte Sohn des Bassa. Deshalb am Ende die Gnade. Dieses Ende, die Vater-Sohn-Beziehung, funktionierte nur, wenn Bassa auch Spanier ist. Haben Mozart und Stepanie schlicht vergessen, den Text umzuarbeiten bzw. anzupassen, vergessen, den Bassa vollends zum Türken zu machen?


    fragt


    Thomas,


    der die Aufnahmen von Böhm und Jochum besitzt, wegen Wunderlich aber fast ausnahmslos Jochum hört.

  • Zitat

    Original von ThomasNorderstedt
    Bassa Selim, der auf den den ersten Blick Türke ist, entpuppt sich schließlich als Spanier – er spricht am Ende von seiner spanischen Heimat, aus der ihn Belmontes Vater vertrieben hat.


    Die Frage ist nur "wann spielte das Geschehen sich ab"?


    Vergiß nicht, im zweiten Hälfte des 15. Jhdt wurden die Mohren aus Spanien vertrieben.


    LG, Paul

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Salut,


    interessante Fragestellung.


    Vorab: Ich empfand die Entführung schon immer genauso viel bzw. wenig "türkisch", wie den musikalischen Spaß KV 522 "spaßig". Besonders wenn man mit Türkenopern der damaligen Zeitgenossen, z.B. Joseph Martin Kraus: Soliman II oder Christoph Willibald Gluck: Les Pélerins de la Meque vergleicht, geht doch das "türkische" an sich eher unter. Hauptziel dieses Singspiels war es ja in erster Linie, eine teutsche Oper im Gegensatz zur Welschen opera zu sein.


    Doch wo spricht Bassa Selim von seiner spanischen Heimat? Ich konnte das im Libretto nicht ausfindig machen? Vielleicht habe ich aber auch etwas übersehen? Unabhängig davon steht in vielen Synopsen die spanische Herkunft des Bassa beschrieben; warum, weiß ich nicht.


    In Bretzners Originalstück, vertont von Johann André, UA 25. Mai 1781 Berlin, Döbbelins Theater als Bellmont und Constance heißt es:



    SELIM für sich. Gott! wär es möglich? Laut. Sag, sag junger Mann, wie heißt deine Vaterstadt?


    BELMONTE. Toledo.


    SELIM. Und wer war dein Vater?


    BELMONTE. Don Carlos Belmonte; der mich als ein Kind von vier Jahren in das Kloster St. Sebastian überbrachte -


    SELIM. Ach Gott, er ists! Mein Sohn, mein Sohn! Du bist mein Sohn; ich bin dein Vater.



    Hier also stammt Bassa Selim alias Don Carlos Belmonte aus Toledo [Spanien].


    In Stehpanies Libretto heißt es aber "nur":




    SELIM staunend.Was hör' ich! Der Kommandant von Oran, ist er dir bekannt?


    BELMONTE. Das ist mein Vater.


    SELIM. Dein Vater? Welcher glückliche Tag! Den Sohn meines ärgsten Feindes in meiner Macht zu haben! Kann was angenehmeres sein? Wisse, Elender! Dein Vater, dieser Barbar ist schuld, daß ich mein Vaterland verlassen mußte. Sein unbiegsamer Geiz entriß mir eine Geliebte, die ich höher als mein Leben schätzte. Er brachte mich um Ehrenstellen, Vermögen, um alles. Kurz, er zernichtete mein ganzes Glück. Und dieses Mannes einzigen Sohn habe ich nun in meiner Gewalt! Sage, er an meiner Stelle, was würde er tun?


    BELMONTE ganz niedergedrückt. Mein Schicksal würde zu beklagen sein.


    Da ist weder die Rede von Toledo, noch von Spanien an sich... oder?


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Was ich drüber weiß ist, daß Stephanie kein besonders geschätzter Librettist war.


    Aus meiner Sicht haben wir es hier mit Schundlitereatur des 18. Jahrhunderts zu tun - aufgewertet allein durch Mozarts Musik.


    Die verschiedenen Herkunftsländer sind wahrscheinlich einerseits Bestätigungen diverser Cliches und sie bieten vielfältige Möglichkeiten der Kostümierung (etwas wo man zu Mozarts Zeiten viel Wert legte)
    und andrerseits nützlich um "billige Effekte Realisieren zu können.


    ich glaube nicht, daß sich Stephanie viel dabei gedacht hat...


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Was ich drüber weiß ist, daß Stephanie kein besonders geschätzter Librettist war.


    Salut,


    Stephanie war ein sehr beliebter Trivialdramatiker. Seine heute bekanntesten Libretti schrieb er für Mozart [Entführung, Schauspieldirektor] und für Dittersdorf [Apotheker und Doktor]. Daneben war er auch häufiger für Grétry, gelegentlich für Paisiello und auch für Anfossi tätig.


    Das Libretto der Entführung geht übrigens weitestgehend 1:1 auf Bretzner zurück, so dass man an Stephanie kaum etwas kritisieren kann - er hat das Libretto Mozarts Wünschen entsprechend angepasst und Umstellungen bzw. Änderungen im Verlauf am Ende vorgenommen, alles andere ist identisch. Mozart schwärmt regelrecht von den Ariatexten - sie liessen sich ja auch sehr gut vertonen: O, wie ängstlich....


    Aus Bretzners Original hat Mozart übrigens das Duett "Welch ängstliches Beben" komponiert [KV 389], das in der Entführung dann fehlt.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ich wurde plötzlich wach. Oran liegt jadoch in Afrika.
    Im 2. Weltkrieg spielte es eine Rolle. Das sollen alle ältere Mitglieder hier wissen. Und war Marokko nicht zum Teil spanisch?


    LG, Paul

  • Liebe Leute,


    erst einmal Danke für die Antworten. Die Angelegenheit wird ja immer interessanter.


    Nein, Bassa Selim spricht in der Tat nicht wörtlich von seiner spanischen Heimat, nur von seinem Vaterland, und zwar in der von Ulli dankenswerterweise wiedergegebenen Stelle. Da Belmonte Spanier ist, habe ich – wie offenbar andere auch – daraus gefolgert, dass auch Bassa Selim Spanier sein müsse.


    Jetzt sehe ich, vor allem dank musikophil, ich lag falsch.


    Ein Blick in Wikipedia zeigt: Oran, es liegt in Algerien, wurde 1509 von den Spaniern erobert. Zuvor herrschten die Abdalwadiden, eine Berber-Dynastie im westlichen Algerien in der Zeit von 1235-1554. Die Spanier mussten sich in der Folgezeit mit osmanischen Korsaren auseinandersetzen.


    Ich gehe davon aus, dass Bretzner sich nicht im Einzelnen mit der Geschichte Orans beschäftigt hat. Für die hier gestellte Frage ist das aber auch einerlei.


    Bassa Selim, der nach der Vertreibung aus Oran in die Türkei zurückgekehrt ist, ist jedenfalls kein Spanier – da nicht anzunehmen ist, dass ein Abdalwadide sich nach der Vertreibung aus Oran in die Türkei begibt, gehe ich nun davon aus, dass Bassa Selim nach dem Verständnis Bretzners, und dem folgend auch Stephanies und Morzarts, Osmane sein soll.


    Nach dem Opernbesuch habe ich übrigens mit meinem Freund, mit dem ich die Oper besuchte gewitzelt: „Siehst du, die Türkei muss doch in die EU. Die sind da ja viel zivilisierter als wir.“ Mein Freund, der sich selbst gern als strukturkonservativ beschreibt, meinte dazu: „Immerhin ein Renegat.“ Mein Freund lag falsch.


    Zu der Frage, was soll das mit den vielen Nationalitäten habe ich aber noch immer keine Antwort erhalten.


    Ist es wirklich so, dass Mozart, der das Libretto ja offenbar gut fand, anlässlich des Staatsbesuchs von Paul, in einem Moment, in dem Russland und Österreich dazu neigten, sich gegen die Türken zu verbinden, ein Stück schreibt, in dem die türkische Zivilisation – jedenfalls am Ende, bei der Moral von der Geschicht – als überlegen dargestellt wird? War Mozart so naiv, dass er meinte, er könne mit einem solchen Werk Erfolg haben. Ging es ihm nicht darum, im Sinne Joseph II das deutsche Singspiel durchzusetzen? Das kann er doch nicht mit einem solchen Libretto ernsthaft versuchen!


    Thomas


    P.S.: Oran ist auch bekannt aus dem Roman "Die Pest" von Camus.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Hallo Thomas,


    es ist sicher kein Zufall, dass die "Türkenopern" erst dann in Mode kamen, als die realen Türken politisch-militärisch für Europa keine wirkliche Bedrohung mehr darstellten. Das Osmanische Reich war zu der Zeit bereits an allen Fronten auf dem Rückzug und 50 Jahre später sollte man vom "kranken Mann am Bosporus" sprechen. Und die "türkische Zivilisation" wird ja nicht als ganzes überlegen dargestellt, Osmin ist ja ein Beispiel dafür, dass es eben auch andere Elemente im Islam gibt, die man "mit Verachtung ansehen" sollte. Auch der Bassa wird ja nicht nur einheitlich positiv gezeichnet, er bedrängt Constanze, droht ihr und besinnt sich erst am Ende, dass er dem Glück der Liebenden nicht im Wege stehen darf, auch wenn es für ihn persönlich einen großen Verzicht bedeutet. Die Probe seiner Menschlichkeit hat er bestanden, aber er bleibt allein und melancholisch-resignierend zurück.


    :hello:


    GiselherHH


    P.S.: Der Bassa ist doch Renegat. Siehe Pedrillo im 1. Akt, 4. Auftritt:


    "Nun, nur nicht so hitzig! Sie ist noch nicht in die schlimmsten
    Hände gefallen. Der Bassa ist ein Renegat und hat noch so
    viel Delikatesse, keine seiner Weiber zu seiner Liebe zu
    zwingen, und soviel ich weiß, spielt er noch immer den
    unerhörten Liebhaber."

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von musicophil
    Ich wurde plötzlich wach. Oran liegt jadoch in Afrika.
    Im 2. Weltkrieg spielte es eine Rolle. Das sollen alle ältere Mitglieder hier wissen. Und war Marokko nicht zum Teil spanisch?
    LG, Paul


    Oran liegt heute in Algerien, früher in der franz. Kolonie Algerien (ab etwa 1830).


    Allerdings: Zu der Zeit, in der die Oper spielt, war F dort nicht präsent. Meines Wissens war der größte Teil der nordafrikanischen Küste Teil des osmanischen Reiches, bis es infolge seiner Schwäche nach und nach zerfiel. Es kann sein, daß die Spanier sich in einigen Hafenstädten wie Oran festgesetzt hatten (wie zB in Ceuta und Melilla).



    Oops, da war jemand schneller... :)

  • Zitat

    Original von GiselherHH


    es ist sicher kein Zufall, dass die "Türkenopern" erst dann in Mode kamen, als die realen Türken politisch-militärisch für Europa keine wirkliche Bedrohung mehr darstellten.


    ---> 1683 - Beginn der Türkenoper?


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo,


    sollte man nicht auch mal auf die Musik zu sprechen kommen?


    Was ganz anderes :Wäre der Osmin nicht eine schöne Partie


    für Counter-Tenöre,natürlich eine Octave höher? :D


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • @ Ulli:


    Danke für den Hinweis!


    @ Herbert:


    Im Gegensatz zur landläufigen Fama hat die "Eunuchisierung" im Mannesalter keinen Einfluss auf die Stimme mehr, so dass Osmin durchaus als Bass durchgehen kann. Gewisse hormonelle Defizite werden ausgeglichen, eventuell kommt ein gewisser Hang zur Fettleibigkeit dazu.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose