Hallo zusammen,
zu meiner Überraschung habe ich festgestellt, dass trotz der zahlreichen Dvorak-Freunde hier im Forum noch gar kein eigener Thread für sein grandioses Requiem existiert! Lediglich im Thread Requiem ohne Brahms und Mozart wird es –leider viel zu kurz- erwähnt!
Da muss wirklich dringend Abhilfe geschaffen werden!
Dvoraks Chormusik steht immer –und das sehr zu Unrecht!- im Schatten seiner Sinfonien und des übrigen Instrumentalwerks. Auch seine zahlreichen Opern fristen gerade hierzulande auch immer noch ein Nischendasein...
Im Rahmen des „Dvorak-Jahres“ in 2004 hatte ich das Glück, sowohl sein Stabat mater ([url=http://www.tamino-klassikforum.at/thread.php?threadid=2655&hilight=Dvorak,]Antonín Dvorák: Stabat mater op.58 - Grandioser Auftritt in der Albert Hall[/url]) als eben auch sein Requiem einstudieren und singen zu dürfen.
Und man lernt ein Werk eben am besten kennen (und lieben), wenn man die Gelegenheit hat, sich intensiv auch mit kleinen Details und Feinheiten beschäftigen zu können. Viele davon gehen beim bloßen (und evtl. gar nur einmaligen) Hören des Werkes einfach in der Fülle unter – das ist schade, aber wohl nicht zu ändern.
Kurz zur Entstehung des Werkes:
Dvoraks komponierte sein Requiem 1889/90 unmittelbar nach seiner 8. Sinfonie.
Es war ein Auftragswerk des Festivalskomitees des Birmingham-Chorfestivals.
Bei diesem Festival (und auch in London und in anderen Städten Englands) hatte Dvorak bislang mit seinen Chorwerken (beginnend mit Aufführungen seines Stabat mater in 1884/ 85) den größten Erfolg gehabt.
Er hatte für die Chorfestivals in Birmingham und Leeds daraufhin die Chorwerke Die Geisterbraut (1884) und Die heilige Ludmilla (1886) komponiert.
Beide Werke fanden zwar eine wohlwollende, aber nicht die enthusiastische Aufnahme wie zuvor das Stabat mater.
Dies kann an der folkloristischen Thematik oder der nicht ganz glücklichen Übertragung der tschechischen Originaltexte ins Englische gelegen haben, die mit dem Duktus der Musik nicht richtig harmonierte.
Dvorak wollte daher lieber wieder zu lateinischen, allgemeingültigen Texten zurückkehren.
Man bot ihm daher vergeblich das Gedicht „The dream of Gerontius“ zur Vertonung an (es wurde erst im Jahr 1900 durch Edward Elgar vertont); schließlich entschied sich Dvorak jedoch für den Vorschlag von Alfred Littleton vom Musikverlag Novello, ein Requiem zu vertonen.
Seine eher kammermusikalische Messe in D-Dur, op. 86 (Antonín Dvorák und seine einzige Messe op.86) aus dem Jahr 1887 erschien ihm –begreiflicherweise- kein geeignetes Stück für den Rahmen eines solchen Chorfestivals zu sein, das nach abendfüllenden, reich orchestrierten Stücke verlangte.
Dvorak kannte die Requiem-Vertonungen von Verdi (1874) und Brahms’ eigenwilliges Deutsches Requiem (UA 1869) und hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, sich ebenfalls mit der Textvorlage kompositorisch auseinanderzusetzen.
Mit ersten Skizzen begann Dvorak dann im Jahre 1889; auch während der im Jahr 1890 stattfindenden Reisen und Gastkonzerte arbeitete er an seiner Komposition. So notierte er über der Skizze zum Lacrimosa beispielsweise „geschrieben in Köln am Rhein auf der Reise nach London“.
Im Sommer vollendete er das Werk in seinem Landhaus Vysoká. Es folgten noch die Reinschrift und einige Korrekturen in den folgenden Monaten.
Die Uraufführung des Requiem fand am 09.10.1891 in Birmingham unter Dvoraks Leitung statt – es war ein überwältigender Erfolg, dem sich zahlreiche weitere äußerst erfolgreiche Aufführungen auf dem europäischen Festland (und den USA!) anschlossen, nicht zuletzt auch in Wien (1901), wo Dvoraks Werke zuvor eher weniger Erfolg hatten.
Dvorak verwendete als Textgrundlage den lateinischen Text der katholischen Missa pro defunctis, also der in der Liturgie gebräuchlichen Totenmesse. Er teilt die 9 Teile des Textes in 13 einzelne Sätze auf – eine Aufführung seines Requiems dauert ca. 95 Minuten – es ist damit sein umfangreichstes Chorwerk.
Dvorak wählte für seine Totenmesse die Tonart b-moll. Chopins Trauermarsch ("Marche funèbre") aus der Klaviersonate Nr. 2 in b-moll, op. 35 dürfte das wohl bekannteste Stück "Trauermusik" sein, das auch in dieser Tonart steht.
Da es für einen Konzertsaal –und nicht für die Kirche (für eine liturgische Totenmesse ist es zu umfangreich)- gedacht war, besitzt das Werk eine allgemeingültige, nicht unbedingt ausschließlich an die katholische Tradition gebundene Aussage – ähnlich vielleicht wie die vom Protestanten Bach komponierte (dem katholischen Text folgende) h-moll-Messe. Der geübte und versierte Symphoniker Dvorak wird in der gekonnten motivischen Verzahnung der einzelnen Sätze merkbar.
Mir persönlich war das Requiem –mit den Proben hierzu begannen wir parallel zur Einstudierung des Stabat mater- zunächst etwas „suspekt“.
Es erschien mir viel „berechnender“ und konstruierter als das leidenschaftlich-spontane und ja auch aus tiefem persönlichen Leid heraus entstandene Stabat mater.
Kein Wunder – es handelt sich ja beim Requiem auch um ein Auftragswerk, das diesmal ohne biographischen Hintergrund (also kein Todesfall im Familien- oder Freundeskreis) entstand und in dem eben der symphonisch-thematische Gedanke eine größere Rolle spielt – Dvorak wollte sich eben als Meister seines Faches von seiner besten Seite zeigen!
Aber je mehr wir probiert haben, desto lieber habe ich das Werk gesungen: Einfach toll, welch große Breite musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten und Stimmungen die einzelnen Sätze umschließen. Und gerade für den Chor ist das Werk sehr dankbar: Außer in der Nr. 6 (Recordare) ist der Chor an allen übrigen 12 Sätzen maßgeblich beteiligt!
Als wir dann endlich aufführungsreif waren, hatte ich zwischenzeitlich das Requiem lieber als das Stabat mater – aber das geht mir mit (fast) allen Chorwerken so, die wir gerade probieren...
Beide Werke sind große Klasse – überquellend vor wunderbaren Melodien und Stimmungen und jedem Chormusik- und natürlich Dvorak-Freund nur wärmstens zu empfehlen! Am besten live!!!
Im Herbst 2004 hatte ich dann also wie erwähnt Gelegenheit, das Requiem dreimal im Konzert mitsingen zu dürfen (im 2. Tenor): Einmal in der Kölner Philharmonie, dann im Altenberger Dom im Bergischen Land (dann doch mal in einer Kirche – da ist aber auch eine tolle Akustik!) und in der Bonner Beethovenhalle.
Mit empfehlenswerten Aufnahmen möchte ich mich (noch) zurückhalten – bin aber gespannt auf Eure Lieblings-Einspielungen oder Erlebnisse und Erfahrungen mit dem Dvorak-Requiem!