Als „unspielbar“ galt Beethovens Violinkonzert lange Zeit bei vielen Künstlern. Vielleicht brauchte es deshalb Zeit, um zu seinem Erfolg zu kommen.
Es ist das einzige Solokonzert, das Beethoven nicht für das Klavier geschrieben hat. Beethoven hat das Werk im Auftrag von Franz Clement, Konzertmeister am Theater an der Wien, komponiert. Erst zwei Tage vor der Uraufführung am 23. Dezember 1806 war das Werk fertiggestellt. Später fertigte Beethoven (oder einer seiner Schüler?) für einen Londoner Musikverlag eine Bearbeitung des Konzertes für Klavier an, die sich jedoch nicht durchsetzte.
Das Violinkonzert D-Dur, Opus 61 hatte einen langen Weg zum Erfolg. Die Reaktionen waren bei der Uraufführung nicht sehr begeistert. Vielleicht hat die besondere Schwierigkeit des Violinparts genauso dazu beigetragen wie die Tatsache, dass das Werk einen stark symphonischen Charakter hat, und der Solist sich trotz seiner anspruchsvollen Aufgabe nicht gefällig und elegant brillierend vom bloß begleitenden Orchester abhebt.
Lange Zeit wurde das Werk nicht aufgeführt. Mendelssohn-Bartholdy, einer der großen Wieder-Entdecker der Musikgeschichte, der seine Zeitgenossen u.a. wieder auf Bachs Matthäuspassion aufmerksam gemacht hat, hat mit dem 13jährigen Joseph Joachim Beethovens Violinkonzert am 27. Mai 1844 in London nach langer Zeit wieder aufgeführt. Eine Aufführung neun Jahre später unter Leitung von Robert Schumann in Düsseldorf etablierte das Werk. Seine Karriere begann, und heute liegen viele wunderbare Einspielungen vor.
Für eine besonders gelungene Aufnahme halte ich die Einspielung mit Thomas Zehetmair und dem Orchestra of the 18th Century unter Leitung von Frans Brüggen.
Ludwig van Beethoven:
Violinkonzert op. 61 + Romanzen Nr. 1 & 2 f. Violine & Orchester
Künstler: Zehetmair, 18th Century Orchestra, Brüggen
Label: Philips , DDD, 97
Thomas Zehetmair wurde 1961 in Salzburg geboren. Er studierte am Mozarteum und nahm an Meisterkursen u.a. bei Nathan Milstein teil. Unter den Dirigenten, mit denen er auftrat, sind besonders viele mit einem historisch informierten Ansatz wie z.B. Brüggen, Gardiner, Hanoncourt, Mackerras, Norrington. Ein Schwerpunkt neben dem klassisch-romantischen ist für Zehetmair neue Musik. So hat er u.a. das ihm von Heinz Holliger gewidmete Violinkonzert uraufgeführt. Besonders ausgezeichnet wurde er für seine Einspielung der Violinkonzerte Karol Szymanowskis.
Außerdem wirkt Zehetmair in verschiedenen Ensembles für Kammermusik mit und gründete 1994 das Zehetmair Quartett und betätigt sich als Dirigent. Er ist seit 2002 Chefdirigent der Northern Sinfonia und wirkt als Gastdirigent bei der Camerata Acadamica Salzburg mit.
Frans Brüggen gehört mit zu den Wegbereitern der historischen Aufführungspraxis. Er war der erste, der am Amsterdamer Konservatorium Blockflöte im Hauptfach studierte. Er wurde der wohl bedeutendste Künstler dieses Instrumentes im 20. Jahrhundert. Schon mit 21 Jahren wurde er Professor am Konservatorium in Den Haag. Brüggen verdanken wir eine Vielzahl hochwertiger Einspielungen Alter Musik.
Bald empfand Brüggen ein Ungenügen an den Aufführungen der Orchestermusik des 18. Jahrhunderts. Und so begann seine zweite Karriere als Dirigent des „Orchestra of the 18th Century“, das er 1981 gründete. Er sagt dazu in einem Interview:
„Es kam, weil ich allmählich unzufrieden wurde mit den Haydn- und Mozart-Aufführungen unserer guten modernen Sinfonieorchester. Ich wünschte mir mehr Nähe zum Komponisten – stilistisch gesprochen, noch abgesehen mit alten Instrumenten – und experimentierte ein bißchen mit Gastdirigaten. Aber dann habe ich mich doch entschieden, mich an die Spezialisten mit ihren Mozartschen Instrumenten zu wenden.“
Die hier vorliegende Aufnahme des Violinkonzertes (und der beiden Romanzen) ist für mich eine der großartigsten Einspielungen dieses Werkes. Zehetmair spielt die Kadenz von Wolfgang Schneiderhan mit der sich deutlich artikulierenden Pauke. Der Solist nimmt seine Rolle charaktervoll ein, und gleichzeitig bleibt die symphonische Balance erhalten. Hier wird kein Weichzeichner eingesetzt, sondern ausdrucksvoll und klar, mal kraftvoll und energisch, mal zart und schwebend wird Beethovens Violinkonzert gespielt.
Eine zweite Referenzaufnahme neueren Datums hebt die Pauke noch deutlicher hervor und gestaltet einige Stellen als Dialog zwischen Violine und Pauke. Der Solist Christian Tetzlaff sagt in einem Interview: „Dadurch entsteht eine frappierende Zweigleisigkeit. Einerseits sind da die naiven, schönen Melodien, die bitte auch so gespielt werden sollen, und andererseits gibt es dieses unerbittliche Paukenmotiv, das mit seinen militärischen Assoziationen das absolute Gegenteil darstellt.“ Tetzlaff hat für diese Einspielung die Kadenz, die Beethoven für die Klavierfassung des Konzertes komponiert hat, für die Violine transkribiert.
Eingespielt wurde diese Aufnahme innerhalb der Züricher Einspielung der Orchesterwerke Beethovens mit dem Tonhalle Orchester unter Leitung von David Zinman.
Ludwig van Beethoven:
Violinkonzert op. 61 und Romanzen Nr. 1 & 2 für Violine & Orchester
Künstler: Christian Tetzlaff, Tonhalle Orchester Zürich, David Zinman
Label: Arte , DDD, 2004
Wie gut, dass ich mich nicht zwischen beiden Aufnahmen entscheiden muss, sondern mich an beiden erfreuen darf.
Freundliche Grüße von der südlichen Nordsee, Andrew