Chopin: Scherzi - Feuriges Eis?

  • Chopin´s Scherzi - Feuriges Eis?

    Normalerweise meint der Begriff "Scherzo" den Satz einer größeren Komposition, beispielsweise einer Sonate oder einer Symphonie. Chopin war einer der ersten, die aus dem Scherzi eine eigene Form schufen.

    Alle vier Scherzi sind im 3/4 Takt gehalten und ähneln vereinfacht betrachtet einem Sonatensatz. Übersetzt man den Begriff "Scherzo" aus dem Italienischen so bedeutet er soviel wie Scherz oder Witz, von alledem ist bei den Scherzi Chopins wenig zu spüren, im Gegenteil: Alle vier Scherzo sind mit presto beziehungsweise presto con fuoco überschrieben.

    Scherzo No. 1, h-moll, op 20, komponiert 1831

    Scherzo No. 2, b-moll, op. 31, komponiert 1835 37

    Scherzo No. 3, cis-moll, op. 39, komponiert 1839

    Scherzo No. 4, E-Dur, op. 54, komponiert 1842

    Die meisten großen Chopin-Interpreten haben die Scherzi eingespielt, in der Regel werden die Scherzi als Zyklus aufgenommen, relativ häufig werden sie mit den Balladen gekoppelt, mit denen sie auch oft verglichen werden. Für mich persönlich gehören die Scherzi zu den faszinierendsten Kompositionen Chopins. Von dem früher häufig tradierten Bild des süßlichen Salonkomponisten ist in den Scherzi keine Spur zu finden. Geprägt sind sie vielmehr von scharfen Kontrasten, wie Feuer und Eis.

    Gehört habe ich die Scherzi im Konzert zweimal: Einmal mit Ivo Pogorelich und ein zweites Mal mit Mikhail Pletnev. Beide Pianisten haben die Stücke auch eingespielt:

    Welche Aufnahmen schätzt Ihr (oder auch nicht) besonders?

    (Ich werde meine Favoriten später nennen)

    Herzliche Grüße,:hello: :hello:

    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Christian,


    die beiden o.g Aufnamen sind mir bekannt, und wie es der Zufall will, habe ich die Scherzi ebenfalls mit Pletnev live erlebt.


    Mein Favorit ist aber folgende Aufnahme:



    Im Unterschied zu Pletnev und Pogorelich, die auf ihre Art etwas artifiziell und dadurch distanziert wirken (was reizvoll sein kann), nimmt Pollini das "con fuoco" rückhaltlos ernst und nimmt dafür auch einige Defizite in Punkto Detailreichtum in Kauf, was ich hier aber nicht als störend empfinde, da der Kern dieser Musik doch ihre Leidenschaftlichkeit ist und nicht ihr schillerndes Klangspektrum.


    Bekannt ist mir des weiteren die späte Rubinstein-Einspielung, die ich klanglich aber etwas trocken finde:



    In Erinnerung ist mir noch die zweite Aufnahme von Claudio Arrau - sein schleppendes Tempo, das ich sonst gerne in Kauf nehme, zielt in diesem Fall wohl an der Musik vorbei:



    Es gibt noch eine älter Aufnahme der Scherzi von Arrau (Decca, ich glaube aus den 50er Jahren), die ich leider aber (noch) nicht hören konnte.



    Viele Grüße,
    Christian

  • Es gibt auch eine Videoaufnahme mit Yundi Li. Ich habe mir diese vor längerer Zeit einmal angesehen und war davon sehr angetan, insbesondere von der klanglich fein abgestuften Spielkultur. Ich denke, diese Einspielung ist fast ideal.


    Die Aufnahme ist sowohl als DVD als auch als CD und als SACD erscheinen:




  • Die Scherzi sind vier ganz großartige Stücke, die ich innerhalb Chopins Klavierschaffen besonders schätze. Sie zeigen, ähnlich wie die Balladen und Preludes, eine wilde, dämonische Seite des Komponisten, die mir deutlich mehr zusagt, als die sehr schönen, rein lyrischen Stücke (Nocturnes, Walzer...). Die extremen Kontraste, für die "Feuriges Eis" eine mehr als treffende Beschreibung ist, sind einfach überwältigend.


    Ich besitze die Aufnahme Rubinsteins aus der "Chopin Collection", die den damaligen Ruf des Pianisten als ersten Chopin-Interpreten mehr als rechtfertigt. Klavierkunst auf höchstem Niveau!



    Andere Aufnahmen kenne ich nur dürftig von der städtischen Mediathek. Für den Hausgebrauch genügt mir die obige aber völlig.


    Liebe Grüße,
    Gerald

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

    Einmal editiert, zuletzt von Gerald ()

  • Hallo,


    Ich bin ein großer Fan von Chopins Scherzis! Die Zerrissenheit dieser Werke fasziniert mich. Ich kann ohne Einschränkung (außer Arrau) alle oben genannten Aufnahmen empfehlen. Ich möchte noch 2 hinzufügen:
    Zum einen Kyprien Katasaris Aufnahmen aus den 80 Jahren bei Teldec; seine flotte schnörkellose Herangehensweise ist nach wie vor interessant! :jubel:


    Zum anderen habe ich eine (leider hier nicht erhältiche) Aufhamen der Scherzis mit Stanislav Bunin. Er spielt mit eigenwilliger aber sehr zwingender Energie! Der satte Sound tut sein seiniges dazu! Kann ich nur empfehlen! (gekoppekt mit den Balladen und den Etuden)


    Gruß
    Niko

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  • Zitat

    Original von scriabin007
    Zum anderen habe ich eine (leider hier nicht erhältiche) Aufhamen der Scherzis mit Stanislav Bunin. Er spielt mit eigenwilliger aber sehr zwingender Energie! Der satte Sound tut sein seiniges dazu! Kann ich nur empfehlen! (gekoppekt mit den Balladen und den Etuden)


    Was ist denn das für ein Label? Ich kenne von Bunin nur seine Chopin-CD bei Hänssler, ein Chopin, der mir wie aus der Ecke von Scriabin interpretiert vorkam.


    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Hallo,


    Bitte Stanislav Bunin nicht mit Vladimier Bunin verwechseln! Beide Pianisten haben den gleichen Namen, sind aber nicht miteinader verwand! Stanislav Bunin (1966 in Russalnd geborten, er ist ein Enkel des Heinrich Neuhaus) hat 1985 den Chopin Wettberwerb gewonnen und ist 1988 nach Japan emigriert. Ein paar Biographische Daten unter:
    http://www.proarte-frankfurt.de/bios/bunin.html


    Die Aufnahme die ich erwähnt habe ist bei Toshiba-EMI / EMI Classic erschienen und leider nur auf dem japanischen Markt erhältich! Das Doppelallbum enthält die 4 Balladen 4 Scherzis und 24 Etuden von Chopin!


    Sein Spiel ist sicher keine Fall für Puristen! Er hebt die Dramatik in den Stücken hervor!


    Gruß Niko

  • Zitat

    Original von scriabin007
    Hallo,


    Bitte Stanislav Bunin nicht mit Vladimier Bunin verwechseln!


    sorry, danke für diesen Hinweis!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Hallo zusammen!


    Seit fast dreieinhalb Jahren ist zu Chopins Scherzi nichts mehr geschrieben worden; insgesamt waren es nur sieben Beiträge. Angesichts der allgemeinen Beliebtheit dieser Werke ist dies sehr verwunderlich.


    Zahlreiche Pianisten haben alle vier Scherzi eingespielt, manche Pianisten scheinen mir ein bestimmtes Scherzo zu bevorzugen, so Horowitz das erste, Barere das dritte, Ashkenazy vielleicht das vierte. Vom zweiten Scherzo in b-Moll gibt es wahrscheinlich die meisten Einpielungen. Auch im Konzert wird es am häufigsten dargeboten.


    Hierzu eine nette Geschichte: Am 10.03. dieses Jahres gab Krystian Zimerman in der Kölner Philharmonie einen reinen Chopin-Abend. Zu Beginn spielte er ein Nocturne, als zweites dann das Scherzo in b-Moll. Nach dem Nocturne gab es merkwürdigerweise noch keinen Beifall. Nachdem aber Zimerman zum ersten Mal die blühende Melodie des ersten Teils des Scherzos gespielt hatte und die vorgeschriebenen zwei Takte innehielt, um erneut sotto voce mit dem fragenden Anfangsmotiv zu beginnen, fingen einige Konzertbesucher an zu klatschen, offenbar in der Meinung, das Stück wäre schon zu Ende. (Wenn nicht vorhin, dann aber jetzt.) Was für ein Schreck! Zimerman spielte aber unbeirrt weiter. An der gleichen Stelle angelangt, vor dem Mittelteil in A-Dur, drehte er kurz seinen Kopf in Richtung Publikum, ob vielleicht wieder geklatscht würde. Ein Raunen und kurzer Applaus für die Einlage! Dann ging es weiter. Das nenne ich souverän.


    Ich möchte an dieser Stelle (noch) keine Empfehlungen besonderes hervorragender Aufnahmen aussprechen, sondern vielmehr den Genießern und kundigen Hörern zwei Fragen zur Interpretation stellen (ich hoffe, ich drücke mich verständlich aus). Vielleicht hilft das, den Faden zu neuem Leben zu erwecken.


    1. Im zweiten Scherzo komponierte Chopin nach im Mittelteil in A-Dur eine herrliche, wiegende Kantilene, die - nach einem kurzen Ritardando - von Arpeggien (leggiero) abgelöst wird, die (bei der Wiederholung) zur Durchführung überleiten. Die meisten Pianisten, ja fast alle, spielen diese Arpeggien von Anfang an mit sehr hohem, jagendem Tempo.


    Und hier meine Frage: Widerspricht das nicht allzu sehr den Intentionen Chopins? Die entsprechende Phrase beginnt piano, erst nach 16 Takten soll forte gespielt werden, erst vier weitere Takte später steht crescendo ed animato bis hin zum fortissimo. Vergeben sich nicht die meisten Pianisten dieser Steigerungsmöglichkeit, wenn sie unmittelbar „lospreschen“? Ich finde die Phrase gar zu schön, sowohl in der rechten als auch in der linken Hand.


    2. Im dritten Scherzo gibt es auch eine Stelle, die mich beschäftigt. Im Meno mosso - Teil setzt Chopin langsame Akkorde, die an einen Choral erinnern. Die Akkorde werden immer wieder durch die absteigenden und gebrochenen Akkorde unterbrochen, ein leises Plätschern.


    Meist wird hier nach dem letzten Akkord der Melodie deutlich pausiert (um die Hände schnell nach oben zu bringen), dann werden die gebrochenen Akkorde in sehr schnellem Tempo gespielt. Oft verwischen dabei die Konturen, der Zusammenhang mit dem „Choral“ geht verloren. Es ist nur ein klanglicher Effekt.


    Warum wird das so fast immer gespielt? Warum setzt die Kaskade nicht, wie notiert, auf der zweiten Zählzeit ein, unmittelbar nach dem letzten Akkord der Melodie?


    Ich bin gespannt auf Eure Meinungen! (Ich kenne nur einen Pianisten, der meiner Auffassung nach die Noten mustergültig umsetzt.)


    Rainer


  • Hallo Rainer!


    Du hast völlig Recht - die Scherzi verdienen weit mehr Beachtung als geschehen! Bei mir jedenfalls haben sie einen zentralen Stellenwert. Daran ist natürlich auch Arturo Benedetti Michelangeli nicht unschuldig, dessen Aufnahme des b-moll Scherzo mich seit meiner Jugend begleitet, zu der Joachim Kaiser zu Recht sagt finde ich: "Jahrhundertaufnahme". Ich ahne, welche Stellen Du meinst, aber vielleicht kannst Du mal den Takt angeben, damit ich mich vergewissern kann und nicht etwas falsches schreibe! Von wegen Textgenauigkeit: Von ABM gibt es zwei Konzertmitschnitte des 1. Scherzo in h-moll. Wenn man das gehört hat, dann fragt man sich, besonders nach der ersten Seite: Warum halten sich Generationen von Pianisten nicht an den Notentext? So schlüssig und dramatisch-expressiv klingt das bei niemandem sonst! Das Trio bei ABM ist geradezu beklemmend, Ausbrüche von Schmerz aus der Tiefe der Seele, fast schon wie ein Schrei. Besonders eindringlich die Aufnahme aus London 1990 - hier ist er mehr als eine 1 Minute langsamer als in Bregenz 1988. Dazwischen liegt sein Zusammenbruch in Bordaux, wo er nur knapp dem Tod entging. Die Ärzte sagten ihm damals: Er habe mit diesem Herzfehler nur noch maximal 5 Jahre zu leben. Das alles spielt mit bei dieser Aufnahme, wo das h-moll-Scherzo wirklich tragische Dimensionen bekommt. Auch beim 3. Scherzo habe ich eine Jugenderinnerung: ein Konzert von Adam Harasiewicz im Düsseldorfer Schumann-Saal, der inzwischen abgerissen ist. Bei seiner Aufnahme bewundere ich, daß er als einziger die dramatische Spannung wirklich von Anfang bis Ende durchhält, das Trio mit dem Choralthema und den bei den meisten etwas "klingelnden" dekorativen Läufen eben mehr ist als nur idyllisch und dekorativ. Beim Scherzo Nr. 4 sind meine Referenzen Svjatoslav Richter (Konzert in der Carnegie Hall, CD "Richter rediscovered") sowie die sehr schöne alte Ashkenazy-Aufnahme (Decca). Von den Scherzi habe ich natürlich eine ganze Reihe von wunderbaren Einspielungen in meiner Sammlung, etwa Rubinstein und Arrau. Auch Yundi Lee ist sehr gut, finde ich! Noch ungehört steht bei mir: Tamas Vasary. Seine Balladen sind überragend, deshalb bin ich schon sehr gespannt!


    Beste Grüße
    Holger

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  • Hallo Holger!


    Danke für Deine Antwort. Ich bekomme direkt Lust, noch einmal die von Dir genannten Aufnahmen anzuhören, insbesondere die von Michelangeli (den Londoner Mitschnitt besitze ich auch) und die von Harasiewicz.


    Die ersten drei Scherzi habe ich noch vor etwa zwei Monaten im Konzert erleben dürfen - im neuen Düsseldorfer Schumann-Saal. Es spielte die junge georgische Pianistin Khatia Buniatishvili. Ich habe die Doppeloktaven des dritten Scherzos noch nie in solch halsbrecherischem Tempo gehört. Aber es gingen doch einige schöne Stellen unter, besonders bei ihrem Liszt.


    In meiner Notenausgabe (Edition Peters) stehen leider keine Taktzahlen und im Internet wurde ich auch nicht fündig. Aber wenn ich mich nicht verzählt habe, so meine ich im b-Moll Scherzo die Takte 334 ff und im cis-Moll Scherzo die Takte 59 (den fünften Takt des Chorals), 67, 75 usw.


    Ich wünsche frohe Weihnachten


    Rainer


  • Hallo Rainer,


    über den neuen Schumann-Saal habe ich immer wieder gehört, daß die Akustik nicht berauschend sein soll. Der alte sah nicht so schön aus - aber für Klavierabende war er wunderbar. Bei vielen jungen Talenten ist es leider so, daß sie meinen, mit Geschwindigkeitsrekorden auf sich aufmerksammachen. Ma zu müssen. Man glaubt sich dann auf dem Klavierwettbewerb...


    Ich habe mal geschaut bei den Stellen - zum Nachhören komme ich Moment (Feiertag!) natürlich nicht, das muß ich später nachholen. Im 3. Scherzo (cis-moll), setzen die Interpreten (Takt 159 usw.) in der Tat auf der ersten Viertel im Takt eine Fermate, wo keine notiert ist. Interessant! Vielleicht ist das eine Frage des Tempos. Chopin schreibt "meno mosso" vor. Wieviel "meno mosso" ist aber eigentlich gemeint? Wenn man das Choralthema sehr zügig nimmt und nicht langsam, dann muß man zwangsläufig eine Fermate machen, sonst klingt das nicht organisch. Vielleicht ist das ein Indiz, daß dieser Teil wohl meist zu schnell gespielt wird. Darüber lohnt es sich nachzudenken!


    Im b-moll-Scherzo erinnere ich mich, daß Rubinstein diese "leggioro"-Passage Takt 334 ff. sehr langsam beginnt und dann das Tempo steigert. In der Henle-Ausgabe steht an dieser Stelle kein "p". Klar ist, daß es eine dynamische Steigerung geben soll, die an den vorherigen Teil anschließt (Takt 250 "f", Takt 258"ff"). Die letzte Bezeichnung Takt 299 "pp". Ob der Interrpret hier im "p", "mp", oder "mf" beginnt, ist wohl eine Interpretationsfrage. Hauptsache das "leggiero" wird gewahrt als Kontrast zum "sostenuto" des Themas (Takt 264), wo Chopin ja einfach nur "sotto voce" vorschreibt (nicht etwa "p"!), weswegen man den leggiero-Teil durchaus auch "sotto voce" spielen darf - jedenfalls spricht nichts dagegen.


    Wenn ich den Vasary höre, werde ich nochmals "querhören" und berichten!


    Noch einen schönen zweiten Weihnachtsfeiertag!


    Beste Grüße
    Holger

  • Hallo Holger,

    den alten Schumann-Saal habe ich nicht gekannt, weshalb ich einen Vergleich nicht ziehen kann. Die Tonhallen-Veranstalter weichen aber gerade mit Klavierabenden gern in den Schumann-Saal aus. So bleibt mir keine Wahl, wenn ich bestimmte Interpreten oder Werke hören möchte: so etwa ein Konzert mit Emanuel Ax, der übrigens die Scherzi auch vorzüglich spielt. Im Herbst habe ich dort auch ein paar Konzerte aus einer Schumann-Reihe gehört, mit besagter Buniatishvili, Eric Le Sage (sehr beeindruckend - in der Pause wurde ihm für seine Schumann-Einspielungen der Preis der deutschen Schallplattenkritik überreicht), Igor Levit (von dem man sicher noch viel hören wird) und „Altmeister“ Buchbinder (hervorragend - und mit einer umwerfenden Darbietung einer Grünfeld`schen Strauß-Bearbeitung als Zugabe).



    Ich danke Dir für Deine Ausführungen. Was die Fermate im dritten Scherzo anbelangt, so habe ich auch überlegt, ob das am Tempo liegt. Wenn man keine macht oder machen will, muß man ja nicht nur beide Hände blitzschnell die Tastatur hochbringen, sondern auch von einem erhabenen, druckvollen forte zu einem quecksilbrig leisen piano umschalten. Aber ich finde, egal, ob man den Choral langsam oder zügiger nimmt, sollte ohne Fermate gespielt werden. Sonst gerät - wie soll ich es beschreiben? - die musikalische Architektur, der Grundpuls aus den Fugen: Ob man nun, beginnend mit dem Choral, innerlich 123123 oder nur die punktierten Halben zählt, so landet man mit dem Ende des Chorals irgendwo mitten im Takt, nicht mehr auf der 1. Ohne Zweifel gibt es viele wunderbare Aufnahmen mit Fermate (ich höre gerade Harasiewicz), aber mit erscheint es ohne Fermate auch richtiger: der aufsteigende Choral wird unmittelbar von den herabregnenden leggiero-Kaskaden beantwortet. Später sehen die meisten das auch so, ab Takt 83 und 86.

    Du besitzt sicher die späten Chopin-Aufnahmen von Claudio Arrau. Er spielt das Scherzo meiner Meinung nach so, wie es gemeint war.

    Im zweiten Scherzo steht bei mir (Peters) wirklich ein p in Takt 334. Wahrscheinlich wollte der Herausgeber die dynamische Steigerung nur fixieren und es nicht dem Spieler überlassen, es herauszubearbeiten. Da erkennt man den Unterschied zu einer Urtext-Ausgabe. Daher mag auch das animato, das bei mir in Takt 354 steht, schon früher angewendet werden oder von Anfang an schnell gespielt werden. Schöner finde ich es allerdings, wenn sich die Pianisten Zeit für eine Tempo-Steigerung nehmen und auch die linke Hand beachten (sehr genau insoweit Hough, etwas übertrieben Katsaris).

    Meine Empfehlungen zu einem vergleichenden Hören dieser Passage sind Cecile Ousset, Arrau, Emanuel Ax (mit der vielleicht deutlichsten Steigerung) und Stephen Hough. Rubinstein spielt natürlich sehr gut, aber die besagte Stelle - zumindest in seiner Aufnahme für RCA, die EMI-Aufnahme habe ich nicht - doch von Anfang an relativ schnell.

    Die Aufnahme des ersten Scherzos mit ABM geht wirklich zu Herzen. Gut, dass sie nicht der Nachwelt verloren ging.

    Viele Grüße,


    Rainer

  • Hallo Rainer,


    ich entdecke gerade Deine aufschlußreiche Antwort. Erst einmal ein gutes neues Jahr! Ich hoffe, ich komme bald dazu, mich mit den Scherzi ausführlicher zu beschäftigen - vielleicht nächste Woche! Arrau, Ousset habe ich. Emanual Ax leider nicht!


    Bis dahin beste Grüße
    Holger

  • Was relativ selten bei Richter vorkam, ist bei den vier Scherzi von Chopin der Fall: er hat tatsächlich den gesamten Werkzyklus gespielt und sich nicht wie sonst (mit Ausnahme des "Wohltemperierten Klaviers" von Bach) eigentlich fast immer auf ausgewählte Werke aus einem Zyklus beschränkt. Es gibt von allen vier Scherzi Mitschnitte aus verschiedenen Klavierabenden der Jahre 1950 bis 1977, wobei bei ihm eine gewisse Bevorzugung des Scherzos Nr. 4 zu erkennen ist (das gibt es in nicht weniger als 12 verschiedenen Mitschnitten auf Tonträger).


    Auf einen Mitschnitt möchte ich besonders hinweisen: Richter spielte alle vier Scherzi am 15. April 1965 in der Carnegie Hall in New York City. Die verdienstvolle Firma Doremi hat die Aufnahme zunächst in der "Legendary Treasures"-Reihe als Vol. 2 herausgebracht (gemeinsam mit anderen Chopin-Mitschnitten aus Warschau 1954, Helsinki 1976 und Salzburg 1977)

    Zum Glück entschloss man sich, später auch den kompletten Klavierabend aus der Carnegie Hall vom 15. April 1965 zu veröffentlichen, und zwar als Teil der Doppel-CD Vol. 15 der "Legendary Treasures"-Reihe (welche auch noch weitere Richter-Aufnahmen aus Budapest, Moskau und Hohenems enthält)

    Sämtliche übrigen Aufnahmen auf dieser Doppel-CD (mit Ausnahme also der bereits zuvor veröffentlichten vier Scherzi) sind "first releases ever", wobei es den Marsch E-Dur DV 606 von Schubert überhaupt nur auf dieser Doppel-CD zu kaufen gibt. Eine weitere Version liegt nicht vor.

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  • Chopins Scherzo Nr. 4 von Swjatoslaw Richter habe ich auch auf der Doppel-CD "Richter-rediscovered", die aber im Moment nicht zu haben zu sein scheint. Laut Cover wurde das Scherzo am 26. 12. 1960 in der Carnegie-Hall aufgenommen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Chopins Scherzo Nr. 4 von Swjatoslaw Richter habe ich auch auf der Doppel-CD "Richter-rediscovered", die aber im Moment nicht zu haben zu sein scheint. Laut Cover wurde das Scherzo am 26. 12. 1960 in der Carnegie-Hall aufgenommen.

    Die 1960er Version des vierten Scherzos aus der Carnegie Hall ist grandios, ohne Frage. Wie auch der Rest dieser Doppel-CD - welche zumindest auf dem Gebrauchtmarkt (noch) problemlos zu erwerben ist, "offiziell" aber tatsächlich offenbar schon wieder gestrichen ist.

    Wer ein paar schöne Rezensionen dieser Doppel-CD nachlesen möchte:
    http://www.amazon.com/Richter-…sic&qid=1297813343&sr=1-1
    In der zitierten Rezension von David Fanning ("International Record Review") heißt es zum Chopin-Scherzo: "Chopin's Fourth Scherzo takes wing in flurries of quick-fire passagework, contrasted with aristocratic roundness of tone in the lyrical interludes – a performance strong on fantasy." Dem ist nichts hinzuzufügen.

  • Zitat von »William B.A.«




    Chopins Scherzo Nr. 4 von Swjatoslaw Richter habe ich auch auf der Doppel-CD "Richter-rediscovered", die aber im Moment nicht zu haben zu sein scheint. Laut Cover wurde das Scherzo am 26. 12. 1960 in der Carnegie-Hall aufgenommen.
    Die 1960er Version des vierten Scherzos aus der Carnegie Hall ist grandios, ohne Frage. Wie auch der Rest dieser Doppel-CD - welche zumindest auf dem Gebrauchtmarkt (noch) problemlos zu erwerben ist, "offiziell" aber tatsächlich offenbar schon wieder gestrichen ist.

    Hallo Svjatoslav,


    das denke ich auch! Schon in meiner Jugend war die Platte einer meiner Lieblings-LPs - und dann mußte man so lange warten, bis endlich diese CD-Veröffentlichung kam. Zum Glück habe ich sie...! Rubinstein hat das Konzert wohl gehört und bewundert besonders den Klang von Richter, was man hier sehr gut nachvollziehen kann. :)


    Ich weiß, ich bin "überfällig". Die Scherzi mit Tamas Vasary habe ich immer noch nicht gehört - daran ist nicht zuletzt der Jubilar Franz Liszt schuld! :hello:
    Beste Grüße
    Holger