"Ich hörte Hans Pfitzners musikalische Legende "Palestrina" dreimal bisher, und merkwürdig rasch und leicht ist mir das spröde und kühne Produkt zum Eigentum, zum vertrauten Besitz geworden. Dies Werk, etwas Letztes und mit Bewußtsein Letztes aus der schopenhauerisch-wagnerischen, der romantischen Sphäre, mit seinen dürerisch-faustischen Wesenszügen, seiner metaphysischen Stimmung, seinem Ethos von "Kreuz, Tod und Gruft", seiner Mischung aus Musik, Pessimismus und Humor...."
Das schreibt Thomas Mann in seinen " Betrachtungen eines Unpolitischen", und später heißt es dann:
"An einem Sommerabend zwischen der zweiten und dritten Palestrina-Aufführung unerhielt man sich, auf einer Gartenterrasse sitzend, über das Werk, indem man es, was nahe liegt, als Künstlerdrama und als Kunstwerk überhaupt mit den Meistersingern verglich; man stellte Ighino gegen David, Palestrina gegen Stolzing und Sachs, die Messe gegen das Preislied, man sprach von Bach und der italienischen Kirchenmusik als stilisierenden Kräften. Pfitzner sagte: >> Der Unterschied drückt sich am sinnfälligsten in den szenischen Schlußbildern aus. Am Ende der Meistersinger eine lichtstrahlende Bühne, Volksjubel, Verlöbnis, Glanz und Gloria: bei mir der freilich auch gefeierte Palestrina allein im Halbdunkel seines Zimmers unter dem Bild der Verstorbenen an der Orgel träumend. Die Meistersinger sind die Apotheose des Lebens, im Palestrina neigt alles zum Vergangenen, es herrscht darin Sympathie mit dem Tode.>> Man schwieg, und nach seiner Art, einer Musikantenart, ließ er seine Augen schräg aufwärts ins Vage entgleiten."
Bei aller Zeitgebundenheit der Perspektive halte ich Manns Ausführungen zum Palestrina - in den "Betrachtungen" gehen sie noch viel weiter und erstrecken sich über einige Seiten - für sehr lesenswert, wenn man sich mit dieser Oper näher beschäftigen will. Um ein "kühnes und sprödes" Werk handelt es sich in der Tat, manche bezeichnen es als "komponierte Philosophie" und machen das zum Ausgangspunkt einer kritischen Sichtweise.
Uraufgeführt wurde die "musikalische Legende" am Münchener Prinzregententheater am 12. Juni 1917, die Titelrolle sang Karl Erb, die musikalische Leitung hatte Bruno Walter, der diese Oper Zeit seines Lebens sehr geliebt hat. Der Erfolg des Stückes war groß, und auch ein Züricher Gastspiel im November des gleichen Jahres stieß auf relativ große Begeisterung.
Besonders interessant ist, daß es sich um die einzige von fünf Opern handelt, zu der sich Pfitzner selber den Text geschrieben hat, und daß man diese Textvorlage wohl zweifelsfrei als großen Wurf bezeichnen kann. Rudolf Kloiber schreibt in seinem Handbuch der Oper: " Bei der Qualitätsgleichheit von Dichtung und Musik ist es schwer zu unterscheiden, welcher von beiden der Vorzug zu geben ist. Schon allein die Idee und ihre dramaturgische Gestaltung in einem Bühnenwerk trägt den Stempel des Außergewöhnlichen. Das in seiner Gegensätzlichkeit und Symbolhaftigkeit wohlausgewogene Geschehen ohne Erotik, die mit dichterischem Feingefühl behandelte Sprache ohne Pathos und die realistische Darstellung der typenhaft wirkenden Personen sind die Komponenten dieses Operntextes von seltenem Niveau."
Für mich geht die eigentliche Magie des Stückes aber doch von der Musik aus, von der einzigartigen Mischung aus Sprödigkeit und romantischer Innigkeit, aus Kirchentonalität, Diatonik und spätesttonaler Grenzharmonik, aus historisierend-asketisch-leisen Klängen und massiver Blechwucht (im 2.Akt), aus atmosphärischer, beinahe "impressionistischer" Vergangenheitsbeschwörung und klaren, süßen melodischen Linien.
Es gab einige bekannte Dirigenten, die sich sehr für den Palestrina begeistert haben. Neben Bruno Walter sind hier vor allem noch Robert Heger, Joseph Keilberth, Rafael Kubelik, Heinrich Hollreiser und Christian Thielemann zu nennen.
Ich selber konnte den Palestrina bislang in Nürnberg, München (mit Peter Schreier), Berlin (mit René Kollo) und Düsseldorf live erleben. Das waren jeweils Abende, die ich nicht so schnell vergessen werde. Vor allem der nahezu unhörbar verklingende, resignative, in seiner Schlichtheit unglaublich raffinierte Schluß gehört für meine Ohren zu den beeindruckensten Momenten der Oper (und der europäischen Musik) überhaupt.
Auf eure (kontroversen?) Meinungen bin ich gespannt!
Viele Grüße
Bernd