Sommerlochthread: MEISTERWERKE

  • Salut,


    gerade machte es ***klick*** für diesen Thread:


    Was sind 'Meisterwerke'?


    In einem Kurzdisput in einem anderen Thread schrieb der Kurzstückmeister über ein Meisterwerk von Peter Ruzicka - ich schrieb gewohntermaßen frech zurück, daß dieses Meisterwerk zu mir noch nicht vorgedrungen sei und daß
    irgendwie jeder irgendwann einmal etwas von sogenannten "Meisterwerken" mitbekommt...


    Was also sind MEISTERWERKE?


    Kann man Meisterwerke allgemein - rein analytisch und objektiv - als solche bezeichnen, ohne dass sie groß bekannt sind oder spielt hier der Bekanntheitsgrad [wenn auch in Spezialkreisen z.B. der Klassikliebhaber allgemein] eine bedeutende Rolle?


    Wie kann man ein 'Meisterwerk' charakterisieren? Welche 'Kriterien' muß es erfüllen, um als solches gemeinhin 'anerkannt' zu werden und ggfs. zu bleiben?


    Gibt es Werke, die einst als 'Meisterwerk' galten und jetzt enttarnt sind? Gibt es 'ewig gültige Meisterwerke'? Welche 'Meisterwerke' wurden neu entdeckt oder geschaffen? Wer beurteilt, ob ein 'Meisterwerk' ein solches ist?


    Sind 'Meisterwerke' die Werke eines Meisters, oder wird der Schöpfer durch ein solches Gelingen erst zum Meister?


    Fröhliche Schlammschlacht!


    !!! ...natürlich bitte nicht... !!!


    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Wie man meinem Nickname ansieht, sehe ich das ein wenig historisch.


    Früher hatte ja jeder Öl-Maler-Meister seine Werkstatt, wo manch hoffnungsfroher Pinseldilettant unterwiesen wurde - und dabei der Großteil der Produktion eben von der Werkstatt getragen wurde. (Rubens soll die Komposition stets entworfen haben, die Ausführung wurde dann je nach Bezahlung besser oder schlechter gemacht, oft ohne seine Beteiligung.) Nun, und irgendwann wurde man dann wohl, wenn man gut genug war, selber ein Meister und gründete seine eigene Werkstatt.


    Viele Meister sind anonym. So hängt im Kunsthistorischen Museum das Meisterwerk des "Meisters vom verlorenen Sohn", eben eine Darstellung mit verlorenem Sohn.


    "Meister" sagt für mich also relativ wenig über Qualität aus, oder immerhin soviel, dass es jemand damals zum "Meister" gebracht hat. Das sind freilich wahnsinnig viele (wenn man versucht, sich möglichst viele davon zu merken ...)


    Insofern ist es für mich aber völlig zweifellos, das Ruzicka seine Meisterwerke schreibt (und seine Nebenwerke), und ob die "Metamorphosen über ein Klangfeld von Joseph Haydn" nun dazugehören oder nicht, kann ich natürlich nicht mit Sicherheit sagen, ich nehm es aber einmal an.

  • Mir fällt noch was dazu ein: Zur Zeit, wo die Maler ihre Werkstätten hatten, wurden kaum Bilder signiert. Man nahm an, dass der Betrachter ohnehin erkennen würde, aus welcher Werkstatt es stammt. Jeder Meister mußte also einen eigenen Stil haben, zumindest ansatzweise. Schon ein paar Jahrzehnte nach Ankauf manch aktuellen Bildes war es aber manchmal dem Inhaber schon nicht mehr so ganz klar, wem denn nun das eine oder andre Bild zuzuschreiben ist, sodass unsre Kunsthistoriker ihre liebe Not mit den Inventarlisten haben - die müssen nämlich auch nicht immer stimmen ...

  • ...vielleicht kommt die Bezeichnung aus der Zeit, als Musiker (UND Komponisten!) noch eher als "Handwerker" bezeichnet wurden - zu Bachs Zeiten war das definitv noch so. Komponisten galten als Handwerker und keine Künstler (wobei es diesen Begriff -glaube ich- damals auch noch nicht in der Form gab, wie wir ihn heute verwenden) - selbst die Maler betrieben -wie oben erwähnt- als Meister ihre Werkstätten - das klingt auch mehr nach solidem Handwerk, denn nach Atelier...


    Es hieß damals doch über Bach und seine Kollegen immer so ähnlich wie "...er beherrschte das Musik-Handwerk gar meisterlich..." - und jemand, der etwas meisterlich beherrscht, schafft dann auch Meisterwerke, oder? :D :] :]


    Bis heute gibt es im Handwerk ja noch den Begriff "Meisterstück", also die praktische Arbeit(sprobe), die den Gesellen nach Abschluss aller sonstigen theoretischen Prüfungen zum "Meister" macht.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Salut,


    ein 'Meisterstück' muß ja nicht immer ein 'Meisterwerk' bleiben, oder?


    :hello:


    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Original von MarcCologne
    Komponisten galten als Handwerker und keine Künstler (wobei es diesen Begriff -glaube ich- damals auch noch nicht in der Form gab, wie wir ihn heute verwenden) - selbst die Maler betrieben -wie oben erwähnt- als Meister ihre Werkstätten - das klingt auch mehr nach solidem Handwerk, denn nach Atelier...


    Ich habe mal gelesen, dass ein großer Schritt zur Aufwertung des bildenden Künstlers vom Handwerker - eben zum Künstler - in der Frührenaissance stattfand, als Ghiberti erlaubt wurde, für die dritte Baptisteriumstür in Florenz selber das Programm zu entwerfen (und nicht nach mehr oder weniger genauen Vorgaben ein Programm abzumalen - oder -bildhauern).


    Ein weiterer Schritt wird dann das Ende des Werkstattbetriebs - im 18. Jh. glaube ich - sein, und ein weiterer die Entwicklung einer modernen akademiefeindlichen Kunst im 19. Jh. (Impressionismus und Cézanne), die sich über den "Akademismus" erhaben dünkt.


    Ich weiß aber nicht, wie lange man gerade aktuelle Maler als "Meister" bezeichnet hat. Jedenfalls ist das heute eigentlich nur mehr für "alte Meister" üblich, oder? Ich persönlich würde Baselitz ja als einen der größten Meister unter den "jungen Wilden" bezeichnen ...

  • Salut,


    beim Thema Musik, bei dem wir ja eigentlich sind [obwohl dies hier sicher auf alle Sparten der Künste übergreift], wird aber aus eigener Erfahrung noch heute der Begriff maestro [ital. Meister] benutzt - vielleicht eher spasseshalber?


    Vielleicht kommen wir dann allmählich auf Meisterwerke der klassischen Musik zurück...


    Cordialement
    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Das ist schon was wahres dran. Meisterwerke sind - mal ganz wörtlich und ohne typisch deutsche Überhöhungsgedanken - Werke eines Meisters. Eines Meisters im Tonsatz. Jemand der Harmonielehre, Kontrapunkt etc. gemeistert hat. Und das sind nicht eben wenige.


    Wenn man ubedingt wieder Auslese treiben möchte und einigen wenigen Werken oder auch Stücken (einen Unterschied zwischen den beiden Begriffen sollte es IMO nicht geben) einen besonderen Rang unter allen anderen einräumen möchte, dann könnte man vielleicht von Geniestreichen -bzw. würfen reden, was freilich nur wieder zu einer leidlichen Debatte des Genie-Begriffs führen würde. :D

  • Ich fürchte, dass gerade in unserer heutigen Zeit, die so süchtig nach Superlativen ist, der Begriff "Meisterwerk" (wie viele andere derartiger Begriffe auch) inflationär gebraucht und damit missbraucht wird.


    Meine Meinung dazu:
    Um ein Meisterwerk als solches bezeichnen zu können, muss dieses schon ein bißchen älter sein, sich quasi "bewährt" haben, etwas Zeitloses, Allgemeingültiges besitzen. Sollte es dieses überzeitliche Element nicht besitzen, dann läuft es Gefahr, von einer kommenden Generation nicht mehr verstanden, geliebt und gebraucht zu werden. Niemand würde das Meisterwerk mehr als solches wahrnehmen und bezeichnen, weil es keiner mehr versteht und zu würdigen weiß.


    Es ist allerdings auch schon vorgekommen, dass ein Meisterwerk direkt als etwas ganz Besonderes verstanden wurde und sich alle einig waren, dass sie (z. B. bei einer Uraufführung) einer ganz besonderen "Sternstunde der Menschheit" (wie Stefan Zweig es nennen würde) beigewohnt haben - aber so etwas ist leider nicht an der Tagesordnung. Die UA des "Don Giovanni" 1787 in Prag dürfte so eine Situation gewesen sein - da haben alle Anwesenden intuitiv erkannt, dass hier etwas ganz "Großes" geschaffen und der Menschheit geschenkt wurde.


    Bei den Uraufführungen z. B. von Bachs "Matthäus-Passion" oder Bizets "Carmen", die ohne größere Regungen vom Publikum zur Kenntnis genommen oder -noch schlimmer- katastrophal durchgefallen sind, brauchte es halt die oben erwähnte "Bewährungszeit", um die Bedeutung dieser musikalischen Meisterwerke zu erkennen.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)