Klassischer gehts nicht mehr: Antike Stoffe in Opern

  • Liebe Forianer


    Die Opern der ersten Stunde waren von mythologischen Themen beherrscht. Viele sind inzwischen vom Spielplan verschwunden.
    Was ist hiefür die Ursache ? Die Musik ?
    Oder ist hier auch die Tatsache verantwortlich, daß die alten grichischen Götter und Helden, ebenso wie ihre Römischen Pendants einem Großteil des Publikums gar nicht mehr bekannt sind, geschweige denn die Sagen und Legenden, die sie umgeben. Von anderen Kulturen und ihren Sagengestalten rede ich lieber gar nicht - oder doch ?
    Oh doch- wir sollten darüber reden. Es wäre schade wenn jahrhundertealtes Kulturgut verschüttet würde - nur weil es nicht dem verordeneten Zeitgeist entspricht.
    Ich selbst habe auf diesem Gebiet auch gewaltige Lücken - entdecke aber allmählich die alten Überlieferungen wieder (es gibt ja auch welche aus anderen Kulturen - die Librettisten vergangener Tage waren da ganz schön beschlagen.


    Und nun kommen wir zur Gretchenfrage: Welche Opern ALLER Zeiten haben Eurer Meinung nach ein Thema der Antike zum Inhalt, das auch ein heutiges Publikum zu berühren vermag... ?? (und wer will, mag auch schreiben warum)


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred


    Zitat

    ...die Librettisten vergangener Tage waren da ganz schön beschlagen.


    Das passt sehr schön zum Pausenkommentar von Ö1 bei der heutigen Wiedergabe einer Cosí fan tutte aus Aix-en-Provence aus dem Vorjahr. Die ganze Cosí ist von da Ponte mit Zitaten aus älteren literarischen Werken vollgestopft. Belesene Leute haben damals bei dieser Oper ein Unterhaltungsmoment gehabt, dass heutzutage fast allen Hörern verschlossen ist.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt



    Die Opern der ersten Stunde waren von mythologischen Themen beherrscht. Viele sind inzwischen vom Spielplan verschwunden.
    Was ist hiefür die Ursache ? Die Musik ?


    Salut,


    nein, die Musik ist es nicht - die ist es durchaus wert, wie auch Inszenatoren und Intendanten behaupten. Vielmehr ist es - wie sie es selbst zugeben - die Unfähigkeit der Inszenatoren, eine "Handlung" zu erkennen. Man [das Publikum ist gemeint :motz: ] kann ihr angeblich schwer folgen, ohne Vorkenntnis der verwirrenden Verzwickungen der Mythologie.


    :evil:


    Zitat

    Und nun kommen wir zur Gretchenfrage: Welche Opern ALLER Zeiten haben Eurer Meinung nach ein Thema der Antike zum Inhalt, das auch ein heutiges Publikum zu berühren vermag... ??


    Orpheus und Euridice [von mir aus auch die Zwillingsschwester Eurydike] war eigentlich stets der Dauerbrenner... egal, von wem komponiert...


    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Für mich gehört die Mythologie einfach zu meinem Leben, allein schon der Kunst wegen. Deshalb ist sie mir auch alles andere als fremd - und ich verstehe noch weniger weshalb diese Themen nicht aktuell sein sollen.


    Es gibt Superhelden, glückliche und zumeist unglückliche Liebesgeschichten, wunderbare poetische Erklärungen für bestimmte Phänomene und spannende Abenteuer.
    Eigentlich alles was eine gute Geschichte ausmacht.
    Wer letzlich die Protagonisten sind ist doch eigentlich nicht so wichtig, eigentlich müßten mytologische Stoffe gerade zu unserer Zeit in der Filme wie Star Wars, oder Herr der Ringe boomen, sich größter Beliebtheit erfreuen. Schließlich basieren diese Geschichten auch auf den alten Mustern, die seit jeher die Menschen bewegen.


    Für mich sind das unvergängliche Themen. Die Geschichte der Alceste ist so rührend und das zu jeder Zeit, das gleiche gilt auch für die übrigen Stoffe, denn das Empfinden, die Leidenschaften der Menschen haben sich doch nicht verändert.
    Das faszinierende an der Mythologie ist eben diese urtümliche Menschlichkeit, selbst die Götter haben ihre Schwächen und sind dem Menschen näher, als die jetzigen aktuellen Religionen.


    Ich denke auch hier sind wieder Vorurteile und Hörensagen der Grund wenn man diesen Themen die Qualität abspricht!

  • Hallo Matthias


    Zitat

    Ich denke auch hier sind wieder Vorurteile und Hörensagen der Grund wenn man diesen Themen die Qualität abspricht!


    Ich glaube nicht, daß man diesen Themen die Qualität abspeicht - allein die Namen der Handelnden Personen sind schon schwer zu behalten -Dann die häufige Vermischung von Göttern, Halbgöttern etc, die Schreibweise von Herrschernahmen, antiken Schauplätzen, die heute gar nicht mehr existieren - letztlich die Anspielungen auf andere Legenden -die heute keiner (?) mehr kennt.


    Zudem ist in den meisten Fällen die Handlung verworrener, als man eigentlich gewohnt ist.


    mfg
    aus Wien
    Alfred


    PS: ich habe noch eine email an Dich zu beantworten...

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Zudem ist in den meisten Fällen die Handlung verworrener, als man eigentlich gewohnt ist.


    Salut,


    das Faszinierende ist, dass die Mythologie eine eigene Welt ist - nicht von einem Autor geschaffen, sondern von der Menschheit selbst. Verwirrend ist hier gar nichts - es gibt nur unterschiedliche "Interpretationen" bzw. Versionen und Weiterentwicklungen von einer Geschichte XY. Zudem ist es eine Mischung aus Realität und Erfindung, die Grenzen schwimmen etwas - die Götter der Antike waren, wenn man es so möchte, so real wie DER EINE.


    Und ich weiß nicht wirklich, ob z.B. die überschaubaren Geschichten von Bellerofonte, Proserpin[a] und Kollegen verworrener i.S. von verzwickter sind, als z.B. Der Herr der Ringe... oder Die Nebel von Avalon, wobei ja diese gerade wieder an die alten Sagen anknüpfen.


    Ich finde es ganz praktisch, dass es für jedes Glück und jedes Unglück eine/n "Schuldige/n" gibt, dem man persönlich danken oder dem man die Meinung geigen kann. Bei nur EINEM Gott ist das etwas schwierig - wenn man den anmotzt, hat man sich es ggfs. verscherzt, weshalb man ja sogar heute [noch] Petrus für das Wetter verantwortlich macht... Derzeit zum Beispiel klemmt offenbar Proserpinas Morgenmantel im Fahrstuhl fest...


    Die Unfehlbarkeit der Götter selbst ist ja etwas langweilig - Halbgötter hingegen besitzen einen guten Draht nach oben, gelegentlich göttliche Kräfte und zudem menschliche Fehlbarkeit - Action pur! Ein weiterer "Vorteil": Man durfte sie in Bronze gießen, in Marmor meisseln... auf der Bühne tanzen und singen lassen... ganz im Gegenteil zum etwas staubigen Oratorium. So gesehen sind antike Sagen- und Mythen-Opern die etwas "besseren" Oratorien [je nach Glaubensrichtung!]. Noch heute tauchen die Götter in der Werbung auf: Apollo-Optik, Mars-Riegel, Mozart-Kugel...


    Welche Herrschernamen und Schauplätze in heutigen Phantasyromanen existieren wirklich? Sind sie einfach zu merken? Ja! Wenn man sich dafür interessiert, immer...


    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Die ganze Cosí ist von da Ponte mit Zitaten aus älteren literarischen Werken vollgestopft. Belesene Leute haben damals bei dieser Oper ein Unterhaltungsmoment gehabt, dass heutzutage fast allen Hörern verschlossen ist.


    Den damaligen Hörern waren diese Anspielungen eben so vertraut wie uns heute im Kino Zitate Klassikern der Filgeschichte präsent sind. Natürlich ist es ohne dieses Vorwissen etwas schwieriger einer solchen Oper zu folgen. Andererseits muss man auch als Hörer heutzutage die antike Mythologie nicht bis in alle Verästelungen hinein kennen um sich von dieser Musik berühren zu lassen. Mythen behandeln ja oft Grundkonflikte oder Grundfragen der menschlichen Exiszenz die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben- und eben darin liegt ihre Kraft und Faszination. Ich denke der Lullist hat grundsätzliche recht wenn schreibt:


    Zitat

    Ich denke auch hier sind wieder Vorurteile und Hörensagen der Grund wenn man diesen Themen die Qualität abspricht


    Man sollte sich eben davon nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern sich einfach einmal auf diese zweifelsohne fremde, aber nichtsdestotrotz faszierende Welt der Mythen einlassen. Beispiel dafür, dass diese vergangene Welt so fern nun auch wieder nicht ist zeigen Opern wie Elektra. Die hier behandelten Konflikte sind von zeitloser Aktualität.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Das zeigt u.a. wieder wie sehr wir durch die Sitcom und Räuberpistolen-Oper :D des ausgehenden 18. und 19. Jhds. geprägt sind (bzw. durch die sehr eigenen Mythologien Wagners). im 17. und 18. Jhd. waren in der ernsten Oper ja praktisch nur mythologische oder historische Sujets akzeptabel. Ich würde komplizierte Handlung und mythologischen Inhalt trennen. Kaum eine Oper dürfte eine einfachere Handlung besitzen als Glucks Orfeo/Orpheé; eine typische Buffa ist sehr viel verwickelter. (Eine typische Seria zugegeben ebenfalls...)
    Für das Publikum vergangener Zeiten war die Vertrautheit mit diesen Inhalten, auch biblischen wie in Händelschen Oratorien und den halb-sagenhaften Stoffen wie sie in Orlando, Rinaldo, Alcina usw. vorkommen, selbstverständlich.
    Wie schon gesagt, sind die tatsächlichen Opernhandlungen aber oft gar nicht so komplex und setzen nicht unbedingt den gesamten Hintergrund voraus. Das die Namen schwierig zu behalten seien finde ich eigentlich nicht, jedenfalls nicht schwieriger als sonstwo. Die muß man sich in Don Giovanni oder gar Falstaff genauso merken.


    Interessanterweise kommen die klassischen Stoffe nach Wagner ja wieder, z.B. bei Strauss.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Medeamaterial (Text: Heiner Müller, Musik: Pascal Dusapin) sollte hierher passen.
    Die antike Mythologie ist also topaktuell ...
    Genauso wie die Märchenoper: "Schneewittchen" (Holliger nach Robert Walser) und "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" (Lachenmann).

  • Es gibt vor allem auch (fast) unzählige Vertonungen des Ödipus-Stoffes. Ohne Nachforschen fallen mir als Komponisten ein:
    George Enescu
    Igor Strawinskij
    Carl Orff
    Wolfgang Rihm
    Stephen Albert (Solokantate - die Oper wurde durch den frühen Tod Alberts verhindert)


    Auch die Bakchantinnen erblickten zweimal das Bühnenlicht des 20. Jahrhunderts, einmal als Oper von Egon Wellesz, ein anderes Mal als Oper von Hans Werner Henze.


    Den Orpheus-Stoff hat Darius Milhaud neu aufgelegt - und, für mich am spannendsten nach Monteverdi, Harrison Birtwistle.


    Ich habe fast das Gefühl, daß die Komponisten im 20. Jahrhundert sogar geradezu fixiert sind auf die Antike - man denke etwa auch an Richard Strauss!

    ...

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