Bach: Wer ist der Kantaten-Papst? Dürr?

  • Irgendwo gelesen:
    "Alfred Dürr: Die Kantaten von Johann Sebastian Bach"
    sei das Standardwerk.


    Bei Amazon finde ich ein gleichnamiges Buch zu 17 Euro (DTV, 1985), außerdem eins zu 28 Euro mit dem Titel "Johann Sebastian Bach. Die Kantaten" (Bärenreiter Verlag, 1999). Beide haben stark 1000 Seiten, so dass ich auf den gleichen Inhalt tippe.


    Käufer 1 meint zu dem 28-Euro-Exemplar:
    "Liste der Sätze - Text - Beziehung zum Predigttext? - Exegese des Textes - 3 Sätze zur Musik der einzelnen Sätze - "Mit einem schlichten vierstimmigen Choralsatz endet dieses Werk" - Nächste Kantate ... Nach diesem Schema werden die Kantaten Bachs abgehandelt. Sicher alles gründlich recherchiert, aber es fehlt die Inspiration, die Höhepunkte einer Kantate herauszuarbeiten. Als Nachschlagewerk und für den raschen Überblick geeignet, aber nicht, um daraus (die Musik lieben) zu lernen."


    Käufer 2:
    "Diese Monographie über Bachs weitgehend unbekanntes Hauptwerk gibt klare Auskunft über Entstehungszeit, Besetzung und Aufbau seiner Kantaten. Sie enthält viele Notenbeispiele. Bibliographie, Namens- und Sachregister ermöglichen eine weitergehende Recherche. Ein besonders empfehlenswertes Buch für jeden Liebhaber des Bachschen Vokalwerks!"


    Ist das wirklich das "Standardwerk"?


    Es gibt auch "Die Kantaten von Johann Sebastian Bach. In zwei Bänden. (1975)"


    Ist das nur eine frühere Ausgabe?


    Wer kennt diese Bücher bzw. kann bessere Vorschläge bzgl. der Bachkantaten machen?



    Viele Grüße
    Thomas Deck

  • Die Bärenreiter/dtv Ausgabe von 1999 stellt sich als Nachdruck der aktualisierten Ausgabe aus 1995 dar. Alfred Dürrs Werk kann ohne Zweifel zu den Standardwerken gezählt werden. Beachtenswert ist aber auch das dreibändige Werk über Bachs Kantatenwerk von Christoph Wolff, Ton Koopman (Hrsg.), 1997 bis 1999, erschienen bei Metzler, das parallel zu den Koopmanschen Kantateneinspielungen erschienen ist.


    Nach wie vor mein Lieblingswerk, wenn es um das Kantatenwerk Bachs geht, ist Albert Schweitzers bekannte Bach-Biographie.

  • Ja, der "Dürr" ist immer noch ein Standardwerk. Früher in zwei Bänden, jetzt in der Bärenreiter Taschenbuchausgabe in einem Band (ca. 1040 Seiten).
    An der oben genannten Kritik ist in sofern etwas dran, daß er keine Aufstellung der beliebtesten und eindrucksvollsten Sätze betreibt, sondern Satz für Satz mehr oder weniger ausführlich bespricht. Sogar bei den allerberühmtesten Sätzen erwähnt er nicht, daß sie eben so "berühmt" sind, da darf man schon selber mitdenken und sich sein "Ranking" erstellen.
    In der Harnoncourt/Leonhardt-Bachkantaten-Edition wurden Dürrs Texte im Booklet abgedruckt, ich weiß aber nicht, ob Dürr die Werkeinführungen speziell für die Harnoncourt´sche Einspielung geschrieben hat oder ob es das Buch schon vorher gab. Aber schon allein die hundertseitige Einleitung in das Kantatenschaffen Bachs bekommt man natürlich in keinem Booklet zu lesen.
    Obwohl viele meiner CDs von Bachkantaten mit guten Booklet-Texten bestückt sind und obwohl der Dürr naturgemäss nur Platz für das allernotwendigste hat, ist für mich der Dürr als Nachschlagewerk immer noch unverzichtbar.


  • Vielen Dank für die Auskunft!
    Dann werde ich den Dürr wohl beschaffen. Aber ich muss anschließend immer noch selber denken. Das ist brutal.


    Zum Glück gibt's Tamino. Letztens habe ich übrigens geschummelt: Ich wollte wg. Ausgewogenhait nach Gardiner und Rilling auch noch etwas von Koopman haben. Was nimmt man da, wenn man keine Ahnung hat: BWV 147 ist laut Google populär. Also nahm ich Koopman Vol. 7 (BWV 24, 25, 67, 95, 105, 136, 144, 147, 148, 173, 181, 184), es scheint eine gute Wahl gewesen zu sein.


    Damit's nicht ganz off topic wird: Ich werde bei Gelegenheit schreiben, wie mir der Dürr zusagt...



    Gruß
    Thomas Deck

  • Hallo Thomas


    Googl oder gar selberdenken ist doch gar nicht nötig :D ;)


    Wir haben doch schon einen Thread, in dem wir die beeindruckendsten Bachkantaten aufzuzählen gedenken. (da war noch irgendwo ein Thread zu dieem Thema, den ich gerade nicht finden konnte)
    Klar, BWV 147 (Herz und Mund und That und Leben) ist natürlich wegen des "Jesus, bleibet meine Freude"-Chorals der bekannteste Hit unter den Kantaten.... Genau BWV 147 meinte ich auch, als ich schrieb, daß Dürr nicht auf entsprechende "Beliebtheitsrankings" in seinem Buch hinweist (hm, oder doch: er schreibt, daß dieser Satz im englischen Raum zu "erstaunlicher Popularität" gelangt ist.)



    http://tamino-klassikforum.at/thread.php?threadid=1493
    http://tamino-klassikforum.at/thread.php?threadid=1136


    siehe zusätzlich:


    http://tamino-klassikforum.at/thread.php?threadid=211


    Gruß
    Markus

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Liebe Bachfreunde!



    In der aktuellen ZEIT findet sich der Beitrag: "ZEIT-Mitarbeiter empfehlen CDs, DVDs und Musikbücher". Volker Hagedorn - kenne ich nicht - empfiehlt dort das oben abgebildete Buch und schreibt dazu: "Der Altmeister der Bachforschung liefert eine detailreiche Großeinführung auf jüngstem Stand." Hört sich gut an, finde ich. Die einzige Kundenrezension bei amazon ist ebenfalls positiv. Kennt jemand dieses Buch und kann etwas dazu schreiben? Ach ja, es kostet 44 €.


    Thomas

  • Hallo Thomas,


    ich habe dieses Buch unlängst erstanden und kann nach den ersten Eindrücken Hagedorns Empfehlung unterstützen!


    Wenn ich den Unterschied zu Dürr benennen sollte, richtet sich dieser doch eher an den musikalisch vorgebildeten Bachfreund, während Schulze gerade auch für Laien ohne Notenkenntnis sehr solide Werkbeschreibungen liefert, die auch noch gut lesbar sind - dem Kenner mag da manchmal ein wenig die Musiktheorie oder auch ein Notenbeispiel fehlen.


    Ich bin froh, Dürr und Schulze bei mir wohnen zu haben!


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Ich finde Schweitzer auch sehr gut,aber es wird vieles


    sehr emotional gedeutet.Sehr wichtig ist auch das


    Standardwerk von Philipp Spitta (2 Bände ).


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Für jemanden, der sich näher mit Bachs Kantaten befassen will, führt am "Dürr" kein Weg vorbei. Er bietet eindeutig die meisten Fakten, er hat sämtliche Kantatentexte, die Besetzungen, Aufführungsdauer, dazu eine sehr informative Einleitung - und dass die Beschreibung der Kantaten und der einzelnen Sätze betont sachlich gehalten sind, halte ich für einen Vorzug. Jubeln kann der Hörer schließlich selber.


    Der "Schulze" wendet sich an einen breiteren Hörerkreis - die Texte sind 1991 bis 1994 als Sendereihe für den Mitteldeutschen Rundfunk entstanden, bieten also für jede Kantate eine Einführung von ein paar Sprechminuten, mehr plaudernd als wissenschaftlich in die Tiefe gehend, und natürlich gibt es dadurch weder Notenbeispiele noch die Kantatentexte. Aber das Buch ist angenehm zu lesen und sachlich exakt - auch Schulze gehört zu den größten Bach-Fachleuten weltweit.


    Beide genannten Werke, "Dürr wie auch "Schulze", bieten Einzelbesprechungen der Kantaten in der Reihenfolge des Kirchenjahres.


    Ein völlig anderes Konzept hat "Die Welt der Bachkantaten" von Christoph Wolff und Ton Koopman. Das Werk ist nicht dazu gedacht, einzelne Kantaten nachzuschlagen, sondern bietet tief schürfende Aufsätze vieler Autoren zu verschiedenen Aspekten des Kantatenwerks. So schreibt der erwähnte Hans-Joachim Schulze über "Texte und Textdichter", George Stauffer über "Bach als Organist", Philip Ambrose über "Klassische Mythen in Bachs weltlichen Kantaten" und so weiter.



    Kurzfassung:
    Dürr als unentbehrliche Basis
    Schulze als leicht verstehbare Einführung
    "Welt der Bachkantaten" für vertiefendes Hintergrundwissen



    Alfons