sie wissen mein gröstes anliegen – opern zu schreiben

  • Wolfgang Amadeus Mozart: Zwei Opernfragmente



    Nach den großen Theatererfolgen des Idomeneo [München, 1781] und Die Entführung aus dem Serail [Wien, 1782] wuchs Mozarts innigster Wunsch, weiteres für das Musiktheater zu komponieren:


    sie wissen mein gröstes anliegen – opern zu schreiben.
    [Mozart an seinen Vater aus Mannheim, 4. Februar 1778]


    ich versichere daß wenn ich eine opera zu schreiben bekomme, mir gar nicht bang ist – die sprache hat der Teüfel gemacht das ist wahr – und ich sehe all die schwürigkeiten die alle Compositeurs gefunden haben, gänzlich ein – aber ohngeacht dessen fühle ich mich imstande diese schwürigkeit so gut als alle andern zu übersteigen – o contraire, wenn ich mir öfters vorstelle, das es richtig ist mit meiner opera, so empfinde ich ganzes feüer in meinem leibe, und zittern auf hände und füsse […]
    [Mozart an seinen Vater aus Paris, 31. Juli 1778]


    Trotz seiner großartigen Erfolge anfangs der 1780er Jahre gelang es Mozart nicht, weitere [bezahlte] Opernaufträge [Scritturen] zu erhalten. So schloss er verschiedene Bündnisse mit mehr oder weniger bekannten Librettisten ab, Opern auf eigene Rechnung zu produzieren – des Erfolges war er sicher, wie oben zu lesen ist.


    Zunächst beabsichtigte Mozart, an den Erfolg der Entführung aus dem Serail anzuknüpfen und beschäftigte sich mit der Komposition der Oper Il Servitore di due Padroni nach dem bekannten und köstlichen Theaterstück von Carlo Goldoni. So berichtet Mozart am 5. Februar 1783 aus Wien:


    Ich schreibe izt [sic!] eine teutsche opera für mich: - Ich habe eine Comödie vom goldoni – Il servitore di due Padroni – dazu gewählt – und der Erst ackt ist schon ganz übersetzt – der übersezer ist Baron Binder – es ist aber alles noch ein geheimnüss, bis alles fertig ist […].


    Aus dem Plan wurde nichts – die Übersetzung ist nicht auffindbar, lediglich zwei Arien bieten Anlass, eine Verbindung mit diesem Plan herzustellen:


    Arie für Tenor: Müßt’ ich doch durch tausend Drachen KV 435 [416b] und
    Arie für Baß: Männer suchen stets zu naschen KV 433 [416c], beide vermutlich 1783 in Wien komponiert.


    Die Zeit der Fragmente bricht an: Mozart arbeitet an einer unvollendet hinterlassenen Musik zu einer Pantomime KV 446 [416b], die personellen Bezug zu Goldonis Komödie hat [Scena I: Pantalon und Columbine zanken sich], ein Oboenkonzert KV 293 [416f] bleibt nach 70 Takten liegen, bekannt – natürlich – die große c-moll-Messe KV 427 [417a], die ebenfalls unvollendet bleibt. Es folgen einige unvollendet gelassene Quartettsätze und schließlich Sopran-, Tenor- und Baßarien als Einlagen in die Opern Pasquale Anfossis – als Quasi-Ersatz für Mozarts innigsten Wunsch nach einer Opernkomposition.


    In der 2. Jahreshälfte 1783 beginnt Mozart mit der Komposition der Oper L’Oca del Cairo KV 422 – einem dramma giocoso per musica in due atti. Librettist ist Hofkaplan Giovanni Battista Varesco, mit dem Mozart bereits durch seine Arbeit am Idomeneo ausgiebig – und offenbar gute! - Erfahrung sammelte. Das Werk bleibt leider unvollendet – komponiert hat Mozart folgende Teile:


    Duetto [Auretta, Chichibio] Cosí si fa, Scena III
    Aria [Auretta] Se fosse, qui nascoso, Scena VI
    Aria [Chichibio] Ogni momento dicon le donne, Scena VII
    Duetto [Auretta, Chichibio] Ho un pensiero ne cervello
    Recitativ ed Aria/Terzetto [Don Pippo, spatter Auretta und Chichibio] O pazzo, o pazzo und Siano pronte alle gran nozze
    Quartetto [Celidora, Lavina, Biondello, Calandrino] S’oggi, oh Dei, sperar mi fate
    Finale atto Imo [Celidora, Lavina, Auretta, Biondello, Calandrino, Don Pippo, Chichibio, Chor] Su via putti, presto, presto!


    Die Singstimmen hat Mozart vollständig ausgeführt und die Begleitung des Orchesters teilweise angedeutet, die Basslinie ist in der Regel vollständig notiert.


    Natürlich gibt es eine Vielzahl von Rekonstruktionsversuchen, um dem interessierten Hörer die unbekannte Musik Mozarts hörbar zu machen. Die Rekonstruktion von Erik Smith ist löblich, aber stümperhaft – der Mozartkenner erkennt hier kaum echten Mozart, obwohl Melodie, Orchesterritornelle und Basslinie vorgegeben sind. Jedoch kann ein grober Eindruck vom Ausmaß und von der musikalischen und komischen Schönheit dieser Oper gegeben werden.


    In der Biblioteca Civica zu Bergamo wurde einst eine vollständige Partiturkopie des ansonsten unvollständig [48 Takte] überlieferten Particells der Arie mit Terzett Siano pronte alle gran nozze entdeckt. Diese vollständige Partitur wird heute als Originalkomposition vom Mozart gehandelt, obwohl die aufgefundene Partitur lediglich eine Kopistenanfertigung ist. Meiner Meinung nach dürfte zwar auch hier die Gesangsstimmen und Basslinie vollständig von Mozart entstammen, die Orchestrierung aber ist absolut unmozartisch: Gleich der Beginn, ein abwärtsfigurierter D-Dur-Dreiklang ist sehr ungeigerisch, was nicht zu Mozart passt. Das Ganze wirkt doch etwas unbeholfen, auch wenn manches Mal die Ohren spitz werden…


    Die Arbeit ist jedenfalls liegen geblieben und Mozart verwendet das musikalische Material – auch zu einem späteren Zeitpunkt – nicht mehr wieder.


    Der nächste Versuch ist die Komposition der Oper Lo sposo deluso, als deren Librettisten man Lorenzo da Ponte vermutet, was sich aber in keiner Weise definitiv bestätigen lässt. Es spricht aber jedenfalls dafür, dass Mozart im Frühjahr 1783 erstmals Bekanntschaft mit dem Abbate macht und dieser ihm auch ein Libretto versprach: da Ponte hat mir ein neues Büchl zu machen versprochen […]. Auch würde ja die Thematik, die Rivalität dreier Damen um einen einsamen Geliebten, zu da Ponte passen [?].


    Die Operation ist weit gediehen, eine fast vollständig instrumentierte zweiteilige Ouvertüre im typischen Buffastil geht in ein beinahe ebenso vollständig instrumentiertes Eröffnungsquartett über. An diesem Teil der Oper muss Mozart einiges gelegen haben, denn er hat es 1784 oder 1787 in Prag aufgeführt, konzertant. Erhalten und weitestgehend brauchbar instrumentiert sind folgende Teile des ersten Aktes:


    Ouvertüre [Allegro, Andante]
    Quartetto [Bettina, Don Asdrubale, Pulcherio, Bocconio] Ah, ah, ah, o che ridere!
    Aria [Eugenia] Nacqui all’aura trionfale
    Aria [Pulcherio] Dove mai trovar quel ciglio?
    Terzetto [Eugenia, Don Asdrubale, Bocconio] Che accidenti…


    Mozart hatte bereits namhafte Sänger für seine Partien vorgesehen und im Libretto notiert: Benucci als Bocconio, Mme. Fischer [geschiedene Storace] als Eugenia, Mandini als Don Asdrubale, Sgra. Cavallieri als Bettina, Bussani als Pulcherio, Pugnetti als Gervasio und Sgra. Teiber als Metilde. Aber auch dieses Selbstbewusstsein verhalf dem Werk nicht, vollendet zu werden.


    Dennoch sind die überlieferten und – wieder vielfach rekonstruierten – Teile mehr als hörenswert!


    Ich empfehle, beide Opern in der Abfolge Lo Sposo deluso und nachfolgend L’Oca del Cairo anzuhören: So beginnt das Hörerlebnis gewohnt mit einer buffonesken Ouverture, nach großartigen Arien und Ensembles folgt dann zum Abschluss der Hörerfahrung das grandiose Kettenfinale aus der L’Oca del Cairo.


    So kommt man in den Genuss von etwa einer Stunde unbekannter Mozartoper, immer vor dem Hintergrund, dass vieles ergänzt werden musste und nicht den wirklichen Absichten von Mozart nahe kommt. Was dem Hörer zunächst als 'gescheiterte Opernversuche Mozarts' vorkommt, ist nicht etwa Mozarts musikalisch-dramatisches Unvermögen [denn das Gegenteil hat er ja mit dem Idomeneo und der Entführung bewiesen], sondern es lässt sich durchaus auf unzureichende Rekonstruktionen zurückführen. Die Sache ist äußerst schwierig, natürlich. Jedenfalls können diese beiden Fragmente durchaus als Brückenschlag zu den da-Ponte-Opern angesehen werden, womöglich etwas mehr noch.


    Ich besitze folgende Einspielung - Ergänzungen von Erik Smith:



    L'OCA DEL CAIRO
    Dramma giocoso per musica in due atti


    Don Pippo: Dietrich Fischer-Dieskau
    Celidora: Edith Wiens
    Biondello: Peter Schreier
    Calandrino: Douglas Johnson
    Lavina: Pamela Coburn
    Chichibio: Anton Scharinger
    Auretta: Inga Nielsen


    Rundfunkchor Berlin
    Kammerorchester 'Carl Philipp Emanuel Bach'
    Christine Schornsheim, Cembalo
    PETER SCHREIER



    LO SPOSO DELUSO
    Opera buffa in due atti


    Bocconio Papparelli: Cliffort Grant
    Eugenia: Felicity Plamer
    Don Asdrubale: Anthony Rolf Johnson
    Pulcherio: Robert Tear
    Bettina: Ileana Cotrubas


    London Symphony Orchestra
    SIR COLIN DAVIS


    Bessere Interpreten sind kaum vorstellbar...



    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)


  • Diese Aufnahme ist mein Favorit!! Großartig, ewig schade, dass diese beiden Fragmente nicht fertig gestellt worden sind!! Da sind der Welt zwei Riesenschätze verloren gegangen!! ;( ;( ;(


    LG Joschi

  • Zu den Rekonstruktionsversuchen hast du schon was gesagt, Ulli. Ich habe auch mal was von Rekonstruktionsversuchen, eines Hans-Christian Hauser und eines Peter Lund gehört.Kann aber dazu keine Beurteilung abgeben.
    Von Giambattista Varesco, Hofkaplan in Salzburg und italienischer Librettist, ist bekannt, dass es schon bei Idomeneo zu Querelen zwischen ihm und Mozart kam. Man kann das Verhältnis als angespannt bezeichnen.Leopold versuche Varesco wieder versöhnlich zu stimmen und ihn erneut als Partner für eine Textvorlage zui gewinnen.
    Mozart hofft:" glauben sie dass mit dem Varesco was zu machen ist, so bitte ich sie bald mit ihm darüber zu sprechen;-sie müssen ihm aber nichts davon sagen, dass ich im Jullio selbst kommen werde- sonst arbeitet er nicht.-denn es wäre mir sehr lieb wenn ich noch in Wien etwas davon erhalten könnte.-es würde auch seine sichern 4 oder 500 fl: davon haben.-denn es ist hier Brauch dass ein Poet allzeit die dritte Einnahme hat."
    Leopold hatte Erfolg. Doch wieder kam es zu Reibereien und Mozart kochte , als Varesco mit eigenen Vorschlägen kam.
    L'oca del Cairo blieb schließlich liegen.


    Padre :hello: