Clos Berthet + Feuerberg vs. Chopin + Schumann

  • Der erste Abend startete mit Verspätung: Erst kurz vor neun kam ich von einer 110-km-Tour zurück. Die Brokkoli-Lachs-Quiche war um halb zehn im Ofen und eine Stunde später fertig. Sie musste aber erst auskühlen, außerdem stand noch die allabendliche Besprechung mit einer wichtigen Persönlichkeit der Berliner Opernszene auf dem Plan. Um 23.45 Uhr war es endlich so weit. Das erste Klavierkonzert von Chopin sollte es sein, die Melodie summte ich beim Einlegen der CD vor mich hin ... hoppla, das ist es ja gar nicht ... vorspulen ... ja, genau, dann eben das zweite:


    Chopin: Klavierkonzert Nr. 2 f-moll
    Krystian Zimerman, Los Angeles Philharmonic Orchestra unter Giulini


    Mit ebendiesem Konzert erlebte ich Zimerman vor ein paar Jahren live in Köln. Genial von A bis Z. Hier die Weine:


    2000 Pernand-Vergelesses 1er Cru Clos Berthet, Dubreuil-Fontaine (Burgund)
    13 % Alk., 15 Euro


    2000 Burkheim Feuerberg Grauer Burgunder Spätlese tr. "SE", Bercher (Kaiserstuhl)
    13 % Alk., ca. 17 Euro


    Der Clos Berthet war wie üblich knochentrocken, leicht mineralisch, auch mit dezenten Kaffeenoten (vermutlich vom Holz) und hatte eine klare Frucht in Richtung getrocknete Ananas. Da stimmte zunächst alles, der Feuerberg sollte es schwer haben. Zum Glück war er von Bercher. Aromatische Nase, Honig, Botrytis (Edelfäule). Im Mund außer den genannten Aromen vor allem Birne. Kräftige Säure, ein Wein mit Biss und Rückgrat und natürlich ohne den geringsten Alterston. Überraschenderweise auch ohne Holz.


    Inzwischen war Zimerman beim 2. Satz, und der ist überhaupt das Größte. Wie kann man sich nur so herrliche Musik ausdenken. Jaja, sicherlich auch „romantisch“, aber wer hier das Wort „Kitsch“ ins Spiel bringt, darf sich auf Post von meinem Anwalt gefasst machen. Den Blasphemie-Paragrafen gibt es immer noch. Zurecht.


    Der Feuerberg kam immer besser in Form, während dem Clos Berthet mit der Zeit die geringe Säure zum Nachteil gereichte. Der Abend ging mit dem 3. Satz von Chopin glücklich zu Ende.


    Für den nächsten Abend hatte ich mich mit Radu Lupu verabredet. Er ist Klavierspieler. Leider passte sein Instrument nicht durch die Haustür meiner Wohnung, also verlegten wir die Sache nach Dortmund ins Konzerthaus. Das Thema Wein musste daher gesplittet werden. Zunächst zwei schöne Gläser Clos Berthet und Feuerberg, dazu ein Viertel der Quiche (die Hälfte vom Vortag war noch da). Der Clos Berthet erschien zunächst bitter, was sich zwar bald legte, aber er wirkte von seiner Art her irgendwie einfacher als der Feuerberg, der sich nach wie vor in guter Form präsentierte.


    Dann also ab nach Dortmund. Schumann stand auf dem Programm, zunächst die Waldszenen. Radu Lupu spielte das völlig abgeklärt. Die Waldszenen kannte ich, das war daher der ideale Einstieg zu den beiden anderen, mir bis dahin noch unbekannten Stücken. Erst die Humoreske. Die klang gar nicht so leicht und harmlos, wie der Titel erwarten läßt, das Stück ist ziemlich lang, und es werden alle möglichen Stimmungen durchlaufen. Muss angeschafft werden. Der Höhepunkt war dann aber die erste Klaviersonate in fis-moll. Das ist ein ganz anderer Schumann, als ich ihn bisher von den Kinderszenen & Co. kannte. Weit ausholend und doch mit Rotem Faden. Vermutlich ein Meilenstein in der Geschichte der Klaviersonaten. Die „Sonatenhauptsatzform“ erkannte ich zwar nicht, aber was soll’s. Radu Lupu spielte abgeklärt, kräftig und gefühlvoll gleichzeitig. Ein Star. Als Zugabe kam die Nr. 1 der Fantasiestücke op. 12. Und dann das Unfassbare: Wir sind noch voll am Klatschen, da machen die einfach das Hauptlicht an, wodurch der Applaus gnadenlos abgewürgt wird. Wollte da ein demotivierter Mitarbeiter 5 Minuten früher zu Hause sein? Welcher Wein war da wohl geplant? Jedenfalls war das eine absolute Respektlosigkeit dem Künstler gegenüber und eine Schande für das Dortmunder Konzerthaus.


    Dennoch fuhr ich beschwingt nach Hause, zumal noch das letzte Viertel der Quiche und zwei schöne Weine warteten. Die Frucht des Clos Berthet manifestierte sich inzwischen als Mirabelle. Der Feuerberg hatte aber nach wie vor die Nase vorn, da war sogar etwas Mineralität wahrnehmbar. „Der bessere Tokay Pinot Gris“ notierte ich. Tokay Pinot Gris ist nämlich die Grauburgunder-Variante im benachbarten Elsass, mir aber meistens zu süß. Der hat dort sogar Grand-Cru-Status, aber da kann das Bercher-Exemplar ganz locker mithalten. Beim Grauburgunder täten die Elsässer gut daran, mal auf die andere Rheinseite zu schauen (natürlich nur bei ausgewählten Erzeugern), was sie z.B. beim Riesling nicht nötig haben.


    Am dritten Tag wollte ich das Klavierthema weiterführen und wählte das von mir bisher unverstandene Klavierkonzert von Schumann (wiederum Krystian Zimerman, dieses Mal mit Karajan). Leider wurde ich immer noch nicht warm damit. Aber man muss nicht alles verstehen, zumal hier das letzte Wort sicher noch nicht gesprochen ist. Der Clos Berthet ging mittlerweile in Richtung Pflaume und zeigte sich am letzten Tag sogar balancierter als der Feuerberg. Alles in allem erscheint folgende Wertung angemessen: Clos Berthet 87 Punkte, Feuerberg 89 Punkte. Sieg für Baden!


    Fazit:


    Der Weinvergleich war zum wiederholten Mal „Äpfel mit Birnen“. Ich bin jetzt endgültig der Meinung, dass Grauburgunder eine eigene Kategorie ist und die badischen Burgund-Herausforderer eher aus Weißburgunder und Chardonnay gemacht werden sollten. Man sollte also den Grauburgunder nach wie vor als Rebsortenwein vermarkten, den „Burgund-Rivalen“ aber als Cuvée ohne Angabe der Rebsorten, damit die Weinlisten nicht so überfrachtet sind.


    Bei der Klaviermusik war es eine hochinteressante Reise von Bekanntem über Neuentdeckungen bis hin zu etwas schwierigerem Terrain. Dargeboten von absoluten Topleuten, teilweise sogar live, was will man mehr...




    Thomas Deck