Jake Heggie: DEAD MAN WALKING

  • Heute findet an der Semperoper die deutsche Erstaufführung der im Jahre 2000 an der San Francisco Opera uraufgeführten amerikanischen Oper "Dead Man Walking" von Jake Heggie statt.


    Diese Oper dürfte hierzulande noch ziemlich unbekannt sein. Das Libretto von Terrence McNally basiert auf dem Buch der Nonne Sister Helen Prejean, welches auch Vorlage für den gleichnamgen Kinofilm mit Susan Sarandon und Sean Penn war.


    "Dead Man Walking" sagt man in den USA, wenn ein Todeskandidat zu seiner Hinrichtung geführt wird. In diesem Fall ist es der Vergewatiger und Mörder Joseph De Rocher, der von der Nonne Sister Helen Prejean geistlichen Beistand erhält. Diese will zuerst die Todesstafe abwenden. Als die Vollstreckung aber unabwendbar ist, versucht sie De Rocher zum Eingeständnis seiner Tat zu bringen. Dabei gerät sie selbst in den Zwiespalt zwischen ihrem Glauben und den Vorwürfen der Eltern der beiden Opfer.


    Das OMM schreibt:
    "Zwar zieht die Oper ihre Brisanz aus der hier erneut angestoßenen Diskussion über die Todesstrafe, aber gerade hier liegt ihr größtes Problem. Ein eindeutiges Statement gegen die Todesstrafe ist sie nicht und will es auch nicht sein. Wie der Film stellt sie die Brutalität des Mordes und den Zynismus der Exekution gegenüber, ohne eine eindeutige Stellungnahme beziehen zu wollen - ein Urteil ist letztendlich dem Betrachter überlassen. Die Oper verschiebt den Schwerpunkt stärker zu einer allgemeineren Betrachtung über Schuld und Verantwortung hin. Erst in der Bereitschaft zur Anerkenntnis persönlicher Schuld - und in der Fähigkeit, Schuld zu vergeben - gelangt der Mensch zur Freiheit, so könnte man stark verkürzt formulieren. Darum machen alle Charaktere, nicht nur der Verurteilte, in der Oper einen Lernprozess durch. Bedenklich schlägt aber an dieser Stelle die traditionelle Operndramaturgie, der McNally und Heggie sich unterworfen haben, durch: Durch die Schuldanerkenntnis und Bitte um Vergebung des Mörders erst im Angesicht der Hinrichtungsmaschinerie erscheint die Exekution selbst als reinigender Prozess von höherer Bedeutung, im weitesten Sinne vergleichbar etwa mit Brünnhildes Verbrennung am Schluss der Götterdämmerung - der Tod als Voraussetzung zur Erlösung, wie es in der Operngeschichte ja seit je beliebt war. Ungewollt liefert Dead Man Walking dadurch auch Argumente für die Todesstrafe. Trotz (oder gerade wegen) solcher Widersprüche nimmt das Werk in der neueren Operngeschichte eine sicherlich wichtige Position ein - als engagierter und in jedem Fall diskutabler Versuch, mit der scheinbar antiquierten Gattung „Oper“ auf Zeitfragen zu reagieren."



    Die Uraufführung (mit Susan Graham, John Packard und Frederica von Stade) ist auf CD erhältlich.


  • Schön, dass einmal eine Oper von einem noch lebenden Komponisten zur Diskussion gestellt wird.
    Schade, dass es gerade diese Oper ist.
    Ich halte dieses Stück für übelsten Kommerzkitsch. Heggie setzt sich auf den Erfolg des - erschütternden - Films undversieht das Thema mit leckerer minimalistischer Opulenz und schönen Gesangsmelodien. Erfolgsoper auf der Basis der Todesstrafe? Für mich: :kotz:

    ...

  • Lieber Edwin, Deine Kritik halte ich in diesem Fall für recht plakativ.

    Zitat

    Kommerzkitsch


    Das ist ein Schlagwort ohne daß Du das Urteil begründest:

    Zitat

    minimalistischer Opulenz


    Ist das kein Widerspruch? Ausserdem: Weder "Minimalismus" noch "Opulenz" machen IMO etwas zu "Kommerz" oder zu "Kitsch".

    Zitat

    schönen Gesangsmelodien


    Das ist doch nicht per se schlecht?
    So kannst Du IMHO Dein negatives Urteil nicht schlüssig begründen.
    Vielleciht kannst Du etwas mehr schreiben - sonst muß ich mir das Werk doch kaufen ;). Der Preis allerdings....

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Hallo Misha!


    Ich werde versuchen, mein Urteil zu begründen.


    Heggie ist ein US-Komponist, der ursprünglich mit recht hübschen Klavierliedern, zumeist mit romantischen Themen, Erfolg hatte. Prinzipiell kein schlechter Komponist, nur einer, der wenig Eigenstil hat, sondern sich in der Gegend von Menotti und Bernstein umtut, mitunter ein paar Abstecher zu John Adams inklusive.


    Dann kam im Kino der Film "Dead Man Walking", der bekanntlich auf den Aufzeichnungen einer Nonne basiert, die zum Tode verurteilte Menschen durch ihre letzten Tage begleitet. Dieser Film ist zutiefst erschütternd, am Schluß habe ich dermaßen geweint, wie noch nie bei einem Film; die schlaflose Nacht folgte.


    Nun kommt Heggie - und statt das Thema mit neuem Ansatz durchzudenken, hängt er sich an den Film an. Was man sieht, ist also, cum grano salis, die Veroperung einer Storyline.


    Meinetwegen - von mir aus soll einer aus "Casablanca" oder dem "Texas Kettensägen Massaker" eine Oper machen. Aber angesichts des Themas finde ich es hier unangebracht. Aber Heggie dachte wohl, er könne sich an den kommerziellen Erfolg des Filmes anhängen - und das ist der erste Punkt, der mich verstimmt. Und dazu brauche ich noch keine Note gehört zu haben.


    Zu meinem Leidwesen muss ich aber sagen, dass ich das Stück dennoch zweimal mit, ich muß es sagen, wachsender Abscheu durchgehört habe. Es ist schwer, über ein Stück zu sprechen, das die meisten wohl nicht kennen. Ich versuche es dennoch: Ich halte es geradezu für obszön, eine Oper über eine Exekution zu schreiben, die in schwelgerischen Kantilenen daherkommt. Heggie macht auf Effekt, schöne Klänge, süffige Melodien, brillante, an Filmmusik erinnernde Harmonik und Instrumentierung.


    Nun ist mir schon klar, dass zumindest die große Oper in den USA kommerziell ausgerichtet sein muss. Wie man auf dieser Basis effektvolle Opern schreiben kann, haben Komponisten wie z.B. Menotti, Floyd, Ward, Beeson, Picker, Previn und natürlich auch Bernstein glänzend vorgeführt. Sie alle halten sich an das seit "Tosca" beliebte Rezept: Knüller als Inhalt, dazu eine geradlinige Musik mit zwei bis drei großen Nummern. Natürlich wird in den Opern der genannten US-Komponisten verraten, gemordet und gestorben - aber all das bleibt im Rahmen des herkömmlichen opernhaften Klischees, wenn auch die Themen, etwa bei Menotti und Floyd, etwas spannender aufbereitet werden, als man es gemeinhin gewohnt ist.


    Heggie jedoch schreibt über die Todesstrafe, über die Hinrichtung eines Menschen - und findet keine anderen Töne als sie auch für irgendeinen häuslichen Konflikt angebracht wären.


    Ich werfe ihm nicht vor, in diesem Stil zu schreiben - ich werfe ihm vor, dieses Thema in diesem Stil zu behandeln: Ich bin völlig überzeugt, dass hier mit einem sensationellen (und, wie gesagt, als Film erfolgreichen) Thema und einer musikalisch absichtlich "schönen" Umsetzung und starkem Druck auf die Tränendrüse ein kommerzieller Erfolg angepeilt war. Also Erfolg um jeden Preis - auch um den, einem Hingerichteten die allerletzte Würde damit zu nehmen, dass man ihn mit leckeren Melodien dem Sensationsbedürfnis der Zuschauer ausliefert.


    Kurz: Ich halte dieses Werk für brechreizerregend verlogen. Und das ist es, was ich Heggie und seiner Oper vorwerfe.


    LG

    ...

  • Lieber Edwin,


    NIE im Leben hätte ich gedacht eine Oper des 20. Jahrhunderts verteidigen zu müssen - noch dazu eine die ich nie gehört habe - und wahrscheinlich nie hören werde.


    Und das es ausgerechnet DU sein wirst, der mich dazu bringt, sie zu verteidigen.


    Wenn ich recht verstehe stört dich die "kulinarisch akustische Aufbereitunge des Themas.
    Aber hier muß ich doch fragen: Was macht denn eigentlich "Carmen" (Hier wurde die wahre Geschichte eines zum Tode verurteilten Toreros als "Ideenspende"r herangezogen, oder "Tosca" oder Macbeth ? oder Andre Chenier ?
    Im Prinzip ging es immer um Tod und Grauen - aufbereitet für ein sensationslüsternes Publikum, das im Dunkeln des Zuschauerraumes wohlich erschauerte über das viele Blut das da auf der Bühne floss, oder wenn ein paar Ketzer verbrannt wurden......
    Aber das ist - glaube ich ein eigenes Thema - einen Thread wert....


    LG
    aus Wien


    Alfred


    EDIT: Dein Antwort- Beitrag war noch nicht fertig- als ich meinen begann.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred!
    Für mich ist nur der Unterschied, dass die von Dir genannten Komponisten sich nicht an einen Filmerfolg anhängten. Außerdem war Tod in diesen Werken ein Element der Handlung - wenngleich natürlich eines der stärksten. In der Oper geht es eben fast immer um Liebe und Tod.
    Wenn aber ein Komponist eine Hinrichtung, also eine staatlich vorgenommene Tötung eines Menschen, dazu benützt, Kantilenen abzusondern, bringt mich das in Rage. Wenn der Kerl keine andere Meinung zum Thema hat als "wie kann ich damit am meisten Kohle machen?", soll er doch irgendeinen leichenintensiven Stoff der US-Geschichte vertonen, etwa die Schlacht am Little Big Horn (inklusive Arie von General Custer "Sitting Bull's arrow in my breast makes this meadow my last rest") oder meinetwegen Al Capone (Arie: "I crush your head and you are dead") als Opernhelden darstellen; aber was Heggie macht, entspricht für mich einer puccinesken Oper über Hitlers KZs. Ich halte eine dermaßen unreflektierte Behandlung solcher Themen für geschmacklos.
    LG

    ...

  • Was mich an dieser Oper besonders stört ist, dass die schönen Kantilenen nicht einmal schön sind. Mir kommt es so vor, als sollten sie schön klingen, ohne es eigentlich zu sein (etwa die Arie der Mutter "Don't say a word" oder Schwester Helens "This journey"). Irgendwie lässt mich diese Musik ratlos und verwirrt zurück - sie klingt fast, als wollte der Komponist es jedem recht machen und sitzt jetzt zwischen allen Stühlen.


    Die meiner Meinung nach beste Stelle ist das Sextett "You don't know what it's like to bear a child" und auch die vorangehende Szene mit der Mutter vor dem Pardon Board; allerdings sind gerade da große Teile der Wirkung meiner Meinung nach auf den Text zurückzuführen.

  • Zitat

    Sextett "You don't know what it's like to bear a child"


    Wobei auch das nicht wirklich gelungen ist: Erstens finde ich es absurd, dass jemand in solch einer Situation singt. O.k., ich weiß schon, Violetta hat beim Sterben auch nicht gesungen. Aber Verdi schafft es, dass man die Diskrepanz nicht als störend empfindet: Er stilisiert und emotionalisiert zugleich.
    Das schafft in der US-Oper auch Menotti, der filmreife Themen als Opern abhandelt, ohne daß es störend wirkt.
    Bei Heggie denke ich immer: Warum singen die, da gibt es nichts zu singen...!


    Philhellene stellt außerdem völlig richtig fest, dass die Melodien schön wirken, ohne schön zu sein: Das kommt daher, weil sie nicht natürlich fließen. Auch da schielt Heggie immer nur nach dem Effekt, nach der besonderen Wendung; es wirkt immer gemacht - aber nie in kritischer Distanz zum Thema, sondern stets nur sich anbiedernd.

    ...

  • Lieber Edwin, Deine Kritik richtet sich also weniger gegen die musikalische Qualtität als vielmehr gegen die Behandlung dieses sujets mit diesen stilistischen Mitteln, die Du als geschmacklos empfindest. Dem kann ich folgen.
    Natürlich sind Puccini, Verdi usw. kein Gegenargument, da sie einer anderen Zeit angehören und insbesondere vor den Erfahrungen des Grauens des 20. Jahrhunderts geschrieben wurden. Es stellt sich also evtl. die Frage, ob und wie nach 2 Weltkriegen, Mord und Terror von Faschismus und Stalinismus Elemente der Tonsprache oder der Opernästhetik des 19. Jahrhunderts überhaupt noch legitim sind? ("Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch", frei nach Adorno).

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Zitat

    Original von Misha
    ... und insbesondere vor den Erfahrungen des Grauens des 20. Jahrhunderts geschrieben wurden.


    Ich empfehle die Lektüre vom "Simplizissimus" des Grimmelshausen (Mitte 17. Jh.). Die Grauen des 30jährigen Krieges werden da als völlig sinnlos und sehr drastisch geschildert (erstes Kapitel = Folterung und Ermordung der Bewohner eines Bauernhofes).


    1. Weltkrieg: verherrlicht bei Ernst Jüngers "Stahlgewittern", angeprangert bei Remarques "Im Westen nichts Neues" (der eigentlich an Jünger anknüpft - heißt es).


    Adornos Aussage erscheint mir reichlich lächerlich. Er müßte auch den älteren Lyrikern ihre Produktion untersagen, gefoltert wird immer.


    Das Ganze soll aber keine Verteidigung von Geschmacklosigkeiten auf inhaltlichem Gebiet diverser Opern sein (egal von wann).

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  • Jünger verherrlicht in den Stahlgewittern IMO keineswegs den Krieg, aber ich will hier keine ot Diskussion über Jünger vom Zaun brechen.
    Gut, wenn Du meinst, Auschwitz sei in der Geschichte kein einzigartiges Geschehen, ist das Dein gutes Recht. Ich teile diese Auffassung nicht, will aber hier auch keinen politisch historischen Streit anstoßen.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Im Gegensatz zu Grimmelshausen und Remarque habe ich den Jüngerroman noch nicht gelesen (liegt aber schon im Regal). Ich habe nur wiedergegeben, was ich darüber gehört habe, bin in jedem Falle gespannt darauf und erwarte ein künstlerisch ansprechendes Werk.
    Auch Adornos Aussage kenne ich nicht, vielleicht macht sie im Zusammenhang Sinn.

  • Hallo Misha, hallo Kurzstueckmeister!


    Soviel ich weiß, hat Jünger Hitler ein Buch gewidmet. Jüngers Heroisierung des Krieges führt also zielsicher auf eine moralisch fragwürdige Bahn.
    Meiner Meinung nach ist dem Grauen der KZs nur durch Dokumentation beizukommen, jede künstlerische Gestaltung ist eine Ästhetisierung, die zumindest mir noch in jedem Fall Bauchschmerzen verursacht hat.
    Wenn Autoren wie Grimmelshausen oder auch Gryphius den 30-jährigen Krieg verurteilen, ist das gemessen an ihrer Zeit bewundernswert, dennoch hat das nichts mit der industriell betriebenen Vernichtung von Menschenleben zu tun, für die die KZs erschütternde Symbole darstellen. Auch die Verbrechen des Kommunismus sind mit dem 30-jährigen Krieg nicht wirklich vergleichbar.



    Heggies "Dead Man Walking" ist ein nicht ganz gleichwertiger Parallelfall: Der Todesstrafe kann man in meinen Augen eben nicht mit kulinarischer Opernmusik beikommen. Insofern hat Misha meine Kritik völlig richtig verstanden: Dieselbe Musik für eine häusliche Tragödie, etwa für eine Tennessee-Williams-Vertonung, und ich hätte höchstens dagegen, dass ich persönliche solche allzuspäten Versimo-Epigonen nicht wirklich brauche (was ich aber für meinen eigenen Fehler hielte), dass es aber der Versuch einer handfesten Repertoire-Oper auf konservativer Basis ist und als solcher achtenswert. Im tatsächlichen Zusammenhang kann ich diese Sympathieerklärung aber nicht einmal ansatzweise abgeben.


    LG

    ...

  • Sagitt meint:


    Nur zur Information, nicht als Stellungnahme. Heute morgen wurde die Aufführung der Oper in N3 besprochen.Selten habe ich im Radio einen solchen Verriss gehört.Vielleicht war der Rezensent missgelaunt: Am fast gar nichts liess er ein gutes Haar. Nicht nur die Komposition, sondern auch die Ausführung missfiel ihm ausserordentlich.

  • Torsten Klaus von der dpa hingegen ist von der Aufführung restlos begeistert, schwärmt von Bühnenbild und Inszenierung - schreibt aber nicht ein einziges Wort zur Musik. Das lässt, meine ich, tief blicken.

    ...

  • Zitat

    Der Todesstrafe kann man in meinen Augen eben nicht mit kulinarischer Opernmusik beikommen.


    Aber das macht Heggie ja auch nicht. Ich halte es für ein Missverständnis, wenn man behauptet, Heggie und McNally hätten mit "Dead Man Walking" ein Stück über die Todesstrafe geschrieben. In erster Linie geht es um die Frage von Schuld, Vergeltung und Vergebung (für mich persönlich ein ähnliches Thema wie in "Elektra") und den Zwiespalt, in den die Hauptfigur, Sister Hellen, gerät. Einen Kommentar über die Todesstrafe im Sinne von pro/contra haben die Autoren ja bewusst nicht gemacht. Ab dem Moment der Hinrichtung z. B. findet keine Musik mehr statt, es folgt nur noch ein A-cappella-Gospel. Davon, daß der Komponist also die Tötung eines Menschen benutz, um Kantilenen zu komponieren, kann man, finde ich, wirklich nicht sprechen. Dieser Vorwurf wäre dann bei ettlichen anderen Komponisten viel eher angebracht.


    Zitat

    Für mich ist nur der Unterschied, dass die von Dir genannten Komponisten sich nicht an einen Filmerfolg anhängten.


    Die von Alfred genannten Komponisten konnten sich natürlich nicht an einen Filmerfolg anhängen, dieses Medium gab es ja einfach noch nicht. Sie haben sich aber anderer Vorlagen bedient, die meist - gerade wegen ihres skandalösen Sujets - erfolgreich waren (Carmen, Tosca, Salome). Und das sicher auch mit dem Gedanken, auf die Welle des Erfolges aufzuspringen.
    Das zwischen diesen Werken und Heggies Oper nun zwei Weltkriege und ein Holocaust liegen mag sicher bei der Betrachtung eine Rolle spielen, ändert aber an der Grausamkeit des Tötens an sich nichts.
    Wenn in "Aida" Menschen lebendig begraben werden, finde ich das nicht mehr oder weniger grausam, als wenn in "Dead Man Walking" ein Mensch durch die Giftspritze stirbt. (Und bei Verdi klingt das wesentlich schöner, als bei Heggie. ;))

    Man mag Heggies Oper, seine Musik oder seinen Umgang mit dem Thema ja nun gut finden oder nicht - ihm aber vorzuwerfen, die Auschlachtung des Themas Todesstrafe oder die Hinrichtung eines Menschen zu benutzen um rein kommerziellen Erfolg zu haben, halte ich nicht nur für ziemlich haltlos, sondern auch für ziemlich hahnebüchen.


    Zitat

    Original von Alfred:
    Im Prinzip ging es immer um Tod und Grauen - aufbereitet für ein sensationslüsternes Publikum, das im Dunkeln des Zuschauerraumes wohlich erschauerte über das viele Blut das da auf der Bühne floss, oder wenn ein paar Ketzer verbrannt wurden......


    Wer das bei "Dead Man Walking" erwartet, wird sicherlich enttäuscht nach Hause gehen...

  • Zitat

    Davon, daß der Komponist also die Tötung eines Menschen benutz, um Kantilenen zu komponieren, kann man, finde ich, wirklich nicht sprechen.


    Ach nein?
    Die Oper dauert etwa zweieinhalb Stunden. Sie handelt von nichts Anderem, als den letzten Tagen im Leben eines zum Tode verurteilten Menschen. Und das ist ein Thema für schöne Melodien, die gerechtfertigt werden durch den bemerkenswert kitschigen Einfall, nach der Hinrichtung ein Gospel singen zu lassen? Es gibt x Opern, in denen der Held stirbt und der Komponist den Orchesterklang oder zumindest die Farbe des Klanges wegnimmt.


    Zitat

    Wenn in "Aida" Menschen lebendig begraben werden, finde ich das nicht mehr oder weniger grausam, als wenn in "Dead Man Walking" ein Mensch durch die Giftspritze stirbt.


    Wenn eine erfundene Figur in einer erfundenen Handlung im antiken Ägypten stirbt, ist mir das, mit Verlaub, wurscht. Es interessiert mich nur wegen der Musik.
    Wenn ein Mensch der Gegenwart mit der Giftspritze hingerichtet wird, geht zumindest mir das dermaßen an die Nieren, daß ich dazu keine schöne Musik hören will. Wahrscheinlich eine Frage der persönlichen Sensibilität.


    Zitat

    Einen Kommentar über die Todesstrafe im Sinne von pro/contra haben die Autoren ja bewusst nicht gemacht.


    Und warum nicht?
    Weil sie in einem Land leben, in dem etwa 55 Prozent der Menschen für und etwa 45 Prozent gegen die Todesstrafe sind. Machen die Autoren eine politische Aussage, bleibt ihnen der angepeilte Erfolg bei einer der Gruppen weg. Also nix Aussage, jeder denke sich sein Teil und lasse Heggies Kasse klingeln!


    Zitat

    die Auschlachtung des Themas Todesstrafe oder die Hinrichtung eines Menschen zu benutzen um rein kommerziellen Erfolg zu haben, halte ich nicht nur für ziemlich haltlos, sondern auch für ziemlich hahnebüchen.


    Ich keineswegs. Die Oper in den USA funktioniert nun einmal so. Wer keinen kommerziellen Erfolg hat, kriegt auch keinen neuen Auftrag.

    ...

  • hallo, auch die SZ bot eine vernichtende kritik ... ganz in edwins sinne ... 8o


    edwin, wie siehst du eigentlich in diesem zusammenhang die verkomponierung des dialoges der karmeliterinnen durch poulenc? kann man ihr das gleiche vorwerfen?

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Hallo Klingsor!


    Es gibt ein noch extremeres Beispiel: Brittens "Billy Budd" - ist im letzten Akt noch näher an "Dead Man Walking".
    Um auf Deine Frage zu kommen: Alfred mag keine politischen Äußerungen, dennoch bekommt er jetzt eine, geht nicht anders. Ich persönlich halte die Todesstrafe für ein Verbrechen, sie widerspricht völlig meinen Werten und Moralvorstellungen.
    Wir müssen aber leider zugeben, daß sie in der Oper schon recht wirkungsvoll sein kann. Nur tritt für mich bei den "Carmélites" dasselbe ein wie bei "Billy Budd": Ich habe Tränen in den Augen, zumindest eine halbe schlaflose Nacht, das sind zwei Opern, die mich absolut fertig machen.
    Der Unterschied zu Heggie ist der, daß Poulenc einen völlig anderen Zugang zu dem Thema hat: Er transzendiert den Stoff, in dem es primär um die Angst, nicht um den Tod geht. Die Nonnen sterben ohne Angst in der Gewißheit des Paradieses - auch Blanche, deren Todesangst ja die alte Priorin auf sich genommen hat.
    Wir erleben also ein Mysterium, nicht eine realistische Handlung. Dadurch gewinnt der tief gläubige Poulenc dem Sterben Sinn ab.


    Bei Britten ist der Sinn ein anderer: Er zeigt die Erlösung durch Liebe. Billy erlöst quasi Kapitän Vere, indem er die Meuterei, die zu seiner Befreiung führen soll, untersagt. Im "Billy" haben wir außerdem das biblische Dreiecksverhältnis: Billy entspricht Christus, Vere ist Pontius Pilatus (untätig, die Hände in Unschuld waschend), Claggart ist eine Zusammenziehung des "Bösen" mit dem Ankläger Kaiphas. Damit auch hier wieder: Gleichnis, Versuch des Transzendierens, Überwindung des Todes.


    Für mich (ganz subjektiv also) haben damit beide Opern Sinn - und zwar unter dem alten Anspruch des Theaters als moralische Anstalt.
    Diesem Anspruch genügt Heggie IMO nicht, weil er gerade dieses Transzendieren verweigert, indem er eben keine Stellung bezieht. Dass Poulenc auf Seite der Nonnen und Britten auf Seite von Billy steht, ist hingegen so überdeutlich, daß man es praktisch nicht übersehen (-hören) kann.


    LG

    ...

  • Hallo Edwin!


    Dein Beitrag." RE: Jake Heggie: DEAD MAN WALKING
    Schön, dass einmal eine Oper von einem noch lebenden Komponisten zur Diskussion gestellt wird.
    Schade, dass es gerade diese Oper ist.
    Ich halte dieses Stück für übelsten Kommerzkitsch. Heggie setzt sich auf den Erfolg des - erschütternden - Films undversieht das Thema mit leckerer minimalistischer Opulenz und schönen Gesangsmelodien. Erfolgsoper auf der Basis der Todesstrafe? Für mich: kotz


    __________________"
    edwin


    Dieser, Dein Beitrag zu dieser Oper, wurde gerade im Radiokolleg auf Ö1 zitiert. Als Referenz wurde das Tamino-Forum genannt. Ein Erfolg für das Forum, nicht wahr?


    lg,
    Franz

    Sagt nicht:"Ich habe die Wahrheit gefunden", sondern:"Ich habe eine Wahrheit gefunden." (Khalil Gibran; Der Prophet, dtv, 2002)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Im Gegensatz zu Grimmelshausen und Remarque habe ich den Jüngerroman noch nicht gelesen (liegt aber schon im Regal). Ich habe nur wiedergegeben, was ich darüber gehört habe, bin in jedem Falle gespannt darauf und erwarte ein künstlerisch ansprechendes Werk.


    Ist schon eine Weile her: Erwartung enttäuscht, stilistisch zu vergessen und soo interessant ist dann das Heldengewäsch auch nicht.
    :wacky: