...desto besser die Musik

  • Salut,


    ich frage mich sehr oft, ob der Satz:


    "Je mieser die persönliche Lage des Komponisten, desto besser seine Musik" wirklich stimmt.


    Jedenfalls ist bei Mozart zu bemerkten, dass er ausgerechnet in der Zeit 1787ff. [in der es ihm finanziell und gesundheitlich zunehmend schlechter ging], mal eben seine "besten" Werke komponierte.


    Was ist dran? Ist es ein Zufall, oder trifft das auf andere Komponisten ebenfalls zu?


    Interessierte Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    "Je mieser die persönliche Lage des Komponisten, desto besser seine Musik" wirklich stimmt.


    Jedenfalls ist bei Mozart zu bemerkten, dass er ausgerechnet in der Zeit 1787ff. [in der es ihm finanziell und gesundheitlich zunehmend schlechter ging], mal eben seine "besten" Werke komponierte.


    M. E. stimmt er nicht. Auch bei Mozart nicht. Die "Haydn"-Quartette, die Klavierkonzerte 449-491, die Klavierquartette, Figaro wurden alle vor 1787 komponiert und ich zumindest kann keine mindere Qualität erkennen. Im Gegenteil würde ich im Zweifel sogar sagen, dass die letzten beiden Klavierkonzerte vielleicht nicht schlechtere, aber doch deutlich bescheidenere Werke sind als die 10 davor, ebenso die "Preussischen" gegenüber den "Haydn-Quartetten". Das heißt natürlich nicht, dass er "schlechter" geworden wäre. Aber ich erkenne hier keinen "Schub" (wie vielleicht ab ca. 1780/81) oder eine neuen "Stil" (wie vielleicht beim späten Beethoven.
    Ich halte den Satz für eine Variante der Legende, ein Komponist müßte sich traurig oder elend fühlen oder eben fröhlich, um entsprechende Musik zu schreiben. (d.h. Abbildung des persönlichen Zustands durch die Kunst ist ebenso vereinfachend wie Kompensation)
    Es gibt jedenfalls etliche Gegenbeispiele: Beethoven hat in der Zeit, in dem es ihm gesundheitlich, wirtschaftlich und persönlich mies ging (ca. 1814-1818 ) sehr wenig komponiert, besonders verglichen mit den Jahren unmittelbar davor und danach. Schumann (der war aber eh bipolar mit manischen Schaffensphasen) hatte einige seiner fruchtbarsten Zeiten in den ersten glücklichen Ehejahren mit Clara (aber ebenso einige Jahre vorher, als es eher nach einem unerfüllbaren Traum aussah).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ...d.h. Schubert ging es immer schlecht!

    WHEN MUSIC FAILS TO AGREE TO THE EAR;
    TO SOOTHE THE EAR AND THE HEART AND SENSES;
    THEN IT HAS MISSED ITS POINT
    (Maria Callas)

  • Hallo,


    Noch dazu fände ich es wirklich schlimm und erschreckend, wenn man nur "gute" Musik komponieren könnte, wenn es einem schlecht geht.


    Grüße,
    Daniel

  • mich faszieniert auch das Phänomen, daß Werke lebender Künstler "nichts wert sind".


    Das Lebenswerk zählt - und ich denke, da wird dann in Phasen von Krankheit und Lebensende viel hineininterpretiert. Das Wissen um das Leiden herausragender Persönlichkeiten hat eine besondere Bedeutung, handelt es sich doch um Personen, die uns für uns persönlich etwas weitergeben.


    Gerade im Fall W.A. würde ich auch gerne wissen, was er uns im Falle weiteren "Schlechtergehens" noch geschenkt hätte.


    "The rest is silence"

    WHEN MUSIC FAILS TO AGREE TO THE EAR;
    TO SOOTHE THE EAR AND THE HEART AND SENSES;
    THEN IT HAS MISSED ITS POINT
    (Maria Callas)

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  • Zitat

    Original von nala
    mich faszieniert auch das Phänomen, daß Werke lebender Künstler "nichts wert sind".


    Das Lebenswerk zählt - ...


    Wer sagt denn das? Außerdem kann auch das bisherige Lebenswerk eines noch lebenden Komponisten zählen.

  • Ich denke an dem Satz ist ebenso viel Wahres wie Unwahres. Es kommt IMO auch darauf an, wie man Erfolg definiert - über die Anzahl an Aufführungen oder die Intensität mit der sich Musikchroniken dem Komponisten widmen.


    Bizet bemerkte zu seiner eigenen mißlichen Lage: "Um heutzutage Erfolg zu haben, muß man entweder deutsch oder tot sein."


    Letzeres trat er ja dann leider sehr schnell ein.


    Aber zurück zum eigentlichen Thema.
    Ich halte das auch für sehr fragwürdig. Freund von mir, seines Zeichens auch Komponist, dem ich mit einer ähnlichen Frage gegenübergetreten bin,
    sagte mir einmal (in Bezug auf Tschaikowskis Pathetique, und auch ein wenig auf sich selbst): Zum Zeitpunkt des Schmerzes, der großen Depression, ist man gar nicht in der Lage zu komponieren. Ein architektonisches Meisterwerk wie die 6. hat Tschaikowski erst schreiben können, als er zumindest ein Stück weit Herr der eigenen Lage geworden ist. Was nicht heißen soll, daß es einem wieder richtig prächtig geht - im Gegenteil. Aber am Tiefpunkt seines eigenen Gemütszustands kann man kein Bauwerk solcher Dimension planen und durchführen. (natürlich nur sinngemäß zitiert).
    IMO durchaus nachvollziehbarer Standpunkt.


    LG
    Wulf

  • Hallo,
    ich glaube, dass die Erfahrung von Leid, sei es eine schwere Krankheit oder ein Schicksalsschlag, sei es eine schwere pschische Erkrankung wie z.B. eine Depression, eine Erweiterung des eigenen Erlebens und damit auch der Kreativität auslösen können. Das gleiche Phänomen sieht man oft bei " geheilten " Krebskranken, die in der Rückschau diese Phase als wichtig und auch lebensfördernd ansehen. Sie erleben die täglichen Dinge intensiver, sie sind näher am Leben oder besser gesagt sie leben bewusster.
    Das Gleiche gilt wahrscheinlich besonders für Komponisten, die dann wohl ihre Trauer, ihren Schmerz oder auch ihre Freude tiefer mitteilen und auszudrücken imstande sind. Sie haben eine andere Erfahrung mit sich selbst gemacht, die fruchtbar wird.

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    M. E. stimmt er nicht. Auch bei Mozart nicht. Die "Haydn"-Quartette, die Klavierkonzerte 449-491, die Klavierquartette, Figaro wurden alle vor 1787 komponiert und ich zumindest kann keine mindere Qualität erkennen. Im Gegenteil würde ich im Zweifel sogar sagen, dass die letzten beiden Klavierkonzerte vielleicht nicht schlechtere, aber doch deutlich bescheidenere Werke sind als die 10 davor, ebenso die "Preussischen" gegenüber den "Haydn-Quartetten". Das heißt natürlich nicht, dass er "schlechter" geworden wäre.


    Salut,


    eine Abgrenzung ist natürlich immer sehr schwer. Gerade das letzte Klavierkonzert suggeriert mir immer "Weniger ist oft mehr...". Es ist eben nicht so "überladen", wie seine Vorgänger - eben schlichter oder wie Du schreibst bescheidener. Auch das ist keine Wertung, sondern eine Feststellung. Der Geschmack spielt dabei keine bedeutende Rolle. Und doch finde ich die Preußischen Quartette ein wenig gehaltvoller als die Joseph Haydn gewidmeten, sie sind so anders. Wie ich es bereits andernorts erwähnte ist z.B. die DF des Schlußsatzes des F-Dur-Quartettes kaum eindeutig als "von Mozart" identifizierbar - es ist also doch etwas passiert.


    nala: In seinen letzten Lebensjahren fand der Komponist Hector Berlioz größere Anerkennung und ein Freund rief begeistert: "Sie kommen, sie kommen!" - er meinte die Anhänger Berlioz' Musik. Darauf erwiderte Berlioz lächelnd: "Ja, sie komen, und ich gehe!".


    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • MAn sollte aber vielleicht bedenken, das Komponisten die Pläne für manche Werke für viele Jahre mit sich rumgetragen haben. Ich hab mal gelesen, Bach soll den Plan die Kunst der Fuge zu schreiben schin mit ca. 25 gefasst haben.
    Und als er dann an seinem Lebensabend erblindete, ging es ihm schlecht, nur hat das dann ja wohl kaum einen einfluss auf ein Werk gehabt, was er schon 40 Jahre geplant hat.

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