Der bajuwarische Altgrieche - Carl Orff

  • Sollte ich den entsprechenden Thread übersehen haben, bitte ich um Verzeihung. Aber ich möchte diese Gelegenheit benützen, auf Carl Orff hinzuweisen.
    Und um es gleich vorwegzunehmen: Nicht auf den Orff der "Carmina burana", die einer der ganz wenigen Publikumserfolge auf längere Dauer sind, die die Musik des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat.


    Kurz zur Person: Orff wurde 1895 in München geboren und begann schon in jungen Jahren zu komponieren. Der prägendste Einfluss war wohl der Heinrich Kaminskis, der Orff auf die sogenannten Alten Meister als Ausgangspunkt für die Neue Musik aufmerksam machte.
    1924 gründete Orff mit Dorothee Günther die Güntherschule für Gymnastik, Rhythmik und künstlerischen Tanz. Als deren musikalische Grundlage erarbeitete er sukzessive das Schulwerk.


    Von 1950 bis 1960 leitete Orff eine Meisterklasse an der Hochschule für Musik in München. 1961 folgte die Leitung des Orff-Instituts in Salzburg.


    Orff starb 1982 in München. Sein Grab befindet sich in der „Schmerzhaften Kapelle“ der Klosterkirche Andechs, wo jährlich ein Festspiel in seinem Namen stattfindet. In Dießen am Ammersee, wo Orff gelebt hatte, erinnert das Carl-Orff-Museum an ihn.


    Orffs Frühwerke orientieren sich an Debussy, Ravel, aber auch an der Harmonik des Schönbergkreises. Die Beschäftigung mit der Alten Musik führte ihn zu einer zeichenhaft eingesetzten Musik, die fast immer Teil einer Einheit von Sprache und Bewegung ist.


    Orff komponierte Werke, die zwei Kulturkreisen angehören: Dem Bayerischen und dem Antik-mediterranen. Sonderstellungen nehmen die "Carmina burana" und "Die Kluge" ein, deren Musik stellenweise mit stilisierter bayerischer Volksmusik zu tun hat, die aber beide thematisch und über weite Strecken auch musikalisch nicht "typisch bayerisch" sind und auch nicht zum Kreis der antiken Stücke gehören.


    Die bayerischen Werke sind:
    Der Mond (1933; mehrere Fassungen)
    Die Bernauerin (1947)
    Astutuli (1953)
    Comoedia de Christi Resurrectione (1956)
    Ludus de nato Infante mirificus (1961)


    Die Werke des Antik-mediterranen Kulturkreises sind:
    Catulli Carmina (1943)
    Antigone (1949)
    Trionfo di Afrodite (1953)
    Oedipus der Tyrann (1959)
    Prometheus (1968 )
    De temporum fine comoedia (1973)

    "Carmina burana", "Catulli carmina" und "Trionfo di Afrodite" hat Orff zu "Trionfi" zusammengefasst, wobei sich der Bogen vom Liebeswerben ("burana") über Liebesprobleme ("Catulli") bis hin zum antiken Hochzeitsfest ("Trionfo") spannt.


    Die Musik Orffs ist dabei scheinbar simpel: Basis sind Ostinati, als unveränderte Wiederholungen einer rhythmischen Figut, die Singstimmenführung ist vom Gregorianischen Choral beeinflußt, d.h., daß Orff Rezitationstöne verwendet, die er über Einschwing-Figuren erreicht und mit einer spezifischen Schlußwendung verläßt (oder bestätigt).
    Bei genauerem Hinsehen ist Orffs Harmonik vor allem in den Spätwerken nicht ansatzweise so simpel, wie man vermuten würde. Schon im "Trionfo" gibt es Cluster und Wendungen, die sich von jeder herkömmlichen Tonart lösen.
    Den Höhepunkt dieser Schreibweise erreicht Orff in seinem für mich radikalsten und besten Werk, "Prometheus", in dem er des altgriechischen Text durchgehend rhythmisiert, aber zumeist sprechen lässt; das Orchester mit vielen Bläsern, einem Arsenal an Schlagzeugen (in der Percussion gibt sich die ganze Welt symbolisch ein Stelldichein, um an der Passion des Feuerbringers teilzunehmen) und einer elektronischen Orgel sekundiert mit liegenden oder schwirrenden Klängen, auch mit peitschenden Akzenten und vorantreibenden Ostinati. Und nur an ganz wenigen Stellen erheben sich die Stimmen zum deklamierenden Gesang.


    Eine grandiose Vision vom Ende der Welt verfaßte Orff dann in seinem letzten großen Werk, "De temporum fine comoedia" - "Spiel vom Ende der Zeiten": Die Prophezeihungen vom Ende der Welt gehen in Erfüllung, Satan bittet Gott um Vergebung, die gewährt wird - ein endloser Kanon suggeriert einen Zustand ohne Emotion, gleichsam ein Nirwana. Herbert von Karajan hat das Werk bei den Salzburger Festspielen ur- und leider auch alleinaufgeführt. Gerüchten zufolge soll sich Karajans Begeisterung über das Werk in ebenso engen Grenzen gehalten haben wie Orffs Begeisterung über Karajans Dirigat. Dennoch beweist die (derzeit leider nicht erhältliche) Aufnahme, dass es sich um ein sehr starkes Werk von nahezu ritueller Kraft handelt, das Karajan mit gewohnter Exaktheit und für ihn ungewöhnlicher Klangschärfe umsetzt.


    Welche Erfahrungen habt Ihr mit dem Orff jenseits der "Carmina burana" - und habt Ihr auch das Gefühl, dass die "Carmina burana" Orffs bekanntestes, nicht aber Orffs bestes Werk sind?

    ...

  • Danke Edwin - für diesen wunderbaren Beitrag über Orff. Schon seit meiner Jugend liebe ich die Carmina Burana. Erst gestern mittags waren in Ö1 einige Ausschnitte daraus, der Sprecher hat gesagt, im Dritten Reich wurden Orffs Kompositionen als "Bayrische Negermusik" bezeichnet.


    Die tollste Aufführung erlebte ich im Stift Seckau von Freunden dargeboten (Professoren und Schülern des Stiftsgymnasiums) mit 2 Klavieren und Schlagwerk. Geil!


    Es wird angenommen, daß die Handschriften der Carmina am Hof des Bischofs Karl von Seckau (1218 bis 1231) oder seines Nachfolgers Heinrich (1232 bis 1243) geschaffen wurden. Zur Auswahl steht auch noch das Kloster Neustift bei Brixen in Südtirol.


    1998 wurde an der Wiener Volksoper "Die Bernauerin" gegeben und ich nahm die Gelegenheit wahr, einmal ein anderes Werk Orffs zu sehen. Ich war auch davon überwältigt - in erster Linie von der Musik und dann aber auch von der aufregenden und rührenden Geschichte.


    In Erinnerung ist mir noch ein sehr gut agierender Chor, im ersten Teil am Biertisch sitzend. Überhaupt vermittelten die Chorpassagen den Orff'schen Rhytmus sehr gut. Der bayrische Dialekt war gewöhnungsbedürfig, Sunnyi Melles sprach zu 'hochdeutsch'. Sie war ja kurz davor die Buhlschaft, vielleicht deshalb....


    Die Aufhetzung des Pöbels durch den Mönch "Garrit gallus...." war eine sehr packende Szene.


    Das war so richtig nach meinem Geschmack! - Sunnyi Melles war die Agnes Bernauer und der Herzog wurde von Tobias Moretti hervorragend dargestellt. Dir Edwin brauche ich es sicherlich nicht erläutern, aber vielleicht kennt jemand die (wahre) Geschichte nicht, deshalb kurze Inhaltsangabe:


    Agnes lebte von ca. 1410 - 1435 und war die Tochter eines Badestubenbetreibers und wahrscheinlich die heimliche Gattin Herzog Albrecht III. In den Augen der Bevölkerung war sie seine Geliebte. Als der Herzog nicht da war, wurde Agnes von Albrechts Vater der Zauberei bezichtigt, als Hexe verurteilt und in der Donau bei Straubing ersäuft.


    Die große Liebe zwischen den beiden wurde literarisch und musikalisch über die Jahrhunderte zahlreich abgehandelt. 1944 begann Orff sich mit dem Stoff zu beschäftigen, 1947 fand in Stuttgart die UA statt.

    WHEN MUSIC FAILS TO AGREE TO THE EAR;
    TO SOOTHE THE EAR AND THE HEART AND SENSES;
    THEN IT HAS MISSED ITS POINT
    (Maria Callas)

  • Hallo Edwin,


    also erst einmal herzlichen Dank dafür, daß du diesen schönen Thread ins Leben gerufen hast, sonst hätte ich das nämlich demnächst machen müssen, was mir wiederum Zeit gestohlen hätte, an meinen "ollen Kamellen" zu arbeiten ! :D


    Nun, ich denke, daß es ALLERHÖCHSTE Zeit war, auf den Orff JENSEITS VON CARMINA BURANA hinzuweisen, denn bis auf vereinzelte Aufführungen der kompletten "Trionfi" oder der Werke, die explzit den bajuwarischen Kultur-Kreis tangieren, dürfte diese Thematik auf für viele Taminesen ein "weisser Fleck auf der Landkarte" sein.


    [timg]http://www.jpc.de/image/cover/front/0/5174717.jpg;l[/timg]Den Reigen der Werke, in die griechisch antike Themen involvert sind, eröffnet die zwar spröde, aber gleichsam dennoch "melodische" Antigonae aus dem Jahr 1949, ein Werk, das dem Komponisten, der kurz vorher noch den "Nationalpreis" der DDR erhalten hatte, nur wenig später den Vorwurf des "Formalismus" einbrachte, einfach weil die devoten ostzonalen Apparatschiks in vorauseilenden Gehorsam meinten, dem Genossen Shadanow die Füße küssen zu müssen. Orff schickte, mit einem deftigen "bajuwarischen" Brief versehen, die Medaille nach Ostberlin zurück. Die Antigonae des Sophokles in der Verdeutschung durch Friedrich Hölderlin liegt in einer guten Mono-Einspielung unter Solti mit einer fulminanten Christel Goltz als Protagonistin vor ! (Gibts derzeit gaaanz billig beim Dreibuchstaben-Versand !!!)



    Das nächste dieser Werke, der Oedipus, ist offenbar derzeit gar nicht auf dem Tonträger-Markt erhältlich. Das Werk, das im Prinzip auf einem einzigen Ton aufbaut, ist deutlich "schwerere Kost" als die "Antigonae".


    Gelegentlich ist die nebenstehende Aufnahme doch zu haben.



    Ganz folgerichtig und aufbauend auf das vorher Geschaffene war dann der "Prometheus" (1968) auf einen ganz in altgriechisch verfassten Text des Aischylos komponiert. Zum ersten Mal setzt Orff(ganz vorsichtig) in einem Werk elektronische Klänge ein. Wilde "griechische Skalen" wechseln mit Ausbrüchen des gewaltigen Schlagapparates. Als 15jähriger verfolgte ich damals die Uraufführung des großartigen Werkes im Radio und war begeistert und fasziniert. Her empfehle ich zum "Kennenlernen" nicht die Aufzeichnung mit den Protagonisten der Uraufführung unter Ferdinand Leitner sondern die Einspielung aus dem Jahr 1975 unter Rafael Kubelik:



    Natürlich ist "De Temporum Fine Comoedia", 1973 in Salzburg uraufgeführt, mein "Lieblingswerk" von Carl Orff und darüber hinaus ist es ganz gewiss eines der großartigsten Bühnenwerke im 20. Jahrhundert überhaupt.
    (Ausserdem ist es meine Lieblings-Einspielung des Dirigenten Herbert von Karajan!) :baeh01:



    Daß diese Werke selten bis nie auf die Bühne gebracht werden, liegt zum einen daran, daß die Programm-Verantwortlichen der Opernhäuser einem mehr und mehr verflachendem Publikumsgeschmack Rechnung tragen und die Wahrheiten, die Orff speziell in seinem letzten Werk ausspricht, ohnehin niemand hören mag.


    Der letztendliche Misserfolg BEIDER Werke hinderte den ansich bis zu seinem Tode ausserordentlich vitalen Komponisten Orff daran, Neues zu schaffen, was ich persönlich sehr bedauere.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo Nala,


    vielen Dank für deine schöne "Einführung" in "Die Bernauerin" ! Ich mag da besonders die "Summ-Chöre" sehr gern und das Stück gibt es in einer schönen Einspielung unter Kurt Eichhorn mit dem RSO München !



    Grabstein der Agnes Bernauer in Straubing:


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • ich habe gerade gelesen, daß in Straubing alle 4 Jahre ein Bernauer-Festival stattfindet.


    Auch habe ich gelesen, daß der noble Herzog bald nach Agnes' Tod wieder heiratete (1436 Anna von Braunschweig) und Agnes am Friedhof von St. Peter in Straubing begraben wurde.


    Interessant, daß noch immer ein Grabstein exisitert. Den schau ich mir auch einmal an!

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  • Hallo Edwin,


    dieser Orff-Thread jenseits der "Carmina Burana" war wirklich notwendig. Auch wenn für mich die Leidenschaft für klassische Musik mit einer Aufnahme der C.B. begonnen hat (die erste Kegel-.Einspielung), so ist der Orff jenseits der ausgetretenen Hörpfade doch der weitaus interessantere.


    Auf meinem Weg in diese bajuwarisch-antike Welt ist mir zuerst "De temporum fine comoedia" begegnet. Das war so etwa 1989, zu dieser Zeit war ich regelmäßiger Besucher in der Hörbibliothek der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen. Damals konnte man sich dort noch Schallplatten bestellen und ungestört mit Kopfhörer durchhören. Beim Stöbern im Katalog bin ích damals auf Orffs letztes großes Bühnenwerk gestoßen und war von ersten Moment an fasziniert. Auch wenn ich des Altgriechischen nicht mächtig bin, war ich doch durch die deklamatorische Intensität der Sänger/Darsteller gefesselt. Und die in der Schallplattenausgabe reichlich abgedruckten Bilder der Uraufführung (ich erinnere mich noch an die in einem Kreis auf hohen Säulen sitzenden Anachoreten und an dieses riesige Auge kurz vor dem Ende) taten ein übriges. Musikalisch fand ich es damals teilweise schon etwas "heftig" (so ändern sich die Zeiten...), aber immer sehr spannend. Besonders berührend fand ich die Szene, in der Satan seine Sünden bekennt und ihm vergeben wird, indem Maske, Drachenhelm und schwarzer Mantel von ihm abfallen und er wieder zu dem "Lichtträger" und Erzengel wird, der er einst vor dem Höllensturz war. Der Kreis schließt sich. Die Welt geht unter, die Schöpfung wird rückgängig gemacht, alle Materie löst sich auf, wird Geist und Licht. Und was könnte diesen Zustand besser ausdrücken als dieser strenge, schlichte Kanon in barocker Manier, der am Ende gespielt wird (übrigens u.a. von den Kuijken-Brüdern, eine der wenigen Gelegenheiten, wo Karajan mit Exponenten der HIP zusammengearbeitet hat :D ).


    Das nächste Werk, das ich kennenlernte, war die "Antigonae". Die besondere Faszination dieses Werkes liegt für mich in der wirklich gelungenen Kombination von Hölderlinscher Nachdichtung und der ungewöhnlich instrumentierten Orchesterbegleitung. Die Musik besitzt einen stark rituellen Charakter, manchmal untermalt sie die Deklamation der Sänger nur, dann aber gibt sie wieder den Rhythmus vor und die Sänger steigen darauf ein (z.B. das Klavier-Ostinato am Anfang des Chores "O, Blick der Sonne"). Überhaupt, diese Sprache, diese Bilder, die Hölderlin findet:


    "Und über Palästen stand er und wies,
    Voll blutiger Spieße, rings
    Das siebentorige Maul;
    Doch ging er davon,
    Noch ehe von unsrem
    Blut er die Backen gefüllt, und ehe
    Die Krone der Türme
    Die Fackel des Hephästos genommen."


    Ich besitze zwei Aufnahmen. Zum einen die DG-Studioaufnahme unter Leitner mit der sehr guten Inge Borkh. Leitner dirigiert für mich etwas zu betulich und Carlos Alexander als Kreon ist für mich eine glatte Fehlbesetzung (die Rolle ist nichts für einen anämisch klingenden Kavalierbariton!). Welch ein Unterschied zum Kreon von Hermann Uhde! Dieser fantastische Sängerdarsteller mit großartiger Stimme erfüllt diese Rolle wirklich und auch wenn Kreon ja nicht unbedingt der Sympathieträger des Stückes ist, so muß man am Ende einfach Mitleid mit dem Mann haben, jedenfalls dann, wenn Uhde ihn verkörpert. Im Mitschnitt der Salzburger Uraufführung von 1949 (Felsenreitschule) hört man zum Schlußauftritt Kreons passenderweise ein schnell herrannahendes Gewitter mit Donner und Regen. In einem darstellerischen Totaleinsatz klagt Uhde über den Verlust von Frau und Kind und wenn er zuletzt, ganz vernichtet, deklamiert:


    "Denn alles Schiefe hat
    Hier in den Händen und hier mir auf das Haupt
    Ein wüst´ Schicksal gehäufet.",


    dann bekomme ich immer eine Gänsehaut bei "wüst´Schicksal", denn Uhde singt da in herzzerreißendem Falsett. Die Klangqualität des Mitschnittes ist dürftig, aber die Besetzung ist erstklassig (Fischer, Ilosvay, Uhde, Fehenberger, Krebs, Greindl, Zadek, Kusche) und Fricsay dirigiert sehr zupackend. Den Münchner Mitschnitt kenne ich noch nicht, aber den werde ich mir wohl noch besorgen.


    Daneben habe ich natürlich "Kluge" und "Mond" und auch die "Bernauerin" (auch ein tolles Stück!) gehört. Den "Ödipus" habe ich damals (als 20th Century Classics bei DG) verpaßt und vom "Prometheus" habe ich nur einmal einen Probenausschnitt mit Roland Hermann gesehen, wie er wild Altgriechisches deklamierte. Vielleicht wage ich mich da auch noch mal ran...


    Viele Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Fairerweise sollte man hinsichtlich der Aufführungen von Orffs "griechischen Werken" anmerken, dass er es den Opernhäusern so schwer als nur möglich macht. Allein die Orchesterzusammensetzungen übersteigen die Möglichkeiten vieler Opernorchester. Ich denke nicht nur an die 6 Klaviere der "Antigonae" und des "Oedipus", sondern auch an die Massierung bestimmter Instrumente, etwa 6 Flöten, 6 Oboen, 6 Trompeten etc. Im "Prometheus" (den BBB völlig zurecht in der überragenden Kubelik-Aufnahme empfiehlt) kommen noch Schlagzeuge dazu, die kaum jemand auch nur gesehen, geschweige denn gespielt hat, etwa ein Angklung, eine Bin Sasara etc. Man kann einige Instrumente durch ähnlich klingende ersetzen, verliert aber den Symbolwert. Um den ging es Orff aber auch: Die Zeichenhaftigkeit ist eines der wichtigsten Elemente bei ihm.


    Im normalen Repertoirebetrieb kann man die Werke fast nicht aufführen, es müssten schon Festspielbedingungen sein. Und in diesem Zusammenhang kann man nur sagen: Ewig schade, dass Wieland Wagner so früh starb. Der geniale Regisseur hatte nämlich einen ungeheuren Bühnen-Riecher, und so überlegten er und Orff Bayreuther Orff-Festspiele, die primär den griechischen Stücken gelten sollten. Ewig schade, dass Wolfgang Wagner nicht ganz so mutig war wie sein Bruder.


    Es stimmt übrigens, dass die schwache Breitenwirkung von "Prometheus" und "Temporum fine comoedia" Orffs Schaffenskraft fast völlig lähmten. Zwei Werke sind uns dadurch nämlich durch die Lappen gegangen. Geplant war eine "Lysistrate" nach Aristophanes - im griechischen Original. Und eine Messe, zu der Wolfgang Sawallisch Orff überredet hatte.


    Zu nalas Eintrag: In der "Bernauerin" sprechen Agnes, Albrecht, der Mönch und die Hexen eine Art Hochdeutsch - ein von Orff erfundenes, quasi alt-bayerisches Hochdeutsch, während die Münchener Bürger auf derselben sprachlichen Basis einen quasi alt-bayerischen Dialekt sprechen.
    Dazu muß man unbedingt anmerken, daß Orffs Sprache ganz aus dem Klang heraus erfunden ist und daß es wenige Dichtungen für das Musiktheater gibt, die es, was Sprachkraft anlangt, mit den Albrecht-Monologen aufnehmen können. Ganz anders hingegen die Münchener Bürger, deren Sprachbilder von völlig anderer, weniger gelehrter Poesie durchdrungen sind und die in köstlichen Sentenzen gipfeln.
    Meine persönlichen Höhepunkte in der "Bernauerin" sind im ersten Akt die Chorumrahmung der Vermählung und im Zweiten Akt die unlaubliche Steigerung von der Hexenszene über den von mir so genannten Trauerchor "Fischer in Zillen", der mir jedes Mal wieder einen Kloß im Hals hochsteigen läßt, bis hin zur balladesken Wechselrede zwischen dem Chor und Albrecht "Reiter sind kommen...".


    nala erwähnt mit einem Satz Orffs Rolle im Dritten Reich: Das ist eine etwas zwiespältige Angelegenheit. Orffs humanistische Wertvorstellungen wurden natürlich skeptisch beäugt, andererseits war er für die Jugendmusikbewegung wichtig - und als Komponist, der die Massen mobilisieren konnte. Soll heißen: Orff wurde vereinnahmt und erhob dagegen keinen Protest.
    Nach 1945 beging er dann einen taktischen Fehler: Fast jeder, der auch nur am Rand gehitlert hat, zog einen befreundeten Juden oder Widerstandskämpfer aus dem Ärmel. So auch Orff, der eine Nahbeziehung zur "Weißen Rose" erflunkerte, die nie wirklich bestanden hat. Wahrscheinlich wäre ihm, wie so vielen anderen, nichts passiert, wäre er nicht erfolgreich gewesen. So aber formierte sich eine Gruppe Orff-Jäger, die natürlich die Wahrheit über Orffs Flunkern ans Licht brachten und Orff in das rechte Eck stellten, wo der mit g statt c geschriebene, also Egk, viel eher hingehört hätte.
    Warum ich nicht an Orffs Nahbeziehung zu den Nationalsozialisten glaube, ist ganz einfach: Es fehlen die Werke. Es gibt keine zweiten "Carmina burana", meinetwegen mit mittelhochdeutschem Text. Statt dessen schrieb Orff die eindeutig ins antike Rom gehörenden "Catulli carmina" und "Die Kluge", deren Stoff er ganz leicht nazifizieren hätte können, wenn er es gewollt hätte.
    Kurz: Orff war sicher kein Widerständler und sicher nicht in innerer Emigration - aber ein "Parteikomponist" war er meiner Überzeugung nach ebenso wenig.

    ...

  • Orff zwischen 1933 und 1945


    Das "Orff Zentrum München" stellt auf ihrer offiziellen Website diese Thematik so dar:


    Zitat

    Orffs Haltung während des Dritten Reiches wurde vor einiger Zeit sehr kritisch untersucht. Dem neuesten Stand der Forschung zufolge (2004) kann festgehalten werden: Orff war kein Nazi. Er war niemals Mitglied der Partei, hegte keinerlei Sympathien für deren Ideologie, übernahm keine öffentliche Funktion in der Reichsmusikkammer oder ähnlichen Institutionen und galt zu keinem Zeitpunkt als offizieller Komponist des Regimes. Während des Krieges blieb er in Deutschland; er brauchte die Verbindung zu den deutschsprachigen Theatern. Aus finanziellen Gründen auf die Aufführung seiner Werke angewiesen, arbeitete er mit Theaterleuten zusammen, die dem Nationalsozialismus gleichermaßen fernstanden wie er, so etwa Caspar Neher, Oscar Fritz Schuh oder Heinz Hilpert. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1936 nutzte er dazu, das Schulwerk „einem internationalen Forum vorstellen zu können“ (Carl Orff, Dok. III, 205). Strauss und Egk komponierten die offizielle Festmusik; die Musik zum Einzug und Reigen der Kinder und Mädchen stammt tatsächlich von Gunild Keetman. Ein Förderungsvertrag mit der Wiener Staatsoper, abgeschlossen mit der Auflage des Erstaufführungsrechtes aller Werke, die ab 1942 „entstanden oder zumindest begonnen worden sind“, wurde nicht eingehalten: Es kam in diesem Zeitraum zu keiner Ur- oder Erstaufführung in Wien. Die „mögliche Reichweite musikalischer Autonomie in einem Weltanschauungsstaat“ (Hans Maier 1995, 9) überschätzte Orff allerdings, als er vor dem Hintergrund der rassistischen Diskriminierung der Werke Mendelssohns eine neue, gleichwohl seit vielen Jahren konzipierte Musik zu Shakespeares Sommernachtstraum schrieb. Die in ästhetischer, nicht in politischer Absicht fertiggestellte Komposition bezeichnete er später als Fehler. Davon abgesehen kann man ihm Opportunismus oder gar Anbiederung an die Machthaber kaum ernsthaft unterstellen; verglichen mit vielen anderen in Deutschland verbliebenen Künstlern verhielt Orff sich äußerst zurückhaltend. Als eindeutig widerlegt gilt schließlich die Behauptung, der Komponist habe nach dem Krieg vorgegeben, Gründungsmitglied der Weißen Rose gewesen zu sein (O. Rathkolb).


    Die Sache mit der Musik zum "Sommernachtstraum" gefällt mir allerdings nicht,
    hatte doch selbst Parteigenosse Hans Pfitzner es abgelehnt, zu Shakespeares Stück eine neue Musik zu komponieren: "Weil es keine bessere gibt, als jene Felix Mendelssohn Bartholdys", was ich als Aussage für einen, der gemeinhin als "Nazi der ersten Stunde" gilt, durchaus bedenkens- und bemerkenswert halte.


    Was Orffs Verbindung zur "Weissen Rose" angeht: er kannte Prof. Kurt Huber persönlich und führte mit ihm einen Briefwechsel über dessen Volkslied-Forschungen, die in gewisser Weise anregend für die "Carmina Burana" waren.
    Für Orff spricht auch, daß er seinem verehrten Lehrer, dem rassisch verfolgten Heinrich Kaminski, über das Jahr 1933 hinaus die Treue hielt.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Was sind Eurer Meinung nach Orff-Einspielungen, die in keiner CD-Sammlung fehlen sollten (und ich meine nicht nur die Carmina Burana) ??


    Danke im voraus für Eure Tipps !


    Kurt

    Hear Me Roar!

  • Zitat

    Die Sache mit der Musik zum "Sommernachtstraum" gefällt mir allerdings nicht,


    Das ist in der Tat der wunde Punkt bei Orffs Vergangenheitsbewältigung. Die Frage ist nur, inwiefern er überhaupt eine Rolle spielt.
    Tatsache ist, daß nicht automatisch jede "Sommernachtstraum"-Musik aus antisemitischen Gründen entstanden ist.
    Spätestens seit den 20-er Jahren gibt es die Versuche, Shakespeare zu entromantisieren - teilweise durch Inszenierungen, teilweise auch durch Übersetzungen (etwa die von Hans Rothe, der ab 1916 an seinen Shakespeare-Fassungen arbeitet).
    Orffs "Sommernachtstraum" ist in meinen Augen weniger eine Schauspielmusik, als der Versuch, über Shakespeares Drama Klangzeichen auszugießen. Während Mendelssohn der Triumph der romantischen Shakespeare-Auffassung ist, nimmt Orff alles zurück, was an Romantik erinnert. Der ästhetische Ansatz ist grundlegend unterschiedlich.
    Insoferne glaube ich nicht, daß Orffs primäres Anliegen war, Mendelssohn zu ersetzen - zumindest nicht aus rassischen Gründen. Ich sehe da eher eine Parallele zu Ibsens "Peer Gynt", den ja Grieg mit einer romantischen Musik ausstattet, Saeverud hingegen mit einer zeichenhaft-expressionistischen.
    Da aber die "Sommernachtstraum"-Affäre etwas heikel und der ästhetische Ansatz schwer zu beweisen ist, schossen sich die Orff-Gegner gerade darauf ein.

    ...

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  • Bisher kaum Beachtung im Forum fand "Trionfo di Afrodite", das für mich neben "Carmina Burana" eindrucksvollste Werk von Orff.


    Mir ist nur eine Aufnahme bekannt, aber die finde ich so gut, daß ich mich bisher nach keiner weiteren umschaute:



    Rundfunkchor Leipzig
    Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig
    Herbert Kegel
    1975

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Felipe, du bist nicht nur mit "Trionfo", sondern mit dem ganzen Zyklus bestens bedient, den als Gesamtschau keiner so überzeugend darzulegen vermochte, wie Herbert Kegel.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Hallo Felipe, du bist nicht nur mit "Trionfo", sondern mit dem ganzen Zyklus bestens bedient, den als Gesamtschau keiner so überzeugend darzulegen vermochte, wie Herbert Kegel.


    Hallo BigBerlinBear.


    Bei einer kurzen Suche nach weiteren Aufnahmen stieß ich auch nicht auf besonders viele. :no:


    Da der "Prometheus" bereits angesprochen wurde, den ich mir evtl. zulegen will: Die Kubelik-Aufnahme ist also empfehlenswerter als die von Leitner?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Da der "Prometheus" bereits angesprochen wurde, den ich mir evtl. zulegen will: Die Kubelik-Aufnahme ist also empfehlenswerter als die von Leitner ?


    Das ist sie definitv, aber sei auch ein wenig gewarnt, denn der "Prometheus" ist sicher das sperrigste und hermetischste Werk vom "griechischen" Orff.
    Als Einstieg in diesen Kosmos bietet sich die "Antigonae" an, der "Oedipus" ist auch schon ziemlich starker Toback und "De Temporum" ist nicht nur das wichtigste Werk Orffs überhaupt sondern ein Zentralgestirn der abendländischen Musik schlechthin und dagegen spricht überhaupt nicht, daß es bis heute sowohl von der Kritik, wie auch den Interpreten, (vom Publikum ganz zu schweigen), kaum zur Kenntnis genommen wurde!

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    [...] "De Temorum" ist nicht nur das wichtigste Werk Orffs überhaupt sondern ein Zentralgestirn der abendländischen Musik schlechthin und dagegen spricht überhaupt nicht, daß es bis heute sowohl von der Kritik, wie auch den Interpreten, (vom Publikum ganz zu schweigen, kaum zur Kenntnis genommen wurde !


    Gibt es davon überhaupt eine Aufnahme? ?(

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Vor einiger Zeit habe ich bei amazon eine Box mit 6 CDs gekauft:



    In dieser Box sind in hervorragenden - vom Komponisten autorisierten - Einspielungen neben der obligatorischen "Carmina Burana" unter Leitner folgende Werke enthalten:


    Catulli Carmina
    Trionfo di Afrodite
    Orpheus
    Klage der Ariadne
    Tanz der Spröden
    Prometheus


    Die CDs sind auch einzeln erhältlich (Prometheus als Doppel-CD)


    Ein weitere Hinweis:
    Im Kloster Andechs finden jährlich Orff-Festspiele statt.
    Da wurde vor ein paar Jahren auch die "Bernauerin" aufgeführt. Die Doppel-CD der Aufführung liegt mir ebenfalls vor. Ebenso habe ich "De temporum fine comoedia " unter Karajan.

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Felipe II.


    Gibt es davon überhaupt eine Aufnahme? ?(


    ...ich weiß nicht, wo du wohnst, aber viele bibliotheken sind gut sortiert - da habe auch ich mir die comoedia ausgeliehen und natürlich sofort eine ... äh ... sicherheitskopie (hust!hust!) angefertigt ; )

    Wenn ich mir vorstelle, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn die heilige Kuh zu uns käme, welches Glück und welcher Segen ginge von allgegenwärtigen heiligen Kühen aus!

  • Auf Youtube bin ich zufällig auf folgendes Video gestoßen, in dem eine offenbar sehr seltene Orff-Schallplatte abgespielt wird. Es dürfte sich dabei mit um die ältesten Aufnahmen Orffscher Musik überhaupt handeln:


    "www.youtube.com/watch?v=wVScN8FuwHc"


    "Einzug und Reigen der Kinder" (Festspiel "Olympische Jugend", 1. Bild (Berlin 1936))


    Orchester der Günther-Schule München
    Leitung: Gunhild Keetman


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • heute vor 30 Jahren verstorben:

    Carl Orff (* 10. Juli 1895 in München; † 29. März 1982 ebenda)
    war ein deutscher Komponist und Musikpädagoge. Sein bekanntestes Werk ist die szenische Kantate Carmina Burana, die zu einem der populärsten Chorwerke des 20. Jahrhunderts wurde.



    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

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  • Das letzte große Werk von Carl Orff war die "De temporum fine comoedia". Die Uraufführung fand am 20. August 1973 bei den Salzburger Festspielen im Großen Festspielhaus statt. August Everding führte Regie, die musikalische Leitung hatte Herbert von Karajan. Es spielte das Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester, der Rundfunkchor des WDR wurde verstärkt durch den RIAS-Kammerchor und die Tölzer Knaben.


    Die Besetzungsliste der Solisten war prominent. Ich möchte hier nur einige nennen, wie Kari Lövaas, Anna Tomowa-Sintow, Wolfgang Anheisser, Josef Greindl, Christa Ludwig und Peter Schreier. Dazu kamen als Sprecher Rolf Boysen und Instrumentalsolisten wie Sigiswald Kuijken.


    In dieser Uraufführungsbesetzung wurde von der DGG diese CD veröffentlicht, die wieder zu haben ist:



    LG
    Portator

  • Auch schon was eingeschlafen dieser Thread oder? Keine Orff-Enthusiasten mehr hier?
    Orff halte ich für einen der interessantesten Künstler des 20. Jahrhunderts (vielleicht auch überhaupt), und dich sage mit Absicht Künstler, statt Komponist, da sein Werk für mich über die Musik als solche hinausreicht. Letztlich hat er sich mit den Ursprüngen des menschlichen Kults auseinander gesetzt, die Urzelle aller menschlichen Kunst, und die auf die Bühne gestellt, nämlich den spielenden Mensch selbst, als Träger jeglichen Dramas. Und dabei ist ganz egal, ob man nun seine bayrischen oder seine antiken Stücke nimmt. Im Grunde speisen sie sich ja aus der gleichen Quelle. Das seine Studien zum Theater zur Renaissancemusik, speziell Monteverdi und zum Tanz dabei geholfen haben, steht nicht außer Frage. Auch die Altphilologie spielt eine Rolle. Aus allen diesen Elementen formte er sein außergewöhnliches Werk.
    Ehe ich Klassische Musik hörte, geschweige denn den Namen Orff kannte, hatte ich schon mal einen Ohrwurm aus dem Film „Badlands“, bei dem sich dann später herausstellte, das dieses Musikstück „Musica poetica“ aus Orffs sog. „Schulwerk“ stammt.
    Kennen gelernt habe ich den Orff ja mit...nein nicht "Carmina Burana", sondern seiner "Antigonae" (der erste Impuls diese Aufnahme zu kaufen war zugegebenermaßen nicht unbedingt das unbedingte Interesse am Werk oder Komponist) und ich wusste eigentlich gar nicht, was mich da erwarten würde, weil ich absolut keine Ahnung von Orff hatte, konnte mir darunter nicht wirklich etwas vorstellen. Zuallererst war ich mal reichlich irritiert, wenn ich auch nichts Bestimmtes erwartet hatte, das hatte ich auch nicht erwartet. Das lief meinen bisherigen Vorstellungen von Oper erstmal zuwider. Die alten Opernstrukturen sind komplett obsolet, aber moderne Oper im Sinne der Oper, wie sie zu der Zeit Orffs auch gemacht wurde, war das ebenfalls nicht. Sing-deklamatorisches Sprechtheater mit Musikuntermalung, oder gar nicht mal das, sondern Rhythmik-Untermalung. Ein monodischer Rezitativ-Stil wie der der Opern um 1600. Allerdings blieb mir nicht viel Zeit mich lange zu wundern, da es mich einfach fasziniert hat. Die Geschichte als solche ist ja sowieso ein Klassiker und die Hölderlin-Version ganz großes sprachliches Drama. Der Hölderlin-Text wurde komplett übernommen, kein einziges Wort wurde gestrichen und Orffs Untermalung und Deklamation basieren auf dem Versrhythmus (außer die Chorpassagen). Die Sänger „singen“/deklamieren ja entweder völlig ohne musikalischen Hintergrund oder wahlweise mit Untermalung (wobei das Wort zu farbig klingt) bzw. gehen auf dem Ton mit. Über weite Strecken hält diese Deklamation auf einer Tonhöhe fest, nur in besonders dramatischen Momenten gibt es Steigerungen samt großen Intervallsprüngen. Ein archaisches Erlebnis, bei dem man merkt, dass Orff im Sinn hatte, nämlich das antike Theater „wiederzubeleben“. Ungemein soghaft, wenn man sich mal darauf einlässt.


    Die Aufnahme, die ich habe ist diese :


    Ist sehr zu empfehlen (einzige Schwachstelle für mich höchstens Karl Ostertag als Hämon, dessen Stimme in meinen Ohren gerade in den höheren, dramatischen Passagen äußerst unangenehm und hässlich klingt. Christel Goltz als Antigonae und Hermann Uhde als Kreon dagegen sind hier absolut überlebensgroß, sie bersten geradezu in ihren Rollen. Sehr intensiv.
    Die Goltz meinte nicht umsonst : „Man musste sehr gut sprechen können, ganz klar sein in der Diktion. Denn Antigonae ist keine Oper mehr im herkömmlichen Sinn.“
    Hier entscheident sich für mich eindeutig die Qualität eines Sing-Darstellers, da diesem Werk (und auch den folgenden) nicht mit Schöngesang beizukommen ist, auch ist hier jeder Lapsus in Wort und Ausdruck nicht nur auffällig, sondern auch extrem störend.


    Noch weiter als Antigonae gehen dann auch die beiden nächsten Griechen-Stücke : „Oedipus der Tyrann“ und „Prometheus“.
    Zu ersterem werde ich demnächst noch etwas schreiben, der „Prometheus“ dagegen steht bei mir noch aus.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Danach habe ich mir auch noch „Ödipus der Tyrann“ besorgt, die noch mal eine Schippe drauf ist, was Ungewöhnlichkeit angeht, die Instrumentierung noch karger, so gesehen noch mehr Sprechtheater mit kleinen Einschüben von Tönen, noch mehr absoluter Rhythmus hinter dem Melodie ganz zurücktritt. Wieder ist der Text völlig ungekürzt, weswegen das Sprechen noch mehr und schneller durchrhythmisiert ist, da das Werk die 2-Stunden- Marke sonst deutlich überschreiten würde. Die Deklamationen sind noch viel mehr hauptsächlich auf einem Ton gehalten (verändern sich nur in äußersten Ausbrüchen) und nur die einzige Frauenfigur in diesem Werk, Jokasta, hat eine noch mehr gesangliche Komponente. Unterscheidet sich damit auch eklatant von den ihr umgebenen, diskutierenden, misstrauischen Männern, die einander Wortgefechte liefern. Anfangs nicht immer leicht zu verdauen. Und so mancher mag sich dann auch fragen, ob das noch Oper ist...nein, aber so gesehen auch ja, eine Form von früher Oper, die Orff ja nur aufgenommen hat, ein Mythen-Spiel, dem der antiken Griechen vielleicht nicht unähnlich. Wer weiß wie Sophokles Stück damals genau aufgeführt und gewirkt hat bzw. ob die zugrundeliegende Hölderlin-Version gesprochen Wirkung hatte oder ob Orff sie mit seinem Werk nicht erst richtig erlebbar gemacht hat.
    Es gibt meines Wissens nur 2 Aufnahmen, ich habe den Mitschnitt der Uraufführung 1959 aus Stuttgart



    Ferdinand Leitner


    Gerhard Stolze als Oedipus
    Fritz Wunderlich als Tereisias
    Astrid Varnay als Jokasta

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Mit Orff habe ich mir alle Mühe gegeben. Je mehr ich gehört habe, um so mehr habe ich mich von ihm entfernt. Inzwischen kann ich nichts mehr mit ihm anfangen. Er hat sich für mich überlebt.


    Es gibt die vielen Überschätzt-Threads, die ich in Teilen für völlig übertrieben halte. Wenn aber überschätzt für einen gilt, dann für Orff.


    Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Das du mit Orff nichts anfangen kannst, sei dir natürlich unbenommen.
    Eine andere Sache ist aber doch die Sache mit der Überschätzung (dazu sei gleich gesagt, dass ihn auch nicht für unterschätzt halte, sondern nichts von beiden). Um ÜBERschätzt zu werden, muss man ja erstmal in besonderem Maße geschätzt werden. Wie sieht das bei Orff aus? Klar, kann man jetzt mit der alles überschattenden "Carmina Burana" kommen, aber die ist doch so etwas wie ein Klassik-Schlager geworden, schon völlig abgespalten von ihrem Komponisten und seinen anderen Werken, der Name Orff ist in dem Fall doch nur noch eine Marginalie, die hinzugefügt wird. Der Rest seines Werkes sieht/hört man doch kaum noch und eingespielt wird es sowieso nicht, wie kann er da überschätzt sein?
    Inwieweit hat er sich für dich denn überlebt? Würde ja bedeuten er hätte mal einen Wert gehabt, der nun verloren ist...welcher wäre das und warum hat er ihn verloren?

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

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  • Vollkommen richtig, liebe S&W. Man muß auch sein Schulwerk hochhalten, das unzählichen Jungen und Mädels geholfen hat, sich den jeweils richtigen Rhythmus anzueignen.


    Aber auch seine Werke für den Konzertsaal und die Bühne gehören mit Recht zum kulturellen Allgemeingut.


    Seinen "Oedipus" habe ich als Aufnahme aus München (1966) mit Stolze, Varnay, Kohn, Engen unter Kubelik.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Orffs hier in diesem Thread schon merhmals erwähntes letztes Werk "De temporum fine comoedia- Das Spiel vom Ende der Zeiten" ist von Orffs Sicht gesehen wohl der Gipfel seiner Vorstellungen. Über den Inhalt wurde weiter oben ja schon berichtet. Es gibt nur einen Mitschnitt von der Uraufführung, der ebenfalls weiter oben eingestellt ist.
    Der Rhythmus ist der bestimmende Teil des ganzen Stückes, sowohl in den Textpassagen als auch in den wenigen reinen Fetzen von Klang. Das älteste Instrument der Welt, der "Ur-Klangkörper", nämlich die menschliche Stimme ist hier der Träger all dieser Rhythmik. Viele Passagen werden mehrmals hintereinander wiederholt, meistens sich steigernd, was eine intensive Wirkung hat, manches wird durch diese Wiederholungen erst so richtig sinnhaft (einmal gesprochen wäre es evtl. an einem vorbeigegangen), das Kultisch-Mysthische, quasi das Ur-Menschliche (NICHT Urmenschliche) erfährt hier einen Grad von Fühlbarkeit, die angeht. Erstaunlicher Weise schließt Orff dieses Werk, und damit sein Werk ingesamt, mit einem seiner ganz wenigen rein musikalischen, nicht sprachlich oder ausschließlich durchrhythmisierten Passagen, einem Thema gespielt von den Bratschen, sehr fein und ätherisch, löst sie sich nicht auf, sondern erscheint unendlich...eben die reine Ewigkeit, in die die Menschheit eingeht.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Demnächst erscheint bei Warner eine 5-CD-Box mit den bekanntesten Werken von Carl Orff - dirigiert von Kurt Eichhorn:



    Carl Orff (1895-1982)
    Carl Orff Edition

    - Carmina burana;
    - Die Kluge;
    - Der Mond;
    - Osterspiel;
    - Weihnachtsspiel;
    - Astutuli
    Künstler:
    Lucia Popp, Tölzer Knabenchor, John van Kesteren, Hermann Prey, Gottlob Frick, Franz Crass, Thomas Stewart,
    Tölzer Knabenchor,
    Münchner Rundfunkorchester,
    Dir.: Kurt Eichhorn
    Label: Ariola, ADD, 1970-1972

    Erscheinungstermin: 28.2.2014


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • Für wenig Geld wurde mir diese CD bei Saturn in die Hand gedrückt. Ich kannte und mochte bisher nur die Carmina, war also sehr gespannt. Die ersten Takte gefielen mir dann auf Anhieb. Ordentlich Paukengedonner. DAnn sehr viel gesprochener Text, zuviel für meinen Geschmack. Die Geschichten, nun ja.
    Ziemlich sicher werde ich mir nicht noch andere Fassungen zulegen, dazu ist es zuwenig SCHÖN. Mehr so Musik für trübe Urlaubstage, wo man mal so richtig Zeit hat.
    Interessant finde ich auf jeden Fall, diesen typischen Orffsound mal in anderem Zusammenhang zu hören. Der gefällt mir nämlich. Aber im großen und Ganzen ist es mir einfach zu textlastig. Schade, denn diese Musik spricht mich im Tiefsten an.
    Tja....
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Ziemlich sicher werde ich mir nicht noch andere Fassungen zulegen, dazu ist es zuwenig SCHÖN.


    Womit Dir natürlich - um operus berechtigten Einwurf vorwegzunehmen ;) - der großartige Gottlob Frick entgeht:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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