Ravels Meisterwerk: Daphnis und Chloé

  • Liebe Forianer/-innen,


    nun ist es soweit: die Premiere der ‚Alle sprechen über...-Serie’. Zwar einen Tag später als geplant (Entschuldigung!), aber genauso begeistert, möchte ich heute am Ostersonntag mit Ravel ‚Daphnis und Chloé’ starten.


    Doch zunächst noch einige Worte zu Ravel im allgemeinen, wobei ich hier gerne z.T. auf Wikipedia, Harenberg und (auch für das Ballett) auf diverse Internetbeiträge zurückgreifen möchte. Ihnen allen sage ich Dank. Doch nun in medias res:


    Maurice Ravel wurde am 7. März 1875 als Sohn eines Franzosen und einer Baskin in Ciboure im Département Pyrénées-Atlantiques geboren und begann nach seinem Studium am Pariser Konservatorium (u.a. bei Fauré) eine beeindruckende Laufbahn als Pianist und Dirigent, die jedoch durch eine Lähmung 1933 beendet werden musste.


    Seitdem lebte er zurückgezogen als Komponist in einem kleinen Dorf. Musikalische Anregungen empfing er vor allem von Debussy aber auch von Strawinsky, Schönberg und Rimski-Korsakow sowie von (spanischer) Folklore und Jazz. Geistreiche Form und sensibles Klangempfinden kennzeichnen seinen Stil. Die Oper "Die spanische Stunde" (1911), das Ballett "Daphnis et Chloé" (1912), die Orchesterwerke "Rhapsodie espagnole" (1907), "La Valse" (1920) und "Boléro" (1928 ) gehören zu seinen bekanntesten Werken, wobei der Boléro sicherlich das wohl populärste Orchesterwerk des 20. Jahrhunderts ist.


    Daneben schuf er Kammermusik, mehrere bedeutende Klavierzyklen (die oft später orchestriert wurden) und Lieder. Ravel gilt als Hauptvertreter des französischen Impressionismus nach Debussy. Orgiastischer Klangrausch, allerhöchste Instrumentationskunst, musikalischer (typisch französisch geprägter) Geschmack findet sich in seinen Werken wie verhaltene Sinnlichkeit, rhythmische Raffinesse und polyphone Durchdringung.


    Wichtiges Anliegen war ihm zudem, alten barocken Formen mit neuen Inhalten zu versehen. Musik sollte für Ravel ihrem Wesen nach ausschließlich Musik bleiben und keiner philosophischen oder metaphysischen Hintergründe bedürfen. Am 28. Dezember 1937 erlag Ravel einem Gehirnleiden in Paris.


    Zwischen 1909-1912 komponiert, ist ‚Daphnis und Chloé’ „sicherlich nicht nur eines der besten Werke Ravels, sondern auch eines der schönsten Erzeugnisse der französischen Musik überhaupt’. Mit diesem Zitat Igor Strawinskys – dem m.E. kaum etwas hinzuzufügen ist -, möchte ich nun Ravels Meisterwerk näher vorstellen. Dabei war es gar nicht sicher, dass das Projekt auch verwirklicht werden sollte, denn zahlreiche Meinungsverschiedenheiten zwischen Ravel auf der einen sowie Fokin und dem Ausstatter Bakst auf der anderen Seite trugen zu keiner entspannten Atmosphäre bei der Komposition bei. Doch zum Glück wurde der Welt dennoch ein Meisterwerk sondergleichen geschenkt.


    Und Ausgangspunkt war: Diaghilew, zu dem anscheinend ab 1909 alle Wege zu führten schienen – zumindest für die meisten Komponisten, die in den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts in Paris tätig waren. So war Serge Diaghilew, der Leiter der berühmten "Ballets russes", stets auf der Suche nach begabten Komponisten, die ihm interessante Ballettpartituren liefern konnten. Auch Ravels "Daphnis und Chloé" entstand (ein Jahr nach Strawinsky Feuervogel) auf Anregung des großen Impresarios. Gemeinsam mit dem Choreographen und Tänzer Michail Fokin entwickelte er den Plan zu einem Ballett nach einem Hirtenroman des antiken Dichters Longos aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert v. Chr.



    Und darin begab es sich, dass Daphnis und Chloé als Bauernkinder nicht weit voneinander entfernt aufwuchsen. Als sie vierzehn und dreizehn Jahre alt sind, erfaßt sie ein Gefühl, das sie zunächst nicht zu deuten wissen. Im ersten Teil seiner Partitur schildert Ravel diese zart knospende unschuldige Liebe so einfühlsam wie das Erwachen der Natur im Frühling. Gleichzeitig malt er mit luftigen Pastelltönen eine bukolische Idylle.


    Der zweite Teil illustriert das Hereinbrechen der Piraten, den Raub Chloés und anderer Mädchen aus dem Heiligtum des Pan, das Erscheinen des rächenden Gottes und der helfenden Fabelwesen, das Entfesseln wilder Naturkräfte sowie die Flucht der Piraten mit wunderbaren melodischen Einfällen und impressionistischen Klangvaleurs.


    Der dritte Teil beginnt mit einem faszinierenden naturmystischen Sonnenaufgangs-Hymnus, der überleitet in den Tanz von Daphnis und Chloé zu Ehren des Gottes Pan. Der Tanz enthält zudem eine Pantomime der Nymphe Syrinx, die in ein Schilfrohr verwandelt wird, um der Nachstellung des Gottes zu entgehen. Unter allgemeinem Jubel und im "Danse generale" geht die Musik voller tänzerischer Eleganz, brillanter Rhythmik und allerhöchstem Raffinement zu Ende.


    Ravel und Fokin waren sich einig, daß die Partitur nichts mit den herkömmlichen "Nummernballetten" gemeinsam haben sollte. Ravel schrieb somit eine dreiteilige, knapp einstündige Partitur, die er treffend als "Choreografische Sinfonie" bezeichnete. Zum großen Orchester, dem größten, das Ravel jemals verwenden sollte: u.a. 15 verschiedene Schlaginstrumente sowie Windmaschine) tritt ein textloser Chor vor und hinter der Bühne, der indes (wie auch in den beiden nachfolgenden Suiten mit den ‚Höhepunkten des Balletts) durch Instrumente ersetzt werden kann.


    Ravel bemerkte zu seinem Werk: "Als ich die Musik dazu schrieb, war es meine Absicht, ein ausgedehntes Klangfresko zu komponieren, wobei es mir weniger um Archaisches ging als um Treue gegenüber dem Griechenland meiner Träume, das genau jenem Griechenland entspricht, wie es sich die französischen Künstler am Ende des 18.Jahrhunderts vorgestellt und gemalt haben."

    "Daphnis" klingt demgemäß auch weniger griechisch als vielmehr typisch französisch und äußerst sinnlich, gar erotisch - von einer impressionistisch schillernden Klanglichkeit, wie man sie so bei Ravel und seinem ansonsten klaren, zeichnerischen Stil nicht oft findet. Beispielgebend ist nicht nur m.E. der bereits erwähnte herrliche Beginn des dritten Teils, der die Morgendämmerung schildert und sich wie ein großes Gemälde vor dem Hörer entfaltet.


    Wie unschwer zu erkennen, liebe ich dieses Werk über alle Maßen. Doch, wie geht es Euch. Was haltet ihr davon? Welche Einspielungen mögt Ihr, welche weniger? Was gibt es noch zum Ballett zu sagen? Welche ähnlichen Werke (und da gibt es zumindest eine interessante ‚Kopie’...) kennt Ihr?


    ich habe im übrigen folgende einspielungen:


    claudio abbado, london symphony orchestra, dg, 469 354 2 (3discs)
    pierre boulez, new york philharmonic, sony, 45842 (3 discs)
    james levine, wiener phil., dg, 429 982 2
    andre previn, london symphony orchestra, emi, 7 63887 2


    pierre boulez, berliner phil, dg 447 057 2
    charles dutoit, orch. symphonique de montreal, decca, 475 6891 (4discs)
    eliahu inbal, orchestre national de france, brillant 6430 (4 discs)


    seji ozawa, boston symphony orchestra, dg 439 342 2 (3 discs)
    yan pascal tortellier, ulster orchestra, chandos 9206 (4 discs)


    Ich bin gespannt und wünsche frohe Auferstehungstage

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • hallo, das einverständnis observators vorausnehmend, habe ich hier seinen beitrag aus dem vorhergehenden thread kopiert, denn den text von hermann schreiber finde ich doch zu lesenswert, als daß er 'vergessen' werden könnte ...


    "Die Insel der Seligen Daphnis und Chloe


    Hermann Schreiber


    Ein Dichter, von dem man nur den Namen und das Jahrhundert kennt und sonst nichts, hat den schönsten Liebesroman der ganzen alten Welt geschrieben und eines der liebenswürdigsten Bücher, das die Menschheit überhaupt besitzt. Goethe nennt die kurze Prosaerzählung ein Gedicht und sagt, es sei »so schön, daß man den Eindruck davon, bei den schlechten Zuständen, in denen man lebt, nicht in sich behalten kann, und daß man immer von neuem erstaunt, wenn man es wieder liest. Es ist darin der helleste Tag ... «


    Wörtlich lautete der Titel »Hirtengeschichten von Daphnis und Chloe«, und tatsächlich sind der schöne Knabe Daphnis und das lieblich-naive Mädchen Chloe Hirten an einem meernahen Gestade der Insel Lesbos, die vielleicht die Heimat des Dichters Longos ist, dem die reizende Schöpfung gelang. Seine Helden sind Findelkinder und somit zunächst die Opfer einer nachklassischen Welt, in der die Inseln einander bekriegen, in der Seeräuber die Dorfbewohner vor allem dann entführen, wenn diese sich auf den Sklavenmärkten gut verkaufen lassen; eine Welt, in der die ländliche Idylle und der große Schrecken so eng benachbart sind, daß man sagen muß, sie sind beide Wesenselemente der Welt und der Zeit.


    Um so mehr genießen Daphnis und Chloe den Frieden ihrer Weidehänge, leben mit den ihnen anvertrauten Tieren, den Pflanzen und den Gottheiten von Feld und Flur, wie sie für das Griechenvolk zur Landschaft gehören, vor allem also den Nymphen einer Höhle und dem kleinen Pan, einem kaum beachteten Standbild im Grünen. Diese ahnungslos-glückliche Existenz im ewigen Schönwetter der ägäischen Inselwelt ist jedoch von Spannungen erfüllt, von einem sich bisweilen schmerzlich steigernden Unbehagen und verzweifelter Ratlosigkeit, weil die zwei jungen Leute, an der Schwelle zur Reife und in der naturnahen, friedlichen Zweisamkeit ihres Daseins, von Tag zu Tag mehr füreinander empfinden; weil sie von der Freundschaft und der Zusammengehörigkeit im gemeinsamen Schicksal fortschreiten wollen zur Liebe. Aber sie können nur ahnen, was die Liebe ist und welche Wege sie jenen weist, die ihr verfallen sind. An sich harmlose Zwischenfälle werden in diesem Spannungsfeld zu beunruhigenden Rätseln: Ein Bad in einem Tümpel, bei dem Chloe den schönen Daphnis nackt sieht, oder der Raub der Chloe durch die jungen reichen Nichtstuer einer Nachbarinsel, der in Daphnis Ängste auslöst, die er sich nicht zu deuten weiß, so daß er sich den Nymphen anvertraut und sich bei ihnen beschwert, weil sie dies zugelassen hatten. Und die Nymphen der heiligen Höhle sind es dann, die den Unglücklichen an den mißachteten Pan verweisen, das überwachsene kleine Standbild des bocksbeinigen Gottes, der dann den Schiffen nacheilt, seine boshaften Wunder tut und erst wieder fröhliche Flötentöne von sich gibt, als das Mädchen unversehrt freigelassen wird.


    »Sicher bin ich krank, aber woran ich kranke, weiß ich nicht«, sagt Chloe am Anfang des Romans. »Schmerzen habe ich und bin doch nicht verwundet, traurig bin ich, dabei leben alle meine Schafe, ich brenne wie Feuer und sitze doch im dichten Schatten.«


    Sie ahnt, daß Daphnis die Ursache dieser Zustände ist oder doch etwas mit ihnen zu tun hat: »Schön ist Daphnis, aber sind dies nicht auch die Blumen? Lieblich klingt seine Hirtenflöte, aber lieblich singt auch die Nachtigall, und doch tut sie mir nicht weh. Wäre ich doch seine Flöte, daß er auf mir bliese, oder eine Ziege, daß ich von ihm gehütet würde! Du böses Wasser: Nur ihn hast du schön gemacht, mein Baden war vergeblich.«


    Die in Chloe aufkeimende Liebe hat die Natur in ein magisches Gefilde verwandelt, was um so schneller und vollständiger vor sich geht, als die naturbeseelenden Götter ja noch allgegenwärtig sind. Badet Chloe, so fühlt sie sich unverändert, so bleibt dies ohne Magie; der nackte Daphnis im Wasser hingegen wird göttlich überglänzt und zur schmerzlichen Herausforderung für Chloe, die sich ihre unbewußte und durchaus natürliche Reaktion nicht zu erklären vermag und an sich, an der Welt und an den sonst so hilfreichen Göttern verzweifelt.


    Mit einer Kunstfertigkeit, die uns bedauern lägt, daß wir von Longos nur dieses eine kleine Werk kennen, läßt der Dichter auch in dem Jüngling die Ahnung des Verlangens heranreifen; der spielerisch-kindliche Kuß der Chloe entflammt ihn, »doch so, als sei er nicht geküßt, sondern verwundet worden ... Schauder liefen ihm über den Rücken, das schlagende Herz hätte er gerne festgehalten, in einem fort wollte er Chloe ansehen und erglühte, sobald er es tat ... Als er einmal allein war, redete er so zu sich selbst: Was hat Chloes Kuß mir angetan? Rosen sind nicht so zart wie ihre Lippen, Honig ist nicht so süß wie ihr Mund, aber ihr Kuß tut mehr weh als der Stachel einer Biene. Oft habe ich kleine Böcklein in den Arm genommen und Hündchen, kaum geborene, geherzt ... aber dieser Kuß ist etwas ganz anderes!«


    Im kunstvollen Wechselgesang läßt der Dichter schließlich beide gemeinsam vor uns hintreten, in einer beinahe musikalisch zu nennenden Stimmführung dieses kostbaren kleinen Romans: »Es war schön, zusammen zu sein, und bitter, sich zu trennen. Sie sehnten sich nach irgend etwas und konnten doch nicht sagen, wonach. Nur eins wußten sie, daß für ihn der Kuß und für sie das Bad (des Daphnis) ein Unheil gewesen war. Außerdem entflammte sie die Jahreszeit.«


    Im Gang dieser Jahreszeiten, von Frühling zu Frühling, steigern sich die Szenen der Annäherung, und selbst der harte Einbruch der Außenwelt in ihre erotische Idylle kann die ansteigende Spannung nicht unterbrechen: Daphnis, nur kurz von Seeräubern entführt, entrinnt schwimmend, auf die Hörner zweier schwimmender Stiere gestützt.


    Der Stier, der Europa trug, der Stier im Labyrinth des Minotaurus, er ist das heilige Tier des Mittelmeerraums und wirkt in dieser mit vielen magischen und religiösen Symbolen ausgestatteten Dichtung ebenso mit wie die Halbgötter: Es sind die Nympen, die Chloe in ihrer Grotte zum Bad laden, und nun hat auch Daphnis die Freundin nackt gesehen, nun sind sie im Stand von Adam und Eva vor dem Sündenfall, voneinander wissend und dennoch unschuldig. Und sie bleiben es auch, als ihnen ein alter Hirte, der ihre Not nicht mehr mit ansehen kann, den wohlgemeinten, wenn auch etwas bedenklichen Rat gibt, gegen ihr gemeinsames Übel hülfen Küsse, Zärtlichkeiten und das Beieinanderliegen im Gras. Aber wenn sich zwei wirklich mögen, wenn sie so vertraut miteinander sind wie diese Findelkinder von Lesbos, die mit jungen Ziegen und Hündchen leben und jede Form der Zärtlichkeit kennen, dann bleibt ihnen die Unschuld auch in der Berührung erhalten. Und selbst als Daphnis von Lykainion, einer erfahrenen Frau, unterwiesen wird, ändert sich zwischen den Liebenden nichts, weil er zu Recht ahnt, daß der Zauber sehr zart und verletzlich ist und völlig schwinden könnte, würde er ihn zerreißen.


    Es sind die Nymphen, die schließlich einen Ausweg finden, weil alle anderen Fingerzeige versagt haben: Sie zeigen Daphnis einen Schatz, der ihn, den armen Hirtenjungen, in die Lage versetzt, um die schöne leibeigene Chloe zu werben. Ehe dies möglich wird, muß freilich der Herr des Landes und aller Hirten die beiden besuchen; er heißt Dionysophanes und entpuppt sich - wie sollte es anders sein - als der Vater des Daphnis, der seinen schon totgeglaubten und nun wiedergefundenen Sohn überglücklich in die Arme schließt.


    Nun kann die Verlobung als Festmahl im Palast zu Mytilene ausgerichtet werden, und unter den Gästen ist auch der Vater der Chloe, der reiche Megakles, dem man vor Zeiten die Tochter geraubt hatte. Die Brautleute wollen jedoch die eigentliche Hochzeitsfeier vor die Höhle der hilfreichen Nymphen verlegen. Dann, da sie nun Mann und Frau sind, lernt Chloe, »daß alles, was sie einst am Waldrand getrieben hatten, nur Hirtenspiel gewesen war ... Und nicht nur an diesem einen Tag, sondern so lange sie lebten, hielten sie es mit den Hirten, verehrten deren Götter - die Nymphen, Pan und Eros -, schafften sich große Herden von Schafen und Ziegen an und erklärten Früchte und Milch als die bekömmlichste Kost. Und alle diese Bräuche behielten sie bis in ihr hohes Alter bei.«


    Das Ritardando, das langsame Herantasten an die volle Lust, hat Goethe an diesem kleinen Roman besonders bewundert; aber da das Buch immerhin achtzehnhundert Jahre alt ist, gab es natürlich auch Zeiten, in denen das Bekenntnis zu Pan, Eros und den Nymphen und der kindlich-unbefangene, unbewugt-zielstrebige Weg zu der geschlechtlichen Vereinigung als frivol angesehen wurden und das Buch als ein Musterbeispiel für die erotische Unterhaltungsliteratur der heidnischen Gesellschaft in der Alten Welt verpönt war.


    In dem Maße aber, wie sich Europa aus diesen Vorurteilen und engen Moralvorstellungen befreite, gewann das Gesamtbild, das Longos zeichnet, an Bedeutung. Und als schließlich Jean-Jacques Rousseau seinen Ruf »Zurück zur Natur« erschallen lieg, da entsann man sich mit Begeisterung des oben zitierten Bekenntnisses zu einem gesunden und natürlichen Leben mit weiser Selbstbeschränkung im Essen und Trinken, einem Leben, das seinen Reiz aus der ungebrochenen Unschuld der Natur empfing. Gelang es auch der Gesellschaft des Rokoko nicht mehr, sich tatsächlich in Hirten und Schäferinnen zurückzuverwandeln, so hat doch gerade dieser Roman manche anmutige Komödie in den Schloßparks des achtzehnten Jahrhunderts zur Folge gehabt und vielleicht der einen oder anderen frühverdorbenen Hofdame von Versailles, Dresden oder Karlsruhe die rettende Sehnsucht eingegeben, noch einmal so zu sein wie die kleine Chloe."


    Danke, observator :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Für mich ist im Zusammenhang mit "Daphnis" wichtig: Man muss das Ballett komplett hören, nicht als Suite. Die Suiten sind gut, aber alle nicht so perfekt im Timing, immer gibt es einen Satz der zu lang oder zu kurz ist. Hört man die komplette Ballettmusik, ist das Timing perfekt.
    "Daphnis" ist für mich außerdem der Höhepunkt der Instrumentierungskunst. Nie zuvor hat eine Partitur ein derartiges Licht erstrahlen lassen. Der Klang ist völlig perfekt, von vollendeter Schönheit. Ein Blick in die Partitur zeigt, wie Ravel mit Orchesterpedalen umgeht, wie er einer Streicherkantilene durch eine Holzbläserstimme Körnigkeit verleiht, wie er, umgekehrt, einem Bläserakkord durch eine raffinierte Flageolett-Streicherkombination die Schärfe nimmt, aber das Leuchten verstärkt. Praktisch jede Seite der Partitur ist eine Instrumentierungsanleitung - aber nicht nur. Denn was so glänzend instrumentiert ist, ist auch harmonisch und melodisch herrlich ausformuliert, die Nonenakkorde sind so geschichtet, dass sie leuchtender nicht mehr klingen können. Und der Sonnenaufgang gehört zu den herrlichsten Steigerungswellen, die in der gesamten Musik des 20. Jahrhunderts vorhanden sind.
    Kein Wunder, dass er Nachahmer fand. Selbst ein "Neutöner" wie Hans Werner Henze dürfte diese Musik sehr genau im Ohr gehabt haben, als er den letzten Satz seiner Sechsten Symphonie schrieb. Fast eine Paraphrase des Ravel'schen Klangzaubers ist das - und doch ohne den Duft, den besonderen Zauber, den "Daphnis" im Original verströmt.

    ...

  • Hallo,


    eine schöne Einleitung von Klingsor.


    Ich muss gestehen, dass ich bis vor zwei Wochen dieses Werk noch nie gehört habe, nun allerdings bestimmt ungefähr sieben oder acht Mal.


    Beim ersten Mal war ich, ich muss es zugeben, nicht sonderlich begeistert. Neben den schönen Vokalpassagen musste ich über einige Stellen, die mich an Walt-Disney-Musik, Fred-Astaire-Hollywood und den Ohrwurm "Feelings" erinnerten, schmunzeln und zuckte etwas mit meinen Schultern.


    Je öfter ich das Stück allerdings hörte, desto mehr erkannte ich den Gesamtzusammenhang, der mich nun sehr befriedigt oder vielleicht sogar verblüfft. Im Werk empfinde ich einen großen Bogen, der mir die Einheitlichkeit zeigt, der mir den "einen Guss", aus dem das Stück gemacht zu sein scheint, offenbart. Auch die gerade angesprochenen einzelnen Stellen empfinde ich nicht mehr als eigene Passagen, sondern lediglich als Teile des Zusammenhangs, was mich sehr befriedigt.


    Der Orchesterklang ist toll.


    Da mein Computer noch defekt ist und ich nur kurz an einem fremden Computer sitzen kann, muss ich es erst einmal bei diesem Eindruck belassen.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • hallo,


    von 'alle' sprechen über ... kann ja nun noch nicht die rede sein ... ob das nun wirklich eine erfolgreiche serie wird? oder mag kaum einer ravel? ?(


    fragende grüße

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Hallo Jörg,


    Ich leide diesbezüglich gerade ein bisschen an meiner "Procrastination"/"Prokrastination" (mein neues Lieblingswort!), aber werde mich in den nächsten Tagen an diesem Thread beteiligen!
    Die Osterfeierlichkeiten und der gegenwärtige Semesterbeginn sind aber auch ein bisschen stressig...


    Ich werde heute mal zu entscheiden versuchen, ob mir die DG-Boulez-Aufnahme nicht doch besser gefällt als die DG-Abbado-Aufnahme....


    :hello:

  • Hallo Jörg,


    erst einmal vielen Dank für den Werkvorschlag. Ich denke, ich wäre nicht so schnell auf "Daphnis" gekommen, auch wenn ich Ravel sehr schätze.
    Bestellt habe ich mir die Dutoit-Aufnahme.



    Beim ersten Hören war ich unglaublich fasziniert. Solche Klänge hatte ich noch nicht vernommen. Die Vokalisen fand ich unheimlich schön, die Musik hatte etwas Transzendentes, man konnte sich mit ihr in ferne Welten tragen lassen.
    Der Eindruck ist beim erneuten Hören nicht verblasst, die ungewöhnlichen Klänge und Orchesterfarben konnten mich immer wieder faszinieren. Ich habe nur ein kleines Längenproblem. Irgendwann schalte ich einfach ab und das Werk kommt mir richtig endlos vor. Dabei ist die Stunde an sich ja gar nicht lang. Ich weiß nicht, ob man es als langweilig bezeichnen kann, das möchte ich eigentlich gar nicht, das hat es sicher nicht verdient. Das Werk vermag mich jedenfalls noch nicht, über die gesamte Distanz in Schach zu halten. Deshalb werde ich weiterhin fleißig "Daphnis" hören, um mir die letzten Teile auch noch mehr bewusst zu machen.


    Mit der Dutoit-Aufnahme bin ich sehr zufrieden. Klanglich top, zudem noch 2 schöne Interpretationen von "La valse" und der "Pavane pour une infante défunte".



    Gruß, Peter.

  • Tja, wer zu spät kommt, den bestraft Tamino...


    eigentlich ist alles gesagt, was ich hätte beisteuern können. Klingsor hat an Fakten so ziemlich das meiste zusammengetragen und der Ausdruck des "Leuchtens" ist auch genau das, was mir seit dem ersten Hören vor ca. drei Jahren als erstes in den Sinn kam. Gerade dieses - mal leicht schimmernde, dann in kräftigsten Farben strahlende - Auf und Ab an Stimmungen lässt mir die Stunde im Fluge vergehen.


    Bleibt vielleicht noch anzumerken, wo und wie ich Daphnis und Chloe erstmals hörte, nämlich via TV beim Sylvesterkonzert der Berliner Philharmoniker. Rattle hatte damals ein Ravel/Gershwin-Programm zusammengestellt, das mir, trotz meiner jahrzehntelangen Jazzliebe nicht recht zusagte. Vor Daphnis am Ende sagte er, dies sei das letzte Werk, eine Zugabe könne man nach der Musik partout nicht mehr geben. Ich erinnere mich, wie ich den Lautstärkeregler meiner Anlage immer höher drehte, aushahmsweise mal rücksichtslos meinen Nachbarn gegenüber (Es war schließlich Sylvester...). Und in der Tat: Danach hätte ich kein weiteres Stück mehr hören wollen. Ich hatte das Gefühl, alles sei gesagt.


    Eine Frage noch: Irgendwann las ich, Daphnis und Chloe sei das erste Werk mit textlosem Chor. Ist das richtig?


    Mittlerweile besitze ich fünf Aufnahmen des Werkes, greife aber fast immer zu den bereits genannten Dutoit oder Abbado.


    Gruß
    B.

  • Hallo Barbirolli,


    Zitat

    Irgendwann las ich, Daphnis und Chloe sei das erste Werk mit textlosem Chor. Ist das richtig?


    Nein, ist es nicht. Ein recht bekanntes Beispiel eines Werkes mit textlosem Chor, das mir gerade einfällt, sind die 'Trois Nocturnes' (1899) von Claude Debussy - allerdings nur im letzten Satz.
    Ein weiteres Ballett, das wie Ravels 'Daphnis et Chloé' für die 'Ballets Russes' Diaghilews komponiert wurde und gleichfalls einen Vokalisenchor benötigt, stammt von Nicolai Tscherepnin (1873-1945). Es trägt den Titel 'Narcisse et Echo' und wurde 1911 - also ein Jahr vor 'Daphnis' - vollendet und uraufgeführt. Auch eine in wunderschönsten Klangfarben schillernde Partitur.


    Schöne Grüße
    Johannes

  • Hallo,


    meine Lieblingsaufnahme ist vor vielen Jahren bei "Music and Arts" erschienen.


    Es handelt sich um eine frühe Rundfunkstereoaufnahme mit Charles Munch und dem Boston S.O. von 1961.


    Munch hat das Werk ja auch für RCA aufgenommen, dies ist eine der ersten Stereoaufnahmen gewesen und deshalb recht bekannt.
    Allerdings finde ich diese Aufnahme langweilig.... :(


    Nicht so die Live-Aufnahme von 1961.


    Dies ist mit Abstand die exaltierteste Aufnahme, die ich von diesem Werk kenne.
    Sie vibriert und explodiert derartig, hat einen solchen "drive", daß man vom Sessel aufspringt. :jubel:


    Leider ist das Klangbild etwas grobkörnig und sehr trocken, aber trotzdem kommen feinste Schattierungen auch im piano immer noch gut rüber.


    Übrigens ist in dieser Aufnahme der Chor nicht "wortlos".
    Natürlich hat er keinen Text, aber es gab von Ravel wohl die Option, welche Munch aufgriff, daß der Chor zum Schluß immer wieder "Dag,Dag,Dag" skandiert, eine Hommage an Diaghilew.


    Von den mir bekannten Studio-Aufnahmen finde ich immer noch die Aufnahme mit Dutoit und dem Montreal S.O. sehr gelungen.


    Viele Grüße,


    Michael

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  • Ich habe das Stück schon vor ein paar Wochen, als der thread angekündigt wurde, einige Male gehört (ich habe schon seit Jahren die CD, aber nicht oft angehört). Jetzt gerade nochmal. Ich muß gestehen, das man mich mit diesen vokalisierenden Chören :rolleyes: :wacky: jagen kann; im letzten Stück, dem ekstatischen Bacchanale sind sie o.k., aber ich könnte insgesamt sehr gut verzichten. Auch sonst kann ich leider nicht viel beitragen. Ballett per se geht nicht recht an mich und diese Art Klangzauber auch nicht. Ich finde das größtenteils nicht viel mehr als ganz nett. Von Ravel bevorzuge ich die kürzeren Orchesterstücke, sowie Streichquartett, Violinsonate, Trio.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Mein lange überfälliger Beitrag zum Thema:


    Ich habe mir extra für den Thread zwei Aufnahmen zugelegt, da ich ansonsten nur die Suiten besaß und war ziemlich neugierig, da ich vom französischen Imressionismus nur die "üblichen Verdächtigen" kannte.
    Das erste Hören ließ mich mit sehr zwiespältigen Gefühlen zurück. Die vokalisierenden Chören haben mich - wenn ich ehrlich sein soll - regelrecht genervt. Insgesamt konnte ich der Musik auch schöne Monmente abgewinnen, aber insgesamt? Na ja...
    Nun ist soetwas bei mir gelegentlich der Beginn einer langjährigen Freundschaft. :D Bei Sachen, die mir sofort gefallen besteht die Gefahr des schnellen Überdrüssigwerdens, Werke die nicht gleich "einschlagen" können durchaus durch öfteres Hören in meiner Gunst aufsteigen.
    Was soll ich sagen, trotz häufigen Hörens ist der Eindruck immer noch zwiespältig. Die Chöre finde ich inzwischen nicht nur erträglich sondern recht schön. Ich finde zauberhafte Stellen, ich kann bestätigen was Edwin beschreibt, die Musik verströmt einen eigenartigen Zauber und Duft. Aber ich bin, und das liegt sicher auschließlich an mir, nicht in der Lage, das Werk in seiner Struktur und im Gesamtzusammenhang zu sehen. Mir geht es wie Peter, es fällt mir einfach schwer, mich eine Stunde lang lang auf diese Musik zu konzentrieren. Mir gelingt es - von den dramatischen Höhepunkten abgesehen - auch nicht den einen 57-Minuten-Track den einzelnen Handlungselementen zuzuordnen. Vielleicht könnte mir da einfach eine DVD mit einer Aufführung des Balletts weiterhelfen.


    Soviel zunächst von mir. Beide Aufnahmen werden in meiner Sammlung bleiben, ich werde sie auch gelegentlich wiederhören. Vielleicht platzt ja der Knoten.


    Liebe Grüße
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • hallo, reinhard, das ist ja schade, gerade die chöre habens mir bei meiner ersten bekanntschaft mit dem werk angetan .... die kann man so richtig drin 'baden' und 'versinken' ..


    welche einspielungen hast du denn gekauft?


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    Original von klingsor


    welche einspielungen hast du denn gekauft?


    Zuerst


    Roshdestwenskij, Chor und Großes Radio-Sinfonieorchester der UdSSR (Melodija / Eurodisk)


    und dann noch


    André Previn, London Symphony Chorus, London Symphony Orchestra (EMI)

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Hallo Taminoaner,


    den lange angekündigten Daphnis-Thread habe ich nun nach meinem GranCanaria-Osterurlaub vorgefunden.


    Kennen gelernt hatte ich die gesamte Ballettmusik Daphnis und Chloe zu meiner LP-Zeit in einer Ravel LP-Box mit Jean Martinon / Orchestre de Paris.
    Eine sehr schöne Aufnahme, die mich gleich von Anfang an begeistert hat.
    Über die wunderbaren Orchesterfarben in Daphnis und Chloe und die Instrumentationskunst Ravels brauche ich nichts mehr hinzuzufügen, das ist hinreichend gelobt worden.


    Doch wenn man bei den beiden Orchestersuiten auch die Einschränkung perfekten des Timings (wie Edwin einräumte) gegenüber dem gesamten Ballett außer Acht läßt, so gefallen mir auch die beiden Orchestersuiten sehr gut:
    Sehr gute Interpreationen habe ich mit Ricardo Muti / Philadelphia Orchestra auf EMI und Karajan / Berliner PH auf DG.


    :] Als die CD aufkam wollte ich die Ravel-Werke alle auf CD besitzen. Da kam mir die Aufnahme mir Charles Dutoit, Orch. symphonique de Montreal, Decca, 475 6891 (4discs) gerade Recht. Es ist die gleiche Aufnahme die klingsor hat und zu den besten Aufnahmen der Ravel-Werke zählt. Die Aufnahme des Ballettes Daphnis und Chloe ist von 1980 DDD und in der Reihe DECCA LEGENDS erschienen. Der Klang ist aller andere als legendär sondern vom Feinsten.
    Die Dutoit-Interpretation ist noch präziser und perfekter als die alte Martinon-Aufnahme. Ich kenne keine bessere.
    Eine Einschränkung hat die Decca-CD: Das gesamte Ballett ist nur in einem Track auf der CD.


    Ist das bei der später erschienben Decca-Legends CD auch noch so ???
    Oder auf der unten abgebildeten-Doppel-CD-Version ?
    Das ist eigendlich nicht mehr zeitgemäß, so etwas raus zu bringen.
    Ich kann mit meinem SONY-Esprit CD-Player die CD in Indexe einteilen (der CD-Player hat einen interenen CD-Speicher) und so habe ich meine eigenen Tracks für diese CD gesetzt, damit man bestimmte Teile sofort anwählen kann.



    Zur Zeit gibt es diese Decca-Doppel-CD mit Dutoit, die ich allen empfehlen kann.


    :hello: Mir ist bei den Geschmäcksäußerungen zu Ravel´s Daphnis folgendes aufgefallen:
    Die jenigen, die in diesem Thread bisher Einschränkungen über Ravels große Partitur gemacht haben, sind meist die gleichen Taminos, die mit Werken a la R.Strauss und Liszt in Form der Sinf.Dichtung auch wenig anfangen können - schade.
    Vielleicht springt der Funke noch über, genau wie bei R.Strauss und F.Liszt.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,


    über das Kennenlernen dieses Werkes bin ich wirklich froh. Zwei Gründe treten hierfür in den Vordergrund:


    Erstens die bereits beschriebene ausgezeichnete Instrumentation: Von Ravels Meisterschaft der Instrumentierung habe ich ja, ähnlich wie über Strauss und Rimski-Korsakow, in Lehrbüchern schon einiges gelesen. Nun kann ich vieles davon wirklich nachvollziehen. Da mich der Klang (oder die Klänge? - in dem Fall stimmt beides) sehr fasziniert hat und ich auch bei vielen Passagen wissen wollte, wie die Klänge erzielt wurden, habe ich zusätzlich auch die Partitur erworben. Es ist fantastisch. Bei einer Stelle z.B. hat mich ein bestimmter Zusammenklang einiger Instrumente sehr fasziniert, ich konnte mir die Wirkung nicht erklären. Und was sehe ich in der Partitur? Zu den mittleren Streichern, tiefem Holz und Horn zupft, nach mehr als 20 Takten Pause, die Harfe einmal kurz, äußerlich völlig unspektakulär, einen einzelnen Ton. Das und vieles andere war es, was den sphärischen und für mich bisher ungewohnten Klang ausmachte. Und von solchen Sachen ist die Partitur voll, ohne dass jedoch das Gefühl der Einheitlichkeit und des "einen Gusses" verlorengeht, eine Stunde lang.


    Ich liebe den Vokalgesang auch sehr, kann mich an dem Sekundintervall gar nicht satthören. Allerdings erinnert mich dieser sehr an Debussy.


    Zweitens der große Zusammenhang: Wozu ich ein mehrmaliges Hören benötigte, ist das Erfassen des Gesamtzusammenhangs. Ich finde, dass über dem Werk von Anfang bis Ende ein großer Bogen schwebt. Bei all den Differenzierungen in der Instrumentation scheint mir dies außerordentlich zu sein. Der große Bogen ist natürlich in kleinere Abschnitte unterteilt, die alle zusammengehalten werden, so liebe ich es. Ich finde, das Stück hat Struktur, inhaltliche Zusammenhänge und Poesie.


    Ich hoffe, meine spontane Begeisterung wird mir nicht verübelt. Als Laie ist man schnell begeistert, da nicht so viele Relativierungsmöglichkeiten vorhanden sind.


    Außerdem gefällt mir ja auch nicht alles. Einige bereits in meinem ersten Beitrag genannten Melodien finde ich etwas "verschwelgt". Eines mag ich allerdings gar nicht: den Einsatz der Windmaschine.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo Jörg und alle anderen,


    nun hab ich den Thread zwar immer noch nicht komplett gelesen, aber da ich heute Abend Daphnis et Chloé mal wieder gehört habe, möchte ich mich vorerst zu Wort melden. Der Thread rennt ja nicht weg...


    Auch möchte ich dir zunächst danke sagen, denn auf dieses Ballett wäre ich sicher nicht in den nächsten Jahren gekommen und so konnte man eine doch recht schöne, wenn auch nicht umwerfende Bekanntschaft machen.


    Ich habe mich aus zwei Gründen für die Einspielung mit Simon Rattle entschieden:


    Aus Preisgründen - sie war billig zu haben.
    Es ist der Bolero mit drauf und um mal etwas Grundrepertoire in meine Sammlung zu bekommen, bot sich dieser Kauf an.
    Jetzt fällt mir noch ein weiterer Grund ein: ich wollte und konnte mal das Dirigat von Rattle kennen lernen.



    Nun, wie es dir, Jörg, erging, finde ich die Chöre auch wundervoll - so bestechend, irgendwie aufzwingend.
    Aber mir ergeht es teilweise auch so wie Peter - nicht unbedingt, dass die Konzentration nachlässt, aber dass mich das Werk einfach nicht vollständig überzeugt. Diese vielen ruhigen Passagen plätschern irgendwie nur so dahin. Für mich persönlich steckt da (noch) nichts drin. Dagegen reißen die aufwühlenden Stellen ordentlich mit. Das ist das Herrliche und Positive an diesem Werk - es steckt viel Spannung drin. Vorhin kam mir in den Sinn, wie ich mich dabei fühle: wie in einem Sturm. Voller Gefahren und Ängste.


    Ich werde mich aber noch weiterhin mit dem Werk beschäftigen. Gerade inhaltlich will, möchte und muss ich da noch etwas nachholen.


    Mit der Aufnahme bin ich eigentlich sehr zufrieden. Besonders auch mit dem Bolero - heute ist mir dieses ruhige, gelassene Tempo erst so richtig bewusst geworden. Da ist keine Eile und Hast.



    Und dann möchte ich das gleich hier äußern: Ich persönlich wäre für eine weitere Runde mit diesem Schema.
    Auch wenn die Resonanz nun nicht so war, als reden alle über dieses Werk, aber ich fand es interessant und wäre bei einer erneuten Runde sicherlich wieder dabei.


    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo maik,


    Du schreibst:

    Zitat

    Diese vielen ruhigen Passagen plätschern irgendwie nur so dahin. Für mich persönlich steckt da (noch) nichts drin. Dagegen reißen die aufwühlenden Stellen ordentlich mit. Das ist das Herrliche und Positive an diesem Werk - es steckt viel Spannung drin.


    Im Grunde ist das die Antwort auf meinen Beitrag vom 24.04.06, in dem ich die Orchestersuiten angesprochen habe.
    Die Orchestersuite Nr.2 hat nämlich den Vorteil, das man nicht lange auf die herausragenden Stellen aus dem Ballett Daphnis und Chloe warten muß sondern alles in ca.15Minuten präsentiert bekommt.


    Für mich aber kein Grund auch die Gesamtaufnahme nicht auch oft zu hören.


    Neben Muti/Phiadelphia Orchestra (gestrichen) ist auch die Karajan-Aufnahme hier erste Wahl:


    Man muß an dieser Stelle wirklich die Frage stellen, warum wird die Orchestersuite Nr.2 von Dirigenten und Hörern geschätzt wird und mindestens so oft aufgeführt, wie das ganze Ballett ???

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Ravel-Freunde, petemonova und Uwe Schoof,


    es ist schade, dass dieser durch Werkvorauswahl lang vorbereitete Thread schon nach 18Beiträgen quasi zu ende zu gehen scheint - wir haben doch wesntlich mehr Mitglieder, die etwas zu dieser großen Ravel-Partitur schreiben könnten !?!


    Meine Frage ist hier nun eine andere weshalb ich petemonova und Uwe anspreche:
    Aus Uwe´s Beitrag in "Welche CD´s gehen auf´s Taminokonto" vom 11.05.06 weiß ich das er die Dutoid-Decca-CD hat und petemonova in diesem Thread:

    Beide sind begeistert über Dutoits Interpretartion - ich auch, denn die Aufnahme ist in meiner Ravel-Gesamtaufnahme-Decca-Box der Orchesterwerke integriert.

    Wie ich drei Beiträge zuvor geschieben hatte, in meiner Decca-Box nur in einem Track auf einer CD, was ich durch technische Index-Funktionen meines CD-Players ausgleichen kann.

    Meine Frage blieb bislang unbeantwortet:
    Ist die später als die Gesamtedition auf den Markt gekommene Decca-Legends-CD bei Daphnis und Chloe auch nur in einem Zugriff oder jetzt sinnvollerweise in Tracks eingeteilt ???


    PS.: La Valse auf dieser CD mit Dutoit habe ich noch nirgendwo besser gehört !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,


    die Einzel-CD ist in der Tat in einzelne Tracks unterteilt (Daphnis in 12 Tracks und jeweils einer für die beiden anderen Stücke).


    Ich bin auch Deiner Meinung, dass "La Valse" sehr gut interpretiert ist.


    Liebe Grüße,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Da steht ich nun ich Tor, und bin so klug als wie zuvor. Genannt wird oft die Dutoit-Aufnahme. Allerdings geht nirgends hervor, weshalb gerade diese so gut sein soll. Kann mir irgend jemand diese Aufnahme charakterisieren? (Ich kenne nämlich Dutoit nur von Konzerten mit J. Bell, die ich recht öde vom Dirigat finde.)


    Und eine Frage an Klingsor: Du hast doch tatsächlich ganze neun Aufnahmen, hast aber verschwiegen, welche Du für besonders gelungen hältst. (oder ist die Reihenfolge nicht zufällit?) An welcher (welchen) hängt denn Dein Herz besonders? Und Warum?


    Bei Abbado könnte ich mir z.B. gut vorstellen, dass er die Sinnlichkeit trefflich treffen könnte - soweit ich seine Pelleas und Melisande-Einspielung kenne.


    Wer findet noch die Einspielung von Munch für RCA aufgenommen langweilig?


    Gibt es noch die Martinon-Aufnahme? Ich kann mir vorstellen, dass hier die Sinnlichkeit einer ruhenden Klanglichkeit geopfert ist. Ist dem so?


    Welche Einspielung der Suite findet ihr hervorragend?


    Danke!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Hallo Edwin,


    was ist denn Dein Tipp beim ganzen Ballet: Was sollte ich mir unbedingt vor einem Kauf anhören oder welche Aufnahmen gegenhören?
    Danke!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Hallo a.b.,


    da ich mich in diesem Thread noch nicht ausführlich geäußert habe, ergreife ich schnell die Gelegenheit, dies nachzuholen.


    Bezüglich der vollständigen Ballettmusik ist die von Dir erwähnte Abbado-Einspielung von 1988 mit London Symphony Chorus & Orchestra (DG) mein persönlicher Favorit. Gerade die von Dir angesprochene Sinnlichkeit und Leidenschaft kommt in der Abbadoschen Lesart hervorragend zur Geltung!
    Bereits zu Beginn werden die Gänsehaut-Qualitäten des Stücks durch eine zusätzliche klangliche Differenzierung gesteigert, weil der Chor, wenn er zum ersten Mal einsetzt, nicht gleich auf Vokalisen singt, sondern mit geschlossenem Mund summt. Auch was Abbado und die Londoner an Klangzauber, betörenden Orchesterfarben und - in den rasanten Stellen - an packender rhythmischer Ekstase aufzubieten haben, dürfte von der Konkurrenz nur schwer zu übertreffen sein.
    Auch die exzellente Aufnahmetechnik läßt die herrlich schillernden Klangfarben einerseits höchst differenziert, andererseits in voller Pracht erstrahlen und die enormen dynamischen Steigerungen bestens zur Geltung kommen.


    Zitat

    Welche Einspielung der Suite findet ihr hervorragend?


    Eine für mich kaum zu übertreffende Aufnahme der Suite Nr. 2 - besonders in bezug auf die rhythmische Vitalität und feurige Ekstase zum Schluß - ist die von Riccardo Muti 1981 geleitete EMI-Einspielung mit dem Singing City Choir of Philadelphia und dem Philadelphia Orchestra.


    :hello:
    Johannes

  • Zitat

    Wer findet noch die Einspielung von Munch für RCA aufgenommen langweilig?

    Wie bereits geschrieben-Ich-leider.....
    Und leider scheint es die tolle Live-Aufnahme von Munch aus dem Jahre 1961( bei Music and Arts) nicht mehr zu geben, welche so ungeheuer packend ist, daß ich überhaupt nicht verstehe, warum die Studioaufnahmen- es gibt zwei- so langweilig sind.
    klingsor: hast Du mal reingehört?


    Die Dutoit-Aufnahme ist m.e. sehr farbenreich(famoser Soloflötist, der beste imho!!- überhaupt tolles Orchester, sehr französisch im Klang), ziemlich gut aufgenommen, auch durchaus temperamentvoll, ohne irgendwie langweilig zu sein, für mich eine sehr gute ausgewogene (zweite, nach der immens elektrisierenden Live-Munch) Wahl, mit der man überhaupt nichts falsch macht und die sehr großes Hörvergnügen bietet.
    Ich hoffe, daß das irgendwie hilft........ :hello:


    Gruß,
    Michael

  • Von Pierre Boulez gibt es eine CBS- und eine DG- Aufnhame. Welche ist besser und warum?


    Danke!

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • hallo, a.b., beide haben etwas für sich. ich ziehe jedoch die cbs-aufnahme vor, sie ist 'lebendiger' . und meine neun aufnhamen sind tatsächlich in 'qualitäts'gruppen geordnet. vielleicht hilft dir das irgendwie weiter. letztednlich haben sie alle vor- und nachteile. ich denke, mit abbado liegt man am besten. :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    Original von klingsor
    und meine neun aufnhamen sind tatsächlich in 'qualitäts'gruppen geordnet. vielleicht hilft dir das irgendwie weiter.


    sicherlich kennst du auch die Dutoit-Aufnahme, wie würdest du diese einschätzen?


    Danke, denn dies ist doch irgendwie hilfreich.

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • ich habe leider die dutoit-aufnhame nicht mehr genau im kopf und müßte detailliert vergleichen; aber ich meine, daß es eine sehr gelungene und durchaus kaufenswerte aufnahme ist. ravel dirigiert er ja immer recht gut. wieso bist du denn auf den dutoit so festgelegt? ich würde wie gesagt abbado nehmen.

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Ich bin nicht auf Dutoit festgelegt, sondern hätte nur gerne chrakterisiert, wie er so Ravel dirigiert. Ich hoffe, diese ganzen Aufnahmen in Hände zu bekommen, um sie vor einem Kauf anhören zu können.


    Übrigens, von Cluytens ist auch bei EMI eine Wiederveröffentlichung zu verzeichen.

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Hallo Ravel-Freunde,


    durch die Empfehlung von Johannes (gouerceur) habe ich seit kurzem die Abbado-Aufnahme auch.


    Diese ist jetzt nicht mehr als Hochpreis-CD bei DG, sondern für lasche 9,99€ erhält man eine CD die ein "Superpreisleistungsverhältnis" hat.


    Das fängt schonmal bei der Klangtechnik an. Oft haben die Taminoaner am DG-CD-Sound etwas auszusetzen --- hier erhält man eine Aufnahmetechnik die weit über dem DG-Durchschnitt angesiedelt ist.
    Mit audiophilem Sound wird jede Orchesterstimme fein ausgeleuchtet und die Chorstimmen habe ich noch bei keiner Aufnahme so zart und zugleich farbig wahrgenommen.
    Die Dynamik der CD ist phänomenal.
    Letzendlich ist diese Glanzleistung auch auf die farbige Interpretation Abbados zurückzuführen, der da, wo dynamische Spitzen vorhanden sind auch kräftig "Gas gibt" um dann wieder mit großer Kontrastwirkung Impresionissmus pur zu malen.
    8) Wer kann sich explizit an Paukenstellen und große Trommel beim Daphnis erinnern ? Bei Abbado sind sie da - und wie :jubel:, soetwas bleibt in Erinnerung haften.



    London SO, Abbado
    DG 1985 DDD


    Die CD hat ein vorbildliches Programmheft in dem die sauber in Tracks eingeteilten Sätze mit der jeweiligen Balletthandlung beschrieben sind.
    Ich habe noch die HP-DG-Version mit einem anderen Cover ergattern können.
    (Ich weiss daher nicht genau ob die abgebildete CD auch die GA enthält !?!)


    Über die Jahre bin ich über Martinon (EMI-LP) zur Dutoit-Aufnahme (Decca) gekommen, die auch sehr empfehlenswert ist. Zwischendurch noch Munch (RCA) in schlechterer Technik.
    Parallel dazu die beiden Top-Aufnahmen der Suite Nr.2 mit Karajan (DG) und Muti (EMI).


    :] Aber ich kann mir seit einer Woche kaum vorstellen, daß es in Interpretation und Klang, die sich hier ergänzen, noch besser möglich ist als hier bei Abbado --- Referenzwürdig !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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