Was macht Bach einzigartig?

  • Liebe Forianer,


    Die Frage mag manchem etwas eigenartig erscheinen, ist es aber keineswegs.
    Bach wurde zu Lebzeiten, wie es scheint, eher unter- als überschätzt, bei der Besetzung diverser Posten ging er leer aus,weil andere ihm vorgezogen wurden. Zu Lebzeiten waren Händel und Telemann wesentlich berühmter als er.



    Noch seinem Tod ist er zwar nicht "vergessen", wie man manchmal behauptet, aber er ist lediglich einer kleinen Minderheit "von Bedeutung"
    Mozart äussert sich euphorisch, aber schon zu Mendeslsohns Zeiten muß der Meister "wiederentdeckt werden"
    Auch in meiner Jugend war Bach zwar bekannt, keinesfalls aber "in Mode". Erst in den letzten 25 Jahren wird Bach so ins Zentrum des Interesses gerückt, wie er es verdiernt, vielleicht auch ein Nebeneffekt der "Historischen Aufführungspraxis" und den Bemühungen der "Archiv-Pruduktion" die ins Leben gerufen wurde, um sämmtliche Werke Johann Sebatian Bachs einzuspielen.
    Natürlich gab es vorher Richter und Rilling, Ramin und andere, die Bach interpretierten und fürt die Schallplatte aufnahmen. Trotzdem bin ich der Meinung, daß er nicht so "eingebunden" ins Musikleben war wie heute, wo ihn auch jene zu schätzen scheinen, die mit anderen barocken "Berühmtheiten, wie Händel, Telemann und Vivaldi nichts anfangen können, Heinichen Graupner und Pisendel jedoch , gar nicht erst kennen.



    Hier können nun Back-Kenner und -Verehrer ihre Statements abgebe, aber auch wenn jemand keinen Zugang zu Bach hat, oder ihn erst rerlativ spät fand, ist seine Meinung willkommen..


    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    JSB war zweifellos DER Komponist, der die Barockmusik weg vom statischen hin zur "lebendigen" Musik weiterentwickelte. Durch seine Entwicklung der Fugentechnik war es zum erstenmal möglich, verschiedene Themen mathematisch genau zu bestimmen und miteinander zu vereinen, wenn ich das richtig erinnere.


    Das er später in weiten Teilen des Publikums vergessen war, hing warscheinlich einerseits mit dem Umgang seines Erbes, bzw. dessen Überlieferung zusammen. Wir wissen ja heute, dass Bachs Frau fast alles verkaufen musste, um ihren Mann überhaupt würdig unter die Erde zu bekommen. So verstreuten sich viele seine Kompositionen in alle Winde. Hinzu kam, dass Bach im Gegensatz zu Händel nie ein großes Publikum hatte und von Auftragskompositionen leben musste. Die Matthäus-Passion wurde, soweit ich weiß, auch denn nur einmal aufgeführt. Händel konnte komponieren, was er wollte und soviel er wollte. Auch wenn er mit seinem Theater mal ab und zu pleite ging.


    In Fachkreisen war Bach jedoch nie vergessen - Seine Söhne und Schüler gaben sein kompositionstechnisches Erbe weiter.

    Beste Grüße aus Bonn
    Matthias


    Ich tu', was meine Pflicht gebeut, doch hass' ich alle Grausamkeit (ROCCO)

  • Ich habe eine Doppel CD von Glenn Gould. Da heisst die eine so sinnig: Glenn Gould spielt Bach, die andere: Glenn Gould spielt nicht Bach. Das ist für mich fast eine stehende redewendung geworden. Spielen wir Bach oder nicht Bach? Oder: waum nicht gleich Bach? Allerdings habe ich nur Zugang zur Klaviermusik. Da andere habe ich noch nie hinreissend erlebt.

  • ich finde alles von bach klasse! wennn man mich fragen würde, welches mein lieblingwerk von bach wäre, hätte ich wirklich schwierigkeiten, eine antwort zu geben. das ist wohl auch das einzigartige an bach. es gibt nichts von ihm, das nicht gut ist.

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  • Alfred schrieb:


    Zitat

    Noch seinem Tod ist er zwar nicht "vergessen", wie man manchmal behauptet, aber er ist lediglich einer kleinen Minderheit "von Bedeutung" Mozart äussert sich euphorisch, aber schon zu Mendeslsohns Zeiten muß der Meister "wiederentdeckt werden"


    Bach hatte, denkt man an andere bedeutende Komponisten, wirklich Glück. Seine Werke fürTasteninstrumente wurden bereits zu seinen
    Lebzeiten in ganz Europa verbreitet UND gespielt.


    Amalia, die Schwester Friedrichs des Großen, gab fast ihr ganzes Vermögen her, um in den Besitz Bachscher Original-Manuskripte zu gelangen; ihr vor allem danken wir die schöne Berliner Sammlung !


    Als Bachs jüngster Sohn Christian nach Italien kam, begrüsste ihn der bedeutende Komponist und Theoretiker Padre Martini mit folgenden Worten: " meinen sie etwa, wir in Italien wüssten nicht, WER J.S. Bach war? "


    Wahr ist jedoch: von Bachs Vokal-Schaffen (für mich persönlich das eigentliche "Herz-Stücks" seines Werkes, wurde ausserhalb Leipzigs
    (und manchmal nicht einmal da!) kaum Kenntnis genommen.
    Als Mozart 1789 in Leipzig war und unter Thomaskantor Doles Bachs
    Motette "Singet dem Herrn" hörte, fiel er aus allen Wolken und sagte: "Endlich einmal etwas, von dem man noch etwas lernen kann :D "


    Selbst Bachs erster Biograf, Forkel, kannte ausser den weit verbreiteten
    Choral-Sammlungen NICHTS von Bachs geistlicher Musik und hier genau setzt das Verdienst Mendelssohns und seines Lehrers Zelter ein, diese Werke der Nachwelt wieder erschlossen und damit zugänglich gemacht zu haben.


    Nicht wahr jedoch ist die Legende, Bach habe nur Aussergewöhnliches geschaffen. Die meisten seiner weltlichen Vokal-Musiken sind weniger inspiriert als sein geistliches Werk und gerade im Bereich der weltlichen Kantate sind ihm Zeitgenossen wie Graupner, Hasse, Telemann deutlich überlegen.


    Bach war, von seiner Art her, Musik zu gestalten, eher ein Kind des 17. als des 18. Jahrhundets. Den "neuen" Stil der Italliener Scarlatti und seines deutschen Meister-Schülers Hasse, auch die Empfindsamkeit eines Pergolesi, nahm er zwar zur Kenntnis, Bedeutung für sein eigenes Werk jedoch erlangte das alles nicht.


    Was Bachs Größe ausmacht, so liegt die im einen in der geradezu traumhaften Beherrschung und Anwendung überlieferter Formen,
    die bei ihm niemals purem Selbstzweck dienen, begründet.


    Bachs Universum
    aus gestaltetem Klang und dem Urwissen um eine unzerstörbare "Harmonie der Welt" heben seine Schöpfungen über jene anderer Komponisten, die eben "nur" komponieren, aber genau dieses macht sein Werk nicht elitär sondern zutiefst menschlisch und darin vor allem sehe ich seine Bedeutung für unsere Zeit und die Zukunft.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Sagitt meint:


    Es kommt ja nicht von ungefähr, dass gerade Komponistenkollegen diesen besonders schätzen,weil sie die unglaubliche Ausdifferenziertheit, die Anwendung der Instrumenten eines schaffenden Künstlers bewundern können. Wieviel Fleiß ist schon in eine Bach-Forschung geflossen, alle Bezüge einer Matthäus-Passion auszudeuten. Und, obwohl soviele Bezüge in der Konstruktion vorhanden sind, wirkt es nicht akademisch leer. gerade die Matthäus-Passion ist ja zugleich ein Werk überwältigender Emotionalität.


    Die andere Seite der Medaille ist die Bedeutung zu seinen Lebzeiten. Er war mit seinen Leipzigern so gewaltig über Kreuz, dass sie schon vor seinem Ableben einen Nachfolger suchten und ...sind nicht die weiblichen Mitglieder der Bach´schen Familie im Armenhaus gestorben ? Seine Bemühungen um eine andere Position als diejenige in Leipzig scheiterten, ja mussten scheitern, weil Bach immer unzeitgemäßger wurde. In der Atmosphäre eines friderizianischen Hofes hatte ein Bach letztlich nichts verloren. In diesem Kontext war er archaisch- und sind nicht seine späten Werke Summe einer mißtrauischen Beäugung des musikalischen "Fortschritts" ?

  • Sagitt fragte:


    Zitat

    sind nicht die weiblichen Mitglieder der Bach´schen Familie im Armenhaus gestorben ?


    Das stimmt so ! Bachs Witwe Magdalena Wilcke starb im Jahr 1759 als "Allmosenfrau" in der Leipziger Katharinenstrasse.


    Ihre beiden Söhne, von denen der eine fest in Bückeburg als Kapellmeister angestellt war und der andere (Christian) gerade in Mailand Furore machten, fühlten sich nicht verpflichtet, ihre Mutter, die aus dem Grunde, weil Bach kein Testament hinterliess, bei der Erbteilung fast leer ausgegangen war, finanziell zu unterstützen.


    1751 verkaufte Magdalena "einige musikalische Sachen" an den Rat der Stadt Leipzig, "wegen ihrer Bedürfftigkeit". Dieses traurige Ende wirft eher ein erschreckendes Licht auf die Zustände im Hause Bach NACH dem Tode Sebastians und ist in DEM Falle nicht der Stadt Leipzig anzulasten.


    Daß der Nachfolger Bachs (G.Harrer) bereits zu Lebzeiten des alten Thomaskantors gewählt wurde, war nichts ungewöhliches. Auch Bachs Vorgänger Kuhnau hatte quasi noch zu Lebzeiten Telemann für den Posten vorgeschlagen, den jener nur nicht bekam, weil deu hamburger sein Gehalt verdoppelten.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear


    Bach war, von seiner Art her, Musik zu gestalten, eher ein Kind des 17. als des 18. Jahrhundets. Den "neuen" Stil der Italliener Scarlatti und seines deutschen Meister-Schülers Hasse, auch die Empfindsamkeit eines Pergolesi, nahm er zwar zur Kenntnis, Bedeutung für sein eigenes Werk jedoch erlangte das alles nicht.


    Hallo BigBerlinBear!


    Ich bin mit dem Rest deines Beitrags eher einverstanden oder würde da nicht streiten. Hier aber würde ich eine Ausgewogenheit vermissen. Du kennst bestimmt F.Blumes Aufsätze über Bach. Eben im "sowohl als auch", in der Ausrichtung der Bachs Musik in beide zeitliche Richtungen liegt ihre Einzigartigkeit.
    Er hat alle Tendenzen seiner Vorgänger zusammengefügt, er hat aber auch die tonale Musik mit den systemischen Grundelementen der künftigen Harmonielehre maßgeblich vorgeprägt sowie die Welt der Affekte und rhetorischer Figuren weitgehend modernisiert, so daß ohne ihn die Wiener Klassik geschichtlich nicht vorstellbar ist. Bitte nicht vergessen, daß Zeitgenossen "Matthäuspassion" der Opernhaftigkeit bezichtigten oder daß Vivaldi und Albinoni zu seinen Lieblingskomponisten gehörten. Ich gehe davon aus, daß du nur übertreiben wolltest, da ich nichts Neues erzähle.


    Gruß

  • Hallo Peet,


    sicher kenne ich Blumes Aufsätze und auch den Spruch einer "adelichen Wittwe", die nach der Aufführung der "Matthäus-Passion" gesagt haben soll:" Behüte Gott ihr Kinder, das ist ja, als ob man in einer Opera-Comoedia währe" :D


    Die gute, aber sicher nicht sonderlich gebildete Frau sprach genau das aus, was manche Zeitgenossen heute noch artikulieren, wenn sie sogenannte "E-Musik" hören: klingt ja wie in der Oper, oder wie der Berliner sagt: "Quatsch keene Opern!" :D Bachs geistliche Musik ist IMMER geistlich und die Dramatik wird neimals bei ihm opernhaft, wahrscheinlich, weil er das weder konnte, geschweige wollte !


    Natürlich weiss ich, daß Vivaldi nicht nur liebte, sondern auch bearbeitete und seinem Sohn Friedemann sagte er "Lass uns nach Dresden fahren, und die "schönen Liedergen" Hasses (und der Faustina Bordoni) hören ! Aus Pergolesis "empfindsamen" "Stabat Mater" stellte er eine eindrucksvolle, aber das Anliegen des jungen Neapolitaners ehrer
    negierende "deutsche Fassung" her...


    In der Liste jener Komponisten, die Bach besonders schätzte und die uns sein Sohn Emmanuel überlieferte, stehen an 1. Stelle nicht etwa Scarlatti, Hasse und Altersgenosse Händel sondern Pachelbel und Fux, also Musiker, die eine Generation älter als Bachselbst waren und ich halte DIESE Reihenfolge nicht für eine zufällige.


    Ob aus Bachs Werk wirklich der "Geist der Wiener Klassik" entstand, darüber kann man heute streiten. Zur Zeit, als der verehrte Friedrich Blume seine Aufsätze schrieb, dachte man sicher so, nicht zuletzt deshalb, weil die Komponisten, die zeitlich mit Bach einigermaßen syncron liegen, einer breiteren Öffentlichkeit noch garnicht zugänglich waren.


    Heinichen, Zelenka, Graupner und auch Telemann galten entweder als Kleinmeister oder Vielschreiber.


    Wenn ein Komponist in bedeutendem Maße dazu beigetragen hat, daß "Tor zur Wiener Klassik" aufzustossen, dann war das Telemann, dessen früheste Kantaten noch von schützscher Blockhaftigkeit sind, dessen Spätwerk aber z.b. in der Kantate "Ino" von 1765 bereits den Geist der Klassik atmet.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • @BigBerlinBaer,
    Deine folgenden Aussagen haben soviel Gewicht zu dem großen deutschen Komponisten.. wenn nicht
    sogar der Größte...
    dass ich erst garnicht den Versuch unternehme, ein weiteres Statement hierüber abzugeben..
    nochmals ein Dankeschön für Deine so wunderbare Aussage wie folgt:


    Was Bachs Größe ausmacht, so liegt die im einen in der geradezu traumhaften Beherrschung und Anwendung überlieferter Formen,
    die bei ihm niemals purem Selbstzweck dienen, begründet.


    Bachs Universum
    aus gestaltetem Klang und dem Urwissen um eine unzerstörbare "Harmonie der Welt" heben seine Schöpfungen über jene anderer Komponisten, die eben "nur" komponieren, aber genau dieses macht sein Werk nicht elitär sondern zutiefst menschlisch und darin vor allem sehe ich seine Bedeutung für unsere Zeit und die Zukunft.


    Bach hat seinen Werken folgende Signatur beigefügt: "Gloria in exelsius deo"
    schon aus diesem Wortlaut heraus ist festzustellen, mit welch tieffrömmiger Hingabe er seine Kirchen-
    kantaten und Oratorien... Messen... etc. komponierte...


    Herzliche Grüße nach Berlin
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • danke, danke Reklv: ich fühl mich geehrt =)

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB,


    dann muß ich also schweres Geschütz auffahren. :-)


    1. Blume kannst du Unkenntnis der Musik um Bach nicht vorwerfen, er gehörte nämlich nicht zu der breiten Öffentlichkeit. Er stand und steht nicht alleine in der Bachforschung, seine Gegner gehören ausschliesslich zu Kirchenkreisen, die Bach erzgeistlich und ausschliesslich konservativ sehen wollen.
    2. Die Aussage über die Opernhaftigkeit ist in der Sprache des 18. Jhs nicht so gemeint wie du es heute interpretieren möchtest. Es wird hier nicht abwertend, sondern vergleichend benutzt. Die Ausdrucksfähigkeit Bachscher Musik liegt weit über die typische Passions- oder Kantatenmusik seiner Zeit, sie ist eine systemische Synthese deutscher, italienischer und französischer Praxis und geht über die Grenzen der Affektenlehre, wobei er in diesem Sinne moderner als alle seine Zeitgenossen ist und direkt auf die Revolution eines Glucks und der Wiener Klassik hinweist. Bach ist keine Alte Musik. Die Dramatik bei ihm ist immer eine Opernmusik, Liebeserklärungen zwischen der Seele und Jesu sind bei ihm immer Liebesduette. A.Schmitzs Arbeiten wären hier zu 1. und zu 2. zu empfehlen.
    3. "Heinichen, Zelenka, Graupner und auch Telemann" waren bei den Wiener Klassikern weniger einflussreich als es in deinem Text steht. Du kannst Mozart ohne Telemann sehr gut vorstellen, ohne Bach nie und nimmer. Genauso Beethoven. Über Händels Einfluss könnte man noch streiten, obwohl auch da der Vergleich zwischen chaotischen Formen und harmonischen Strukturen Händels und den perfekten von Bachs Bände spricht. Es benötigte Mozart, um aus Pergolesis Stil große Werke zu machen. usw.


    Deine Argumentation ist ahistorisch.


    Gruß

  • Sagitt meint:


    Irgendwo hatte ich gelesen, dass die vorzeitige Wahl als eine weitere Kränkung Bachs anzusehen sei. Egal. Mit seinen Leipzigern war er sicher nicht sonderlich grün. Hat er nicht 1739 eine weitere Aufführung der Matthäus-Passion abgelehnt, weil man diese nicht hören wollte ?


    Viel wichtiger ist der Frage, wie zeitgemäß war Bach noch ab 1735 ?
    War nicht der musikalische Geschmack schon weiter in Richtung galante Musik gegangen ?


    Immerhin traute sich ja auch Mendelsohn 1829 nicht, dem Publikum die ungekürzte und unbearbeitete Matthäus-Passion vorzustellen.


    Und hatte nicht die h-moll Messe ein ähnliches Schicksal. So sehr sie von Nägeli gelobt worden war, so wenig wurde sie aufgeführt. Lange Zeit wurde sie ja eher für unsingbar gehalten- die Berliner Singakademie geriet über sie in Streit.


    und.. jenseits der Orgelmusik, wie weit war die Instrumentalmusik denn überhaupt im Musikleben verbreitet ? Solange man ohnehin eher akutelle Musik spielte, sicher nicht, aber wann zB nahmen Pianisten Bach´sche Musik in ihre Programme auf ?


    Jenseits biografischer Details wäre die Rezeptionsgeschichte sicher interessanter....

  • Zitat

    Du kannst Mozart ohne Telemann sehr gut vorstellen, ohne Bach nie und nimmer


    Ohne mich in die aktuelle Diskussion einmengen zu wollen:


    Die obige Aussage würde ich gelten lanssen, wenn hiemit Johann Christian Bach gemeint wäre.( Indirekt stimmt sie ja dann wieder, weil Johann Christian je schließlich Bachs Sohn war.)


    Aber Mozart hat schon etliches im typischen Mozart Stil geschrieben (der IMO eine Weiterführung des "galanten" war )bevor er noch je ein Werk von J.S. Bach kennengelernt hatte.


    Indirekte Einflüsse sind natürlich nicht auszuschließen...


    Beste Grüße


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Peet schrieb:


    Zitat

    Du kannst Mozart ohne Telemann sehr gut vorstellen, ohne Bach nie und nimmer. Genauso Beethoven. Über Händels Einfluss könnte man noch streiten, obwohl auch da der Vergleich zwischen chaotischen Formen und harmonischen Strukturen Händels und den perfekten von Bachs Bände spricht. Es benötigte Mozart, um aus Pergolesis Stil große Werke zu machen. usw.


    Hallo Peet, endlich mal eine Diskussion, die sich nicht auf langweiliges, gegenseitiges Abnicken beschränkt !


    Mozart OHNE Bach kann ich mir allenfalls bei einer zu benennenden Auswahl an Kompositionen vorstellen:
    ich denke da vorrangig an das Fragment der c-moll-Messe und das Fragment des "Requiem": beide sind ganz gewiss ohne Kenntnis Bachs
    (und Händels) nicht vorstellbar.


    Diese Auseinandersetzung Mozarts mit den Arbeiten seiner "Vorgänger" fand jedoch nicht vor 1780 statt, also einem Jahr, in dem Mozart immerhin ein "mozart-typisches" Werk " wie den "Idomeneo" im Kasten" hatte :D


    Mozarts Händel-Bearbeitungen wiederum (Messias, Cäcilien-Ode, Alexanderfest) empfand ich immer lediglich als versuchte Anpassungen an einen gewandelten Zeitgeist; die Originale sind mir allemal lieber und die Bearbeitungen sagen fast nichts über Händel, aber dafüür sehr viel über Mozart aus.
    Auch die Aussage, daß es Mozarts bedurfte, um aus Pergolesis Stil, kann ich, wenn auch etwas zögerlich, unterschreiben.
    Die Schmitz-Aufsätze sind avisiert und weren gelesen, wenn ich im März wieder in Berlin bin. Danke für den Tipp 8)

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • @ sagitt


    1.Mozart und Beethoven kannten das WTK. Ich würde behaupten, für die beiden wäre ein Stück daraus genug, um daraus zu lernen. Und es war mehr. Mozart bearbeitete wie bekannt einiges daraus fürs Streichquartett. Junger Beethoven bekam damit im Klavierunterricht zu tun.


    2. Galante Musik tritt tatsächlich nach 1735 ein. Du musst aber zwischen dem Geschmack der Zeit (der breiteren Öffentlichkeit) und dem Ausbildungsweg der großen Komponisten unterscheiden. Alles klar?


    Ausserdem endet die galante Musik auch irgendwann um 1800, in Frankreich vielleicht ein wenig später. Da ist die Wiener Klassik schon voll in Blüte, ab ca. 1770 mit etwa Haydns und Mozarts Streichquartetten in "neuer Manier". Zwischen 1735 und 1829 passiert also viel mehr als nur Rokoko. :-)


    @ Alfred


    J.Chr. Bach war selbstverständlich für Mozarts Werdegang wichtig, als eine von vielen Etappen. J.S.Bach war aber noch wichtiger, wenn auch später, eben nachdem Mozart schon zu dem eigenen Stil kam. Jupiter-Symphonie, Die Zauberflöte etc. sind ohne "alten" Bach nicht vorstellbar.


    @ BBB


    Es freut mich, daß du bei der Diskussion mitmachst.


    Ich bin völlig damit einverstanden, daß Mozart Bachs Werke erst später kennengelernt hat. Wir wissen, wann und welche. Aus meiner Sicht ändert dieses Wissen nichts an dem großen Einfluss, das war eine enorme Bereicherung, die ihrerseits auch weiter gewirkt hat. Manch einer kam zu Bach durch späten Mozart.


    Deine Einschätzung Händel-Bearbeitungen Mozarts teile ich vollkommen.


    Grüße in alle Richtungen :-)

  • Sagitt meinte :


    Zitat

    Irgendwo hatte ich gelesen, dass die vorzeitige Wahl als eine weitere Kränkung Bachs anzusehen sei. Egal. Mit seinen Leipzigern war er sicher nicht sonderlich grün. Hat er nicht 1739 eine weitere Aufführung der Matthäus-Passion abgelehnt, weil man diese nicht hören wollte ?


    Hallo Sagitt,


    es gab für das Leipziger Thomas-Kantorat die Tradition des "Stuhl-Warmhaltens", wenn ich es einmal so salopp formulieren darf :D


    Bachs Vor-Vor-Gänger im Amte, Johann Schelle, stammte ,(welch ein Zufall) aus demselben winzigigen Erzgebirgsnest (Geising) wie sein designierter Nachfolger Johann Kuhnau und von diesem wiederum ist bekannt, daß er Telemann als seinen Nachfolger vorgesehen hatte. Warum Telemann in Hamburg blieb, erwähnte ich an anderer Stelle bereits.


    Spätestens seit der verunglückten Augenoperation war Bach kaum noch in der Lage, seinen Amtspflichten, auch mit Hilfe von Substituten, nachzukommen. Ein Nachfolger, von Bach selber bestimmt, wäre mit Sicherheit NIE gewählt worden, einfach weil das Verhältnis zwischen Leipziger Rat und Bach bis in die Wurzeln zerrüttet war.
    Nun tritt zusätzlich zu allem auch noch die "graue Eminenz" des Dresdener Hofes, der allmächtige Graf Brühl, auf den Plan, der den Bachschen Posten gerne an seinen Protege Gottlob Harrer vergeben möchte, der die Stelle dann auch bekam.


    Ich denke, daß Bach seine eigene Kantatenproduktion so früh einstellte, weil er in erster Linie Zeit brauchte, seine anderen Werkbestände zu ergänzen. Leider kennen wir keine einzige wirklich verwertbare Äusserung aus Leipzig oder auch von anderswo, WIE denn Bachs Geistliche Musik auf die Zuhörer wirkte. Ich denke, daß sie als integraler Bestandteil des Gottesdienstes nicht gesondert reflektiert wurde denn in der kirche wurde damals alles mit Andacht und nicht mit Beifall aufgenommen.


    Die andere hartnäckig sich haltende Legenede ist jene vom bösen Leipziger Rat. einer "wunderlichen und der Musik wenig ergebenen Obrigkeit" die in dieser Form vor allem im 19. Jahrhundert forciert wurde.
    Bach war, darin offensichtlich seinem Onkel Johann Christoph vergleichbar, kein einfacher Zeitgenosse.


    Er hatte in Leipzig einen Vertrag unterschrieben, den er vielfach und auch wissentlich gebrochen hat; kurzum: nach heutigem Arbeitsrecht
    hätte man ihn wohl gefeuert. Daß das nicht geschah, deutet aber darauf hin, daß es innerhalb des Leipziger Rates offenbar Personen gab, die zumindest seine Arbeit zu schätzen wussten.


    Der Stoßseufzer eines Beigeordneten Magisters nach Bach Tod, die Stadt brauche einen Cantohren und keynen Capellmeistern bringt das sich über die Jahre angestaute Mißverhätnis auf den Punkt. Durch die Tatsache, daß sich Bach in Dresden beim König um ein "Praedicat bey dero Hofcapelle" beworben hatte, was er nach Einreichung der hmoll-Messe im jahr 1733 auch erhielt und das er bei seinen Fehden mit dem Rat dann auch einsetzte, hatte er sich so verhasst gemacht, das kein Konsens mehr gefunden werden konnte.


    Schlimmer noch, dieser angeborene Sinn für Streitigkeiten hat sich wohl deutschlandweit herumgesprochen und dafür gesorgt, daß Bach keine neue Stelle anderswo bekam, um die er sich nachweislich seit 1730 (der Brief an Erdmann) bemüht hatte.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB,


    herzlichen Dank für die weiteren Fakten. Den Titel bekam er aber nicht für das, was wir als h-moll Messe kennen, das war eine Missa brevis. Im übrigen einverstanden. Ich habe da gar keine andere Auffassung. Bach war stur- schon vor seiner Leipziger Zeit.


    Das letztlich für mich Spannende ist die Frage nach seiner Stellung als Künstler. Es gab vor Jahrzehnten von einem seltsamen französischen Filmer Jean Marie Straub einen Film, Die Chronik der Anna Magdalena Bach. Straub zeigt uns den Gegensatz zwischen dem beamtischen Leben eines Kantors und den bürokratischen Quisquilien und dem musikalischen Genie. Das ist für mich die eigentliche Frage: wie passte Bach in die musiikalsische Landschaft. Wir müssen sicher die weltlichen Aktivitäten mit den Konzerten in den Zimmermann´schen Gemächen hinzuziehen.


    Und dennoch. Ich möchte annehmen, er hatte in Berlin nicht deswegen eine Chance, weil er ein Sturkopf war,sondern weil er eine Musik machte, die dem der galanten Musik verschriebenen Friedrich einfach fremd sein musste.


    Auf weitere Diskussionen ist gespannt


    Sagitt

  • Sagitt fragte:


    Zitat

    Das ist für mich die eigentliche Frage: wie passte Bach in die musiikalsische Landschaft


    Ich denke, das beantwortet sein jüngster Sohn Christian auf eine brutale, wenn auch die "Sache" auf den Punkt bringende Art-und Weise, in dem er, auf seinen Vater bezogen von "der alten Perücke" sprach...


    Bei allem persönlichen Respekt vor Bach, war er nicht der "musikalische Gott" Friedrichs des Großen. Dieser war J.A.Hasse, ein genialer Komponist, der den empfindsamen Stil quasi mit geschaffen hatte.
    Ich denke nicht, daß die Oper unter anderen Bedingungen Bachs eigentliche Domäne hätte werden können, zumindest lassen seine überlieferten weltlichen Werke auf Texte, die allesamt, gemessen an seinem geistlichem wie auch instrumentalen Werk schwächer sind, diese Vermutung zu. Andererseits schien es ihm selber "unanständig", daß aus einem Capellmeister ein Cantor werde...


    Als Organist, Orgel-Sachverständiger und Komponist geschätzter Werke für Tastenisntrumente genoss er die uneingeschränkte Anerkennung seiner
    Zunftkollegen. Die Bedeutung, die er heute hat, konnte er erst erlangen, in dem wir Nachgeborenen das Einzigartige, was sein Werk ausmacht, kennen und lieben lernten. Man darf es seinen Zeitgenossen nicht verübeln, daß sie dafür "blind" waren. Nur so erklärt sich z.b. jenes unsägliche Nachruf-Gedicht in einer Leipziger Zeitung des jahres 1750, das möglicherweise sogar ernst gemeint war:


    "Der grosse BACH, der unsre Stadt,
    ja der Europens weite Reiche
    erhob und wenig seiner Stärcke hat,
    ist (leider) eine Leiche...

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • um das Thema nochmal ein bissel aufzuwärmen, auch wenn´s nicht ganz passt: Was haltet ihr von Philippe Delelis´ Buch "Die letzte Kantate"? Darin erzählt der Autor davon, dass Bach heimlich zum Katholizismus konvertiert ist und dies im Musikalischen Oper (MO) verschlüsselt hat. Das Geheimnis wurde immer an einen Auserwählen weitergegeben, angefangen beim jüngsten Bach-Sohn über Mozart, Beethoven, Wagner, Mahler bis zu Webern, wenn ich mich recht erinnere. Alle diese Komponisten sollen das Thema Regium aus dem MO in einem ihrer Werke eingebaut haben.


    Wie der Autor im Nachwort schreibt, ist alles seiner Phantasie entsprungen, aber interessant finde ich die Geschichte schon. Er hat viel mit der von Bach häufig verwendeten Zahlensymbolik gearbeitet und da auch eigene Berechnungen angestellt. Ein bissel gestelzt kommt die Beweiskette, die Delilis liefert, schon daher. Auch sprachlich finde ich das Buch etwas holprig, aber egal. Was haltet ihr von dieser Idee, Bach könnte Katholik gewesen sein?


    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Zitat

    Original von salisburgensis
    Was haltet ihr von dieser Idee, Bach könnte Katholik gewesen sein?


    Hallo Thomas!


    Um auf deine Frage sinngemäß zu antworten:


    Nichts.


    Gruß

  • Hallo,


    was ich an Bach einzigartig finde, sind seine Melodien und wie er sie in komplexe Musik einbindet. Bachs Musik kann man hören und hören und hören. Sie wird nie langweilig. Wenn man sich an anderen Komponisten 'sattgehört' hat, kommt Bach daher wie ein junger Gott.


    Gruß,
    Oliver

  • Zitat

    Was haltet ihr von dieser Idee, Bach könnte Katholik gewesen sein?


    Das ist sicher Unsinn; interessant ist aber , dass eins seiner wohl größten Werke eben doch katholisch ist.


    Hyperion

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  • Zitat

    interessant ist aber , dass eins seiner wohl größten Werke eben doch katholisch ist.


    Salut,


    wie meinen???


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo,


    von Gardiner fand ich heute folgende Aussage von
    ihm über Johann Sebastian Bach:


    Johann Sebastina Bach ist vermutlich der einzige Komponist dessen musikalischer Ausgang so reich ist, so schwierig für den Ausführenden sein Werk umzusetzen und in der Interpretation seine geistigen Gedanken von dem Ausführenden dem Zuhörer zu vermitteln versucht.


    "Ich glaube, daß Bachs Musik eine Universialität in sich trägt über Hoffnung und Glaube, der jeden berühren kann, ungeachtet seiner Kultur, Religion oder dem musikalischen Wissen.


    "Zusammen genommen enthalten seine Cantaten etwas von der durchwegs schönen erhabenden Musik überhaupt bestehend aus einem Korpus der Genialität, die als eine der größten europäischen Musik zum Ruhme gereicht".


    Sir John Eliot Gardiner

    Herzliche Grüsse
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Zitat

    interessant ist aber , dass eins seiner wohl größten Werke eben doch katholisch ist.


    Zitat

    wie meinen???


    Gemeint war natürlich die h-moll Messe!


    lg Hyperion

  • Zitat

    Original von Oliver
    Wenn man sich an anderen Komponisten 'sattgehört' hat, kommt Bach daher wie ein junger Gott.


    Sehr schön gesagt :yes:

  • Zitat

    Original von hyperion70
    Gemeint war natürlich die h-moll Messe!


    Das war klar, aber seit wann ist sie katholisch?


    Gruß

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