Hans Pfitzner - "Phönix aus der Asche?"

  • Hallo liebe Forianer,


    Ein wenig übertrieben hab ich da schon, ich weiß.
    Immerhin beschäftigen sich in den letzten Jahren immer mehr Leute, und somit auch Schallplattengesellschaften (man verzeihe das altmodische Wort) mit diesem fast schon vergessenen Komponisten.



    Besonders die Label cpo und Marco Polo haben eifrig in den Archiven gegraben und das Wagnis der Veröffentlichung riskiert, aber in letzter Zeit hat auch die Deutsche Grammophon ein Zeichen gesetzt, und beginnt ihr diesbezügliches Programm zu erweitern. Den "Palestrina" hatte man ja schon jahrelang in einer vielgelobten Einspielung im Programm.


    Betrachtet man die Laufbahn Pfitzners, so war er eigentlich recht erfolgreich und angesehen, jedoch richtig beliebt war er eigentlich nie, was sicher auch an seinem schwierigen mysanthropischen Naturell lag.
    Er war grüblerisch, sakastisch, mißtrauisch und streitsüchtig.


    Musikalisch war sein Problem vielleicht jenes, daß er den Progressiven zu konservativ, und den Konservativen zu progressiv war.
    Immer den Wurzeln treu (Schumann, Wagner etc) versuchte er doch, eine gewisse Erweiterung der Tonalität, ohne je der Atonalität zu verfallen, ein Weg der ihm (und darin scheint er Spezialist gewesen zu sein) auf beiden seiten Feinde machte.


    Seine Musik gilt auch heute noch als "sperrig" und "knorrig", und als ich sie das erste Mal hörte hab ich sie spontan abgelehnt.


    Irgendwann war ich auf seine Lieder gestossen, die er in der Jugend geschrieben hatte (Bei cpo erschiene Vol 1) und ich erwarb die CD.
    Der Eindruck war sehr positiv, und so sind heute einge CDs Pfitzners in meiner Sammlung.


    Ich gestehe es offen, anfangs hat mich das Wenigste begeistert, aber im Augenblick geniesse ich gerade Pfitzners Klavierkonzert op 31. (marco Polo)und das ist so gemeint wie ich es schreibe.


    Durch den Preisverfall bei Marco Polo ist es nun relativ leicht, günstig an einiges von Pfitzner heranzukommen, wofür man sich nicht traute den Vollpreis zu bezahlen.


    Wie schauts bei Euch aus ? Kennt jemand was von ihm , oder ist er für Euch "terra incognita" ?


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Pfitzner ist ganz ohne Zweifel einer der großen Meister in der Nachfolge Richard Wagners, wobei er sich besonders dessen eher "dunkle" Seite
    zu eigen machte, wohl, weil sie seinem streitbarem Naturell gemäß war.
    Er wurde früh zu einem Mitglied der NSDAP und war trotzdem ständig mit deren Führen im Clinch. Das Angebot, eine neue Balettmusik für den "Sommernachtstraum" zu komponieren, lehnte er mit der Begründung ab, es gäbe dafür keine bessre Musik als die von Mendelssohn.
    Im Gegensatz zu Richard Strauss, den man als seinen eigentlichen Antipoden betrachten kann, hatte er keinerlei Ambitionen, "Pimpfonien in Bal-Dur" zu komponieren. Das heisst, er ließ sich nicht vereinnahmen und instrumentalisieren. Ausserdem war den Nazis seine Musik wohl zu düster und insgesamt zu wenig optimistisch. Seine Wirkung begann um die Jahrhunderwende um und kurz nach 1900. Sein erstes, bedeuetendes Werk, die romantische Oper "Der Arme Heinrich" machte ihn in ganz Europa bekannt, jedoch erst die "musikalische Legende"
    "Palestrina" über die Thomas Mann so bewegende Worte schrieb, begründete seinen Weltruhm. Auch die Opern "Das Chrsitelflein" und "Das Herz" von 1931 enthalten eine Fülle großartiger Musik, vermochten sich jedoch nicht im großen Stil durchzusetzen. Seine Instrumentalmusik, besonders das, was er nach dem Krieg verfasste,iist mir (und nicht nur mir) zu epigonal in dieser eher unreflektierten Anrufung Mozarts und der Wiener Klassik.Man kann nicht so tun, als hätte es die Schrecken der verganegen Jahre nicht gegeben ! Pfitzner war in erster Linie ein Komponist für die Stimme
    und als solcher erlebt er derzeit auch vor allem und mit Recht seine Renaissance.
    Abschließend noch meine Pfitzner-Referenzen:




    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo,


    mir liegt Hans Pfitzner mit seiner Musik besonders am Herzen (und ich würde demnächst gerne einen Thread über seine Opern eröffnen).


    Man sollte sich aber im darüber im Klaren sein, daß es sich bei ihm um eine ausgesprochen widersprüchliche, ja im wahrsten Sinne des Wortes "gebrochene" Persönlichkeit handelt, der man in wenigen Sätzen überhaupt nicht gerecht werden kann.


    Daß er sich von den Nazis "nicht vereinahmen und instrumentalisieren" ließ, läßt sich so pauschal nicht sagen. Zu Beginn des 3.Reichs hat er der "Bewegung" zumindestens in Teilaspekten einige Sympathien entgegengebracht, und bis zum bitteren Ende besaß er einen guten Draht zu dem als "Polenschlächter" berüchtigten Generalgouverneur von Krakau, Hans Frank, der 1946 als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde und daraufhin von Pfitzner ein Trosttelegramm erhielt.


    Andererseits gab es von Pfitzners Seite verschiedene Aussagen gegen den Nationalsozialismus, und zudem kam es zu einer heftigen und für den Komponisten durchaus gefährlichen Auseinandersetzung mit Hermann Göring .
    Pfitzners Verhältnis zum Nationalsozialismus ist also durchaus als ambivalent und schwer analysierbar zu betrachten.


    Daß Pfitzners Instrumentalmusik vor allem in seinem Spätwerk zu epigonal sei, würde ich auch nicht bedingungslos unterschreiben wollen. Ein Werk wie die "kleine" G-Dur-Sinfonie op.44 evoziert nicht nur Haydn (wie man so oft lesen kann ), sondern es ist auch in einem unverkennbar eigenen, nicht wiederholenden, aber auch nicht wiederholbaren Tonfall gehalten (den langsamen Satz dieser Sinfonie zähle ich zu den schönsten, berührendsten Einfällen der Musikgeschichte überhaupt).
    Und auch die C-Dur Sinfonie op. 46 trägt in ihrem vermeintlichen Eklektizismus hinter der Oberfläche ein sehr individuelles Gepräge - jedenfalls für meine Ohren.


    Erfreulich finde ich, daß inzwischen ein sehr großer Teil von Pfitzners Schaffen auf käuflich zu erwerbenden Tonträgern hörbar geworden ist. Vor 25 Jahren, als meine Begeisterung für diesen "schwierigen" Komponisten begann, war das leider nicht so. Damals mußte ich viele Hebel in Bewegung setzten, um etwa an einen Tonbandmitschnitt vom "Armen Heinrich" zu gelangen...


    Viele Grüße


    Bernd Schulz


    P.S.: Die auf dem Markt erhältliche neuere CPO-Aufnahme von Pfitzners beiden späten Sinfonien unter Werner Andreas Albert krankt für meinen Geschmack leider vielfach an zu langsamen, fast statischen Tempi. Pfitzner hat sich zeitlebens dagegen gewehrt, daß seine Musik immer verschleppt wurde, aber die Kenntnis dieser Tatsache hat für die CPO-Einspielung mit den Bamberger Sinfonikern offensichtlich nichts gebracht. Wer die C-Dur-Sinfonie kennenlernen will, sollte zu der ungleich lebendigeren alten Furtwängler-Interpretation greifen!

  • Schön, daß dieser Thread wieder aufgegriffen wird. Natürlich war Pfitzner NSDAP-Mitglied der "ersten Stunde" und diese Mitgliedschaft tieb immer wieder seltsame Blüten. Nicht nur den "Polenschlächter" Frank, auch den zum Tode verurteilten Göring, der eigentlich sein alter Intimfeind war, bedachte er mit Depeschen und Ergebenheitsadressen.


    Pfintzners Musik seiner Spätphase birgt kaum Aspekte, die eine Auseinandersetzung mit dem, was in den Terrorjahren geschah, erkennen ließen. Weder op.44 noch op. 46 spiegeln etwas von den Erschütterungen der Epoche wider, in denen sie entstanden sind. Bei Richard Strauss,der ebenfalls
    seine Zuflucht bei Mozart und den Klassikern fand, findet sich allerdings mit den gewaltigen "Metamorphosen" ein Werk, daß die geschichtlchen Verwerfungen der Epoche vehement Klang werden läßt.
    I
    m Rahmen des "Entnazifizierungsverfahrens" hat sich Arnold Schönberg mit einem einfühlsamen Schreiben schützend vor den Komponisten gestellt.
    Ich finde es ebenfalls erfreulich, daß der größte Teil des Pfitznerschen Oevres
    auf Tonträger erhältlich ist. Trotzdem räume ich seinen Opern auf der Bühne nur geringe Überlebenschancen ein; wenn überhaupt neben "Palestrina" dem "Armen Heinrich".

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Pfitzner als Nazi - das trifft nicht den Kern des Problems. Pfitzner lernte Hitler in Wien kennen und fand die Idee eines starken mit Österreich vereinigten Deutschland sehr sympathisch. Damit war Pfitzner in guter Gesellschaft, auch Kirche und Sozialdemokraten waren der Idee ja nicht so abgeneigt.
    Pfitzners Problem war, in Nibelungentreue zu Menschen zu halten, die er einmal in sein Herz geschlossen hatte - und seien es noch solche Verbrecher. So ist auch die Beziehung mit Hans Frank zu sehen. Pfitzner freundete sich mit ihm an und stand dazu auch dann, als es nicht mehr opportun war. Pfitzner war alles andere als ein Taktiker, er war eher ein Mensch der Trotzreaktion. Insoferne hat Pfitzner in Deutschland eine ähnliche Rolle gespielt wie der Dichter Knut Hamsun in Norwegen.


    Dass Pfitzners Musik epigonal und rückwärtsgewandt ist, kann ich ebenfalls nicht finden, auch die angebliche Nähe zu Wagner erschließt sich mir nicht einmal im "Armen Heinrich" wirklich. Eher habe ich das Gefühl, daß Pfitzner bei Schumann anknüpft und bei den Vor-Wagner-Komponisten wie Marschner.
    Dennoch hat Pfitzner einen ganz eigenen Tonfall gefunden, als dessen Grundlage ich eine Massierung des Klanges im tiefen Register bezeichnen würde, darüber entwickelt sich eine lyrische, meist fast schwerpunktlos verlaufende Melodie.


    Für mich hat Pfitzner fünf herausragende Werke komponiert: Die Opern "Die Rose vom Liebesgarten" (auf einen fast schon kriminell schlechten Text) und "Palestrina", die Kantaten "Von deutscher Seele" und "Das dunkle Reich" sowie die Symphonie op.46.
    Für sehr interessant (wenngleich nicht durchgehend gelungen) halte ich das Violinkonzert (eigentlich fast ein Konzert gegen die Violine - im Mittelsatz schweigt sie sogar ganz), die beiden Cellokonzerte und die restlichen Opern.
    Pfitzner hat auch herrliche Lieder geschrieben, etwa "Wär's dunkel, ich läg' im Walde" oder "Der Herbstwind schüttelt die Linde" - direkte Nachfahren oder eher Weiterentwicklungen Schumann'scher Liedkunst.

    ...

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  • Hallo,
    ich habe vor kurzem in Würzburg eine der ultraseltenen Aufführungen von "Das Herz", Pfitzners letzter Oper, gesehen. Das Werk ist ja in einer Rudolstädter Aufführung von Anfang der 90er auf CD erhältlich, das waren dann auch die Aufführungen der letztzen Jahr(zehnt)e. Das Werk ist stark. Es hat die unverkennbare Tonsprache Pfitzners, fast lakonisch, eine Handlung, die auch und gerade heute durchaus aktuell ist (wie weit darf die Wissenschaft gehen?), ist bühnenwirksam, nicht zu lang und durchaus auch von mittleren Häusern realisierbar. Es wäre trotzdem wünschenswert, es einmal mit wirklich erstklassigen Kräften zu erleben.


    Die Rudolstädter Aufführung (deren Premiere ich seinerzeit erleben durfte) krankte an der Inszenierung Peter P. Pachls, der alle, wirklich: absolut alle Grausamkeiten des Regietheaters auffuhr, und an einem für Aufführung größerer Opern absolut ungeeigneten Raum. Auf CD klingts besser. Die Würzburger Aufführung ist für diejenigen, die das Stück kennenlernen wollen, sehr lohnend, die Inszenierung ist ok.


    Ob Pfitzner Nazis kannte oder zu seinen Freunden zählte, ist mir eigentlich ziemlich egal. Für einen so schwierigen Menschen, wie er es wohl war, ist es sicher verlockend, wenn Mächtige um ihn buhlen. Politisch war er allenfalls kulturpolitisch. Ein ungutes Gefühl habe ich persönlich dadurch, dass er halt damals wie auch heute die falschen Freunde hat - auch unter den Kulturbeflissenen des rechtsäußersten Spektrums heute hat er viele Anhänger, denen es (hoffentlich) weniger um die Musik als um das scheinbar braune Flair geht.


    Gruß von vitelozzo-tamare

  • Hallo,


    BigBerlinBear, die "Metamorphosen" stellen sich im Hinblick auf den Zeitbezug nicht unproblematisch dar. Ich kenne durchaus Leute, die kritisieren, daß Strauss angesichts der ungeheuren Nazi-Verbrechen und des Völkermords an den Juden nichts Besseres zu tun hatte, als um das zerstörte München zu trauern.


    Abgesehen davon stellt sich die Frage, inwieweit sich Musik überhaupt mit dem aktuellen Weltgeschehen beschäftigen muss. Der zeitgenössische Komponist Ladislav Kupkovic hat mal in einem Interview gesagt, Musik sei nicht die Tagesschau, sondern solle vielmehr das immer Gültige ausdrücken. Ich sehe das etwas differenzierter - der Einfluss der Gegenwart auf die Kunst (beziehungsweise der Wechselbezug zwischen künstlerischen Äußerungen und Weltgeschehen) KANN sehr spannende Aspekte aufweisen.


    Trotzdem ist mir Kupkovics Aussage grundsätzlich nicht unsympathisch. Sind Beethovens späte Streichquartette oder Bachs Fugen in irgendeiner Form von den weltpolitichen Ereignissen geprägt?


    Pfitzners hat in seinem "Palestrina" ja eindringlich und ganz bewußt den GEGENSATZ zwischen Künstler und Welt thematisiert. Insofern ist die Weltfremdheit seiner späten Sinfonien nur eine konsequente Manifestation der eigenen philosophisch-ästhetischen Vorstellungen. Eine wirkliche Schwäche im künstlerischen Sinn vermag ich darin nicht zu erkennen.


    Der "Palestrina" ist übrigens eine Oper, die immer wieder aufgeführt wird (ich habe schon vier verschiedene Inszenierungen in Nürnberg, München, Berlin und Düsseldorf gesehen). Um seine Bühnenzukunft mache ich mir keine Sorgen.
    Den "Armen Heinrich" konnte ich in Dortmund erleben. Leider ist das Librettto über weite Strecken mehr als grenzwertig, und das gilt ebenso für die "Rose vom Liebesgarten". Aber wenn man andererseits bedenkt, welch gruselige Textvorlagen bei so manchen beliebten italienischen Opern ohne Wimpernzucken akzeptiert werden, ist es schon erstaunlich, daß man Werke mit einer so enormen musikalischen Substanz fast völlig in der Versenkung verschwinden lässt.....


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo,


    noch etwa: Den Einfluss Wagners kann ich bei Pfitzner (vor allem natürlich in seinen Bühnenwerken) schon recht gut wahrnehmen.


    Ich würde so weit gehen, zu sagen, daß Pfitzner die Gegenpole Wagner - Schumann/Brahms in gewisser Weise zu einer längst überfälligen Synthese gebracht hat, und daß darin zumindestens ein kleiner Teil seiner Bedeutung besteht.


    Neben den schon genannten Stücken (wobei ich bei den Liedern den ganzen Zyklus op.9 herausragend finde), würde ich noch das "Christelflein" (nicht lachen!), das Klaviertrio op.8 und vor allem die erstaunlich "moderne", in den letzten Grenzbezirken der Tonalität angesiedelte cis-moll-Sinfonie op.36a zu den absoluten Meisterwerken zählen wollen.


    Das "Herz" habe ich leider noch nie live gesehen; ich kenne lediglich die bei Marco Polo erschienene Rudolstädter Aufnahme. Mich fasziniert die Oper - ob sie zu Pfitzners stärksten Werken zählt, ist eine andere Frage.


    Von der "Rose vom Liebesgarten" gibt es ja überhaupt keine gescheite offizielle Einspielung. Ich besitze lediglich einen von einer Tonbandaufnahme übertragenen Cassettenmitschnitt von miserabler Tonqualität. Wenn mir da jemand mit etwas Besserem helfen könnte, wäre ich ihm enorm dankbar!


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,


    evtl. kann ich Dir bezüglich einer Aufnahme weiterhelfen. Habe Dir eine E-Mail gesandt.


    Schöne Grüße
    Johannes

  • Pfitzners politische Verstrickungen, seine Unbelehrbarkeit und Verbitterung auch nach Kriegsende sind evident. Ebenso gibt es Fakten, die für ihn sprechen - die Einschätzung von Bernd Schulz teile ich weitgehend. Auch hier gilt es, das Gold zu heben, ohne den daran klebenden Dreck zu vergessen.


    Meine Kenntnis von Pfitzners Werken ist bescheiden - ich respektiere und schätze "Palestrina" und das cis-moll-Streichquartett. Ein Werk aber finde ich bei aller Problematik bewundernswert und einzigartig: "Von deutscher Seele" op. 28, eine "romantische Kantate auf Texte von Joseph von Eichendorff für vier Soli, gemischten Chor, Orgel und Orchester", entstanden 1920/21. Mit dem Titel hat sich Pfitzner auf lange Sicht keinen Gefallen getan - das Werk steht quasi automatisch unter Nationalismusverdacht. Und nicht völlig zu Unrecht (hier erwarte ich Widerspruch): Im dritten Teil steht an vorletzter Stelle die Vertonung des Gedichts "Der Friedensbote", das Lied eines Kriegsheimkehrers, endend mit den Worten: "Schlaf ruhig, das Land ist ja frei!"- von Pfitzner in dröhnendem Triumphgestus komponiert, der sich schmerzlich von der Subtilität des Vorhergehenden abhebt. Der Bezug zum vom Versailler Vertrag getroffenen Deutschland muss den zeitgenössischen Hörern klar gewesen sein - und hier widerspreche ich Bernd Schulz: Pfitzner komponiert hier für die Tagesschau. Und wenn es nur die Tagesschau wäre...


    Aber genug gemeckert: Die drei Abschnitte "Mensch und Natur", "Leben und Singen" und "Liederteil" enthalten eine bunte und doch überlegt gegliederte Melange aus Liedern, Ensemblesätzen, Orchesterstücken und Chören. Die musikalische Substanz und Vielfalt auf teilweise engstem Raum ist überwältigend: Genannt sei hier der melancholische Eingangssatz ("Es geht wohl anders, als du meinst"), gefolgt von dem wilden Orchesterscherzo "Tod als Postillon" - ein Stück von "expressionistischer" und gleichzeitig "konstruktivistischer" Modernität. Überhaupt die Orchesterzwischenspiele: "Abend" für Solohorn, Harfen und hohe Streicher, oder im zweiten Teil "Ergebung", ein überaus eigentümliches "Flötenkonzert". Für Pfitzner eher ungewöhnlich (?) die rasante Schlittenfahrt mit Chor "Der jagt dahin, dass die Rosse schnaufen", die musikalisch quasi in der Hölle landet - tonmalerisch mit Schlittenglocken, aber nie platt illustrativ wie bei Richard Strauss.
    Mein absolutes Lieblingsstück ist aber "Der alte Garten" am Anfang des Liederteils, eines der großartigsten Orchesterlieder, das ich kenne: Wie Pfitzner hier in gis-moll und im 5/4-Takt über Eichendorffs wunderbares Gedicht die Sehnsucht nach der und die Scheu vor der Vergangenheit evoziert, ist an Suggestivkraft nicht zu überbieten: Genial instrumentiert, vorwiegend gedämpft, wird ein Motiv durch alle vier Strophen variiert. Das findet seinen Höhepunkt in der letzten Strophe, in der es über eine eingeschlafene Frau mit einer Laute in der Hand heißt:
    "Und wenn es dunkelt das Tal entlang,
    Streift sie die Saiten sacht,
    Da gibt es einen wunderbaren Klang
    Durch den Garten die ganze Nacht."
    Wie sich hier Sopranstimme und Geigen in höchster Höhe über einer mit verwehenden Harfen- und Mandolinenkängen versehenen Orchestergrundierung bewegen - das ist in der Tat einer der wunderbarsten Klänge, die ich je gehört habe.


    Ich besitze zwei Aufnahmen: eine mit den Düsseldorfer Symphonikern unter Hollreiser aus den 80er Jahren, und eine Münchener Einspielung unter Joseph Keilberth aus den 60ern, die fast in allen Belangen überlegen ist. Phänomenal Agnes Giebel im "Alten Garten".
    Auch dieses Werk Pfitzners wird extrem selten aufgeführt; ich habe es noch nie im Konzert gehört.


    Ich hatte mir immer vorgenommen, das "Dunkle Reich" und die Klavierlieder kennenzulernen. Vielleicht können mir die Pfitzner-Kenner sagen, ob mich hier Vergleichbares erwartet?


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Hallo Bernd,


    deinen Zeilen über die Eichendorff-Kantate gibt es nicht viel hinzuzufügen (höchstens, daß ich den Titel aus heutiger Perspektive ebenfalls problematisch finde, aber daß Pfitzner eben Eichendorff vertont hat und nicht irgendwelche Nazi-Lyrik).


    Im Gegensatz zu dir habe ich das großartige Stück schon live gehört, und zwar unter Hollreiser in einem jener Düsseldorfer Konzerte, die deiner Aufnahme zugrunde liegen. Damals habe ich Hollreiser in der Pause einen Blumenstrauss überreicht und ihm später - er war sehr freundlich zu mir - noch einen Brief geschrieben. Die recht ausführliche Antwort ziert heute meinen Dvotionalienschrein :D.


    "Das dunkle Reich" zählt zu denjenigen Werken Pfitzners, die mich nicht so unmittelbar ansprechen. Es schien mir immer recht spröde.


    Aber unter den Klavierliedern gibt es viele leider immer noch zu wenig bekannte Perlen. Zuerst zu nennen wären da die Eichendorff(!)-Lieder op 9, dann solche Genieblitze wie "In Danzig" (ebenfalls nach Eichendorff),"Hussens Kerker", "Mailied", Michaelskirchplatz" etc. usf...


    Auch hier gefallen mir die neueren JPC-Aufnahmen leider weniger gut. Bislang unübertroffen sind für meine Ohren die alten Einspielungen mit Fischer Dieskau und Karl Engel bzw.Hartmut Höll.

  • Zitat

    aber im Augenblick geniesse ich gerade Pfitzners Klavierkonzert op 31


    Hallo Alfred,
    diese Aussage ist zwar schon 2 Jahre alt, aber ich möchte Dich unbedingt auf die fulminate Live-Aufnahme mit Walter Gieseking aus dem Jahre 1943 aufmerksam machen.
    Dies ist für mich die bei weitem beste Aufnahme dieses störrischem, kantigen aber- auch für mich- sehr lohnendem Konzert.
    Die Aufnahmequalität ist hervorragend, da es sich um einen Tonbandmitschnitt handelt- zwar Mono(es gibt ja auch hervorragende Stereoaufnahmen aus dieser Zeit, u.a. ein Beethoven Nr.5 mit Gieseking und Flak(!)im Hintergrund), aber man kann ja nicht alles haben.
    Erschienen ist diese Aufnahme (mit dem Hamburger Reichsrundfunkorchester unter Albert Bittner) bei Music and Arts-CD 4925


    LG,
    Michael


    Zwielicht

    Zitat

    Auch dieses Werk Pfitzners wird extrem selten aufgeführt; ich habe es noch nie im Konzert gehört


    Wir haben dieses Werk("Von deutscher Seele" ) in Münster vor einigen Jahren aufgeführt.
    Es ist schon zulange her, aber ich bin mir sicher, mich zu erinnern, daß es sehr positiv aufgenommen wurde....Mir hat es jedenfalls sehr gut gefallen.

  • Hallo Bernd (Zwielicht),


    ein wirklich schöner und ausführlicher Beitrag über Pfitzners Eichendorff-Kantate. Sie gehört auch zu meinen Lieblingswerken des Komponisten. Mehr noch - sie hat mein Interesse an Pfitzner erst vollends geweckt, und zwar bei einem Konzert in der Alten Oper Ffm. im September 1995 mit den Solisten Ellen Shade, Reinhild Runkel, Thomas Moser, Alfred Muff, dem Chor des MDR Leipzig, dem RSO Ffm. unter Leitung von Horst Stein. Eine absolut perfekte und anrührende Aufführung, die mich dermaßen begeistert hat, daß ich das Konzert am nächsten Tag gleich nochmal besucht habe, mit zwei Freunden im Schlepptau.
    Was mir an der Interpretation damals ganz besonders gut gefallen hat, war das von Stein vorgegebene langsame Tempo, wodurch die Musik die nötige Ruhe und Zeit bekam, sich frei zu entfalten. Vor allem die beiden aufeinander folgenden Orchesterzwischenspiele 'Abend' und 'Nacht' haben mich in dieser Lesart beeindruckt, weil das langsam und breit dahin Fließende der Musik besonders gut zum Ausdruck kam. In dieser Hinsicht hat mich die bereits erwähnte Keilberth-Aufnahme nicht sonderlich überzeugt oder gar emotional berührt. Auch andere Einspielungen kamen bezüglich Intensität leider nicht an die unvergeßliche Stein-Aufführung heran. Und bedauerlicherweise hat der Dirigent das Werk nicht eingespielt. Gott sei Dank ist das Konzert wenigstens vom Hessischen Rundfunk mitgeschnitten worden, so daß man bei einer erneuten Ausstrahlung die Möglichkeit bekommt, es einzudosen.


    Ansonsten schätze ich von Pfitzner - neben den Klavier- und Orchesterliedern - die Opern 'Palestrina' und 'Die Rose vom Liebesgarten', von der ich hoffe, daß möglichst bald einmal eine neue und vollständige Einspielung erscheint. Ach ja, und das 'Christ-Elflein' ist ein wirklich entzückendes kleines Juwel, das glücklicherweise ab 23. Dezember d. J. im Spielplan des Staatstheaters Darmstadt auftauchen wird - zwar nur konzertant, aber immerhin. :]


    :hello:
    Johannes

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Im Gegensatz zu dir habe ich das großartige Stück schon live gehört, und zwar unter Hollreiser in einem jener Düsseldorfer Konzerte, die deiner Aufnahme zugrunde liegen. Damals habe ich Hollreiser in der Pause einen Blumenstrauss überreicht und ihm später - er war sehr freundlich zu mir - noch einen Brief geschrieben. Die recht ausführliche Antwort ziert heute meinen Dvotionalienschrein :D.


    Hallo Bernd,


    ich nehme doch an, dass Du Herrn Hollreiser passend zum Stück "Kaiserkron und Päonien rot" überreicht hast? :D



    Zitat

    "Das dunkle Reich" zählt zu denjenigen Werken Pfitzners, die mich nicht so unmittelbar ansprechen. Es schien mir immer recht spröde.


    Aber unter den Klavierliedern gibt es viele leider immer noch zu wenig bekannte Perlen. Zuerst zu nennen wären da die Eichendorff(!)-Lieder op 9, dann solche Genieblitze wie "In Danzig" (ebenfalls nach Eichendorff),"Hussens Kerker", "Mailied", Michaelskirchplatz" etc. usf...


    Auch hier gefallen mir die neueren JPC-Aufnahmen leider weniger gut. Bislang unübertroffen sind für meine Ohren die alten Einspielungen mit Fischer Dieskau und Karl Engel bzw.Hartmut Höll.


    Wenn selbst ein Pfitzner-Kenner Probleme mit dem "Dunklen Reich" hat, werde ich mich besser zuerst den Klavierliedern zuwenden. Die Vorfreude ist groß - ich werde dann an dieser Stelle über meine Eindrücke berichten!


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Guercoeur
    Hallo Bernd (Zwielicht),


    ein wirklich schöner und ausführlicher Beitrag über Pfitzners Eichendorff-Kantate. Sie gehört auch zu meinen Lieblingswerken des Komponisten. Mehr noch - sie hat mein Interesse an Pfitzner erst vollends geweckt, und zwar bei einem Konzert in der Alten Oper Ffm. im September 1995 mit den Solisten Ellen Shade, Reinhild Runkel, Thomas Moser, Alfred Muff, dem Chor des MDR Leipzig, dem RSO Ffm. unter Leitung von Horst Stein. Eine absolut perfekte und anrührende Aufführung, die mich dermaßen begeistert hat, daß ich das Konzert am nächsten Tag gleich nochmal besucht habe, mit zwei Freunden im Schlepptau.
    Was mir an der Interpretation damals ganz besonders gut gefallen hat, war das von Stein vorgegebene langsame Tempo, wodurch die Musik die nötige Ruhe und Zeit bekam, sich frei zu entfalten. Vor allem die beiden aufeinander folgenden Orchesterzwischenspiele 'Abend' und 'Nacht' haben mich in dieser Lesart beeindruckt, weil das langsam und breit dahin Fließende der Musik besonders gut zum Ausdruck kam. In dieser Hinsicht hat mich die bereits erwähnte Keilberth-Aufnahme nicht sonderlich überzeugt oder gar emotional berührt. Auch andere Einspielungen kamen bezüglich Intensität leider nicht an die unvergeßliche Stein-Aufführung heran. Und bedauerlicherweise hat der Dirigent das Werk nicht eingespielt. Gott sei Dank ist das Konzert wenigstens vom Hessischen Rundfunk mitgeschnitten worden, so daß man bei einer erneuten Ausstrahlung die Möglichkeit bekommt, es einzudosen.


    Hallo Johannes,


    das ist mir ein wenig peinlich, denn justament Mitte der 90er Jahre habe ich in der Nähe von Frankfurt gewohnt und war relativ oft zu Konzerten in der Alten Oper. Dieses Konzert muss irgendwie an mir vorbeigegangen sein... Schade - denn was Du berichtest, klingt interessant! (Wobei sich mir allerdings zumindest der "Alte Garten" mit Giebel/Keilberth so eingebrannt hat, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass es noch besser geht...)


    Wenn man sich die erwähnten Dirigenten (Keilberth, Hollreiser, Stein) vergegenwärtigt, ist es ja wohl nicht zufällig der gute alte Kapellmeistertypus, der sich für das Werk eingesetzt hat. Von den jüngeren bekannteren Dirigenten fällt mir nur Thielemann als selbsternannter Nachfolger dieser Tradition ein, bei dem ich allerdings manchmal den Eindruck habe, dass er lieber über Pfitzner spricht als dass er ihn dirigiert (in dieser Saison in München führt er wieder nur die drei Palestrina-Vorspiele auf).


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Hallo Bernd,


    ja, sehr schade, daß Du diese phänomenale Aufführung vor elf Jahren in der Alten Oper nicht erleben konntest.
    Angeregt, durch unsere Diskussion hier habe ich mir die beiden angesprochenen Aufnahmen (Joseph Keilberth, 1965 und Horst Stein, 1995) nach längerer Zeit mal wieder angehört und miteinander verglichen. Und zwar habe ich mir, weil Du den Teil besonders hervorgehoben hast, den ersten Sologesang des Soprans aus dem Liederteil 'Der alte Garten: "Kaiserkron' und Päonien rot"' vorgenommen.
    Und, was soll ich sagen - beim direkten Vergleich fallen auch hier sofort die völlig unterschiedlichen Tempi auf: Keilberth dirigiert das Stück in 3:58 relativ zügig durch, was ihm eine unsentimentalen Charakter verleiht und der Solistin sowie dem Orchester wenig Raum für Nuancierungen läßt; Horst Stein hingegen braucht für denselben Satz 4:50, also knapp eine Minute länger, und arbeitet die wunderbaren, eher dunkel getönten Klangfarben des Orchesters sehr viel deutlicher heraus als Keilberth. Gleichfalls bekommt der aufmerksame Hörer nicht nur eine Ahnung vom 'Naturlaut', der in dieser weitflächig komponierten Musik steckt, sondern es ist tatsächlich ein Atmen und geheimnisvolles Raunen der Natur zu vernehmen.
    Dasselbe Phänomen ist beim Vergleich der beiden Solistinnen zu entdecken: Agnes Giebel liefert zwar eine gute und grundsolide Vorstellung ihrer Kunst ab, folgt aber dem allzu sehr auf Glätte abgestimmten Interpretationsansatz von Keilberth. Ganz anders Ellen Shade in der Stein-Aufnahme, die bezüglich Tempo, Dynamik usw. sehr viel stärker differenziert. Die Passage 'Still, geh vorbei und weck' sie nicht!' wird von ihr fast flüsternd, wie gehaucht, gesungen ...


    Oh je, jetzt komme ich gleich wieder ins Schwelgen. Und Du mit Deinem Beitrag bist natürlich schuld, daß ich den ollen Pfitzner hervorgeholt habe und nach kurzem Anhören sofort wieder süchtig geworden bin und für eine ganze Zeit nicht mehr davon los kommen werde. :motz: Einfach furchtbar! :D


    :hello:
    Johannes

  • Zitat

    Original von Guercoeur
    Und Du mit Deinem Beitrag bist natürlich schuld, daß ich den ollen Pfitzner hervorgeholt habe und nach kurzem Anhören sofort wieder süchtig geworden bin und für eine ganze Zeit nicht mehr davon los kommen werde. :motz: Einfach furchtbar! :D


    :hello:
    Johannes


    Hallo Johannes,


    mea maxima culpa! :D Aber Du hast gerade Grund, Dich zu beschweren: schwärmst mir hier von einer ultimativen, überragenden Aufnahme vor, die für mich wohl auf absehbare Zeit unerreichbar bleiben dürfte... :motz: :D


    Um von meiner Fixiertheit auf die Keilberth-Aufnahme herunterzukommen, habe ich heute morgen die schon erwähnte Düsseldorfer Hollreiser- Einspielung aus dem LP-Regal geholt und abgestaubt. Und siehe da: sie ist besser als ich sie in Erinnerung hatte, auch wenn ich Keilberth immer noch vorziehe. Um mal wieder den "Alten Garten" zu bemühen: Hollreisers Tempo kam mir langsamer vor als Keilberths, objektiv sind es allerdings gerade mal 10 Sekunden mehr. Das Orchester ist weniger auf Mischklang eingestellt, die verschiedenen Instrumentalfarben kommen sehr deutlich heraus (leider mit Ausnahme des etwas verwaschenen "wunderbaren Klangs"). Agnes Habereder singt schön, artikuliert sehr deutlich, wirkt aber viel zu nachdrücklich: die Zurückgenommenheit, die Scheu, das Leise sind ja schließlich essentielle Merkmale des Gedichts und des Liedes. Gerade deshalb klingt es so spannend, was Du von Stein und der an der entscheidenden Stelle fast flüsternden Ellen Shade berichtest.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hier mein erster Versuch in Sachen "Pfitzners Klavierlieder". Beim Fachhändler meines Vertrauens gab es eine entsprechende CD, die auch von Bernd empfohlene Aufnahme von Liedern verschiedenster Opuszahlen, Interpreten: Fischer-Dieskau und Hartmut Höll, 1982 bei Orfeo veröffentlicht. Ich habe nur einige Lieder zur Probe gehört, gekauft habe ich die CD nicht (zu den Gründen siehe unten) - deshalb sind meine Eindrücke ausdrücklich als vorläufig zu bewerten.


    Sehr schön Pfitzners Vertonung eines Evergreens der Liedlyrik, Goethes "Füllest wieder Busch und Tal" (op. 18 ). Ausdrucksvolle, stets variierte, nie konventionelle Melodik über einem Einheit schaffenden und doch sehr variablen, mehrstimmigen Klaviersatz (den Vers "Selig, wer sich vor der Welt ohne Hass verschließt" hätte Pfitzner sich eventuell mehr zu Herzen nehmen sollen :D). Sehr schönes Changieren zwischen Ernst und pfitznertypisch verschrobenem Humor in "Müde" nach Liliencron (op. 10 Nr. 2). In "'s war einer, dem's zu Herzen ging" nach Chamisso (op. 22 Nr. 2) zeigt sich Pfitzners satirisches Talent (Genie?) in der überdrehten Parodie des "Zopfstils" (im Wortsinn). Eines der beiden Heine-Lieder (aus op. 4 und op. 6) hat mir auch sehr gefallen (ich weiß leider nicht mehr, welches :rolleyes: ). Nicht so überzeugend der von Bernd erwähnte "Michaeliskirchhof" nach dem mir (anscheinend zu Recht) unbekannten Busse (op. 19 Nr. 2) - Pfitzners unglückliche Neigung zum Pompösen schlägt hier wieder durch. Sehr gespalten auch mein Eindruck von op. 10 Nr. 1, "Sehnsucht" nach Liliencron - zunächst äußerst stimmungsvoll an die entsprechenden Vertonungen von Brahms erinnernd, dann leider mit sehr konventioneller melodischer Emphase.


    Insgesamt also gemischte Eindrücke mit allerdings deutlich positiver Tendenz (leider war keines der Eichendorff-Lieder op. 9 dabei). Ich müsste meine Urteile in Ruhe vertiefen bzw. evtl. revidieren. Warum ich mir die CD dann nicht gekauft habe? Nun, erstens ist aufgeschoben nicht aufgehoben, und zweitens hatte ich bereits einige Scheiben erworben - eine weitere Hochpreis-CD hätte schlechtes Gewissen verursacht :D. Und drittens, leider: wenn in letztgenanntem Lied Fischer-Dieskau zu dem Vers anhebt "Es hat mein Herz nur dich, nur dich ersehnt", dann klingt das genauso, wie jeder FD-Verächter sich eine solche Passage von diesem Sänger erwartet :rolleyes:. Ich ertrage diesen altherrenschwerenöterhaften Emphase-Tonfall nur noch sehr schwer, obwohl ich Fischer-Dieskau in anderen (früheren) Aufnahmen durchaus schätze.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Wer hat denn schon mal die Palestrina-Oper von Pfitzner gesehen? Wird die derzeit irgendwo gespielt? Ich habe sehr schöne, alte Entwürfe von Hraby und Preetorius gesehen. Würde diese Oper gerne mal live erleben.


    LG,
    Christoph

  • Hallo knusperhexe (oder Christoph?)!


    Nach kurzer Recherche habe ich das hier gefunden:


    Budapester Frühlingsfestival


    Das wäre sicher eine Reise wert.



    Entschuldigt den kleinen Ausflug zu Pfitzner - Liebe Grüße,


    Gerald


    EDIT: Jetzt sehe ich erst, dass das Ganze erst 2008 läuft. Naja, dann müssen wir halt noch geduldig sein.
    :hello:

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

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  • Hallo Christoph,


    ich habe den Palestrina - wie oben geschrieben - schon in vier verschiedenen Inszenierungen gesehen, und zwar in Nürnberg, München, Berlin und Düsseldorf.


    Und jedesmal war es ein besonderes Erlebnis, auch wenn die Nürnberger und Düsseldorfer Aufführungen nicht meinen Vorstellungen von einer werkgerechten Regie entsprachen. Die Inszenierungen in München und Berlin hingegen waren für meine Begriffe ganz großes Theater. In München hat Peter Schreier (dessen Stimme ich eigentlich nicht besonders mag) den Titelhelden ungeheuer glaubwürdig verkörpert, und Ähnliches gilt verrückterweise für René Kollo in Berlin, der den Spitzenton auf "Frieden" im ersten Akt nach unten oktavieren mußte, aber ansonsten einen wirklich berührenden Palestrina sang und spielte.


    Für mich ist der Palestrina gerade live eine absolute Gänsehautoper. Schon wenn die ersten Akkorde des Vorspiels im Graben erklingen und das 16. Jahrhundert wie in einem kargen Gemälde heraufbeschwören, packt mich dieses Meisterwerk von Kopf bis Fuß.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Fortsetzung von hier


    Noch mehr Off-Topic: Im Übrigen finde ich es fast schon "skandalös", dass der zuständige Verlag Oertel die "Krakauer Begrüßung" op. 54 wegen des Nazi-verherrlichenden Textes nicht drucken will. Dann dürften doch auch den Kommunismus-verherrlichende Werke(wie Schostakowitsch' Sinfonien 2 und 3) nicht gedruckt, geschweige denn auf CD gebrannt werden!
    Also: freier Zugang auch zu historisch belasteten Kunstwerken!
    Ich weiß, ich begebe mich hier auf sehr dünnes Eis, aber das musste einmal gesagt werden.
    Der Tippfehler in der Signatur bleibt übrigens.
    Die CD-Boxen werde ich auch erwerben.


    Liebe Grüße,
    Gerald

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

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  • Hallo Gerald,

    Zitat

    Im Übrigen finde ich es fast schon "skandalös", dass der zuständige Verlag Oertel die "Krakauer Begrüßung" op. 54 wegen des Nazi-verherrlichenden Textes nicht drucken will


    Skandalös?
    Mmmmh, nun ja, auch mir gefällt Pfitzners Musik durchaus.
    Ich bin auch gerne bereit, Pfitzners Rolle im 3. Reich ein wenig schön zu reden.
    M.E. war er eher ein Egomane als ein Nazi.
    Ich bin da auch ein wenig zu sentimental, aber Pfitzner war schon ein Könner, und ich persönlich drücke bei ihm schon sehr lange beide Augen zu. :pfeif:


    Leider war Pfitzner aber auch ein persönlicher "Freund" des "Schlächters von Krakau"- Hans Frank, ich empfehle mal diese Lektüre betreffend Hans Frank:
    "http://www.amazon.de/Vater-Eine-Abrechnung-Niklas-Frank/dp/3442125006/ref=sr_1_7/303-6369607-9734626?ie=UTF8&s=books&qid=1187483166&sr=8-7"


    Insofern würde ich den Ball einmal flach halten und nicht von einem fast schon skandalösem Fall reden, wenn ein Werk, welches einem der schlimmsten Verantwortlichen für Massenmorde in Polen gewidmet ist, nicht veröffentlicht wird.
    Pfitzner kann posthum froh sein, als Komponist relativ unbeschadet aus dieser "Freundschaft" herausgekommen zu sein.
    Der letzte oder einer der letzen Briefe an Hans Frank vor dessen Hinrichtung kam übrigens von Pfitzner.
    Ich könnte kotzen darüber, überspiele diese meine Empfindung aber damit, daß Pfitzner ein wirklich guter und interessanter Komponist war, ansonsten hoffentlich durch seinen Verbortheit und vor allem Blödheit in Sachen 3.Reich niemandem geschadet hat, was aber leider unwarscheinlich sein sollte ( ich kann dies natürlich nicht bewiesen ) .


    Zitat

    Also: freier Zugang auch zu historisch belasteten Kunstwerken!


    Nein!
    Warum? Du wirst Pfitzner eher schaden.
    Und überhaupt:
    Was veranlaßt Dich, so sicher zu sein, daß es sich im Falle dieser Nazi-Musik um ein Kunstwerk handelt?


    Zitat

    Dann dürften doch auch den Kommunismus-verherrlichende Werke(wie Schostakowitsch' Sinfonien 2 und 3) nicht gedruckt, geschweige denn auf CD gebrannt werden!


    Das ist ziemlich daneben!
    Und über eine solche Äußerung möchte ich eigentlich gar nicht weiter diskutieren.


    Nur soviel:
    Es ist Dir anscheinend nicht bewußt, daß es einen sehr großen Unterschied zwischen dem Kommunismius und dem Stalinismus russischer Prägung gibt.


    Die Zeitumstände, unter denen Schostakowitsch diese Sinfonien komponierte, sind Dir anscheinend auch nicht bewußt.


    Ich bin aber kein Geschichtslehrer!
    Zu diesen Zusammenhängen solltest Du m.e. dringend einen Geschichtslehrer an Deiner Schule befragen.
    Diese werden dafür bezahlt, um Antworten auf solche Fragen zu geben.
    Und das sollten sie auch!


    Nur soviel von meiner Seite:
    Schostakowitschs Kommunismus-Propaganda, komponiert zu einer Zeit, als es noch gar keinen Stalinismus gab und der Kommunismus durchaus in Rußland als eine Chance verstanden werden KONNTE- wenn man wollte, vor allem nach der Zarenherrschaft- zu vergleichen mit einem Werk eines deutschen (wenn man seeeeehr nett ist) Mitläufers, welches dem verantwortlichen Leiters des Warschauer Juden-Ghettos sowie der Konzentrationslager im besetzten Polen, dem "Schlächter von Krakau" Hans Frank, gewidmet ist, läßt mich erbrechen!
    :kotz:


    Setzen: 6 !


    Ich weiß, ich begebe mich hier auf sehr dünnes Eis, aber das musste einmal gesagt werden.
    Zitat von Dir, welches ich hier auch für mich in Anspruch nehme!


    DAS mußte einmal gesagt sein!


    Zitat

    Der Tippfehler in der Signatur bleibt übrigens


    Sehr aufschlussreich!


    Viele aufschlussreiche und erkenntnisreiche Grüße,


    Michael



    Oder habe ich jetzt schon wieder alles mißverstanden?
    Ich habe mir sehr große Mühe gegeben, alles immer wieder Kontrolle zu lesen, damit so etwas nicht wieder passiert.

  • Goten Morgen!


    Zitat

    Leider war Pfitzner aber auch ein persönlicher "Freund" des "Schlächters von Krakau"- Hans Frank, ich empfehle mal diese Lektüre betreffend Hans Frank:


    Mir reicht schon der ziemlich gute Artikel auf Wikipedia. Und diese Freundschaft ist - nun ja - im Nachhinein natürlich sehr problematisch, aber sie gehört einfach zu Pfitzners Leben dazu.


    Zitat

    Ich bin da auch ein wenig zu sentimental, aber Pfitzner war schon ein Könner, und ich persönlich drücke bei ihm schon sehr lange beide Augen zu.


    Wie gesagt:


    Zitat

    Ich habe deswegen beim Hören seiner Musik deswegen auch keinen bitteren Beigeschmack, auch nicht beim Hören einer Furtwängler- oder Karajan-Aufnahme, schon gar nicht bei Wagner.


    Weiter:


    Zitat

    Der letzte oder einer der letzen Briefe an Hans Frank vor dessen Hinrichtung kam übrigens von Pfitzner.


    Naja, es war ein Telegramm, in dem er Frank seinen Beistand auch in "schweren Stunden" zusagt (der genaue Wortlaut liegt mir nicht vor).



    Zitat von mir:
    Also: freier Zugang auch zu historisch belasteten Kunstwerken!


    Darauf Michael Schlechtriem:


    Zitat

    Nein!
    Warum? Du wirst Pfitzner eher schaden.
    Und überhaupt:
    Was veranlaßt Dich, so sicher zu sein, daß es sich im Falle dieser Nazi-Musik um ein Kunstwerk handelt?



    Selbst wenn es der Person Pfitzner schaden würde - es wäre im musikhistorischen Interesse. Ich zitiere den Pfitzner-Biographen J.P. Vogel (S. 164 seiner Biographie): "...dessen [Pfitzners] Dankbarkeit* schlägt sich nicht nur in einem kleinen Widmungswerk (op. 54 - passenderweise im Polonaisen-Rhythmus) nieder, sondern auch in jenem Trosttelegramm, das er (...) dem zum Tode verurteilten Frank 1946 in Gefängnis schickt." Fußnote: Das Werk "Krakauer Begrüßung" op. 54 wird unverständlicherweise immer noch vom Verlag unter Verschluss gehalten."


    *Dankbar war der Pfitzner dem "Polenschlächter" Frank übrigens für mancherlei Zuwendungen und Unterstützungen, u.a. mit mehreren Flaschen Rotwein.
    --------------------------------
    Das mit dem Kommunismus und Schostakowitsch war vielleicht etwas unglücklich formuliert (man bedenke die Zeit, zu der ich es schrieb). Ich muss aber zumindest kurz Wikipedia zitieren:


    Zitat

    Historiker wie Voslensky und Gunnar Heinsohn werfen Lenin vor, durch die Revolution und den Aufbau der sozialistischen Ordnung zahllose Opfer verschuldet zu haben. Voslensky spricht dabei gar von mindestens 13 Millionen [3], Heinsohn von 4 Millionen[4]. Wenngleich Lenin seinen Anhängern nach Marx und Engels als die wichtigste Autorität des Kommunismus gilt und verehrt wird, reihen ihn eine Zahl Historiker unter die großen kommunistischen Staatsverbrecher des letzten Jahrhunderts ein, zusammen mit Stalin, Mao, Pol Pot. Diese Einschätzungen sind jedoch umstritten, zumal sich angesichts der Wirren von Revolution und Bürgerkrieg Opferzahlen in dieser Größenordnung nicht ansatzweise zweifelsfrei belegen lassen. Weiterhin ist dazu in Frage zu stellen, inwiefern man die Opfer dieser Ereignisse einseitig den Roten bzw. Lenin anlasten kann, da ebenso Weiße Gegenrevolutionäre mit Unterstützung von westlichen Interventionstruppen am Bürgerkrieg beteiligt waren.


    [3]Michael Voslensky Sterbliche Götter, Ullstein 1991, ISBN 3548348076
    [4] Gunnar Heinsohn Lexikon der Völkermorde, Rowohlt,1998, ISBN 3499223384


    Der Unterschied zw. "Kommunismus" und seiner Abart "Stalinismus" ist mir, glaub es oder nicht, klar. Ich schrieb auch nie "Schostakowitsch verherrlichte den Stalinismus", sondern "den Kommunismus verherrlichende Werke". Außerdem wurde die 3. Sinfonie 1930 uraufgeführt, bereits 1927 war Stalin uneingeschränkt an der Macht.



    Zitat

    Nur soviel von meiner Seite:
    Schostakowitschs Kommunismus-Propaganda, komponiert zu einer Zeit, als es noch gar keinen Stalinismus gab und der Kommunismus durchaus in Rußland als eine Chance verstanden werden KONNTE- wenn man wollte, vor allem nach der Zarenherrschaft- zu vergleichen mit einem Werk eines deutschen (wenn man seeeeehr nett ist) Mitläufers, welches dem verantwortlichen Leiters des Warschauer Juden-Ghettos sowie der Konzentrationslager im besetzten Polen, dem "Schlächter von Krakau" Hans Frank, gewidmet ist, läßt mich erbrechen!
    kotz


    Setzen: 6 !


    Du misst mit verschiedenem Maß: Einerseits sprichst du von der damals aktuellen Einschätzung das Kommunismus (als Chance), andererseits von dem erst danach (mit Recht) verurteiltem NS-Regime. Für Pfitzner war dieses auch eine "Chance" - für die meisten Deutschen war es eine. Ob Pfitzner von den Verbrechen wusste - selbst Schönberg erklärte 1947 eidesstaatlich: "... dass er [Pfitzner] sich niemals dafür gebeugt, niemals eine Konzession gemacht haette, Grausamkeiten aber sicherlich verurteilte" - ist eine andere Frage. Pfitzner selbst wurde übrigens (komischerweise) als "vom Gesetz nicht betroffen" eingestuft.
    Aber du kannst die beiden Systeme nicht in dieser Art vergleichen. Grob formuliert: Kommunismus - damals: Chance; NS - heute: Verbrechen; das funktioniert nicht.


    (Übrigens: Wir in Österreich haben schlechtestenfalls eine 5!)
    ---------------------------------------------------------------------------------------------


    Mir geht es hier weder um eine Rechtfertigung irgendwelcher Verbrechen noch um eine ideologische Diskussion. Angeregt durch Barockbassflo's Beitrag wollte ich nur dieses op. 54 erwähnen, welches man natürlich vor der Veröffentlichung nicht künstlerisch nicht beurteilen kann. Es wäre aber - wie gesagt, historisch gesehen - durchaus angebracht, es zu veröffentlichen. Als "Zeitdokument", sozusagen.



    Liebe Grüße,
    Gerald

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

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  • Michael hat mit der Zurückweisung des politischen Vergleichs Schostakowitsch-Pfitzner natürlich recht: Obwohl der Kommunismus bereits unter Lenin ein verbrecherisches Gesicht gezeigt hat, wurde er in der Sowjetunion tatsächlich als die große Chance verstanden. Die Opfer, sofern von ihnen über den Bürgerkrieg hinaus überhaupt etwas bekannt war, schienen gerechtfertigt, um ein neues, besseres System zu erreichen. Man wollte loskommen von dem völlig rückständigen Rußland und seiner in Luxus lebender Oberschicht - und damit schlug das Pendel in eine antibürgerliche Richtung aus.
    Gerade Schostakowitsch besaß aber durchaus ein Sensorium für Wahrheit und Gerechtigkeit, und seine Abneigung gegen Stalin, aber auch seine Skepsis gegenüber Chruschtschow und Breschnew sind durch das Spätwerk belegt.


    Eine derartige klare Distanzierung vom Nationalsozialismus gibt es bei Pfitzner nicht. Im Gegenteil: Pfitzner war ein ähnlicher Charakter wie der Norweger Knut Hamsun: Beide waren eigenbrötlerische Nationalisten, die glaubten, im Nationalsozialismus ihr Heil zu finden. Bei beiden gab es schließlich eine Ernüchterung - die aber nur privat zu merken war, während sie nach außen hin auf ihr Recht pochten, in der Zeit des Nationalsozialismus eben Nationalsozialisten gewesen zu sein. Bei Pfitzner kam natürlich auch noch ein gewisser Antisemitismus hinzu. Und seine Faszination für die Person Adolf Hitler, den er in Wien kennen und aus unbegreiflichen Gründen schätzen gelernt hatte.



    Auf einem anderen Blatt steht für mich die Frage, ob man ein bestimmtes Werk aus ideologischen Gründen unterdrücken soll, wenn das Werk
    1) einen Qualitätsanspruch erhebt, der über die Verherrlichung einer Ideologie hinausgeht
    2) und/oder wenn das Werk von einem Komponisten stammt, der in seiner Gesamtheit erfaßt werden soll.


    Meiner Meinung nach: Nein, das entsprechende Werk sollte veröffentlicht werden.


    So sollte wegen 1) natürlich Rodion Schtschedrins "Lenin lebt im Herzen des Volkes" und wegen 2) Schostakowitschs "Die Sonne strahlt über unserer Heimat" aufgeführt werden. Ich bin auch dafür, daß man Franz Schmidts "Deutsche Auferstehung" zugänglich macht - und natürlich ebenso Pfitzners "Krakauer Begrüßung". Wenn man diese Werke in einen historischen Kontext stellt, sollte der Umgang mit diesen Werken möglich sein.


    Skeptisch werde ich hingegen, wenn man Pfitzners Verherrlichung eines Verbrechers kleinreden, aber aus Schostakowitschs Verherrlichung einer Ideologie ein Vergehen konstruieren will. In der Sache Schostakowitsch und Pfitzner kann man nämlich nicht mit gleichem Maß messen. Denn bei Pfitzner fehlen die während der Zeit des Nationalsozialismus geschriebenen, zu dessen Ideologie aber im Gegensatz befindlichen Werke.


    Ungeachtet dessen halte ich Pfitzner für einen bedeutenden Komponisten, der es wert ist, aufgeführt und erforscht zu werden.


    :hello:

    ...

  • ...also ich bin nun auch nicht DER film- u. kinoexperte,
    aber ich MEINE, dass zumindest in der BRD eine reihe von die ns-ideologie bejahende resp. gefährliche verharmlosende filme in VOLKSHOCHSCHULKINOS u.ä. gezeigt werden dürfen, FALLS sie vor ort durch einen profunden vortrag eingeleitet werden...........


    ...fände ich sinnvoll, wenn sich bzgl. z.b. der grade von @edwin genannten werke eine ähnliche regelung finden liesse.......


    :hello: aus franken
    piet

  • Zitat

    Für Pfitzner war dieses auch eine "Chance" - für die meisten Deutschen war es eine.


    Ja klar, denn die jüdischen Konkurrenten wurden ja vertrieben und ermordet.
    Ich möchte aber bitteschön korrigieren dürfen:
    Für "viele Deutsche" kann von mir aus hinkommen, aber für "die meisten" nicht.
    Denn viele von diesen "meisten" wurden vertrieben oder umgebracht.
    Oder haben sich aus Angst zurückgezogen und geschwiegen-verständlicherweise.
    Nur so am Rande.


    Historisch angebracht wäre eine Veröffentlichung des op. 54 sicherlich.
    Aber nur die Veröffentlichung.


    Wenn dereinst auf meinem Notenständer wirklich einmal dieses op.54 liegen sollte, dann würde ich mich aus Respekt, Demut und Scham vor den Millionen von ermordeten Menschen schlichtweg weigern, es zu spielen.
    Und ich würde damit durchkommen!


    Das wäre noch nicht einmal ein Affront meinerseits gegenüber Pfitzner:
    Ich würde mich vor allem weigern, ein Werk zu spielen, welches mit Hans Frank in Verbindung steht, da es ihm ausdrücklich vom Komponisten zugeeigent ist.
    Warum soll ich gegenüber dieser braunen Brühe eine geradezu barmherzige Toleranz aufbringen? Warum?


    Pfitzner ist als Komponist sehr interessant und einige seiner Werke liebe ich geradezu.


    Es ist SEIN Problem, wenn er einem Massenmörder ein Werk widmet, welches dann aus irgendwelchen nichtverständlichen Gründen nach dem Ableben desselben keine Verbreitung mehr findet. :D
    Pech gehabt und aufs falsche Pferd gesetzt, sage ich da nur. :angel:


    Ich schätze wie schon mehrfach gesagt Pfitzner, und es kostet schon Kraft meinerseits, über so einiges hinwegzusehen.


    Aber es gibt Grenzen, auch für mich.
    Und dieses op.54 ist z.B. solch eine Grenze.


    Was soll eigentlich an diesem Werk so toll sein, daß es wert ist, sich so dafür einzusetzen?


    Oder handelt es sich mehr um eine hysterische Begeisterung für den Meister, damit man endlich jede gelobte Note, die ER zu Papier brachte, geniessen kann?


    Also, das muß ich leider auch sagen:
    So toll finde ich Pfitzner nun auch wieder nicht, daß es mir eine Herzensangelegenheit wäre, wirklich jede Note seines Gesamtwerkes hören zu können.


    Das muß für mich nicht sein......


  • Ob für "die meisten" oder für "viele" ist eine i-Tüpfelchen-Reiterei. Die Begeisterung eines Großteils der Deutschen für das NS-Regime wirst du aber nicht verleugnen können.


    Zitat

    Historisch angebracht wäre eine Veröffentlichung des op. 54 sicherlich.


    Nichts anderes habe ich in meinem ersten Beitrag zu dieser Diskussion gefordert. Du hast aber einen erstaunlichen Sinneswandel durchwandert. Von vehementer Ablehnung:



    hast du jetzt meiner Forderung doch zugestimmt.
    An einer öffentliche Aufführung bin ich überhaupt nicht interessiert.
    1. Aus Respekt vor all den Opfern des NS-Regimes, insbesondere den Opfern von Franks Verfolgungen.
    2. Gibt es wohl genug andere Meisterwerke von Pfitzner, die ohnehin kaum zu Gehör gebracht werden. Eine Aufführung z.B. des Palestrinas wäre mir wesentlich angenehmer.



    Dieses "Problem" Pfitzners belastet seine Öffentlichkeitsrezeption auch erheblich. Es soll auch überhaupt nicht verleugnet werden - das wäre sogar völlig gegen Pfitzners Art, der schließlich seine Überzeugungen, auch wenn sie falsch oder unangebracht waren, nicht aufgab. So ist auch das "Trosttelegramm" an Frank zu verstehen: Ich (Pfitzner) stehe zu dir (Frank), auch wenn wir jetzt beide wissen, dass wir (höflich ausgedrückt)Mist getan haben.


    Zitat

    Was soll eigentlich an diesem Werk so toll sein, daß es wert ist, sich so dafür einzusetzen?
    Oder handelt es sich mehr um eine hysterische Begeisterung für den Meister, damit man endlich jede gelobte Note, die ER zu Papier brachte, geniessen kann?


    Also, das muß ich leider auch sagen:
    So toll finde ich Pfitzner nun auch wieder nicht, daß es mir eine Herzensangelegenheit wäre, wirklich jede Note seines Gesamtwerkes hören zu können.


    Das muß für mich nicht sein......


    Tut mir Leid, Michael, aber diese Sätze sind auch ein bisschen verfehlt...
    Ich weiß ja nicht, ob es dir bekannt ist, dass von Komponisten meist eine "Gesamtausgabe" der Werke veröffentlicht wird. Das gibt es natürlich von Palestrina, Bach, Händel, Mozart (schon online!), Schubert, Brahms, Wagner, Weber, Liszt, Bruckner, Reger, Strauß ... und von Pfitzner soll es das nicht geben?
    Wieso schreibst du überhaupt "hysterische Begeisterung"? Hättest du so etwas jemals z.b. Ulli oder dem Lullysten vorgeworfen? "Aber das ist ja was anderes, Mozart! Lully! Und dann Pfitzner... Pah! Überhaupt kein Vergleich, nicht wahr?"
    O b du Hans Pfitzner "so toll" oder nicht findest, ist für die Musikforschung allerdi ngs eher belanglos. Ich z.B. finde einen Großteil der Werke Mozarts nicht "so toll". na und? habe ich deswegen jemals irgendjemanden seinen Einsatz für Mozart vorgeworfen?


    Und bitte kommt jetzt nicht mit "Mozart ist aber schon eine andere Ebene...!" Das trägt nämlich überhaupt nichts zur Sache bei.


    Liebe Grüße,
    Gerald

    "Das Höchste in der Kunst - vor Gott besagt's nicht viel.
    Hat doch die Welt zuletzt nur ein moralisch Ziel."
    (Hans Pfitzner)

  • Zitat

    Original von Gerald
    Ob für "die meisten" oder für "viele" ist eine i-Tüpfelchen-Reiterei. Die Begeisterung eines Großteils der Deutschen für das NS-Regime wirst du aber nicht verleugnen können.


    Um da schon mal meinen Hut in den Ring zu werfen: Pftzners Haltung im Dritten Reich ist hier ja schon charakterisiert worden, da trage ich gerne noch einige Nuancen nach. Vorab: Hitler mochte Pfitzner nicht, er hielt ihn für einen verkappten "Rabbiner". Auch wenn das genetisch alles geklärt wurde, blieb eine starke persönliche Abneigung. Pfitzner erfreute sich nicht der Aufnmerksamkeit, die er nach dem Sieg der "Bewegung" zu erlangen geglaubt hatte. Auch schien sein direkter Konkurrent Richard Strauss alles in allem weiter besser abzuschneiden.


    Pfitzner geriet also unter das "Protektorat" eines der nazistischen Stammesfürsten, in diesem Fall das des Münchner Hans Frank - das war schon vor der Zeit des Generalprotektorats. Die Förderung, die Pfitzner durch Frank erhielt (und durch Göring, der ja auch ein Kunstliebhaber war), erklärt auch die Korrespondenz, die hier angesprochen wurde.


    Pfitzners Verhältnis zu Hitler war alles andere als unkritisch, seine derben Sprüche sind ja auch überliefert. Pfitzner war kein überzeugter Nationalsozialist, aber gehörte in den Umkreis des reaktionären Konservatismus (mit einer spezifisch antisemitischen Prägung, die aber zwischen "guten" und "schlechten" Juden unterschied) der vehement die nationalsozialistische Bewegung unterstützte.


    Meine großen Vorbehalte gegen Pfitzner stammen weniger aus der NS-Zeit als aus der Zeit davor, wo er auf widerlichste Art und Weise gegen die moderne Musik wetterte - obwohl er, Edwin hat es angemerkt - selbst avancierte Musik schrieb. Seine kompositorische Arbeit und seine irrationale Inspirationsästhetik standen durchaus im Widerspruch.


    Zitat

    Wieso schreibst du überhaupt "hysterische Begeisterung"? Hättest du so etwas jemals z.b. Ulli oder dem Lullysten vorgeworfen? "Aber das ist ja was anderes, Mozart! Lully! Und dann Pfitzner... Pah! Überhaupt kein Vergleich, nicht wahr?"


    Bei allem was man für Pfitzner sagen kann und gegen ihn, die Bedeutung von Lully oder Mozart hat Pfitzner zweifellos nicht. Das braucht einen aber nicht daran zu hindern, sich engagiert mit seiner Kunst, seiner Ästhetik - und seinen Publikationen auseinanderzusetzen, kritisch würdigend mit dem Wissen, das wir heute haben.


    LG Peter

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