Orlando Gibbons (1583-1625) oder Musik der Zeitenwende


  • Der in Oxford geborene Komponist brachte es schon in jungen Jahren zu Wohlstand und Ansehen. Seine Hinterlassenschaft
    an geistlicher sowohl weltlicher Musik macht ihn als den ersten Komponisten in England des Frühbarock kenntlich, dessen
    Wirkung bis in die Werke von Purcell und Händel hinein spürbar ist. Seine Musik für Tasteninstrumente faszinierte unter anderen auch Glen Gould.
    Leider sind etliche seiner geistliche Werke nicht in allen Stimmen überliefert und gelten deshalb nur als bedingt authentisch aufführbar.
    Gibbons zählt zu den Komponisten, die einerseits noch im modalen Denken (Benutzung der Kirchentonarten) verwurzelt waren, andererseits
    durchaus, wenn es ihm angemessen erschien, sich dem heutigen Dur/moll-System zuwandte, wie das ähnlich auch bei seinem Altersgenossen Heinrich Schütz in Deutschland zu beobachten ist. Orlando Gibbons repräsentiert schon fast den Abgesang des goldenen Zeitalters der englischen Vokal- und Instrumentalmusik.



    Auf dem Höhepunkt seiner Karriere starb er in Canterbury ganz plötzlich, wie uns das ein zeitgenössisches Dokument eindrucksvoll überliefert:


    ...he fell in most strong & sharp convulsions, wch did wring his mouth up to his ears & his eyes were distorted, as trough they would habe beene thrust out of his head & then suddenly he lsot both speech, sight, & heraing, & so grew apoplecticall & lost the whole motion of every part of his body, & so died.


    Gibbons wirkte nachhaltig auf seine Zeitgenossen und seine "Spuren" finden sich in Werken Purcells und Händel ebenso wie in den Anthems des 19. Jahrhunderts. Mit Recht bezeichnet man ihn als den "Vater" der englischen Hymnen. Gibbons zählt zu den ganz wenigen Komponisten, deren Vokalmusik durch Knabenstimmen dargestellt überzeugend wirkt, was nicht zuletzt mit seiner profunden Kenntnis der menschlichen Stimme und seiner Satztechnik zusammenhängt. Am tag nach seinem Tode wurde Orlando Gibbons im Dom von Canterbury beigesetzt, wo sein Gedenkstein noch heute zu sehen ist.


    Erstaunlicherweise gab es zu allen Zeiten immer nur wenige Einspielungen seiner Werke. Die beiden hier vorgestellten jedoch erfüllen alle Ansprüche aufs trefflichtse:




    (Ensebmle phantasm)

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB,


    erstmal vielen Dank für den Thread! :jubel:


    lustigerweise sieht es bei mir mit Gibbons genauso aus wie bei Byrd - auschließlich Consort Music in meinem Inventar... und davon nicht gerade viel.


    eine CD die mir besonders gut gefallen hat war diese hier:



    Music for Prince Charles
    The Parley of Instruments


    Werke von Gibbons und Lupo



    ich meine es gibt ja auch noch 2 oder 3 CD's bei Naxos sowohl mit Consort Music und seinen Vokalwerken.... ?(



    Ich werde auf jeden Fall mal Deine Empfehlungen auf meine Liste setzen :D


    :hello:

  • Na zum Glück war das keine CD für Prinzessin Camilla !!! :D


    Trotzdem, bei Gibbons kannst du dich nichtmehr mit "Reinaissancemusik" etc. herausreden :beatnik:



    Also dievon mir empfohlenen sind auf jeden Fall hörenswert !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Ich kenne von Gibbons (nach eigener Aussage Goulds Lieblingskomponist) bisher auch nur wenig (auf einer Fretwork Sampler CD), sehr interessant finde ich z.B. die "Cries of London": hier werden diverse "Marktschreier" (Verkäufer, Bettler, Schornsteinfeger usw.) als Vokalensemble mit einer "In nomine"-Fantasie für Gambenconsort verknüpft; erinnert teils fast an Ives mit seinen drei Blasorchestern. Dabei auch sehr unterhaltsam!


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • :D


    es ist vielmehr so, dass ich irgendwie nie mit seiner vokalen Musik in Berührung gekommen war...


    Ich hatte auch nochmal bei Naxos nachgesehen, aber es scheint nur eine CD mit Orgel - und Vokalwerken zu geben...
    Allerdings finde ich die Interpretationen der Oxfort Camerata unter Summerly größtenteils etwas langweilig




    wahrscheinlich werde ich mir die CD trotzdem auch kaufen aber ohne größere Erwartungen.



    .... ich werde jedenfalls auf die von Dir angesprochenen CD's ein Auge haben.

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  • Wenn auf einen thread wenig oder garkeine Resonanz kommt, muss man sich eben seine Antworten einfach selber schreiben, was ich im Falle der neuen Naxos-CD von Herzen gern tue.
    Die Einspielung des relativ jungen Ensembles TONUS PEREGRINUS mit den kompletten Hymnen und Kirchenliedern von Orlando Gibbons schliesst eine seit langem schmerzlich empfundene Lücke und das klingende Ergebnis kann und darf sich sehen und vor allem hören lassen ! :D


    Die Grundlagen für diese spezifisch englische Kirchenmusik-Tradition legte rund 50 Jahre vor dem Erscheinen der Gibbons-Melodien Thomas Tallis mit seinem Psalter nach der gereimten Psalmpoesie des Bischofs Parker. Diesem Werk entnahm Ralph Vaughan-Williams die Melodie für seine berühmte
    "Fantasia on a Theme by Thomas Tallis".


    Die 15, Gibbons mit Sicherheit zuzuschreibenden Melodien sind in den meisten Fällen eher einfacherer Faktur und werden lediglich von einer Baßlinie unterstützt. Die Binnenstimmen sind häufig nur andeutungsweise vorhanden
    und bedürfen der sensiblen Ausdeutung durch die Interpreten.
    Genau dieses ist dem Ensemble TONUS PEREGRINUS auf hervorragende Weise gelungen und die Satzgebilde von großer Klarheit und luzider
    Transparenz beeindrucken und begeistern.


    Auch die Sätze, die in Fortsetzung dieser ehrwürdigen Tradition vom Ensembleleiter und 2 Mitgliedern selbst komponiert wurden, belegen eine Tradition, die nunmehr seit über 500 jahren ungebrochen andauert.


    Diese englischen Hymnen, die seit den Arbeiten von Thomas Tallis, William Byrd und deren Nachfolgern die Musik der anglikanischen Kirche wesentlich mitbestimmten, wurden später in Amerika unter so begabten Komponisten wie etwa William Billings die "Vorläufer" von Spirituals und Gospels.


    Eine CD also, die bei Niedrigstpreis höchste Noten für Interpretation und Repertoirewert verdient.



    PS: Das Lieblingsstück Glen Goulds von Gibbons, "The Song of Angels" befindet sich auch auf dieser CD.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • :D bevor ich fragen konnte gibst Du schon die Antwort :D


    :jubel::jubel::jubel:


    ich hatte die CD Veröffentlichung in der letzten (?) Fono Forum gesehen und war natürlich sehr interessiert.
    Danke für die Ausführliche Beschreibung - denn jetzt will ich die CD erst recht haben :D
    Ich bin sehr gespannt.



    :hello:

  • Bei uns im Laden liegt seit über 2 Jahren die im ersten Beitrag abgebildete CD von Harmonia Mundi rum. Jetzt am Wochenende habe ich mir das ganze endlich mal in Ruhe angehört.
    Danke, daß ihr mich auf diesen Komponisten aufmerksam gemacht habt! Genau meine Musik! Speziell "O clap your hands together" ist einfach großartig. Gespannt bin ich jetzt auf die Naxos-CD...

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...

  • Bei Naxos ist auch noch diese empfehlenswerte Gibbons-CD erschienen:



    Die Interpretation überzeugt mich vor allem auf der vokalen Seite, es wird sehr intonationssischer mit einem nasal-instrumentalen Timbre gesungen, welches den Stüchen gut bekommt. Ganz grandios finde ich die letzte Nummer "Glorious and powerful God".


    Einschränkung: Gibbons Paradestück "The silver swan" gefällt mir auf dieser CD nicht so gut. Früher habe ich mal eine wunderschöne (ich glaube vokal sechstimmige) Aufnahme mit dem Deller Consort gehört. Kennt oder besitzt die jemand von euch?


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich kenne von Gibbons (nach eigener Aussage Goulds Lieblingskomponist) bisher auch nur wenig (auf einer Fretwork Sampler CD), sehr interessant finde ich z.B. die "Cries of London": hier werden diverse "Marktschreier" (Verkäufer, Bettler, Schornsteinfeger usw.) als Vokalensemble mit einer "In nomine"-Fantasie für Gambenconsort verknüpft; erinnert teils fast an Ives mit seinen drei Blasorchestern. Dabei auch sehr unterhaltsam!


    viele Grüße


    JR



    Eine ganz frische Aufnahme der Cries of London gibt´s auf dieser CD:



    The Cries of London
    Werke von Gibbons, Cobbold, Weelkes, Dering, Ravencroft & East
    Theatre of Voices, Fretwork, Paul Hillier



    Das Vokalensemble Theatre of Voices mit seinem Namen hier alle Ehre. Die Marktschreier werden sehr plastisch dargestellt. Das macht tierischen Spaß zu hören, aber es wird nie platt interpretiert. So kultiviert wie die Sänger das machen, hat es damals sicher nicht auf den Londoner Märkten geklungen. Aber schließlich ist das Kunstmusik. :beatnik:


    Neben den Cries von Orlando Gibbons enthält die Aufnahme u.a. sehr ähnlich geartete Stücke, die sogar ähnliche oder gleiche Titel tragen, nämlich von Richard Dering (The City Cries und The Country Cries) und Thomas Weelkes (The Cries of London).


    Dicke Empfehlung!


    herzliche Grüße,
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

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  • Zitat

    Original von BigBerlinBear


    Eine CD also, die bei Niedrigstpreis höchste Noten für Interpretation und Repertoirewert verdient.






    Unbedingte Zustimmung!!!


    Was es mit diesen Hymnen auf sich hat, dazu hat BBB sich schon geäußert. Ich möchte das nicht alles wiederholen, nur noch ein paar Gedanken hinzufügen. Mich haben diese Stücke am ehesten an hiesige Kirchenchoräle erinnert. Das Muster ist das Gleiche: es gibt eine Melodie zu einem bestimmten Text, die oftmals uralter Überlieferung entstammt. Diese Melodie wird dann im Gottesdienst vom Organisten mit "Leben" gefüllt, in dem er eine Begleitung dazu improvisiert. So entstehen sie immer wieder neu. Auch von der Art der Sätze her finde ich den Vergleich mit den Choralmelodien sehr passend. Es sind relativ schlichte Melodien, die aber dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - tief anrührend sind und das Gemüt bewegen.


    Der Tradition folgend haben nun Anthony Pitts, der Gründer des Ensembles Tonus Peregrinus, und einige andere die von Gibbons überlieferten Melodien ergänzt und neu arrangiert. Das Ergebnis ist höchst unterschiedlich. Es reicht von einfachen Harmonisierungen bis hin zu modernen Arrangement mit jazzigen "Pefferminz"-Akkorden.


    Die Stücke werden hautpsächlich gesungen, gelegentlich auch nur von der Orgel gespielt. Einen derart schönen und runden, dabei aber auch offenen, frei klingenden und stimmlich perfekt ausbalancierten Chorklang wie den des Ensembles Tonus Peregrinus hört man selten. Das ist ganz große Klasse! Dieser tolle Klang trägt sehr wesentlich dazu bei, dass die Stücke lebendig wirken und sich Seligkeit im Gemüt des Hörers breitmachen kann.


    Fazit: grandios gesungene Kirchenmusik. Ich wünschte, es gäbe derartige Aufnahmen auch von "unseren" Kirchenchorälen.



    herzliche Grüße,
    Thomas



    PS. Ein dreifaches :jubel: :jubel: :jubel: an BBB, der mir diese CD sehr ans Herz gelegt hat.

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Hallo!


    Zweitausendeins hat gerade diese CD im Angebot:



    Ist sie empfehlenswert?
    Eine Gibbons-CD fehlt in meiner Klassiksammlung bisher noch. Das soll sich ändern.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Gibbons habe ich zuerst als Komponisten für Tasten kennengelernt, und zwar bei Glenn Gould!



    Die Musik gefiel mir sehr gut, und ich kann mir diese Aufnahme auch heute noch anhören, allerdings ist die Aufnahme von Christopher Hogwood inzwischen meine erste Empfehlung:



    Gibbons ist als virtuoser Cembalist der Byrd-Schule nicht zu unterschätzen!