Jean Philippe Rameau: La Rappel des Oiseaux (1724)

  • Hallo, liebe Musikfreunde,


    vielleicht als Gruß zum lange ersehnten Frühling:


    Obwohl nur wenige Minuten lang, hat es dieses Stück in sich. „La Rappel des Oiseaux“: da ist ein Geschrei der Vögel zu hören, mal ganz sanft gespielt, wenn die Vögel trösten, dann in einer Aufgeregtheit, die schier in den Wahnsinn treiben kann. Ich kenne es jetzt in vier verschiedenen Interpretationen, die nicht unterschiedlicher sein könnten (Cziffra, Guller, Pinnock, Barto).


    Dies Stück hat wie kein anderes den Nerv der französischen Musik getroffen. Es enthält schon alles, was dann bis zu Debussy, Ravel, Messiaen und Boulez reicht. Die Angst des modernen Menschen, vor lauter Erkenntnis und Kunst die Seele zu verlieren, deren Symbol immer die Vögel waren. Niemand gelingt es besser als Yura Guller, der Entmaterialisierung der Klänge zu folgen und dort ihre Sehnsucht ausgedrückt zu finden. Im anderen Extrem Cziffra, bei dem das Geschrei der Vögel klingt wie auf Stahlseiten gezogen, katastrophisch. Das erinnert weniger an die „Vögel“ bei Hitchcock, sondern die Vögel in Sophokles „Antigone“, die nach dem Fraß von der Leiche des öffentlich hingeworfenen Polyneikes wie irre durch die Luft fliegen und den Seher Teiresias aufschrecken.


    Rameau hat mit seiner konsequenten Lehre der Obertonreihe die gültige Basis der neuzeitlichen Musik geschaffen und sie gegenüber der griechischen, pythagoreischen Tradition unabhängig gemacht. Aufklärer wie Voltaire und die französischen Enzyklopädisten waren begeistert. Und doch fiel noch in sein Leben die Wende hin zur französischen Revolution, als sein Stil bereits überladen und höfisch wirkte und daher zunehmend kritisch aufgenommen wurde.


    Die „Rappel des Oiseaux“ zeigen ihn auf der Höhe seiner Kunst. Es gehört zum zweiten Zyklus, den „Pièces des Clavecin“ (Über die Fingertechnik beim Cembalospiel) von 1724.



    Ich möchte an dieser Stelle die Neuerscheinung von Tzimon Barto empfehlen. Bisher war ich von seinen Interpretationen nicht besonders begeistert, aber hier ist ihm eine wunderbare Aufnahme gelungen. Unverkennbar, wie sehr ihn die Musik von Rameau anspricht und er dies in seinem Spiel gestalten will. Gleich das erste „Prélude“ zeigt, wie wenig abstrakt die reine Mathematik der Obertöne klingen kann, wenn sie genial in Töne gesetzt ist. Und so hält die CD noch zahlreiche andere Entdeckungen bereit.


    Viele Grüße,


    Walter

  • hallo Walter,


    interessanter thread und interessanter hinweis auf die neue barto-platte, die ich noch nicht kannte. la rappel des oiseaux habe ich in einer aufnahme mit robert casadesus, die man sicher als klassiker bezeichnen kann.


    gruß, siamak :)

    Siamak

  • Hallo Walter,


    Ein wirklich bemerkenswertes Stück, daß ich neben den anderen Suiten auch immer wieder gerne selber am Klavier spiele.


    Zitat

    Original von Walter.T
    Dies Stück hat wie kein anderes den Nerv der französischen Musik getroffen. Es enthält schon alles, was dann bis zu Debussy, Ravel, Messiaen und Boulez reicht.


    Mich würde nun interessieren, was genau in diesem Stück speziell bis Debussy, Ravel, Messiaen und Boulez reichen soll. Das halte ich dann doch für etwas arg weit. ;) Oder wie ist es gemeint?


    Viele Grüße,
    Daniel :hello:

  • Hallo Daniel,


    deine Frage kann ich nicht anhand der Noten oder eigener Klavierpraxis beantworten. Ich kann nur versuchen, es in Worten zu beschreiben. Das ist die innere Erregtheit bis an die Grenze des Erträglichen. Höre ich eine CD, wo dies Stück gespielt wird, reißt es jedes Mal die Aufmerksamkeit an sich, wie ein Schock. Und doch ist es so komponiert, dass dies keineswegs künstlich gewollt oder übertrieben wirkt, sondern in der Aussage voll verständlich bleibt, halb aufgefangen von einem besänftigenden Grundton und dadurch im Ganzen unsicher. – So die eigenen inneren Regungen und diese widergespiegelt in der Natur wahrzunehmen, da sehe ich den Bogen von Rameau bis zur Musik des 20. Jahrhunderts.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Hallo Walter,


    Meine Empfindungen bei diesem Stücken waren immer ganz andere. Ich habe es sehr als "Charakterstück" empfunden, das wie der Name sagt, einen "Rat der Vögel" darstellt, und außerordentlich kunstvoll in der Ausarbeitung des Vogelgezwitschers ist oft nur durch geringe Verwendung von musikalischen Mitteln. Die Ornamentik ist hier von entscheidender Bedeutung.


    Ich habe dieses Stück immer als sehr erheiternd (im positiven Sinne) empfunden, nie aber irgendwie bedrohlich.


    Als weiteres "Vogelstück" ist hier vielleicht auch noch das berühmte "Hennenstück" "La Poule" zu nennen.


    Viele Grüße,
    Daniel :hello: