Felix Mendelssohn-Bartholdy: ELIAS

  • Ich bin erstaunt, daß noch kein seperates Thema über den "Elias" vorhanden ist.
    Da ich wahrlich kein Mendelssohn-Experte bin, hoffe ich v.a. auf Aufnahmen-Empfehlungen von einigen, die sich als solche bezeichnen würden. :D


    Ich kenne nur eine Aufnahme, und zwar vom Windsbacher Knabenchor:


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    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die bisher unübertroffene Referenz scheint wohl Herreweghe zu sein.


    Ich habe Rilling und Cambreling - zwei preiswerte, ordentliche Aufnahmen, die jedoch keinesfalls optimal sind.


    Hoffentlich nähert sich Gardiner mal wieder intensiver dem Schaffen Mendelssohns an!





    Sawallisch wäre sicher auch interessant. Wer weiss...



    p.s.: sehe gerade, daß es zwei verschiedene Rilling-Aufnahmen gibt. Die meinige obige ist mit Christine Schäfer, C. Kallisch, M. Schade und W. Schöne. (auch preiswert zusammen mit dem Paulus erhältlich)


    Die andere Einspielung:


  • Hallo Thomas Bernhardt,


    also MEINE unübertroffene Referenz ist die auch von Dir genannte Sawallisch- Aufnahme! Jenseits der wirklich überzeugenden musikalischen Qualität des Chores, Theo Adams als Elias ( man höre nur das " Herr, Gott Abrahams..." :jubel::jubel: ) und des Engels- Soprans von Ely Ameling ist es mit Abstand die dramatisch überzeugendste Aufnahme.Die Aufweckung des toten Sohns der Witwe, das Gebets-Duell mit den Baalspriestern, der lebenssatte Elias oder das Gebet um Regen sind wie Kino im Kopf - man hält vor Spannung jedesmal die Luft an!


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Oolong hat vollkommen recht. Sawallisch hat den Elias zudem wieder aus der Versenkung geholt. Ich habe gelesen, dass die Musik Mendelssohns selbst noch in den späten 60ern unter der Verbannung aus den Konzertsälen während des dritten Reichs zu leiden hatte, dh. erst einmal wiederentdeckt werden musste.


    Die Aufnahme hat den Edison-Preis und den Deutschen Schallplattenpreis bekommen. Und sie ist die einzige die ich kenne, in der das Doppelquartett "Denn er hat seinen Engeln befohlen" nicht chorisch sondern tatsächlich mit acht Solisten besetzt ist. So gerne ich das Stück selber im Chor singe, so gerne höre ich es doch auch in dieser vom Mendelssohn so gewollten Fassung.


    Nur kann sich heute keiner mehr 8 Solisten leisten, und dies ist das einzige Stück, wo alle 8 zugleich ran müssen. Daher kommen die meisten Aufnahmen mit 4 Solisten aus und "Die Engel" werden chorisch gesungen.


    Einen schönen Einstieg in das oratorische Schaffen Mendelssohns bietet aber auch die 4-CD-Box von Brilliant Classics, die neben dem Elias auch den Paulus enthällt. Beide mit Rilling und der Gächinger Kantorei zu einem Spottpreis.



    Gruß
    Christian

  • Liebe Taminas und Paminas,


    ich möchte ein paar biografische Hintergrundinfos nachtragen:


    „Ich hatte mir eigentlich beim Elia einen rechten durch und durch Propheten gedacht, wie wir ihn etwa heutzutage wieder brauchen könnten, stark, eifrig, auch wohl bös und zornig und finster, im Gegensatz zum Hofgesindel, und fast zur ganzen Welt im Gegensatz und doch getragen wie von Engelsflügeln.“ So schreibt Felix Mendelssohn-Bartholdy an seinen Freund, Pfarrer Schubring, der den Text für sein Paulus-Oratorium verfaßt hat.


    Mit 26 Jahren wird Mendelssohn 1835 Kapellmeister des Gewandhausorchesters in Leipzig. Ein Jahr später wird sein Oratorium „Paulus“ in Düsseldorf zum ersten Mal aufgeführt. Schon kurz nach dem „Paulus“ faßt er den Plan, ein Oratorium über Petrus oder über Elias zu komponieren und entscheidet sich für Elias. Seine Idee ist, den alttestamentlichen Text in Szene zu setzen. Ungewöhnlich ist, daß Mendelssohn-Bartholdy auch einen großen Anteil an der Abfassung des Textes hat. Man vermutet heute, daß er sich mit dem 1828 erschienen Predigtband „Elias, der Thisbiter“ des damals populären Theologen Friedrich Wilhelm Krummacher beschäftigt hat.


    Erst 1846 wird der „Elias“ zum ersten Mal aufgeführt: in Birmingham in England. Das von fast 400 Musikern und Sängern und Sängerinnen aufgeführte Werk wurde ein großer Erfolg. Felix Mendelssohn-Bartholdy berichtet: „Noch niemals ist ein Stück von mir bei der ersten Auffüh-rung so vortrefflich gegangen und von den Musikern und den Zuhörern so begeistert aufge-nommen worden wie dies Oratorium.“


    Kernszenen sind die Geschichten von der Ankündigung der Trockenheit, der Aufenthalt Elias am Bach Krith und bei der Witwe von Sarepta und der Auferweckung ihres verstorbenen Sohnes, als eine Hauptszene die Auseinandersetzung Elias mit den Baalspriestern auf dem Karmel-berg, Elia unter dem Wacholder und die Gottesbegegnung am Berg Horeb. Am Ende fährt er in den Himmel und der Messias wird angekündigt, der sein Werk weiterführen und vollenden wird. Andere Eliageschichten kommen kurz vor oder werden angedeutet.


    Anders als z.B. in Bachs Passionen wird die Handlung nicht erzählt, sondern sie wird gewis-sermaßen durch handelnde Personen in Szene gesetzt. Der Chor betrachtet und meditiert das Geschehen nicht, sondern er stellt das Volk da, das das Geschehen verfolgt und mit im Gesche-hen begriffen ist.


    Über 80 Bibeltexte sind in diesem Oratorium verarbeitet, darunter viele Psalmverse, die vom Chor oder von Solisten gesungen werden. Einige davon sind sehr berühmt geworden, z.B. „Denn er hat seinen Engeln befohlen“, „Wirf dein Anliegen auf den Herrn“, „Hebe deine Augen auf zu den Bergen“.


    Nach dem großen Erfolg in Birmingham wird das Werk in etwas veränderter Form in London aufgeführt. Die deutsche Erstaufführung findet am 9. Oktober 1846 in Hamburg statt.


    Meine persönliche Lieblingsaufnahme - allerdings in englischer Sprache - ist die Aufnahme mit Thomas Allen, Anthony Rolfe-Johnson, Yvonne Kenny und Anne Sofie von Otter, Orchester und Chor Academy of St. Martin-In-The-Fields unter Leitung von Neville Marriner. Aber auch die genannten Aufnahmen mit Sawallisch und mit Herreweghe kenne ich und kann sie wärmstens empfehlen.



    Mit freundlichen Grüßen von der Nordseeküste, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Da ich den Elias immer noch nur in den Aufnahmen von Rilling und Cambreling habe, gelüstet mich nach weiteren Aufnahmen. Bei Herreweghe warte ich, bis der Preis fällt, Sawallisch steht schon auf der Wunschliste.


    Was haltet Ihr von diesen Aufahmen, die mir allesamt vielversprechend scheinen?




    Man sollte sich übrigens nicht an einer englischsprachigen Aufnahme stören - der Elias wurde schliesslich von Mendelssohn in englscher Sprache uraufgeführt!

  • Hallo allerseits,


    ich bin gerade zufällig auf diesen Thread gestossen und erstaunt, wieviele Aufnahmen es von "Elias" gibt. Ich selbst habe die Aufnahmen mit Sawallisch und Rilling (zusammen mit "Paulus"), wobei Sawallisch aber mein klarer Favorit ist (nicht zuletzt - wie schon erwähnt - wegen Theo Adam als Elias).


    Was erwartet mich bei Herreweghe? Ich schätze ihn sehr als Bach-Dirigent (Kantaten, Passionen), aber Mendelssohn? ?( Wird da auf historischen Instrumenten musiziert - mit Streichern ohne Vibrato?


    Viele Grüsse
    Fugato

  • Habe gerade diese threads über Elias entdeckt, sie ist mein absolutes Lieblingsoratorium, ich habe es schon sehr oft gesungen.


    Meine CD's, zwei an der Zahl, einmal von Sawallisch mit einem sehr überzeugenden Theo Adam und einmal unter Helmut Rilling. mit Auger, Schreckenbach, Tear, Nimsgern.


    Wenn ich beide vergleichen, ist mir die Sawallisch lieber, doch bei einzelnen Arien greife ich gerne auf die Rilling CD zurück. Man müsste beide mischen können und neu zusammenstellen.


    Liebe Grüsse

  • Hallo zusammen, :hello:


    ich erinnere mich noch gut an das Elias-Konzert zum Jahreswechsel in der Stuttgarter Liederhalle.
    Aufgeführt wurde das Werk von der Klassischen Philharmonie und dem Kammerchor Stuttgart unter der Leitung von Frieder Bernius.
    Als Solisten wirkten mit:
    Letizia Scherrer, Sopran
    Renée Morloc, Alt
    Werner Güra, Tenor
    Michael Volle, Bariton als Elias
    sowie Jonathan Schilling als Knabensopran.


    Alle Mitwirkenden haben auf sehr hohem Niveau zum Gelingen dieses großen Werks beigetragen: Sehr homogen der Chor mit beachtenswerten Soloeinsätzen. Präzise das Orchester ohne jegliche Schwachstellen, stark und stimmschön die Solisten, wobei dem Sänger des Elias die Krone gebührte. Mit bewundernswert tragfähiger Stimme hat er seinen schweren Part gemeistert, wandlungsstark und textverständlich bei jeder Silbe. Besser kann man es nicht machen.
    Da empfiehlt sich ein Sänger der Extraklasse für weitere Aufgaben in Bayreuth und anderswo. :jubel: :jubel: :jubel:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Siegfried


    Hier ist die langersehnte (Studio-) Aufnahme mit dem überragenden Elias Michael Volle :jubel:


    Hallo Siegfried,


    wie gefällt Dir denn Bernius´ Aufnahme?


    Ich habe sie gerade laufen- und bin offengestanden noch nicht ganz schlüssig. Michael Volle gibt einen beeindruckenden Elias: "So wahr der Herr der Gott Israels" lebet" kommt richtig majestätisch daher. Der Orchesterklang ist mir manchmal zu massiv. Der schlanke Klang den Herreweghe erreicht gefällt mir hier besser, aber das sind nur erste Eindrücke.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Lieber Christian,


    ich höre diese Aufnahme mit anderen Ohren, weil ich den Elias in dieser Besetzung live in der Stuttgarter Liederhalle erlebt habe. Der Orchesterklang ist für meine Begriffe nicht zu wuchtig, doch die Geschmäcker sind verschieden. Bei Michael Volle sind wir uns ja wieder einig.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ich möchte hier an dieser Stelle auch noch auf einen „Elias“ hinweisen, der auch den Weg aus dem Konzert auf CD gefunden hat. Es war genau vor drei Jahren, als der Dresdner Kammerchor mit einem denkwürdigen Konzert sein 20-jähriges Jubiläum in Dresden feierte:



    16. Oktober 2005, Kreuzkirche Dresden
    Felix Mendelssohn Bartholdy: ELIAS
    Annette Dasch, Gerhild Romberger, Woo-Kyung Kim, René Pape,
    Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle und der Dresdner Philharmonie
    Dresdner Kammerchor,
    Leitung: Hans-Christoph Rademann



    Ursprünglich war das Konzert nur für interne Zwecke mitgeschnitten worden, aber da es wirklich außergewöhnlich war, entschied man sich, diesen Mitschnitt als CD zu veröffentlichen. Darum gab es weder Nachschnitte noch Nachbearbeitungen der Aufnahme. Man sollte deshalb diese Aufnahme, im Hinblick auf Perfektion, nicht mit Studioaufnahmen vergleichen. Dafür hört man dieses Werk mit einem unglaublichen Spannungsbogen vom ersten bis zum letzten Takt, der für mich einige wenige kleine Ungenauigkeiten entschuldigt.
    Das Solistenquartett ist außergewöhnlich besetzt: Annette Dasch und René Pape dürften mittlerweile ja vielen bekannt sein, die warme Altstimme von Gerhild Romberger kann aber ebenso überzeugen wie die strahlende Tenorstimme von Woo-Kyung Kim. Hans-Christoph Rademann führt Solisten, Chor und Orchester zu Höchstleistungen, voll magischer Klangschönheit und herrlicher Musikalität. Ein schönes Dokument.



    Gruß pt_concours


    (Diese CD ist in Dresdner Musik-Geschäften oder über das Chorbüro des Dresdner Kammerchores zu beziehen.)

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Vor sechs Wochen ist eine Neueinspielung des Elias bei Sony erschienen:




    Besetzung:



    Sibylle Rubens, Rebecca Martins, Markus Schäfer,
    Windsbacher Knabenchor,
    Deutsches SO Berlin,
    Karl-Friedrich Beringer


    Ich bin noch unschlüssig, ob ich die Aufnahme kaufen soll- und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist das Deutsche SO bekanntermaßen nicht-HIP, zweitens wurde ich bisher mit reinen Knabenchören nie so recht warm. Woran das liegt? Ich vermag das nicht genau zu sagen.


    Kennt jemand die CD schon?


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)


  • Der Vollständigkeit halber sollte der Sänger des Elias wenigstens erwähnt werden: Der Bariton Alexander Marco-Buhrmester :pfeif:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Siegfried


    Der Vollständigkeit halber sollte der Sänger des Elias wenigstens erwähnt werden: Der Bariton Alexander Marco-Buhrmester :pfeif:


    Danke für die Korrektur. Das kommt davon, wenn man die Angaben von JPC einfach kopiert .... :D :D :D

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Da Elias mein Lieblingsoratorium ist und ich es etliche Male als Solistin gesungen habe, liegt es mir besonders am Herzen. Der Text "Lebensprogramm des Elias" stammt vpn Prof. Heinz-Gert Freimuth und wurde im Deutschlandfunk Köln gesendet. Ich finde diesen Text so wunderbar, dass ich ihn hier niederschreiben möchte, er hat mich sehr bewegt. Auch wenn er sehr religiös erscheint, so ist es doch der Inhalt des Oratoriums Elias.


    Unruhe für Gott. Keiner hat so für den einen Gott geeifert, wie der Prophet Elias. Er lehnt sich gegen seinen König auf und vernichtet die Götzendiener mit Feuer und Schwert.


    Aber keiner war auch so einsam wie Elias. Alle seine Mitstreiter kommen um. Und er? Er muss im Augenblick seines größten Triumphs fliehen und irrt, wie ein Landstreicher nur mit einem Fell bekleidet, durch die Wüste.


    Auch Gott wird in der Bibel als " Eiferer" und als "verzehrendes Feuer" beschrieben, und man könnte meinen, dass er sich Kämpfer wie Elias wünscht, die rücksichtslos alle seine echten und vermeintlichen Feinde niedermetzeln. Doch Gott lehrt seinen Propheten eines Besseren.


    Als dieser sich geschlagen gibt und auf dem äußersten Tiefpunkt angekommen ist, da zeigt sich ihm Gott neu. Die Beschreibung dieser Offenbarung im ersten Buch der Könige gehört zu den erhabensten Stellen der ganzen Bibel. In seinem Elias-Oratorium hat Felix Mendelssohn Bartholdy diese unvergleichlichen Verse vertont.


    Für Elias gibt es nur eine wichtige Frage: wer soll in Israel Gott sein? Sein Leben und Handeln ist dauernde Provokation, um die Menschen zu einer Entscheidung zu zwingen, -Menschen, die lieber neutral bleiben wollen, die sich lieber etwas weniger radikal arrangieren wollen.


    Und Elias hat Erfolg. Seine "Karriere" als Prophet läuft zielstrebig auf ihren Höhepunkt zu.


    Gott hat die Propheten des Baal, die Propheten der fremden Götter, triumphal bezwungen, und Elias war dabei sein geistgefülltes Werkzeug. Auf die Fürbitte des Elias ist der große, fruchtbare Regen über das Land gekommen. Und er hat die Götzendiener niedergemetzelt.


    Auf strahlendem Erfolgsgipfel, ins höchste Triumphgefühl hinein dringt der nagende Zweifel, kommt Nacht über ihn, packt ihn Angst. Er fällt ins Bodenlose.


    Elias zweifelt an Gott und der Welt. Er hat seinen Dienst getan, hat sich aufs Äußerste angestrengt, im Kampf für seinen Gott, für seine Überzeugung. Doch die Feindschaft der Welt kehrt sich gegen ihn.


    Und wo ist nun Gott, wo ist sein Geist?
    Hat denn alles Abmühen noch Sinn?


    Das Erste Testament berichtet: "Elias ging, eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter. Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein." (1 Könige. 19; 4,5)


    Elias ist am Ende, will Schluss machen. Er kann nicht mehr, ist völlig erledigt, zusammengebrochen. Müde, so unendlich müde. Depression, Anfechtung. Lebenskrise. Er hat alles satt. Er ist ausgebrannt, burn out. Es ist genug.


    Der Gott Suchende verzweifelt an der von Gott geschaffenen Welt, - verzweifelt an sich selbst. Nur einschlafen - und kein Aufwachen mehr. Nur Ruhe, endlich Ruhe. "Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch schlafen."


    Dieses Bild prägt sich ein: die Augen verschließen vor dem, was das Leben gezeigt hat, nicht merken, wohin es drängt. Ohne Hilfe, ohne Zukunft, ohne Hoffnung, Zusammenbruch. Am eigenen Unvermögen verzweifeln. "Wer hat nicht schon unter dem Ginsterstrauch gelegen?" Mancher wird diese Situation verstehen, sie nur zu gut verstehen und nachempfinden.
    "Materialermüdung" – wäre die kühle Diagnose im technisch materiellen Umfeld.


    Ein Bild für Elias? Für den Menschen schlechthin, der sich einer Aufgabe mit Haut und Haaren verschreibt? Ein Bild für den Menschen der sich von Gott in Dienst nehmen lässt? Ein Bild für die Kirche unserer Zeit?


    Über Elias kommt Resignation.


    Resignare – das lateinische Wort meint: etwas zurückgeben, was man einmal angenommen hat; heißt: durch Ablösung des Siegels die früher gesiegelte Urkunde ungültig machen. Ich will nicht mehr weiter; ich will mich nicht mehr quälen, um durchzuhalten; ich kündige den Vertrag.


    Resignation gehört zum Leben. Sie ist eine Krise. Sie will zur Umkehr führen, zur Einsicht, dass wir die Probleme allein nicht meistern können.


    Auch das ist an Elias abzulesen: Gott lässt seinen Diener in seiner apathischen Verzweiflung nicht allein. Er lässt ihn auch jetzt nicht in Ruhe. Er reißt ihn aus dem Schlaf der Resignation und Verzweiflung heraus. Er weckt ihn.


    Er befiehlt ihm, zu essen, zu trinken und so zunächst ans nackte Überleben zu denken. Und als Elias noch immer voll depressiver Ermattung wieder in den Schlaf fällt, wird er ein weiters Mal von seinem Gott unsanft geweckt. Widerwillig richtet er sich auf.


    Oh, das meine Seele stürbe, lässt Felix Mendelssohn Bartholdy den Propheten in seinem Oratorium rufen.
    Der äußerste Rand der Ermüdung ist erreicht. Nur noch tiefer, schwarzer Abgrund.


    Wer trägt Elias hinüber?
    Wer trägt mich über den Abgrund meiner Verzweiflung? Wer führt mich aus meiner Ausweglosigkeit?
    Wer be-geistert mich neu? Wer "signiert" meine Zukunft?


    "Es gibt Erfahrungen der göttlichen Liebe, die nur in der äußersten Verlassenheit, ja am Rande der Verzweiflung geschenkt werden… wenn Gott lange schweigt, dann will er reden", schreibt Gertrud von le Fort.


    In der Tiefe aufgeschlagen, am Boden der Entbehrung und der Abwesenheit Gottes, erscheint schlagartig seine Liebe, seine Anwesenheit. In der Tiefe der Selbstverbergung wird Gottes Geist lebendig. "Gottes Anwesenheit in der vollkommenen Abwesenheit" nennt Simone Weil diese Kraft, denn "Das heimliche Liebeswort Gottes kann nicht anderes als das Schweigen sein" (nach "Die Konvertiten"; S. 287). Gottes Geist atmet in die schweigende Stille.


    Nur wer die Tage und Nächte der einsamen Wüste des Lebens durchsteht, der kann erfahren, wofür allein zu leben es sich lohnt: die persönliche Begegnung mit Gott.


    "Es macht die Wüste schön, dass sie irgendwo einen Brunnen birgt. Doch das, was ihre Schönheit ausmacht ist unsichtbar", lässt Saint Exupéry den Kleinen Prinzen sagen.
    Gottes Geist, sein Atem ist die Fülle der Stille, ist die Erfüllung allen Wartens.


    Ich komme dem unsichtbaren Gott nicht nah in dem, was sich groß und laut aufdrängt. Ich begegne ihm und seinem Geist im geduldigen Warten, im Schweigen, in der Stille, im Horchen. Im Hören mit der Aufmerksamkeit des Herzens, im Hören auf die "Stimme verschwebenden Schweigens" (Martin Buber).