Die im Dunkel sieht man nicht

  • zur zeit beschäftigt mich folgendes thema :
    bei einigen "kleinen" meistern muss man sich ja immer wieder fragen ob sie nicht völlig zu unrecht im schatten der "grossen" stehen. waren manche der "kleinen" vielleicht sogar vielleicht viel "grösser" als die vermeintlich "grossen".
    ich denke da z. b. an
    schönberg - hauer (letzterer hatte nicht nur 12 jahre früher als schönberg eine zwöftontechnick entwickelt sondern war darin wohl auch viel progressiver!)
    j. haydn - m. haydn
    debussy - satie (wer hat nun wen beeinflusst ?)
    felix mendelssohn - fanny mendelssohn (feministisches wunschdenken oder war sie wirklich genauso genial wie ihr bruder, oder besser ???)
    usw.
    müsste die musikgeschichte eigentlich neu geschrieben werden ?
    was meint ihr ?

    "Der moderne Komponist darf seine Werke einzig und allein auf der Grundlage der Wahrheit schreiben."
    Claudio Monteverdi


    "Der Komponist komponiert erstens für sich selbst und zweitens für das Publikum; aber für ein ideales Publikum und nicht für das...welches real existiert"
    Nikolai Rimski-Korsakow


    "Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche."
    Gustav Mahler

  • Nun, die Musikgeschichte wird ja andauernd "neu geschrieben", was viele für "die Musikgeschichte " halten, ist ja lediglich eine Momentaufnahme durch den Filter des Zeitgeschmacks.


    Vor 40 Jahren waren Boccherini und Vivaldi einer breiteren Schicht von Klassikhörern nur namentlich , bzw jeweils ein einziges Werk bekannt. Mahler war (zumindest in Wien) weitgehend verpönt, überall wo ene Stereoaanlage demonstriet werden sollte war Tschaikowskys Klavierkonzert Nr 1 zu hören, Mozart war unangefochtenes Zentrum der Klassik -ex equo mit Beethoven, Haydn war präsenter als heute.
    Etliche Namen, die uns heute zumindest vertraut klingen , waren völlig unbekannt.


    Ich glaube nicht, daß die heute als "Kleinmeister" "größer" sind als ihre gefeierten Zeitgenossen - gelegentlich aber fast gleich groß.


    Michael Haydn hat nun mal keine Schöpfung und keine Jahreszeiten geschrieben. Er selbst meinte einmal, er wäre imstande ebenso hochwertigen Werke zu schreiben wie sein Bruder Joseph - gäbe man ihm nur die Gelegenheit es zu beweisen.
    Als ihm sein erfolgreicher Bruder jedoch eine gut dotierte Stell verschaffen will - lehnt er danken ab - etwas, das JOSEPH Haydn NIE getan hätte - er war nämlich nicht nur ein hervorragender Komponist, sondern auch ein Pragmatiker und äusserst geriebener Geschäftsmann....


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Salut,


    ich denke mittlerweile, dass jeder Komponist seine Zeit hatte; egal, ob zu Lebzeiten, oder später. Dabei geht es nicht darum, ob der Komponist etwas "davon hatte", oder nicht.


    Michael Haydn beispielsweise, der jüngere Bruder des heute bekannteren Joseph Haydn, war schneller und viel gewitzter, als sein Bruder: Er hatte trotz seines geringeren Alters sehr viel schneller Erfolg in Form einer einträglichen Festanstellung. Übrigens hat auch der Freund Mozart versucht, ihn nach Wien zu lotsen: Der Erfolg war gleich Null - Michael Haydn reagierte nicht einmal auf die Einladung. Komponisten wie Myslivecek, Martín y Soler, Antonio Salieri haben einfach für die damalige Zeit populairer komponiert - und damit einen fein- und tiefsinnigen Mozart schlichtweg vom Parkett gefegt. Was nicht heißen soll, dass Myslivecek oder Salieri nicht feinsinnige Musik geschaffen haben, aber sie wussten das Publikum "besser" zu umgarnen. Leopold Mozart mahnte den Sohn so oft: "Du mußt populairer schreiben!". Allein sein Dickkopf hinderte ihn daran. Oft ist es so, dass die "eigensinnigen, sich nicht an Regeln halten wollenden" Komponisten wie Mozart, Beethoven, Schubert zu Lebzeiten weitaus weniger repräsentant waren, als heute. Ein Mozart galt als überheblich, einen Beethoven hätte man wegen seiner späten Streichquartette ins Irrenhaus geschickt, Schubert wurde schlichtweg ignoriert. Das, was Mozart, Schubert und Beethoven zumindest "auszeichnet" ist, dass sie weitestgehend freischaffende Künstler waren. Sie haben also ohne große Vorgaben komponieren können - oder haben es einfach gemacht, mit Ausnahmen versteht sich.


    Es kommt ganz auf den Geschmack an - ich bin z.B. in der Lage, mich von Opern des 18. Jahrunderts faszinieren zu lassen. Da ist ein Mozart mit seiner eher geringen Anzahl an wirklich bedeutenden Opern [vielleicht 7 an der Zahl] schnell vergessen - Salieri bietet mir knapp 80, Myslivecek immerhin zwei Dutzend... als "Opernkonsument" richtet man seinen Blick dann entsprechend anders aus.


    Die Musikgeschichte braucht gar nicht [neu] geschrieben werden, sie ist da - man muss sie sich nur genau anschauen. Also: Das Licht einschalten!


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Alfred


    Zitat

    Michael Haydn hat nun mal keine Schöpfung und keine Jahreszeiten geschrieben. Er selbst meinte einmal, er wäre imstande ebenso hochwertigen Werke zu schreiben wie sein Bruder Joseph - gäbe man ihm nur die Gelegenheit es zu beweisen.


    Lieber Alfred,


    Michael Haydn HAT ebenso hochwertige Werke wie sein Bruder geschrieben, wenn auch keine Oratorien ! Seine Messen und Trauermusiken jedoch können es mühelos mit den Werken des Bruders aufnehmen. Michael Haydn hatte wohl das "Pech", daß er nicht, wie sein berühmter Bruder, hinaus in die "große weite Welt" ging, sonder aus ÜBERZEUGUNG Kirchenmusiker in Salzburg blieb, und das bei wechselnden Dienstherren, die es ihm wahrlich nicht leicht machten.
    Trotzdem wissen aber "Kenner und Liebhaber" was sie an ihm haben !


    Liebe Grüsse aus dem klirrkalten Berlin !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    schönberg - hauer (letzterer hatte nicht nur 12 jahre früher als schönberg eine zwöftontechnick entwickelt sondern war darin wohl auch viel progressiver!)


    Hallo!


    Ich habe früher auch versucht, gewaltige "Umwertungen" an der Musikgeschichte vorzunehmen nach dem Gesichtspunkt der Progressivität. Heute bin ich mit der "normalen" Sichtweise weitgehend konform, es geht eben nicht darum, wer irgendwo der erste war, sondern wie ers macht.


    Das erste Stück in einer Zwölfton-Schreibweise ist nach heutigem Wissensstand die Zwölftondauer-Musik für Streichtrio von Golyscheff (1915). Es gibt eine umbedingt empfehlenswerte CD, die sich "Streiff Trio 3 - Not 12 Ton" nennt, das Streiff Trio ist verblüffend gut (wenn man den etwas bescheuerten CD-Titel damit vergleicht, wie die Leute spielen). Auch dieses Stück von Golyscheff ist sehr interessant und wirklich gut. (Auf der CD sind ferner das Streichtrio von Schönberg, eins von EI Kahn und eines von Petrassi, noch zwei, die allzusehr im Dunkel stehn!)


    Dennoch, Schönbergs Streichtrio ist sooooo großartig, dass ein Ausspielen der Schattenleute gegen Schönberg ihnen nicht wirklich zum Vorteil gereichen kann!

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