Wider das Vergessen: Unbekannte slawische Meisterwerke (1850-1950)

  • hallo,


    es gibt in der abendländischen kunst sicherlich hunderte großartiger werke, wenn nicht sogar meisterwerke, die 'verschwunden' oder 'unbekannt' geblieben sind oder einfach nicht genügend 'geschätzt' werden.


    im rahmen meiner 'mission' zur (wieder)entdeckung plane ich verschiedene threads, die sich mit diesen werken (bewußt nicht mit einzelnen komponistenportraits) beschäftigen sollen.


    zur begrenzung möchte ich die jahre 1850 bis 1950 einführen; die einzelthreads werden sich zudem auf einzelne länder(gruppen) (wie französische, britische, deutsche/österreichische/schweizerische, italienische/spanische/portugiesische, skandinavische, slawische etc. musik) beschränken.


    welche 'unbekannten' meisterwerke der slawischen musik möchtet ihr der vergessenheit entreißen?


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Nun denn, lieber Jörg!


    So werde ich ein weiteres Mal eine Lanze für Dvoráks 1.Cellokonzert in A brechen: Dvorák - Cellokonzert Nr.1 A-Dur - gänzlich unbekannt?


    Den passenden Thread im Forum gibt es ja schon. Dort habe ich beide Aufnahmen, die ich besitze und die ich überhaupt nur finden konnte, vorgestellt. Genauso findet man dort etwas zur Geschichte des Cellokonzertes.


    Ich will mich nicht großartig wiederholen, deshalb mache ich es kurz.
    Es gibt zwei Fassungen des Konzertes. Einmal die Urfassung für Violoncello und Klavier (Einspielung mit Barta und Cech), welche mir sehr gut gefällt. Mit einer Länge von gut 55min unglaublich lang, aber Dvorák hat es immer wieder geschafft Stimmungswechsel einzubringen und somit ein lebendiges Werk, voller Überraschungen, zu komponieren.
    Dann gibt es noch die Fassung für Orchester, wo Jarmil Burghauser und auch Milos Sadlo etwas nachgeholfen haben. Mit selbigem (Sadlo) ist auch die Aufnahme am Cello, V.Neumann dirigiert. Die Orchesterfassung ist kürzer (gute halbe Stunde) aber genauso aufregend!
    Für mich ganz persönlich ist es total unverständlich, dass dieses Konzert so dermaßen im Schatten des Cellokonzerts Nr.2 in h op.104 von Dvorák steht.


    Kennen lernen lohnt sich auf alle Fälle!!!
    Um euch wieder einmal anzustacheln – diejenigen, die op.104 so sehr lieben, finden bei der einzigen (?) Aufnahme des 1. mit Sadlo eine ebenso fantastische Interpretation des 2.Cellokonzertes.



    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo Jörg,


    dann führe ich den Thread mal noch etwas weiter.
    In der vergangenen Zeit habe ich wieder so einiges von Dvorák kennen gelernt - Werke, die sicher nicht wirklich so bekannt sind. Frühwerke, die ich hier einmal kurz nennen möchte, da ich sie sehr schätze!


    Da wäre einmal die 3.Symphonie Es-Dur op.10 - wunderbar! Welch eine Frische, welch ein Leben steckt da drin.
    Heute möchte ich die 4.Symphonie kennen lernen - ich bin gespannt. Die 5. kommt dann auch in den nächsten Tagen oder Wochen.


    Dann Dvoráks 1.Streichquintett op.1 in a - kennen tue ich noch sein 3. in Es op.97.
    Beides sehr schöne Werke, nur würde ich eher zum 1. greifen, weil es mich mehr ergreifen konnte. Sein 3. dürfte ja eigentlich recht bekannt sein - es lohnt sich auch sein 1.Streichquintett kennen zu lernen! Das kann ich euch versprechen.


    Zu guter Letzt noch ein Streichquartett: 1.Streichquartett A-Dur op.2.
    Sehr schöne Melodien - farbenreich, warmer, fröhlicher Klang.
    Um ehrlich zu sein, stelle ich das Werk zu seinen letzten drei oder gar vier Quartetten. Ganz toll!
    Dagegen gefällt mir sein 4. eher weniger - der Beginn reißt mich noch mit, danach flacht das aber (meiner Meinung nach) ganz schön ab...das 3. war mir beim ersten Hören ganz schön viel, deshalb hat es bisher zu keinem weiteren hören gereicht: gute 55min ist es lang 8o
    Aber wie gesagt, das 1. gefällt mir sehr gut! Nr.3 und 4 brauchen noch etwas Zeit - die werden sie kriegen.


    So, dass soll es gewesen sein.
    Okay, an Aufnahmen kann ich sagen, dass bei der Kammermusik das Panocha Quartet sehr gut geeignet ist. Bei der Symphonie hab ich eine Aufnahme mit dem Symphonie Orchester Prag unter Vaclav Smetacek - hat zwar teilweise klangliche Defizite, aber damit kann man leben (Aufnahme von 1959).


    Liebe Grüße, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

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  • Liebe Taminos!


    Dann möchte ich an einem viel zu verregneten Ostersonntag auch mein Scherflein zu diesem Thread beitragen.
    Da Jörg ausdrücklich um Darstellung bestimmter Werke bat und weniger um Komponistenportraits, werde ich zwei, drei Werke in den Mittelpunkt stellen, die ich jedoch auch als Huldigung an den Komponisten verstanden werden kann.


    Zu Lebzeiten galten sie als das "Triumvirat" des musikalischen Böhmens:
    Bedrich Smetana, Antonin Dvorak und Zdenek Fibich.
    Während die ersten beiden (v.a. Dvorak) dem "musikalischen Bewußtsein" erhalten blieben, geriet Zdenek Fibich (1850-1900) schnell in Vergessenheit. Lediglich sein eher bedeutungsloses Klavierstück "Poème" machte weltweit die Runde als gehobene Salonmusik und ist auch heute noch in etlichen Notenheften präsent.
    Fibich bekannte sich weder zum tschechischen Nationalismus seiner berühmten Landsleute noch zum Deutschtum. Nach seiner Studienzeit in Leipzig war er wohl gleichermaßen von beiden Seiten beeinflußt.
    So läßt sich neben dem Einfluß von Smetana und Dvorak auch der von Mendelssohn ausmachen. So auch in seiner


    Symphonie No. 3 in e-moll Op. 53


    Der erste Satz, Allegro moderato, beginnt mit einer recht düsteren jedoch nicht hoffnungslosen und umso leidenschaftlicheren Einleitung.
    Fibich verwendet hier geschickt mittlere und tiefe Stimmlagen des Orchesters, ohne Gefahr, daß Stimmengewebe zu überladen. Das zweite Thema knüpft in der düsteren Stimmung an das erste an, kämpft sich sozusagen durch das dichte Gestrüpp. Der Satz schließt mit einem lichtverheißenden Ende.


    Der zweite Satz - Adagio - ist eine Orchesterversion von zwei der "Stimmungen" aus Fibichs musikalischem Tagebuch. Sie sind derart geschickt instrumentiert, daß sich keine Spur der Klavierversion erkennen läßt.


    Der dritte Satz besteht aus einem mit Presto überschriebenen Scherzo und einem wesentlich weniger lebhaften Trio (molto meno mosso). Das Scherzo - ein Zwiegespräch von Streichern und Holzbläsern - besticht zunächst vor allem durch seine elfenhafte Leichtigkeit und Keckheit. Es scheint hierin an Mendelssohn zu gemahnen. Das Trio kommt mit einem Stimmungs - und Tempowechsel daher, ehe es wieder vom Scherzo abgelöst wird.


    Der vierte und letzte Satz, Allegro maestoso - Allegro vivace, beginnt ähnlich wie der erste in einem dichten Gestrüpp, dessen Dunkel sich nun jedoch schnell lichtet und eine Polka mit stampfenden Synkopen erscheinen läßt, die in ihrer unbeschwerten Heiterkeit wie ein vertontes "Was kost die Welt?" erscheint. Im Laufe des Satzes schiebt sich noch eine weitere "Stimmung" ein, insgesamt erscheint der letzte Satz jedoch triumphierend und Fibich läßt die Symphonie mit positiver Bestimmtheit enden.


    Diese Symphonie, im Jahre 1899 entstanden, gehört zwar IMO nicht zu den "ganz Großen" in der Gattung des 20. Jh. zumal ihre Sprache in manchen Strecken noch eher romantisch als spätromantisch ist - sie ist jedoch ein wunderschönes Werk, dessen Bekanntschaft sich lohnt und für alle, die sich für slawische/böhmische Musik interessieren, "Pflicht" sein sollte.


    Eine empfehelnswerte Aufnahme findet sich bei Chandos unter Neeeme Järvi.


    LG

  • Ich möchte von der Järvi-Aufnahme entschieden abraten (er hält sich nicht an die Vortragszeichen und macht eine ziemliche Soße draus). Im Radio habe ich dieses sehr schöne Werk einmal viel differenzierter gehört. Was andere CD-Einspielungen als die Järvische betrifft, kann ich leider nichts sagen.

  • Hmm, vielleicht war meine Empfehlung etwas übereilt, zumal ich nur diese Aufnahme kenne. Aber sie hat mir bisher recht gut gefallen - zumindest ist die Soße nicht sooo unbeköömmlich, daß ich sie nicht runter bekommen hätte. Aber so ist das, wenn man vom Besseren nichts weiß und nur das Mittelmaß kennt, ist das Bekannte meist gut.
    Was meinst Du indes genau mit der Behauptung, er würde sich nicht an die Vortragsbezeichnungen halten? An welche??
    Vielleicht sollte ich die Aufnahme nochmal gründlich hören.

  • Ich hatte einmal die Partitur ausgeliehen und da gibt es viel mehr an pianissimo oder crescendo-decrescendo (wenn ich mich richtig erinnere). Järvi läßt vieles weg um im instrumentalen Wohlklang zu baden, dafür macht er bei manchen Höhepunkten crescendo-Effekte hinzu, die nicht vorgesehen sind, und den musikalischen Ablauf eher etwas zerreißen.

  • Fibichs Symphonien gibt's in einer technisch leider nicht taufrischen, aber hinreißend musizierten Einspielung unter Karel Sejna bei Supraphon.

    Järvi ist, nach seinen fabelhaften frühen Aufnahmen, fast immer nur dann empfehlenswert, wenn es keine Alternative gibt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen: Dicke Soße, wenig mehr.

    ...

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