Wider das Vergessen: Unbekannte deutsche/österreichische/schweizerische Meisterwerke (1850-1950)

  • hallo,


    es gibt in der abendländischen kunst sicherlich hunderte großartiger werke, wenn nicht sogar meisterwerke, die 'verschwunden' oder 'unbekannt' geblieben sind oder einfach nicht genügend 'geschätzt' werden.


    im rahmen meiner 'mission' zur (wieder)entdeckung plane ich verschiedene threads, die sich mit diesen werken (bewußt nicht mit einzelnen komponistenportraits) beschäftigen sollen.


    zur begrenzung möchte ich die jahre 1850 bis 1950 einführen; die einzelthreads werden sich zudem auf einzelne länder(gruppen) (wie französische, britische, deutsche/österreichische/schweizerische, italienische/spanische/portugiesische, skandinavische, slawische etc. musik) beschränken.


    welche 'unbekannten' meisterwerke der deutschen/ österreichischen/ schweizerischen musik möchtet ihr der vergessenheit entreißen?


    :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Hallo,
    ein deutsches Werk, das mit Sicherheit keiner kennt, ist die Messe in h-Moll von Carl Borromäus Freiherr von Miltitz, eines Meißener Komponisten der Romantik, der zum Beispiel auch Friedrich de la Motte Fouqué zu seinen engsten Freunden gezählt hat und auf einen Text von ihm ein Oratorium geschrieben hat. Das Werk habe ich über den Meißener Domkantor kennen gelernt, der sich sehr für die Meißener Komponisten eingesetzt hat und vor kurzem sogar einen eigenen Verlag gegründet hat: den Musikverlag Hochstif Meißen, in dessen Reihe "Denkmäler der Tonkunst in Meißen" die Messe erschienen ist. Außerdem gibt es noch andere zahlreiche Motetten, Kantaten und größere Chorwerke und Instrumentalwerke von Meißener Komponisten, die durchaus belebt werden sollten (obwohl man manchmal auch verstehen kann, warum sie es nicht bis zur Weltberühmtheit gebracht haben... :rolleyes: ).
    Die Messe ist für Orchester und Orgel, Soli und vierstimmigen Chor geschrieben und bietet einige Tücken bei der Einstudierung, weil man merkt, dass der Komponist höchstwahrscheinlich nie in einem Chor gesungen hat. Gerade die Fugen sind manchmal sauschwer!


    Mit lieben Grüßen,
    momo


    ps: nur so nebenbei - kennt eigentlich irgendjemand die Vokalwerke von Karl May ? Beziehungsweise... weiß irgend jemand, dass dieser Mann sein Leben nicht nur mit Indianerbüchern, sondern auch mit Knastaufenthalten (und diese nicht zu knapp) verbracht hat, während derer er Werke für Männerchor geschrieben hat?

    "Orgel spielen heißt, einem mit dem Schauen der Ewigkeit erfüllten Willen offenbaren!"
    Charles-Marie Widor

  • Zitat

    Original von momo
    ps: nur so nebenbei - kennt eigentlich irgendjemand die Vokalwerke von Karl May ? Beziehungsweise... weiß irgend jemand, dass dieser Mann sein Leben nicht nur mit Indianerbüchern, sondern auch mit Knastaufenthalten (und diese nicht zu knapp) verbracht hat, während derer er Werke für Männerchor geschrieben hat?


    Als ehemaliger Bewohner seiner Geburtsstadt weiß ich das. Ich hab sogar mal einige dieser Stücke im dortigen Kirchenchor mitgesungen. Die jetzt aber unbedingt dem Vergessen entreißen zu müssen, halte ich nicht für notwendig. :rolleyes:



    :hello:
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Zitat

    Original von salisburgensis


    Als ehemaliger Bewohner seiner Geburtsstadt weiß ich das. Ich hab sogar mal einige dieser Stücke im dortigen Kirchenchor mitgesungen. Die jetzt aber unbedingt dem Vergessen entreißen zu müssen, halte ich nicht für notwendig. :rolleyes:


    Das "Ave Maria" (in memoriam Winnetou... ;( ) und noch ein weiteres Werk gab es mal auf einer Single-Schallplatte (IIRC dir. von Rilling!). Ich habe es aber nie gehört, erinnere mich nur, dass ich es mal irgendwo eigentlich kaufen wollte (Ebay?), es dann aber zu teuer war...
    In der Tat dauert es vermutlich nicht lange, bis dieses thread-Bündel ein thema provoziert wie "Welche Werke/Komponisten sollte man lieber gnädigem Vergessen anheim stellen".... :stumm: :D


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Sie sind schon dem Vergessen entrissen worden...



    :hello:

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Sogar der Kreuzchor trägt seines dazu bei:





    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • jaja, da schreib ich über die messe und alle hängen sich am ps auf :rolleyes:


    @ salisburgiensis
    die cd kenne ich - der organist ist mein orgellehrer... ich bin nicht wirklich der meinung, dass mays werkchen "dem vergessen entrissen" werden müssen. ich wollt's nur mal erwähnen. so toll sind die nicht, das stimmt schon

    "Orgel spielen heißt, einem mit dem Schauen der Ewigkeit erfüllten Willen offenbaren!"
    Charles-Marie Widor

  • Ein anderes Werk das mir heute Abend in der Kirche noch eingefallen ist, wurde von Siegfried Köhler als op. 47 komponiert: Die Ode für Tenor, Horn und Streichorchester auf einen Text von Helmut Reibig. Ich habe es zum ersten Mal an seinem 20. Todestag vor zwei Jahren gehört. Es ist ein wunderschönes Werk, das wirklich wieder belebt werden muss! Von Köhler ist übrigens auch das Lied "Tausend Sterne sind ein Dom".
    Mit lieben Grüßen,
    momo

    "Orgel spielen heißt, einem mit dem Schauen der Ewigkeit erfüllten Willen offenbaren!"
    Charles-Marie Widor

  • hallo, momo, gibt es denn von dieser miltitz-messe eine einspielung?
    inwiefern hälst du sie denn für ein 'meisterwerk'?
    lg :hello:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

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  • Hallo,


    na, dann will ich mal wieder eine Lanze für Wilhelm Petersen brechen.
    Dieser von mir sehr geschätzte Komponist lebte von 1890–1957.


    Ich füge hier mal seinen Lebenslauf von der Webseite des Thiasos-Verlages ein, das erspart mir eine Tipporgie.


    Der Text stammt von Wofgang Mechsner, der zusammen mit Matthias Gräff-Schestag die Wilhelm-Petersen Gesellschaft betreut und auch ein interessantes Buch über Petersen( Wilhelm Petersen, Leben und Werk)
    publiziert hat.


    "Wilhelm Petersen gehört zu den Komponisten des 20. Jahrhunderts, die abseits der Avantgarde ihren eigenen Weg verfolgten. Zwar begleitete er den revolutionären Aufbruch des Expressionismus mit Einsicht in die Notwendigkeit neu zu entwickelnder Ausdrucksformen, fand aber um 1925 nach einer experimentellen Phase am Rande der Tonalität zu einer tonal zentrierten und formal geklärten Tonsprache. Die im tradierten Material noch schlummernden Entwicklungsmöglichkeiten interessierten ihn, wobei der ethische Anspruch seines Komponierens sich an der großen sinfonischen Tradition des 19. Jahrhunderts orientierte. Dabei ging es Petersen weniger um Wiederbelebung eines romantischen Subjektivismus, sondern um Verwesentlichung der Tonsprache durch Besinnung auf das, was er »musikalische Urqualitäten« nannte.


    Knüpfen seine ersten drei mit Opuszahlen versehenen Werke an die symphonische Tradition vor allem Brucknerscher Prägung an, versuchte Wilhelm Petersen in einer kurzen Phase intensiven Schaffens von 1919 bis 1924 sich mit der zeitgenössischen Musiksprache auseinanderzusetzen. Von diesen stark dissonierenden, freilich niemals die Tonalität verlassenden Werke mit stark polyphoner Faktur beließ Petersen jedoch nur seine 2. Symphonie op. 4, das Streichquartett op. 8 und ein Werk für Violine und Klavier op. 11 in ihrer ursprünglicher Gestalt, während andere Werke dieser Phase entweder umgearbeitet oder ganz aus dem Werkverzeichnis herausgenommen wurden. Die Werke nach der »Umrichtung des Schaffens« um 1925, wie Petersen es nannte, spiegeln das Bestreben des Komponisten, »den persönlichen Ausdruck gegenüber objektiver Gestaltung zurücktreten zu lassen«. Ein wiedergewonnenes Verhältnis zu einer individuell erweiterten Harmonik wurde bestimmend: »Tonalität als formbauende Kraft gewann wieder Bedeutung für mich, Chromatik und hochgesteigerte Linearität wurden zugunsten einer klareren Klangform vereinfacht.«


    Nach erfolgreichen Uraufführungen seiner ersten beiden Symphonien zu Beginn der Zwanziger Jahre hatte Petersens Namen in Deutschland einen guten Klang. Sein kompositorisches Können und die Wahrhaftigkeit seiner Aussage wurden nie bezweifelt; freilich fand man ihn abseits der geschichtsträchtigen Richtungen. So zählen zu den wenigen Höhepunkten seines öffentlichen Wirkens die Uraufführungen seiner Großen Messe op. 27 unter Karl Böhm (1930) und seiner Oper Der Goldne Topf (1941). "


    Die erwähnte "Große Messe" liegt in einer sehr guten Einspielung aus Mainz auf dem Label "Wergo" auf CD vor.


    Ausgesprochen empfehlen möchte ich auch die CD mit seinen Liedern, beim Label "Eigenart" erschienen und wirklich meisterhaft von
    Hans Christoph Begemann, Bariton und Matthias Gräff-Schestag, Klavier interpretiert.


    Sein Klavierkonzert, ein Werk, welches ich persönlich ungemein liebe, existiert leider nur in einer alten Rundfunkaufnahme.Wie sehr würde mich eine Neuaufnahme freuen....
    Seine 4.Sinfonie existiert leider ebenso nur in einem alten Rundfunkmitschnitt, der natürlich auch nie gesendet wird..........


    Hoffentlich findet die von der Petersen-Gesellschaft geplante Ersteinspielung aller vier Sinfonien wirklich statt, das Notenmaterial wird m.W. gerade erstellt.
    Ich persönlich werde auch versuchen, etwas zum Kennenlernen der Musik Petersens beizutragen, und zwar plane ich im Zusammenhang mit einer CD-Aufnahme im Mai nächsten Jahres seine Violinsonate Nr.1 in der vom Komponisten authorisierten Fassung für Violoncello aufzunehmen.
    Endgültig entscheide ich dies allerdings erst nach eingehendem Studium des Werkes(mal sehen, ob das wirklich alles funktioniert mit Cello...)


    Zu den Höhepunkten seines Kammermusikschaffens gehört natürlich sein vielleicht überzeugendstes Werk, das Klavierquartett c-Moll.
    Dieses Werk existiert leider bisher nur in einer alten Schallplattenausgabe mit dem Günter Kehr-Trio und Jaqueline Eymard, Klavier.
    Auch hier wäre eine Neuaufnahme m.E. mehr als überfällig!

    Zum Schluß möchte ich nochmals gerne auf den Thiasos-Verlag, der sich sehr um übersehende deutsche Komponisten kümmert, sowie auf die in Darmstadt ansässige Wilhelm-Petersen-Gesellschaft hinweisen.


    Viele Grüße,


    Michael

  • Hallo klingsor,
    ich hab von der Messe nur eine Einspielung von der Wiederaufführung, das war 2004 oder so. Die ist in der Dresdner Hofkirche entstanden, während einer Messe, und naja... der Mitschnitt ist nicht so toll. Man kann die Messe auch nicht wirklich als Meisterwerk bezeichnen - mal ehrlich, dann wäre sie ja nicht unbekannt! Das Kyrie ist reinste Freude am Singen, wenn auch harmonisch manchmal etwas... unerwartet :)
    Die anderen Teile sind für mich nicht mehr so lebendig, das ist alles zu lange her. Eher ein Meisterwerk ist die Ode, die ich etwas weiter oben angesprochen habe. Aber bis jetzt ist weder die Partitur im Hochstiftverlag Meißen erschienen, noch gibt es eine Einspielung. Aber in 10 Jahren, wenn ich dann Kirchenmusiker bin, wird das was :D
    Mit lieben Grüßen,
    momo

    "Orgel spielen heißt, einem mit dem Schauen der Ewigkeit erfüllten Willen offenbaren!"
    Charles-Marie Widor

  • Es erhebt sich immer die Frage, wie man "unbekannt" oder "vergessen" definiert.


    Es gibt viele Komponisten, die namentlich bekannt sind, aber es gibt kaum Aufführungen oder Auifnahmen von ihren Werken.



    Ich möchte an dieser Stelle beispielsweis die Sinfonien von Joachim Raff erwähnen, die erst seit einigen Jahren duch die Tonträgerindustrie (Marco Polo, jetzt unter Naxos wiederveröffentlicht und TUDOR) einem breiten (Klassik-)Publikum näher gebracht wurden.


    An einer Serie, die die Werke dieses Komponisten zum Thema hat, wird grade erst gearbeitet.....


    LG


    Aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Willy Burkhard: Violinkonzert op.69
    Emile Jacques-Dalcroze: Violinkonzert Nr.1, op.50


    Joseph Matthias Hauer: Violinkonzert op.54
    Egon Wellesz: Violinkonzert


    Wolfgang Fortner: Violinkonzert


    Die schweizerischen Werke, die mir gefallen und eher unbekannt sind, sind melodische Werke undleicht eingängig.
    Aus Österreich gefallen mir da eher die etwas sperrigen Werke.
    Tja, und deutsche Werke, die gut sind und noch niemand kennt? Da gibts nicht viel. Die guten Sachen kennt man. Vielleicht ist der Fortner für den ein oder anderen noch eine Empfehlung.

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  • Hallo (damit Du Dich nicht langweilst ...)


    Das Hauer-Violinkonzert habe ich in jugendlichem Übermut einmal geübt, auch mit Klavierbegleitung streckenweise im Unterricht durchgespielt, habe dann aber Weberns Stücke für Violine und Klavier gespielt.


    Fortner interessiert mich sehr, CD-mäßig beschränkt es sich momentan auf die Bluthochzeit-Zwischenspiele, ich werde aber noch Kammermusik bestellen.


    Diese beiden sind auf jeden Fall wirklich gute Komponisten!


    Das Wellesz-Konzert habe ich tatsächlich auf CD (ein kurzes, klein besetztes Stück - oder ist das ein anderes?), ist auch nicht schlecht, die Schweizer kenne ich nur lexikalisch bzw. gar nicht ...


    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Das Wellesz-Konzert habe ich tatsächlich auf CD (ein kurzes, klein besetztes Stück - oder ist das ein anderes?)


    Da meinst du vermutlich die Suite für Violine und Kammerorchester. Gabs mal auf einer CD zusammen mit dem Violinkonzert von Rudi Stephan und noch was. Herr Tönz spielt die Geige. An das Stück kann ich mich - ehrlich gesagt - gar nicht mehr erinnern.
    Das Violinkonzert ist auch mal auf CD erschienen. Gibts wahrscheinlich noch irgendwo. Wie gesagt, das ist zu empfehlen.