Wunderbar...aber das Scherzo und das Finale!?

  • Liebe Musikfreunde,


    auf dieses Thema komme ich durch einen anderen Thread über ein Quintett. Ich schrieb, dass mir die ersten beiden Sätze sehr gut gefallen, die letzten beiden Sätze mit den ersten beiden allerdings nicht mithalten können. So ist für mich der Genuss des Gesamtwerks getrübt. Johannes Roehl, der das Gesamtwerk verteidigte, antwortete völlig richtig:


    Zitat

    und dass der Scherzo/Menuett-Satz und das Finale weniger gewichtig sind, ist in Klassik und auch Romantik ja sehr häufig der Fall.


    Beobachtet oder empfindet Ihr das auch so? Und falls ja, wie geht Ihr damit um (Das ist halt so, deshalb macht das nichts / In diesen Fällen höre ich nur die ersten beiden Sätze / Das macht mir das ganze Werk kaputt, schade um die schönen Sätze / oder wie sonst)? Habt Ihr Beispiele?


    Danke und Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Schumann, 3. Sinfonie: der erste Satz ist großartig, der zweite auch, der 4. zumindest interessant, aber der 5. und das kleine Andante (3.) fallen zum einen in dieser Umgebung ab, zum anderen will irgendwie kein Ganzes aus dem Stück werden


    Ein Kandidat mit Einschränkung: Schubert, 9. Sinfonie; ich finde Scherzo und Finale nicht schlecht, nur je um ca. 30-50% zu lang...
    (Ähnlich gehts mir bei verschiedenen Schubert-Werken, meistens ist nicht Menuett/Scherzo, sondern Finale der unbeliebte Satz (VIEL ZU LANG und es passiert nichts); ich müßte jetzt aber Stücke nochmal hören, um zu sagen, welche Sonaten und Kammermusikstücke das genau sind)


    Bruckner,
    4. Sinfonie. Er hat auch besseres als den ersten Satz geschrieben, aber die beiden ersten Sätze gefallen mir dennoch recht gut, der Rest kann mir gestohlen bleiben...
    6. Sinfonie. Die drei ersten Sätze gehören zu meinen Lieblingsstücken von Bruckner, Finale dagegen :wacky:
    Kaum ein Scherzo von Bruckner (mit Ausnahme der 9.) ist für sein Material kurz genug. Besonders schlimm, trotz des schönen Trios, das der 8., eine Geduldsprobe...


    Tschaikowsky: 4. Sinfonie (siehe im dortigen thread) Kopfsatz und Finale teils unerträglicher Bombast, Mittelsätze sehr schön. In der 5. ist der erste Satz besser, das Finale ebenfalls nervig


    Beethoven: Sonate e-moll, op. 90. 2. Satz (Proto-Schubert) und noch mal das Rondothema, und nochmal, zum zigsten Mal...


    Das mag reichen; es gibt natürlich viele Stücke, in denen man einzele Sätze etwas weniger mag, aber doch immer noch genug, um nicht wirklich zu Skip-taste (ich habe keine Fernbedienung für Hifi!) zu langen.


    Was ich mache? Ich höre meistens doch das ganze Stück, oder fange dann eben bei den weniger geschätzten Sätzen an zu lesen o.ä.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Ein Kandidat mit Einschränkung: Schubert, 9. Sinfonie; ich finde Scherzo und Finale nicht schlecht, nur je um ca. 30-50% zu lang...
    (Ähnlich gehts mir bei verschiedenen Schubert-Werken, meistens ist nicht Menuett/Scherzo, sondern Finale der unbeliebte Satz (VIEL ZU LANG und es passiert nichts); ich müßte jetzt aber Stücke nochmal hören, um zu sagen, welche Sonaten und Kammermusikstücke das genau sind)


    Salut,


    das sieht jemand aber ganz anders:


    Auf den Spuren von Beethoven? - Franz Schubert: Sinfonie Nr. 9 C-Dur, D 944 "Die Große" [Schubert VIII,4]


    Mir erging es eine Zeit lang bei den italienischen Opern des 18. Jahrhunderts so, dass mir ein "richtiger" Schluß fehlte. Als ich anfing, Mozarts Leidgenossen zu entdecken und somit auch quasi "zeitgenössische" Opern, fiel mir auf, dass die Finali des letzten Aktes häufig nur wenige Sekunden andauern.


    :motz:


    Dann aber las ich, dass der Höhepunkt der Oper dieser Zeit am Ende des 1. Aktes zu suchen war [das ist nachvollziehbar, z.B. Martín y Soler: Cosa rara: grandios!] und dass die Finali des 2. bzw. 3. Aktes kurz und knackig zu sein hatten. Schon war ich ausgesöhnt, mittlerweile gefällt es mir.


    Bei den Sinfonien hingegen ist es sehr unterschiedlich: Mal baut sich von Satz zu Satz [Menuett lassen wir mal weg] ein Spannungsbogen auf - es wird also immer "besser" [Mozart: A-Dur-Sinfonie KV 201, Es-Dur-Sinfonie KV 543, C-Dur-Sinfonie KV 551] und mal sind die Sinfonien "im italienischen Stil" = also an die Ouvertüren angelehnt. Da sind dann die Finali auch extrem kurz und knackig. Man muss eben wissen, was man hört... Müssen tut man es nicht, aber es ist doch leichter.


    Gerade bei Schuberts D944 spannt sich doch ein Bogen über alle Sätze, oder? Die Sinfonie beginnt mit einem leise rufenden Thema [...Abkürzung...] das Finale wird durch eine Fanfare angekündigt, die meint: Obacht gebn! Es geht los! :D


    :hello:


    Cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo!


    Erstmal @ JR:


    Zitat

    Ein Kandidat mit Einschränkung: Schubert, 9. Sinfonie; ich finde Scherzo und Finale nicht schlecht, nur je um ca. 30-50% zu lang...
    (Ähnlich gehts mir bei verschiedenen Schubert-Werken, meistens ist nicht Menuett/Scherzo, sondern Finale der unbeliebte Satz (VIEL ZU LANG und es passiert nichts); ich müßte jetzt aber Stücke nochmal hören, um zu sagen, welche Sonaten und Kammermusikstücke das genau sind)


    Ich sehe das bei Schubert genau umgekehrt. IMO komponiert er sehr ausgeglichen. Bei seinen Symphonien, Klaviersonaten und der Kammermusik sehe ich alle Sätze in etwa "auf gleicher Höhe". Insbesondere finde ich Scherzo und Finale der "Großen" großartig.
    Ich weiß, Du schätzt seine Klaviersonaten-Schlußsätze nicht besonders, ich aber schon.
    Ausnahmen bestätigen die Regel (dem genialen Kopfsatz von D 845 z.B. folgt IMO nichts gleichwertiges).


    Zitat

    Tschaikowsky: 4. Sinfonie (siehe im dortigen thread) Kopfsatz und Finale teils unerträglicher Bombast, Mittelsätze sehr schön. In der 5. ist der erste Satz besser, das Finale ebenfalls nervig


    Also ich finde das Finale von Tschaikowskys Fünfter supertoll, immer wieder mitreißend. Dafür halte ich den dritten Satz für überflüssig...


    Zitat

    Beethoven: Sonate e-moll, op. 90. 2. Satz (Proto-Schubert) und noch mal das Rondothema, und nochmal, zum zigsten Mal...


    Bei Beethoven ärgere ich mich immer wieder, wie inhomogen seine Sonaten sind. Genialem 1. Satz folgt schwacher 2. Satz oder umgekehrt... und das vielfach.
    Auch außerhalb der Sonaten gibt es dieses Phänomen: IMO können 3. und 4. Satz der "Eroica" nicht mit den ersten beiden mithalten. Die "MIssa solemnis" ist IMO auch so ein Fall.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Mein Gott, muss das ein gutes Gefühl sein, Leute wie Beethoven, Schubert und Tschaikowsky einmal so richtig zurechtstutzen zu können... ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Zitat

    Original von Theophilus
    Mein Gott, muss das ein gutes Gefühl sein, Leute wie Beethoven, Schubert und Tschaikowsky einmal so richtig zurechtstutzen zu können... ;)


    Ja,


    ich finde es angebracht, wenn sich die Herren dazu hier einmal äußern könnten. Man muß doch zu dem stehen, was man verzapft hat... also, bitte!


    :rolleyes:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Pius
    Erstmal @ JR:


    Ich sehe das bei Schubert genau umgekehrt. IMO komponiert er sehr ausgeglichen. Bei seinen Symphonien, Klaviersonaten und der Kammermusik sehe ich alle Sätze in etwa "auf gleicher Höhe". Insbesondere finde ich Scherzo und Finale der "Großen" großartig.
    Ich weiß, Du schätzt seine Klaviersonaten-Schlußsätze nicht besonders, ich aber schon.


    Es ist vielleicht nicht so einfach klarzumachen, was ich meine. Ich finde diese Sätze in den wenigsten Fällen schlecht. Ich finde sie häufig zu lang, zu breit und zu repetitiv, "unkonzentriert", "statisch" (wobei auch ein zielloses homogenes Rasen statisch wirken kann). Natürlich sind das allgemeine Merkmale von Schuberts (und Bruckners) Stil in fast allen ihren Sätzen :D. In einem langsamen Satz habe ich naturgemäß keine Probleme damit. In einem Scherzo nur, wenn es zu lang ist. Von einem Finale erwarte ich aber irgendwann mal etwas anderes als Neuauflagen von breiten Rondo-Sätzen, aufs Doppelte ausgedehnt wie die Beethovenschen Vorbilder (z.B. in op.2,2; op. 7, op. 22, op. 90 auch hier schon nicht gerade meine Favoriten). Länge bringts nur, wenn da auch was passiert.
    Das Finale der 9. ist allerdings in meiner Gunst schon gestiegen, früher mochte ich es überhaupt nicht. Ich sehr inzwischen ein, dass es verglichen mit anderen Schubert-Finali ein sehr gelungener Satz ist.
    Vermutlich widerstreitet es einfach Schuberts Stil, aber ich stelle mir manchmal vor, dass er wenn er länger gelebt hätte, vielleicht zu einer etwas konzentrierteren Schreibweise gefunden hätte.


    Zitat

    Also ich finde das Finale von Tschaikowskys Fünfter supertoll, immer wieder mitreißend. Dafür halte ich den dritten Satz für überflüssig...


    Ich habe mich in diesem thread dort noch nicht geäußert (bei der 4. hatte Norbert netterweise exakt meine Einwände vorweggenommne, das ich nur "ich auch" sagen mußte), weil ich fairerweise das Stück nochmal anhören wollte. Als ich 15 war, dürfte das meine Lieblingssinfonie gewesen sein, besonders eben auch das "Western-Finale", zwischendurch war es eines der Hassobjekte schlechthin, scheint alles zu verkörpern, was bei Tschaikowksy an abgeschmackten Klischees auftritt...Inzwischen meine ich doch zu einem fairem Urteil gekommen zu sein; ich höre die Sinfonie demnächst nochmal und äußere mich an im passenden thread.


    Zitat

    Bei Beethoven ärgere ich mich immer wieder, wie inhomogen seine Sonaten sind. Genialem 1. Satz folgt schwacher 2. Satz oder umgekehrt... und das vielfach.
    Auch außerhalb der Sonaten gibt es dieses Phänomen: IMO können 3. und 4. Satz der "Eroica" nicht mit den ersten beiden mithalten. Die "MIssa solemnis" ist IMO auch so ein Fall.


    Aargh! Ketzerei! :evil:
    ich finde sehr wenig inhomogene Werke bei Beethoven, vielleicht ein paar der frühen Klaviersonaten, aber auch da ist es meist so, dass ein Werk insgesamt eben leichteren Gewichts ist (z.B. op. 10,2; op. 14), immer aber ausgewogen.
    Was stimmt an der Missa Solemnis nicht? Häresie!
    Auch im Falle der Eroica halte ich das für ein häufiges Fehlurteil. Im Unterschied zu Bruckner hält Beethoven in der Eroica noch an der "klassischen" Maxime fest, dass der sehr deutliche Schwerpunkt eines Werks in Sonatenform im Hauptsatz liegt. Am Scherzo kann man m.E. gar nichts einwenden; es ist fast doppelt so lang wie die der ersten beiden Sinfonien, daher den Proportionen der ersten beiden Sätze völlig angemessen. (Ein Kardinalfehler von Schubert und Bruckner ist gerade, dass sie häufig Scherzi aufblähen, ohne konstrastierendes Material oder wirklich "durchführende" Abschnitte, wie Beethoven in der 9. einzuführen, sondern einfach nur durch mehr vom selben)
    Das Finale ist ein Experiment, das viele aufgrund der Varationenform zu locker, leichtgewichtig oder etwas ziellos aneinandergereiht finden (wie unter solch scharfen Kriterien indes irgendein Schubert-Finale Bestand haben soll, ist mir schleierhaft....) Ich empfand das noch nie so, kann es anhand der ersten zwei oder drei Variationen allerdings verstehen. Dennoch finde ich (wie in der 9.) diesen "minimalistischen" Anfang, bei dem man sozusagen das Entstehen der Musik aus elementaren Bestandteilen einfachster Art, inklusive der sehr einfachen ersten Variationen, miterlebt, außerordentlich faszinierend. Obwohl ich poetische Deutungen eigentlich für absurd halte, finde ich die Idee, das Finales (vielleicht auch schon das Scherzo) als eine Art heroisches Spiel zu verstehen, (etwa in der Art, wie in der Ilias Wettkämpfe zu Ehren der gefallenen Helden abgehalten werden) nach "Kampf" und Trauermarsch, nicht unattraktiv...


    viele Grüße


    JR

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  • Tja, mancher überspringt eben solche Kinkerlitzchen wie Karajan, Solti oder Harnoncourt zurechtzustutzen und geht gleich ans Eingemachte :D


    Im Ernst: Wir können uns jetzt gemeinsam in verbalen Variationen von :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: bei allen berühmten Komponisten sowei den armen, unterschätzten "Kleinmeistern" übertreffen. Aber das wäre doch ein bißchen langweilig, oder?
    Solange man keine völlig unbegründete Polemik austauscht, sondern zu artikulieren versucht, was einen an einem bestimmten Stück nicht paßt, kann das doch letzlich nur für ein besseres Verständnis (sowohl dessen, was man schätzt, als auch dessen, mit dem man Schwierigkeiten hat) förderlich sein.


    viele Grüße


    JR

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  • Zwei Beispiele aus der Klavierliteratur:
    Schubert B-Dur D960: Spielt man den Kopfsatz mit Wiederholungen oder nicht? Die meisten tun es, Brendel inzwischen nicht mehr, weil er der Meinung ist, dass ein auf nahezu 20 Minuten gedehnter Kopfsatz zu dominant gegenüber den drei anderen Sätzen wäre - die sind zusammen genommen auch nicht länger. Anderseits: Der Kopfsatz ist das Wunder dieser Sonate, quasi auskomponierte Unendlichkeit - er beherrscht die Sonate, darf also m.E. ruhig "wichtiger" genommen werden. (Das heißt keinesfalls, dass die Folgesätze schwach wären)


    Anderes Beispiel: ein weiteres "Sonatenmonster", Beethovens Hammerklaviersonate: Hier ist jeder Satz ein dramturgischer Höhepunkt - Das Eingangsallegro und die Schlussfuge sind bezüglich ihrer äußeren Abmessungen und in ihrer inneren Gespanntheit gleichgewichtig. Das Adagio ist die vollendete träumerische Gegenwelt dazu und das Scherzo übernimmt eine Brückenfunktion. Wenn ich die Hammerklaviersonate höre, habe ich (auch bezüglich der Satzfolge) stets das Gefühl, dass sie eine "Idealkonstruktion" ist. Die einzelnen Sätze funktionieren nicht ohne einander - das allerdings ist allen späten Beethoven-Sonaten zu eigen, da die Sätze nicht selten durch Überleitungen oder sich wiederholende Motive miteinander verknüpft.
    LG!
    Daniel

  • Hallo,


    mein rein subjektives Empfinden bei den meisten Werken ist, dass ich besondere Probleme mit den langsamen Sätzen habe.
    Es gibt nur wenige Ausnahmen, mir fällt eigentlich immer zuerst der langsame Satz aus dem Violinkonzert von Elgar ein, der mir schon nach dem ersten Hören sehr ans Herz gewachsen ist.
    Aber bei den meisten Werken harre ich geduldig aus und warte auf das Scherzo oder auf das Finale.
    Langsame Sätze kann ich mir auch nicht gut im Kopf behalten, so dass ich sie stets ansummen könnte, wo es bei den anderen Sätzen des Werkes sofort gehen würde.


    Vielleicht ist das aber auch so eine Art Vorurteil, den ich in mir habe, dass langsam auch gleich langweilig ist. Ich muss in der Hinsicht an mir arbeiten.



    Gruß, Peter.

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  • Hallo,


    Zitat

    Mein Gott, muss das ein gutes Gefühl sein, Leute wie Beethoven, Schubert und Tschaikowsky einmal so richtig zurechtstutzen zu können...


    Zitat

    ich finde es angebracht, wenn sich die Herren dazu hier einmal äußern könnten. Man muß doch zu dem stehen, was man verzapft hat... also, bitte!


    Meine lieben Herren, ich glaube nicht, dass diese Kritik das trifft, was eigentlich gemeint ist. Niemand macht doch hier, wie ich es einschätze, auch nur den geringsten Versuch, einen der großen Meister zurechtzustutzen, niemand hat hier etwas verzapft.


    Es mag ja sein, dass der eine oder andere Musikfreund sämtliche Werke der großen Meister als definitiv homogen und sämtliche Sätze der Werke dieser Meister als absolut gleichwertig und gleichschön empfindet. Mir geht das nicht bei allen Werken so. Ich habe vor kurzem wieder das erste Streichquartett von Smetana gehört. Der erste Satz hat eine wunderbare Atmosphäre, geschmeidige Melodien. Der dritte Satz, das Largo, fließt sehr angenehm mit schönen Melodiebögen vor sich hin. Aber: der zweite und vierte Satz können für mein Empfinden überhaupt nicht mithalten. Ich finde die Melodien in Verbindung mit dem Rhytmus völlig langweilig, kitschig; sie gehören auf den Jahrmarkt. Damit meine ich keinesfalls die Technik, die handwerkliche Qualität, was ich wegen meiner mangelnden Vorbildung auch gar nicht genügend beurteilen kann. Wohl aber kann ich empfinden. Mir ist bis heute noch kein Musikstück, das als unumstößliches Gesetz komponiert wurde, begegnet. Dann würden wir auch keine Musikstücke bewundern und genießen, sondern anbeten.


    Und jetzt eine gewagte Aussage; Mein Lieblingskomponist Beethoven hat sehr viele wunderbare Sachen geschrieben, aber manche gefallen mir auch nicht so gut; ufff, das musste mal raus.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof



    Meine lieben Herren, ich glaube nicht, dass diese Kritik das trifft, was eigentlich gemeint ist. Niemand macht doch hier, wie ich es einschätze, auch nur den geringsten Versuch, einen der großen Meister zurechtzustutzen, niemand hat hier etwas verzapft.


    Salut,


    ich glaube, was meine Anmerkung betrifft, so liegt hier ein Missverständnis vor. Mit den "Herren" meinte ich die Herren Komponisten.


    ;)


    Grüßle
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Ulli


    das hätte ich mir auch gleich denken können. Vor lauter Sätzen versteht man die Sätze nicht mehr!


    Zurückgrüßle,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Nein, es war in der Tat etwas ungeschickt von mir. Man soll mit Worten nicht sparsam sein.


    :O


    Zurückzurückgrüßle
    Ulli

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo,


    im Tschaikowsky-Thread zur Sinf.Nr.4 war ich schon einigermaßen verwundert, daß es Musikhörer gibt, die nur den 2. und 3.Satz hören und den Rest öfter weg lassen (in diesem Beispiel bei mir genau umgekehrt).
    Ein anderes Beispiel kam mit Tschaikowsky´s Sinf.Nr.5 - 4.Satz --- ich warte geradezu auf diesen Satz, wenn ich die Sinfonie höre (ich freue mich schon auf die Mrawinsky-DG-Aufnahme, die ich noch nicht kenne).


    Mir geht manchmal auch so, wie petemonova über langsame Sätze schreibt:

    Zitat

    Aber bei den meisten Werken harre ich geduldig aus und warte auf das Scherzo oder auf das Finale.


    Ich sehe die Sinfonie allerdings immer als Ganzes und so höre ich das Werk auch meistens ohne einen Satz auszulassen.
    Doch gibt es öfter langsame Sätze, die zum ausharren gut genug sind und ich freue mich erwartungsvoll auf das was danach kommt (man weis ja was einen danach erwartet).
    Allerdings gibt es auch unheimlich packende langsame Sätze z.Bsp. bei Beethoven, Bruckner, Schostakowitsch u.v.m.


    Ein Negativbeispiel - gerade aktuell im Elgar-Thread: Die langsamen Sätze der Elgar-Sinfonien animieren geradezu zum Griff zur Fernbedienung.


    ------------------------------------------


    Hallo Ulli,


    Deine Satz, das sich die Herren mal äußern sollen, verstehe ich nicht.
    Wie sollen sich die verstorbenen Herren äußern ?
    Kein Wunder das Uwe das auch mißverstanden hat.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Mir geht das nicht bei allen Werken so. Ich habe vor kurzem wieder das erste Streichquartett von Smetana gehört. Der erste Satz hat eine wunderbare Atmosphäre, geschmeidige Melodien. Der dritte Satz, das Largo, fließt sehr angenehm mit schönen Melodiebögen vor sich hin. Aber: der zweite und vierte Satz können für mein Empfinden überhaupt nicht mithalten. Ich finde die Melodien in Verbindung mit dem Rhytmus völlig langweilig, kitschig; sie gehören auf den Jahrmarkt.


    Es ist aber schon ein recht mitreißender Jahrmarkt... Meines Wissens soll genau so etwas dargestellt werden (Aus meinem Leben" die Unbeschwertheit der Jugend oder so); ich habe das Stück jetzt länger nicht gehört, meine aber, dass dieser Satz die Scherzoposition gut ausfüllen kann. Der vierte Satz schildert, vermutlich eine einmalige Sache in der Musikgeschichte, das Hereinbrechen der Taubheit (dieser sehr hohe ausgehaltene Ton), wenn man es weiß, ein erschütternder Moment.
    Kennst Du Smetanas 2. Quartett? Ein ziemlich erstaunliches Stück, kling teils fast schon wie Janacek.


    Zitat


    Dann würden wir auch keine Musikstücke bewundern und genießen, sondern anbeten.


    Eben.


    Zitat


    Und jetzt eine gewagte Aussage; Mein Lieblingskomponist Beethoven hat sehr viele wunderbare Sachen geschrieben, aber manche gefallen mir auch nicht so gut; ufff, das musste mal raus.


    Oft muß man Stücke im Zusammenhang sehen. Bei Beethoven z.B. haben oft Sätze, die niemals allein stehen könnten, für sich betrachtet, flach, simpel oder trivial wirken, im Zusammenhang einen Sinn (z.B. das kurze alla marcia in op. 132).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    Zitat

    Es ist aber schon ein recht mitreißender Jahrmarkt... Meines Wissens soll genau so etwas dargestellt werden (Aus meinem Leben" die Unbeschwertheit der Jugend oder so)


    Das ist wohl wahr; inhaltlich-erzählerisch gesehen ist die Beschreibung seiner "Lebensstationen" wohl auch sehr gelungen. meine Zurückhaltung bei spielerischen Scherzi, Tanzmusiken, Feuerwerksmusik etc. ist, wie ich bereits sagte, keinesfalls ein Bedenken der Qualität, sondern: ich höre so etwas nicht gerne, es entspricht einfach nicht meinem Geschmack, langweilt oder stört mich (gilt auch für den 2. Satz von Smetanas zweitem Streichquartett, dessen Melodie mich höchstens zum Hüpfen anzuregen vermag; ansonsten ist bei diesem Quartett aber in der Tat eine Entwicklung der Sprache zu sehen).


    Umso bemerkenswerter ist auch für mich, was Johannes richtig anspricht:


    Zitat

    Bei Beethoven z.B. haben oft Sätze, die niemals allein stehen könnten, für sich betrachtet, flach, simpel oder trivial wirken, im Zusammenhang einen Sinn (z.B. das kurze alla marcia in op. 132).


    Z.B das "alla marcia": warum liebe ich diesen Satz, genauso wie alle anderen Sätze dieses Quartetes gleichermaßen sehr? Die eine Begründung hat Johannes gegeben: er ist wunderbar eingebettet in das Gesamtwerk.


    Für mich gibt es aber auch noch einen zweiten Grund: Diesen Grund kann ich allerdings nicht in Worte fassen, weil ich ihn, ehrlich gesagt, gar nicht verstehe, sondern nur fühle. Ich möchte ihn ausdrücken in einer Frage: Warum wirkt der Satz nicht trivial auf mich, obwohl seine Sprache, seine Melodieführung, eher trivial ist? (Man möge meine Bezeichnung "trivial" nicht auf die Goldwaage legen, eine passendere Bezeichnung fällt mir z.Zt. nicht ein). Nein, dieser Satz ist wunderbar, das ganze Quartett ist wunderbar und homogen. Und so geht es mir mit allen Werken und Sätzen beim späten Beethoven: die Sprache ist so einfach und locker, aber es klingt so tief, so wichtig und ausgeglichen!


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Da bin ich aber froh, daß auch andere dieser Meinung sind. Genau deshalb boykottiere ich Schubert Sonaten, weil ich die Schlußsätze nicht aushalte.


    Vielleicht braucht man so etwas wie Mut zur Banalität, zum Gewöhnlichen, um diese Rondos zu spielen.


    Ist es beabsichtigt, nachdem man den Hörer in 1. und 2. Satz "beansprucht" hat, ihm dann leichte Kost zum Ausklang vorzusetzen? Als "Dessert" kann ich mir diese Finali vorstellen, aber spielen will ich sie deshalb nicht - IMO hört es das Publikum, wenn ein Interpret ein Stück nicht mag.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Zitat

    Original von tastenwolf
    Da bin ich aber froh, daß auch andere dieser Meinung sind. Genau deshalb boykottiere ich Schubert Sonaten, weil ich die Schlußsätze nicht aushalte.


    Vielleicht braucht man so etwas wie Mut zur Banalität, zum Gewöhnlichen, um diese Rondos zu spielen.


    Was hältst Du von ähnlichen Sätzen bei Beethoven: op.2,2; op.7, op. 14,1, op. 22, op. 31,1, op.90 (immer Finale)?
    Ein so harsches Verdikt würde ich nicht fällen; zudem finde ich einige der früheren Finalsätze sehr schön und auch nicht zu lang (etwas in D664 und D784)


    Zitat


    Ist es beabsichtigt, nachdem man den Hörer in 1. und 2. Satz "beansprucht" hat, ihm dann leichte Kost zum Ausklang vorzusetzen? Als "Dessert" kann ich mir diese Finali vorstellen, aber spielen will ich sie deshalb nicht - IMO hört es das Publikum, wenn ein Interpret ein Stück nicht mag.


    Schuberts Sonaten (u. Kammermusik) sind sicher zum allergrößten Teil nicht als Konzert-, sondern als mehr oder weniger private "Schubertiaden"-Musik gedacht. Zum guten Teil mag ihr außerordentlich breit und entspannt angelegter Charakter daher stammen.
    Wenn ich mich etwas aus dem Fenster lehnen wollte, würde ich behaupten, dass selbst Schuberts späte Werke, so großartig sie sein mögen, noch teils "Übergangscharakter" haben: Besonders in den Finalsätzen hat er die ihm eigentlich entsprechende Form (was immer die genau sein mag: 9. Sinfonie, G-Dur-Quartett und Quintett sind ihr vielleicht näher als die breiten Rondos der Klaviersonaten) noch nicht gefunden und muß sich mit dem behelfen, was er im Griff hat, verleiht ihm Gewicht, indem er es verbreitert und mit Kontrasten anreichert.

    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Hallo Uwe,


    ein verblüffendes Thema, aber es hat was! Ich erkläre mir die Schwierigkeiten mit diesen Sätze mit der Herausbildung der Sonate. Bei den jeweils 3 Sätzen etwa bei Vivaldi ist die Bedeutung des letzten Satzes vollkommen klar. Seit aber der die Komponisten ihren jeweiligen Gedanken, den sie mit einer Sinfonie sagen wollen, in den ersten Satz legen, musste die Rolle der anderen Sätze neu gefunden werden.


    Vielleicht sollten auch einmal gelungene Beispiele genannt werden: Allen voran steht für mich der 4. Satz aus Beethovens 4. Sinfonie. Diese Qualität hat niemand anders als er selbst wieder erreicht in seiner 7. Sinfonie.


    Und ich gebe gern zu, dass ich mich auch oft freue, wenn es einem Dirigenten und Orchester gelingt, etwa in den letzten Sätzen von Tschaikowsky ihr Können zu zeigen, selbst wenn das nicht frei ist von lärmenden und stampfenden Zügen, aber auch die gehören zu den Tiefen der Musik.


    Tschaikowsky war es auch, der in seiner 6. Sinfonie sich diesem Thema richtig angenommen hat und durch die Umstellung des 3. und 4. Satzes hinter den 1. Satz ihnen eine ganz neue Bedeutung gegeben hat. Was schon in der 5. und mehr noch der 4. Sinfonie zu hören war, kommt jetzt heraus: der Leerlauf, geradezu Selbstzerstörung.


    Nachdem auch Mahler einige letzte Sätze nicht ganz geglückt waren, hat er in seiner 9. Sinfonie dies Modell übernommen, und mit welchem Erfolg! Scherchen weist auf diese Parallele zu Tschaikowsky hin, und er lässt den Satz in einem atemberaubenden Tempo spielen, das einem Hören und Sehen vergehen. So soll es sein!


    Viele Grüße,


    Walter

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  • Also ich finde die Finalsätze der letzten drei Schubertsonaten zumindest stehen den restlichen Sätzen in nichts nach.


    Tolle Finali-Komponisten sind auch: Haydn, Mendelssohn, Brahms

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Hallo!


    Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Und jetzt eine gewagte Aussage; Mein Lieblingskomponist Beethoven hat sehr viele wunderbare Sachen geschrieben, aber manche gefallen mir auch nicht so gut; ufff, das musste mal raus.


    Was ist an der Aussage gewagt?
    An keinem anderen Komponisten meckere ich so oft herum wie an meinem Lieblingskomponisten Beethoven. Er ist ein Komponist der Extreme, und im Schatten der vielen Gipfelwerke findet man auch etliche (IMO) nicht so tolle Werke oder auch Einzelsätze.
    Es liegt auch an diesem inzwischen ambivalente Verhältnis zu Beethoven (früher thronte er bei mir unangefochten auf Wolke 7), daß die Auseinandersetzung mit seiner Musik immer wieder reizvoll für mich ist, und daß kein anderer Komponist ihn in meiner Beliebtheit überholt hat.


    Viele Grüße,
    Pius.