Das ideale Tempo - eine Utopie...

  • Ich bin sicher, jeder kennt Aufnahmen, die er im Hinblick auf das Tempo als ideal bezeichnet.


    mein Zugang ist zwar eher die Vokalmusik - hier läßt sich anhand der Phrasenlänge sehr gut ein Tempo bestimmen, das der deutlichen Aussprache und der melodischen Verständlichkeit gerecht wird.


    bei Chormusik hingegen braucht man auf den Atem weniger Rücksicht zu nehmen - dadurch sind auch langsame Tempi möglich.


    In der Instrumentalmusik zählt IMO die Deutlichkeit.
    Prominentes Negativbeispiel ist Martha Argerich, die gerne mit rasenden Tempi auffällt, aber über vieles hinwegspielt - die richtigen Töne sind zwar da, aber wie?


    DIe Virtuose Musik kennt vor allem Rekorde - aber was zählt zu dieser Kategorie - bzw. Gibt es nicht viel mehr Werke, bei denen die Tempobolzerei verboten sein sollte...
    Ist nicht die Barockmusik sehr häufig Opfer von Rasern...gerade HIP?


    Bei welchen Aufnahmen findet Ihr, daß ein ideales Tempo getroffen wurde? (- für Begründungen bin ich dankbar)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Salut,


    Es ist unstreitig ein Vorurtheil, als wenn die Stärcke eines Claviristen in der blossen Geschwindigkeit bestände [...]


    Die Erfahrung lehret es mehr als zu oft, wie die Treffer und geschwindten Spieler von Profeßion nichts weniger als diese Eigenschaften besitzen, wie sie zwar durch die Finger das Gesicht in Verwunderung setzen, der empfindlichen Seele eines Zuhörers aber gar nichts zu thun geben. [...]


    Es ist rühmlich, eine Fertigkeit darinnen zu haben, und ich rathe es selbst einem jeden aufs beste an. Es darf aber ein blosser Treffer wohl nicht auf die wahrhaften Verdienste desjenigen Ansprüche machen, der mehr das Ohr als das Gesicht, und mehr das Hertz als das Ohr in eine sanfte Empfindung zu versetzen und dahin, wo er will, zu reissen vermögend ist. [...]


    Es ist ein Vorzug fürs Clavier, daß man es in der Geschwindigkeit darauf höher als einem andern Instrumente bringen kan. Man muß aber diese Geschwindigkeit nicht mißbrauchen. [...]


    Wir fügen allhier noch hinzu, daß man keine Gelegenheit verabsäumen müsse, geschickte Sänger besonders zu hören; Man lernet dadurch singend dencken, und wird man wohl thun, daß man sich hernach selbst einen Gedancken vorsinget, um den rechten Vortrag desselben zu treffen. Dieses wird allezeit von grösserem Nutzen seyn, [...]


    Cordialement
    Carl Philipp Emanuel

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • darf ich - gut österreichisch - "ein Schäuferl nachlegen"?


    wann habt ihr den Eindruck, daß eine langsame Aufführung eines Werks besser sei als eine schnellere.
    gerade einige Dirigenten sind für eher langsame Tempi bekannt - wie machen sie das, daß es nicht fad wird?


    Ein Spezialfall sind die Bruckner Symphonien: hier wird der Unterschied gemacht, ob ein Dirigent einen langsamen Satz unterteilt oder nicht.


    zur Erklärung: das Unterteilen - ein 4/4 Takt wird z.B. in 8 geschlagen - hilft dem Dirigenten für mehr Präzision. (einer meiner Nicht Lieblingsdirigenten an der VOP hat alle Kadenzen der Sänger ausgeschlagen und bei Butterfly auch Achteltriolen dirigiert...)


    wer hingegen nicht unterteilt, muß sehr langsame Bewegungen machen, die allerdings eher der Bewegung des Stücks entsprechen. (zu einem langsamen Tempo schnelle Bewegungen zu machen, stört doch die Ruhe...)


    der Tenor der Diskussion lautet immer: wer kann die Spannung besser halten? die Vermittlung jener Spannung war in früheren Zeiten IMO das Hauptanliegen, daher die Überlegenheit älterer Dirigenten im romantischen Bereich...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Salut,


    CPE ist sicherlich nicht auf alles anwendbar, was nach ihm kam. Bestimmt aber auf Schubert z.B. [gerade wegen seines Liedschaffens], auch Mozart ist fast immer "sangbar".


    Ich könnte Dir nun aus A Breefe Intrudiction to the skill of Musick von John Playford [1654, passender Name :D ] zitieren. Das aber wäre sicherlich nichts Neues, Du würdest Dich vermutlich verarscht fühlen. Der Grundtenor des Textes ist aber, dass man bei der Teilung [z. B. von C] deutlich zählen können soll. Es muss also erkennbar sein.


    Es ist, davon abgesehen, eine der schwersten Angelegenheiten, langsam und präzise zu schlagen ohne zu "Treiben" oder zu "Schleppen" - für mich jedenfalls. Daher "sollte" man eben weiter unterteilen - ich mache das zumindest gedanklich oder mit dem Fuß die Achtel und/oder mit kleinsten "Zuckungen". Denn es sieht in der Tat verwirrend aus, wenn man den Hampelmann spielt und das Orchester spielt quasi "gähnend"... Erlaubt sein dürfte es indes schon --> bei einem 6/8-Allegretto schlägst Du auch nur zwei anstatt 6... :D [o.k. - kleiner Scherz...]


    Walther z.B. wie auch Purcell [?] stellt darauf ab, nach den schnellsten Noten [also den kürzesten vorkommenden] zu bemessen. Also die kleinste Noteneinheit des satzes sollen in Relation die schnellsten Noten sein. Ob das bei Brucker zieht, kann ich Dir nicht sagen.


    Zitat

    wann habt ihr den Eindruck, daß eine langsame Aufführung eines Werks besser sei als eine schnellere.


    Das ist doch sowas von subjektiv. Die langsamere Aufführung ist dann besser, wenn ggfs. Komponist, Orchester, Dirigent und Publikum derselben Laune unterliegen...


    Es gibt einen ungeschrieben "Ermessensspielraum" - das weiß jeder Komponist, jeder Dirigent und jeder Musiker. Dem einen gefällt es so, dem andern so - und morgen wieder anders.


    Zitat

    gerade einige Dirigenten sind für eher langsame Tempi bekannt - wie machen sie das, daß es nicht fad wird?


    Östman z. B. ist eher das Gegenteil - er RAST. Dennoch ist es in meinen Ohren nicht ZU schnell, da er sich gerade an der Grenze bewegt. Er nutzt eben die Qualitäten des Orchesters gekonnt aus - jede einzelne Note ist noch zu hören, eben nur kurz. :D


    Bei langsamen Tempi kommt es m. E. auf die Klanggebung durch die Musiker an, damit es nicht fad/langweilig wird. Präzise Ausarbeitung der interessanten Stimmen etc. - Ich stelle mal in den Raum, dass Bruckner vielleicht auch eher Kirchenorientiert war und entsprechende Vorstellungen hatte. Vielleicht kann Dir Ben Cohrs da besser helfen - ich muss absolut passen, weil ich keine Ahnung davon habe.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Es ist, davon abgesehen, eine der schwersten Angelegenheiten, langsam und präzise zu schlagen ohne zu "Treiben" oder zu "Schleppen"


    ganz genau das ist der Punkt. Dieser Aufgabe sollte sich ein Dirigent eben unterziehen, anstatt kleine schläge in die Luft zu zeichnen (Pinseln...)
    Unterteilen ist einfacher, aber nicht schöner...und ich glaube, es verführt zum schnellerwerden - du schreibst ja auch - spielt gähnend...die langsame Bewegung erscheint einem noch langsamer.


    Probiers aus bei einem langsamen Satz und zähle Achtel dazu , während die Melodie in Vierteln geht. Wie soll man da lange Phrasen zeigen können?


    ich habs einmal bei Bruckner e-Moll Messe erlebt: Kyrie, beginnt in ganzen und halben Noten im Chor und der Dirigent fuchtelt in Vierteln dazu - ein schreckliches Bild - ich mußte die Augen schließen um die Musik ungestört zu hören.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

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  • Zitat

    Original von tastenwolf
    [ich habs einmal bei Bruckner e-Moll Messe erlebt: Kyrie, beginnt in ganzen und halben Noten im Chor und der Dirigent fuchtelt in Vierteln dazu - ein schreckliches Bild - ich mußte die Augen schließen um die Musik ungestört zu hören.


    Salut,


    wo gehobelt wird, fallen Spähne...


    Mir ist eingefallen, dass z.B. in der Hochzeit der Wiener Klassik [also ca. 1780] die Pianisten eines Klavierkonzertes quasi selbst dirigierten und 'col basso' spielten. Das wurde lange Zeit nicht praktiziert und ab der Jahrundertwende 1800/1801 sicher nicht mehr. So mussten sich Dirigent X und Pianist Y "absprechen" bezüglich des Tempos. Das ist m. E. Unfung - wenn es auch zahlreiche gute Beispiele gibt, dass es funktioniert. Erst kürzlich habe ich bei Beethoven II das Gegenteil erlebt. Oft auch kann man feststellen, dass nach dem Orchesterritornell der Solist ein anderes Tempo anschlägt und der Fechtmeister dumm aus der Wäsche guckt. :D Der Solist sollte sein Wunschtempo angeben. Bei Klavierkonzert durch 'col basso' bei Violinkonzerten 'col Ima' usw... Es wird wieder praktiziert - und ist m. E. besser.


    Bei einem Rachmaninov ist das natürlich wieder etwas anderes.


    Zitat


    daher die Überlegenheit älterer Dirigenten im romantischen Bereich...


    Ich glaube, hier spielt die große Erfahrung und das Eingespieltsein von Orchester und Dirigent als Team eine größere Rolle. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo Dirigenten "stumm" auf dem Podest stehen und lediglich ggfs. mal den ein oder anderen Einsatz geben. Das ist natürlich werkabhängig.


    "Mein" Dirigent übrigens, bei dem ich gelegentlich interessehalber Unterricht nehme kann aus dem FF irgendetwas schlagen. Man sagt ihm: "Schlag 7/8, viertel = 118 mit synkopischem Einsatz auf 5,4" - er macht es. Man könnte Metronome danach eichen. Erfahrung oder Ausnahmeerscheinung?


    Grüßle
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Obwohl ich (als Laie eigentlich etwas nassforsch) häufig eine Vorstellung daovn habe, wie schnell oder langsam ein Stück sein sollte, lasse ich mich durchaus auch von schlüssigen Interpretation in anderen Tempi überzeugen. Einer der wengien Dirigenten, die zu breite Tempi überzeugend scheinen lassen, ist natürlich Klemperer. Vermutlich liegt es an der großen Transparenz, rhythmischen Klarheit und Wucht, dass es trotzdem funktioniert. Ich bin aber nicht der Ansicht, dass man im Zweifel zum Mitschreiben spielen oder dirigieren sollte, damit auch ja jedes winzige Detail ausgespielt werden kann. Dabei kann der eigentliche Charakter des Stückes verfehlt werden. Der Kopfsatz der Eroica wird immer kohärenter und mitreißender wirken, wen er wie vorgeschrieben in sehr zügigem Tempo und in ganzen Takten genommen wird (das muß nicht Takte = 60 sein, es reicht gewiß je nachdem auch 50, aber eben nciht Viertel = 126)
    Bei etlichen Stücken bin ich überzeugt, dass sie, obwohl nicht alla breve vorgezeichnet in Halben zu denken sind. Die werden mir meistens zu langsam genommen (und tendieren dann zum Bombast), z.B. die ersten Sätze der Jupitersinfonie, von Beethovens 1. Klavierkonzert und vom Violinkonzert. Weil es im anderen thread angesprochen wurde, habe ich neulich nochmal Gould/Golschman mit Beethovens 1. Klav.konzert gehört, IMO das ideale tempo, etwa 20-25% schneller als gemeinhin üblich.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Bei etlichen Stücken bin ich überzeugt, dass sie, obwohl nicht alla breve vorgezeichnet in Halben zu denken sind. Die werden mir meistens zu langsam genommen (und tendieren dann zum Bombast), z.B. die ersten Sätze der Jupitersinfonie, von Beethovens 1. Klavierkonzert und vom Violinkonzert.


    Salut,


    Jupiter I ist eindeutig alla breve C.


    Man darf das nicht mit dem Bachschen verwechseln. Zur Unterscheidung des Zweiertaktes gibt es noch das C| [durchgestrichen, hier nicht darstellbar].


    Doch - ich kann es darstellen :D



    Hier das Autograph der ersten Seite zum "Beweis":



    Das C entspricht hier 4/4 ist also notenwertig langsamer als das Finale, in welchem 2/2 vorgeschrieben sind. Es ist ein Irrtum, das Finale doppelt so schnell zu spielen, genauso wie es falsch ist, den ersten Satz halb so schnell als das Finale zu spielen. Es kommen noch Attribute hinzu: Beim ersten Satz "Allegro vivace", beim letzten Satz "Molto Allegro". Der erste Satz ist also langsamer zu spielen, als das Tempo des vierten.


    Die Einteilung deutet "nur" die Schläge [vier oder zwei] an. Zwei Schläge sind schonmal grundsätzlich [bei gleicher Tempobezeichnung] schneller als vier. Ein "Vivave" bezeichnet eine zusätzliche Lebhaftigkeit [m. E. Steigerung um ~ 10-15 %] - ein "Molto" kann bis zu 50% "mehr" bedeuten. Ich würde es hier allerdings nicht übertreiben.


    Cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • In der mir bekannten Nomenklatur ist "alla breve" = 2/2 bzw. "durchgestrichenes C" und "C" = 4/4. Alle drei von mir genannte Sätze haben 4/4 vorgezeichnet. Dennoch "spüre" ich sie in Halben (beim Anfang der Jupiter ja ganz offensichtlich). Daher empfinde ich (z.B f. KV 551, i) ein tempo wie Viertel= 132 zu langsam. Mir schwebt ungefähr Halbe = 80 vor, vielleicht reicht auch etwas langsamer.
    Ein Satz, der von den meisten Dirigenten quasi in 2/2 genommen wird, obwohl meines Wissens auch 4/4 vorgezeichnet ist, ist der Kopfsatz der "Linzer". Ich würde den der Jupiter gerne mal etwa so flott hören, wie viele die Linzer dirigieren.
    Fricsays Monoaufnahme auf der Doppel-CD mit der Mozart-Silhouette, die neulich jemand hier erwähnte, kommt meiner Tempovorstellung in Jupiter, i recht nahe. (knapp 8 min ohne Wdh.)


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    In der mir bekannten Nomenklatur ist "alla breve" = 2/2 bzw. "durchgestrichenes C" und "C" = 4/4. Alle drei von mir genannte Sätze haben 4/4 vorgezeichnet.


    Nicht so bei Mozart. Wie man es nennt, ist ja auch im Prinzip egal. Wichtig ist, dass man 4/4 von 2/2 auseinanderhalten kann.



    Zitat


    Dennoch "spüre" ich sie in Halben (beim Anfang der Jupiter ja ganz offensichtlich). Daher empfinde ich (z.B f. KV 551, i) ein tempo wie Viertel= 132 zu langsam. Mir schwebt ungefähr Halbe = 80 vor, vielleicht reicht auch etwas langsamer.


    Gerade dadurch, dass Mozart "C" vorschreibt, ist es oft zu Missverständnissen gekommen. Vgl. Rothschild.


    Zitat


    Ein Satz, der von den meisten Dirigenten quasi in 2/2 genommen wird, obwohl meines Wissens auch 4/4 vorgezeichnet ist, ist der Kopfsatz der "Linzer". Ich würde den der Jupiter gerne mal etwa so flott hören, wie viele die Linzer dirigieren.


    Die Linzer hat auch "C" und das Attribut "Spirituoso". Also eher verhalten - "mit Geist". In jedem Fall noch langsamer als 551 I. Der letzte Satz hingegen ist Presto 2/4. Der wird in aller Regel "richitg" gespielt.


    LG
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Zitat

    Original von Ulli



    Die Linzer hat auch "C" und das Attribut "Spirituoso". Also eher verhalten - "mit Geist". In jedem Fall noch langsamer als 551 I.


    - - - womit ich Dir Recht gebe: Jupiter I = schneller als Linz I.


    :hello:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Fricsays Monoaufnahme auf der Doppel-CD mit der Mozart-Silhouette, die neulich jemand hier erwähnte, kommt meiner Tempovorstellung in Jupiter, i recht nahe. (knapp 8 min ohne Wdh.)


    Salut,


    das ist dann in etwa vergleichbar mit Marriner und der Ex-Academy. Er benötigt mit Wiederholung 11'17" - taktweise umgerechnet ohne Wiederholung 7'48". Da fehlt's etwas an "Pepp", im Vergleich zur Linzer noch zu langsam.


    :motz:


    Dennoch: Man muss noch ohne Hektik vier Schläge erteilen bzw. bis vier zählen können.


    Ich erinnere mich gerade, dass es einen thematisch verwandten Thread gibt:


    Flotte Engländer


    Gute Nacht!
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
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  • Guten Morgen,


    um zum Thema „Sangbarkeit“ zurück zu kommen:


    Hier gibt es, was KV 550 I betrifft, ein gutes Beispiel:


    Das Thema der Schlußgruppe [T. 101ff., G-Dur] verwendet Mozart ebenfalls in der Arie Un bacio di mano KV 541. Hier in T. 16ff. [Auftakt], Singstimme ab Takt 20ff.. Das Tempo ist Allegretto und steht im 2/4-Takt. Das Tempo der mir vorliegenden Aufnahme ist Viertel = 126 und damit schon recht frisch und spritzig [Beethoven: op. 59 Nr. 1 Satz Vier nach Rothschild „Allegro 2/4 Viertel = 126“ / Beethoven op. 18 Nr. 1 Satz Vier n. R. „Allegro 2/4 Viertel = 120“].


    Folgt man nun Breidenstein als Indikator, so könnte man auf die Idee kommen, Allegretto 2/4 einem Allegro C = 4/4 gleichzusetzen. Es würde sich in dem Fall auch meiner Vorstellung mit der Absolutheit eines musikalischen Themas in der Erfindung decken. Nun geben wir noch das Gewürz „Vivace“ hinzu: 126 ist bereits recht flott für ein Allegretto, daher nur 5 % Zuschlag – und wir liegen bei ~ 132 pro Viertel für 551 I.


    Bei einem "schwerfälligen Orchesterkörper" mag das zu langsam erscheinen.


    Cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Darf ich bitten, Notenbeispiele einzufügen, es gibt auch Normalsterbliche, die sich nicht die Mozart Gesamtausgabe zulegen!


    Danke

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
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  • Zitat

    Original von tastenwolf
    Darf ich bitten, Notenbeispiele einzufügen, es gibt auch Normalsterbliche, die sich nicht die Mozart Gesamtausgabe zulegen!


    Danke


    Voilà:



    Addio
    Ulli

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  • Um auf Ullis Beitrag antworten zu können, muß ich mich erst mal in die Bibliothek begeben...


    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Bei etlichen Stücken bin ich überzeugt, dass sie, obwohl nicht alla breve vorgezeichnet in Halben zu denken sind. Die werden mir meistens zu langsam genommen (und tendieren dann zum Bombast),


    Dieser Meinung bin ich auch!
    Mit fortschreitender Virtuosität/ Hörerfahrung... schafft man es, größere Zusammenhänge zu erfassen und geht zu anderen zählzeiten über.


    Die "flotten Engländer" können sich diese Tempi leisten, weil die Ensembles das überzeugend spielen können...(bei einer Zauberflötenproduktion im Stadttheater Klagenfurt unter Nicholas Kok 2002 kamen die Unterschiede zwischen der Erwartung des Dirigenten und dem Niveau des Orchesters recht deutlich zutage...)


    eine Allgemeine Regel richtet sich nach dem kleinsten Notenwert eines Stücke - solange die schnellste Stelle sauber und klar gespielt werden kann, ist das Tempo nicht zu schnell... (das ist eindeutig Sache der Virtuosität..)


    Zwei Richtlinien sind für mich die Baßstimme und die Harmoniewechsel innerhalb eines Takts.


    Wenn in einem 4er Takt der Baß hauptsächlich auf 1 und 3 spielt, manchmal streckenweise nur auf 1, ist das ein Grund, in Halben zu zählen.
    Genauso, wenn jedem Takt nur eine oder zwei Harmonien zugeordnet sind, kann man den Takt schneller spielen, als wenn es 4 verschiedene wären.


    diese Regeln kann man aus dem Generalbaßspiel ableiten, wenn man viele Ziffern und viele Noten in der Baßstimme findet, ist das Tempo langsamer...


    Meine allgemeine Schlußfolgerung ist, daß es ein "richtiges Tempo für Harmoniewechsel" gibt - eine Grenze, wie weit man Harmoniewechsel und Modulationen versteht und mitvollziehen kann.


    Wenn das nicht mehr möglich ist, schaltet man als Zuhörer geistig ab und empfindet die Musik als zu komplex...


    ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Salut,


    nun also doch John Playford:


    […] ich werde zuerst von dem gewöhnlichen Zeitmasse sprechen, von dem es dreierlei Arten gibt; die erste und langsamste von allen ist mit C bezeichnet. Dasselbe wird mit einer ganzen Note gemessen, welche in vier gleiche Teile geteilt wird, indem man deutlich eins, zwei, drei, vier zählt. [..]


    Heinichen:


    […] Wir gehen weiter, und besehen noch 2 extraordinaire Tacte, nehmlich das bekannte Alla breve C und den Ouverteur-Tact C|. […]


    […] Im Alla breve […] werden eintzig und alleine die 4tel als in diesem Tacte gebräuchliche geschwinde Noten angesehen, weil kleinere Noten nehmlich die 8tel, entweder gar nicht, oder doch sehr sparsam, […] zugelassen werden […].


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • für ein "allegretto" ist 126 in der Tat eigentlich schon zu schnell (eher 90-100), ein richtiges allegro in Vierteln fängt dagegen z.B. bei Beethoven da erst an, häufig eher Viertel = 144 (oder sogar tempi wie Halbe = 80-88, wenn allegro molto vivace oder so heißt)


    Zitat


    Bei einem "schwerfälligen Orchesterkörper" mag das zu langsam erscheinen.


    Wer ist Rothschild? Das ist m.E. deutlich zu langsam. Der Anfang des Satz tendiert dann zum Pomp (wenn man den caro signor Pompeo als Maßstab nimmt :D, in der Sinfonie muß ja niemand singen)). Ich favorisiere eher die ca. 155 für Viertel von Fricsay und Marriner. Wie ich Breidenstein verstehe, entspricht ein allegretto 2/2 etwa einem allegro 4/4. Ein Allegro vivace 4/4 ist sehr schnell, in jedem Fall deutlich schneller als ein allegretto (das Breidenstein noch zu den "langsamen" Tempi rechnet!).
    Der Hinweis auf die kleinsten thematisch wichtigen Noten ist m.E auch sehr wichtig. Wenn Sechzehntel fast nur als Schleifer, Doppelschläge o.ä. vorkommen, ist das natürlich was anderes als wenn staccato-Sechzehntelketten artikuliert werden müssen...


    (Ich muß jetzt weg, später mehr)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    für ein "allegretto" ist 126 in der Tat eigentlich schon zu schnell (eher 90-100), ein richtiges allegro in Vierteln fängt dagegen z.B. bei Beethoven da erst an, häufig eher Viertel = 144 (oder sogar tempi wie Halbe = 80-88, wenn allegro molto vivace oder so heißt)


    Salut,


    Beethovens Tempi sind mit denen Mozarts nicht vergleichbar - ich nannte das lediglich als Indiz.


    Rothschild?


    :D


    "Vergessene Traditionen in der Musik" - ein sehr wichtiges Buch.


    Ich denke, ich darf's hier reinsetzen:


    Zitat

    (Dennoch hätte ich z.B. ganz gerne eine etwas nähere Begründung, warum er die von Hummel, Czerny u.ä. überlieferten MM-Ziffern als "völlig unbrauchbar" ablehnt. Dass man die nicht einfach so unkritisch übernehmen soll, ist klar, aber beinah-Zeitgenossen so schnell wegzuschieben, ist mir etwas zu leicht)


    Clementi ist ein Ciarlattano wie alle Wälsche. - er schreibt auf eine Sonate Presto auch wohl Prestißimo und alla Breve. - und spiellt sie Allegro im 4/4=tackt; [Mozart]



    Grüßle
    Ulli

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ursprünglich wurde in der Musik nicht zwischen Zeit und Tempo unterschieden, wobei als Tempo der Sprachrhythmus verstanden wurde. Erst mit der Herausbildung der quadratischen Notenschrift im 12. Jahrhundert, als der Eigenwert jeder einzelnen Note erkannt wurde und es damit möglich wurde, sie kontrapunktisch in verschiedene Stimmen zu setzen, wurde bewusst, wie die einzelnen Töne unterschiedlich lang gehalten werden können, der Begriff der Zeitdauer entstand und der gezielten Nutzung von Pausen.


    Die Musik löste sich damit vom Wort, das in den Jahrhunderten davor immer das Kirchenwort gewesen war. Im Ergebnis entstand eine Musik, die sich ihrer Eigengesetzlichkeit bewusst wurde und dadurch von der Bindung an das kirchliche Wort löste. Das wurde von der Kirche deutlich wahrgenommen und immer wieder bekämpft. (Siehe hierzu etwa das spannende Buch von Michael Walter „Text und Musik“).


    Seither ist das „richtige“ Tempo Ausdruck der Subjektivität des Interpreten, der sein Tempo gefunden hat und überzeugend vorträgt. Das ist ein Aspekt, warum seit dem 19. Jahrhundert die Bedeutung der Interpreten für die Musik immer wichtiger wird und fast den Komponisten zurücktreten lässt.


    Das Beispiel Martha Argerich finde ich sehr gut. Sie spielt sehr schnell und zugleich ausgesprochen genau. Oft kann ich es nicht hören, fast klingelt es in den Ohren, aber sie hat damit ein Zeitgefühl getroffen, das immer unter Druck steht, alles möglichst schnell und genau sagen will, kaum Zeit zum Atemholen, von einem Ort zum nächsten jetten. Während andere Interpreten – Namen erspare ich mir – einfach nur Fingerfertigkeit und die berühmten „stupenden Fähigkeiten“ vorführen wollen, ist ihr etwas gelungen, das immer wieder zum Nachdenken anregt. Ihr Stil – und durchaus verwandt der von Gidon Kremer – sind für mich Zeichen einer Verletzung: aber dies Wort trifft es nicht richtig: Zeichen eines Getriebenseins, der drohenden inneren Auflösung, über deren Charakter ich mir längst noch nicht klar geworden bin.


    Viele Grüße,


    Walter

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  • Salut,


    ich höre jetzt Marriner/Academy. Das Tempo liegt bei 168/170, wenn ich richtig gemessen habe: In Ordnung, wirkt etwas verhalten, etwas schwerfällig.


    Walter.T:


    Die Musik mag sich seinerzeit vom Wort gelöst haben, aber nur um sich z.B. in der Wiener Klassik um so stärker wieder mit ihr zu verbinden. Mozart als Möchtegern-Opernkomponist :P war dem Theater stets sehr verbunden - das "spricht" und "singt" in seiner Musik.


    Die Melodie ist eine Rede, auch wenn sie keinen Text hat. Sie ist ein Zuruf an die uns umgebende lebendige oder unbelebte Welt, kein Kommentar über diese oder über unsere Seelenregungen. Sie ist das Ergebnis einer physischen Handlung, die an die Möglichkeiten unserer Stimme angepasst ist; sobald wir sie gesungen haben, gewinnt sie eine Autonomie, die uns die Empfindung vergessen lässt, weswegen wir sie angestimmt haben. [Eric Rohmer, keine Bewertung - eine subjektive Empfindung]




    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Walter.T
    Das Beispiel Martha Argerich finde ich sehr gut. Sie spielt sehr schnell und zugleich ausgesprochen genau. Oft kann ich es nicht hören, fast klingelt es in den Ohren, aber sie hat damit ein Zeitgefühl getroffen, das immer unter Druck steht, alles möglichst schnell und genau sagen will, kaum Zeit zum Atemholen, von einem Ort zum nächsten jetten.


    Wahrscheinlich gelingt es ihr auf diese Weise, sich persönlich mitzuteilen, vielleicht leidet sie unter dem Druck, kann ihm aber nicht entkommen...
    Getriebensein, innere Auflösung - das kann schon ein Teil des modernen Lebensgefühls sein, ausgelöst durch das Hin und Hergerissensein der Karriere, den Termindruck, die Erwartungshaltungen....
    Vielleicht will sie keine Fassade aufrechterhalten und verzichtet auf die "reine Schönheit" zugunsten ihrer künstlerischen Wahrheit...


    (ich habe von Negativbeispiel gesprochen, weil ich dieses Zeitgefühl manchmal als bloßes "Noch-schneller-spielen-Wollen" interpretiere, nicht als Aussage. Sie fällt mir auch durch mangelnde Rücksichtnahme im Zusammenspiel mit dem Orchester auf.)



    Verlust des Zeitgefühls, das bringt mich auf folgendes:


    das Problem, daß die Aussage Schnell bereits als rasendes Tempo interpretiert wird, da man es nach den technischen Möglichkeiten einschätzt...
    die Begriffe langsam und schnell werden sehr extrem ausgelegt, die Mitte geht verloren.


    Dieses Zeitgefühl haben aber nicht erst wir verloren, bereits Brahms oder Reger haben mit der Tempobezeichnung Probleme - geben ein Tempo zu schnell an...das Spielgefühl ist deutlich langsamer


    die Hilfsmittel der bekannten Instrumentalschulen könnte ich um ein weiteres ergänzen. ich habe aus den Klavierschulen Czernys sämtliche Tempobezeichnung mit Metronomisierung zusammengetragen - leider sind kaum langsame Tempi angegeben, erst ab Andantino und Allegretto, dafür aber mit verschiedenen Zusätzen.
    (Die Tabelle muß ich noch eingeben - auf meiner Homepage...)


    Zitat

    Original von Ulli
    Die Musik mag sich seinerzeit vom Wort gelöst haben, aber nur um sich z.B. in der Wiener Klassik um so stärker wieder mit ihr zu verbinden.


    dem möchte ich widersprechen. Mozart und Haydn waren zu sehr dem Instrumentalstil jener Zeit verpflichtet - daher ist in den italienischen Opern der Dualismus: Vokalkunst mit unterlegtem Text (Arie) im Gegensatz zu gesungener Rede (Rezitativ)
    Sicher hat Mozart an seinem Stil weitergearbeitet - z.B: der schnelle Teil der Gräfin- Arie"Dove sono" ist der typische konzertante Stil, auch die Entführung hat diese konzertanten Arien (Martern); - schließlich: in der Zauberflöte,
    "Ach, ich liebte", "Dies Bildnis" - nicht umsonst sieht man das als Vorläufer der romantischen Oper.



    Jetzt noch was allgemeines!
    So wie jede(r) eine ideale Aufnahme eines Werks kennt, so kann er/sie auch über ein ideales Tempo reden...
    das ist genauso subjektiv wie alle anderen Aussagen über Musik, daher unbedenklich...



    Zitat

    Original von JR:
    Weil es im anderen thread angesprochen wurde, habe ich neulich nochmal Gould/Golschman mit Beethovens 1. Klav.konzert gehört, IMO das ideale tempo, etwa 20-25% schneller als gemeinhin üblich.


    das ist genau das, was ich lesen wollte!

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Zitat

    Original von tastenwolf



    dem möchte ich widersprechen. Mozart und Haydn waren zu sehr dem Instrumentalstil jener Zeit verpflichtet - daher ist in den italienischen Opern der Dualismus: Vokalkunst mit unterlegtem Text (Arie) im Gegensatz zu gesungener Rede (Rezitativ)


    Salut,


    bei Mozart bis zum Idomeneo - und keinen Schritt weiter. Heute nur soviel:


    [...] alles schmelt über den Stephani - es kann seyn daß er auch mit mir nur ins gesicht so freundschaftlich ist - aber er arrangirt mir halt doch das buch - und zwar so wie ich es will - auf ein haar - und mehr verlange ich bey gitt nicht von ihm! [..]


    Gute Nacht für heute!
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Sachte, sachte, Freund Ulli,...dieses Duell sollten wir nicht in diesem Thread austragen...
    (unterlegter Text ist etws hart formuliert... ;) )


    Ich hab heute wieder an den Meistersingern geübt, und habe das Problem der Wagnerschen "Begleitpolyphonie" bearbeitet...
    die Harmonien, die er schreibt, sind ganz- oder halbtaktig, jedoch die chromatischen oder rhythmisierten Mittelstimmen machen mir zu schaffen...


    Von den Harmonien her würde ich ein viel schnelleres Tempo nehmen - dann lassen sich die Feinheiten des Satzes nur mehr in rasenden Geschwindigkeiten herausbringen. Wenn ich darauf Rücksicht nehme, wird alles etwas schwer.


    Ich gebs ja zu, auch Wagner gehört zu jenen großen Komponisten, deren Werke in jedem Tempo überzeugend darzustellen sind...
    Das macht die Suche nach dem idealen Tempo so schwer...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Das Thema hat es in sich. Noch ein paar weitere Ideen: Mit Opern kenne ich mich nur wenig aus, aber vom ersten Eindruck würde ich doch sagen, dass hier eher von der Musik aus die Stimme eingesetzt wird als umgekehrt. So kann es zum erstaunlichen Verfremdungseffekt in der „Zauberflöte“ kommen, wenn dort Papageno mit seiner Stimme, ganz wie ihm der Schnabel gewachsen ist, in eine Umgebung hineinplatzt, wo die Stimmen künstlich und eben nicht mehr natürlich gestaltet sind.


    Gibt es dann andere Leitvorstellungen für das Tempo: Anfangs hat sich das Tempo am Andanto, also am Rhythmus des Gehens oder Schreitens orientiert. Das scheint bis Beethoven bestimmend gewesen zu sein. Dann kam es zu Versuchen, die Rhythmen der Natur zu treffen und in die Musik zu holen. Die „Moldau“, das Rauschen des Waldes bei Bruckner, das Bächlein bei Schubert. Und mit dem 20. Jahrhundert gewinnt der Herzschlag immer größere Bedeutung. Gould hat daraus seine besonderen Effekte gezogen, wenn er im „Rhythmus des 20. Jahrhunderts“ Bach gespielt hat.


    Mit dem Jazz und seinem „walking bass“ wurde wiederum etwas Neues begründet. Hier wird die Bass-Linie bewusst immer ein wenig schneller gespielt als die Melodie etwa in den Trompeten. Das ergibt die besondere Lässigkeit oder Coolness. Off-beat und swing sind weitere Beispiele, die alle zeigen, wie hier im Unterschied zur klassischen Musik der Rhythmus der Seele getroffen werden soll, während die Klassik von rationalen Gesetzen ausging.


    Lieber Wolfgang, du hast wirklich ein tolles Thema angeschlagen.


    Viele Grüße,


    Walter

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  • Zitat

    Original von Walter.T
    Das Thema hat es in sich. Noch ein paar weitere Ideen: Mit Opern kenne ich mich nur wenig aus, aber vom ersten Eindruck würde ich doch sagen, dass hier eher von der Musik aus die Stimme eingesetzt wird als umgekehrt. So kann es zum erstaunlichen Verfremdungseffekt in der „Zauberflöte“ kommen, wenn dort Papageno mit seiner Stimme, ganz wie ihm der Schnabel gewachsen ist, in eine Umgebung hineinplatzt, wo die Stimmen künstlich und eben nicht mehr natürlich gestaltet sind.


    Hm?


    ?(


    Was gibt es Natürlicheres, als "Hm-hm-hm-hm, hm-hm-hm-hm- hm-hm-hm-hm, hm-hm - hm-hm..."? Oder die Vogelfängerarie an sich? Welche andere Melodie würde wirklich passen? Und wo sind die Stimmen natürlicher, als in Rezitativen?


    :angel:


    Cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Salut,


    zufällig stolpere ich gerade über folgenden Eintrag von Hellmut Kühn im MGG zum Stichwort "Symphonie":


    In der Melodik kommt der ital. Einfluß bei Mozart zu voller Geltung. Die meisten seiner Themen entstammen eher dem vok. als dem instr. Bereich und bevorzugen Bildungen mit subtilsten Beziehungen zwischen stufenweisen und springenden Fortschreitungen, während Haydn seine Gedanken oft über mehrere Oktaven ausbreitet und ausgesprochenen instr. Figurationen verwendet. Mozarts viel bewunderte Chromatik entspringt z. T. dem nämlichen Gefühl für das Vokale; ein zusätzlicher chromatischer Durchgang vermehrt die Geschmeidigkeit einer diatonischen Linienführung.


    :hello:


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Lieber Ulli,


    ich habe keine Lust, Herrn Hellmut Kühn zu widersprechen, den ich nicht kenne - mir ist lieber, du schreibst eigene Meinungen und bleibst damit angreifbar...


    Sätze wie diese:

    Zitat

    ein zusätzlicher chromatischer Durchgang vermehrt die Geschmeidigkeit einer diatonischen Linienführung.


    laufen bei mir unter "musikalische Schriftstellerei" - das hat IMo Konsalik Niveau und ist keine Diskussionsgrundlage!
    Die MGG interessiert mich, was Fakten und Daten betrifft, die Qualität der Artikel ist für mich nebensächlich.




    ich muß von einem aktuellen Ereignis berichten, das mich aufgewühlt hat: Produktion des "Schauspieldirektor" unter Leopold Hager...


    ein Allegro assai im Alla Breve Takt ist schon mal vom bloßen Lesen her eher eine schnelle Angelegenheit.
    ich muß mit den Metronomzahlen improvisieren - ich habe mit den Sängern ca Halbe = 80 einstudiert.
    Hager macht ca. Halbe = 60
    Ich verstehe nicht, wieso er z.B: in der Zauberflöte die Monostatos Arie schnell dirigiert, ebenso das 2. Quintett und das papapa duett und dieses Stück so langsam.
    Jedenfalls erscheint mir der Unterschied riesig - und das Musizieren ist eine Qual. das ist kein Streit zwischen zwei temperamentvollen Sängerinnen mehr...


    mir ist aufgefallen, daß es einen "interpretationsspielraum" gibt, der zwischen der schnellsten und der langsamsten Variante ungefähr 25% beträgt. Größere Unterschiede sind sehr selten (aber z.B: bei Bach möglich...)


    Das unterschiedliche Pulstempo der Menschen hat wohl damit zu tun. Ich plane schon lange eine genaue Untersuchung von Puls und musikalischem Tempo zu beginnen, aber mit ärztlicher Unterstützung (Geräte!) wäre es leichter...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Lieber Wolfgang,


    ich zitiere selten Dinge, hinter denen ich nicht stehe. Ich mache es dann schon kenntlich, falls dies nicht der Fall ist. Kühn hat sich sehr gewählt ausgedrückt und das Hauptthema war ja die Melodik bzw. Sangbarkeit als Tempoindikator bei Mozart. Diesbezüglich pflichte ich ihm bei. Ich kenne Kühn auch nicht persönlich, dennoch hat er den Kern meiner Meinung nach gut getroffen [die Garnierung mal außen vorgelassen - wobei das lesen staubtrockener Texte auch nicht unbedingt reizvoll ist].


    Ich habe weiter oben bestimmt auch bereits geschrieben, dass es einen allgemein akzeptierten Interpretationsspielraum gibt, das weiß der Komponist und der Interpet, vielleicht das Publikum.


    Die Arie des Monostatos ist Allegro 2/4 [Nr. 13 "Alles fühlt der Liebe Freunden..."]. Die Vierteil im 2/4 sind bei gleicher Tempobezeichnung nunmal etwas schneller als im 4/4, oder? [Interessant ---> Mozart hat die Variationen KV 265 "Ah! Vous blabla..." zunächst im 2/4-Takt notiert und später jeden 2ten Taktstrich durchschlängelt - das gibt es öfter, auch in der Zauberflöte].


    Im Schauspieldirektor meinst Du das Terzett "Ich bin die erste Sängerin..." nehme ich an. Es ist ein Alla Breve mit vier Schlägen --> C. M. E. ist hier das Viertel in beiden Fällen relativ identisch, im Terzett evtl. eine Prise schneller. Zu langsam erscheint mir hingegen stets das Vaudeville "Jeder Künstler strebt nach Ehre...", denn es ist nur ein Zweiertakt: durchstrichenes C, Allegro. Es ist wichtig, dass es ein Vaudeville ist, ähnlich dem der Entführung - auch die Gattung allein bestimmt das Tempo mit. Ebenso ist das Quintett "Hm! Hm! Hm! etc..." ein Zweiertakt, Allegro - meist zu langsam. Zu beachten ist eben dabei, dass in jedem Fall das gesungene Wort vor dem Tempo steht - meine ich. Was nicht mehr einwandfrei singbar [aussprechbar] ist, sollte man überdenken... Zudem kommt noch die Relation zu den anderen Nummern des jeweiligen Werkes, das Gesamtergebnis muss schlüssig [und angenehm!] und ausgewogen sein.


    Puls/Impuls - ich meine, dass das etwas möglichst Natürliches sein sollte. Man könnte schon den Puls [der messbar ist] einem Impuls gleichsetzen, das entspricht der Natürlichkeit. Es kommt hinzu, dass die Zeit offenbar heute schneller abläuft, als damals [subjektives Empfinden durch Stress etc.] sowie durchschnittliche Lebenszeit [für eine 250 Jahre alte Schildkröte ist die Zauberflöte in Relation zu einem Menschen in 10 Sekunden vorbei.... ] - nicht zu ernst nehmen.


    Jetzt kannst Du mich frontal angreifen. :D


    Grüßle
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von tastenwolf
    ein Allegro assai im Alla Breve Takt ist schon mal vom bloßen Lesen her eher eine schnelle Angelegenheit.
    ich muß mit den Metronomzahlen improvisieren - ich habe mit den Sängern ca Halbe = 80 einstudiert.
    Hager macht ca. Halbe = 60


    Ich hab von der Praxis natürlich keine Ahnung :D, dennoch: was sind die schnellsten artikulierten Noten Achtel, Achteltriolen oder Sechzehntel? Falls das nicht voller Sechzehntel ist, scheint mir dein Tempo auch eher angemessen...


    Zitat


    mir ist aufgefallen, daß es einen "interpretationsspielraum" gibt, der zwischen der schnellsten und der langsamsten Variante ungefähr 25% beträgt. Größere Unterschiede sind sehr selten (aber z.B: bei Bach möglich...)


    Es gib schon auch bei Mozart und Beethoven sehr große Unterschiede (meistens ergibt für mich ein Extreme dann aber wenig Sinn); langsame Sätze halten ziemlich viel aus; ich habe Einspielungen des ersten Satzes der 9. von Beethoven zwischen 13:30 u. 17 min, des langsamen zwischen 12 und 19 min, ähnliche Spannweiten für die Eroica. Gulda spielt einige langsamen Sätze der Sonaten fast doppelt so schnell wie z.B. Emil Gilels.
    Aber es stimmt, dass in Allegro-Sätzen 20-25% Unterschied schon ziemlich viel sind.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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